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RENTENANGST

Begriff ohne Unterleib

Erstellt von Redaktion am Dienstag 29. Mai 2018

Über die linke Mode, sich vom »Bürgerlichen« abzugrenzen

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Wenn es an der Persönlichkeit bei Einzelnen fehlt, muss die Kleidung als Ersatz herhalten.

Von Tom Strohschneider

Begriffe, sagt Bertolt Brecht in seinen »Flüchtlingsgesprächen«, »sind sehr wichtig. Sie sind die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann.« Linke wollen die Welt verändern, verbessern, gestalten – aber sie nutzen beim Reden darüber bisweilen Begriffe, bei denen man sich fragt, wer da wie und warum in den Griff genommen werden soll. Und wohin auf diese Weise welche Dinge politisch in Bewegung gebracht werden könnten.

Unlängst beschied eine führende Abgeordnete der Linkspartei, »die Grünen sind eine bürgerliche Partei geworden«. Auf der Website der Partei findet man den kritisch gemeinten Hinweis auf einen »Kommentar der bürgerlichen Presse« zu irgendeinem politischen Vorgang. Vom sich als links verortenden innerparteilichen Flügel wird man über das »Wunschdenken in den bürgerlichen Medien und in der SPD« belehrt.

Worauf die Markierung mit dem B-Wort hinauslaufen soll, wird in keinem dieser Fälle mitgeteilt. »Bürgerlich«, das ist eine Abgrenzungsvokabel, eine kritisch gemeinte Parole ohne Unterleib. Es ist ein Wort, das so, wie es im politischen Alltagsgebrauch von Linken oft verwendet wird, in Wahrheit überhaupt nichts bezeichnet: ein leerer Signifikant, den mit Sinn aufzuladen denen überlassen bleibt, die die Adressaten sind.

Eine kurze Durchsicht der zum bevorstehenden Linksparteitag eingereichten Anträge vermag zu illustrieren, welche unterschiedlichen »Bedeutungen« hier angesprochen, ausgelöst werden sollen. Da ist an einer Stelle zum Beispiel vom »Sumpf kleinbürgerlicher Logik« die Rede – man soll wohl an »Spießertum« denken, was eher auf lebensweltliche, kulturelle Merkmale abzielt. Oder eine schon etwas in die Jahre gekommene Denkweise soll hier reaktiviert werden, laut der es Leuten, die nicht zum Proletariat gehören, am Klassenstandpunkt fehle, weshalb sie schwanken wie Grashalme im politischen Wind.

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An anderer Stelle im Antragsheft liest man von den »bürgerlichen und neoliberalen Parteien«. Gehören die einen kraft ihrer Stellung im ökonomischen Interessengefüge zu den »Bürgerlichen« – und die anderen sind eine durch eine bestimmte Politik definierte Untergruppe? Man erfährt es nicht.

Ein paar Seiten weiter tauchen dieselben Kräfte als »bürgerliche Parteien der sogenannten Mitte« auf, wobei das Abgrenzungsbedürfnis noch dadurch unterstrichen wird, dass Anführungszeichen verwendet werden oder diese Mitte nur eine »sogenannte« ist. Ist sie also in Wahrheit gar nicht »bürgerlich«? Mehr noch: Handelt es sich hier um den Versuch einer soziologischen Unterscheidung? Wer wäre »das Andere« und wie steht dieses zu jener »bürgerlichen Mitte«? Sind die, die da über »die Bürgerlichen« sprechen, selbst womöglich »proletarisch«? Aber was würde zum Beispiel eine »proletarische« Zeitung oder Partei ausmachen?

Anzunehmen, dass bei der Formulierung »bürgerlich« oft auch der Gedanke an das dichotomische Klassenmodell aus dem »Manifest« die Feder führt, mit dem sich die Welt so schön in »die« und »wir« teilen lässt – wenn man ganz fest dran glaubt. Allerdings wäre dann zu fragen, wie das behauptete »Oben« begrifflich zu fassen ist – als Bourgeoisie?

Schlagen wir kurz einmal bei den beiden Autoren dieser schönsten aller Propagandaschriften nach. Friedrich Engels hat in seinem Vorwort zu »Die Lage der arbeitenden Klasse in England« bereits 1845 Anlass zu der Bemerkung gesehen, »dass ich das Wort Mittelklasse fortwährend im Sinne des englischen middle-class (oder wie fast immer gesagt wird: middle-classes) gebraucht habe«. Damit schloss er eine Differenzierung ein (es ist von mehreren »Mittelklassen« die Rede, es muss Gründe geben, warum man von diesen in der Mehrzahl spricht). Für Engels bezeichnete die Bourgeoisie laut der damals gängigen französischen Redensart »die besitzende Klasse«, es ging aber auch darum, sie »von der sogenannten Aristokratie« zu unterscheiden. Hier verweist Engels auf den historischen Ort dieser Klassen, einzelne Bourgeois habe es schon länger gegeben, zur »herrschenden Klasse« seien sie damals erst geworden.

Quelle       :      ND       >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben  —    Vertreter der Partei Die Linke bei der Weltpremiere von Der junge Karl Marx bei der Berlinale 2017: v.l.n.r. Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Katja Kipping, Petra Pau und Kristian Ronneburg

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