Aus der Schweiz gesehen
Erstellt von Redaktion am Sonntag 12. April 2020
Corona-Solidarität auf holländisch
Das Freiheitsbewusstsein der Holländer ist aber wesentlich ausgeprägter als bei den Deutschen. Auch gestaltet sich der Umgang zwischen Politiker-Innen und Volk viel klarer und kritischer. Die Deutsche Fahne steht doch der USA viel näher als die seiner nächsten Nachbarn.
Quelle : INFOsperber CH.
Auf das forsche Nein der Niederlande zu Corona-Bonds folgt harsche Kritik an dessen Steuersystem.
Angriff, oder in diesem Fall, Gegenangriff ist die beste Verteidigung. Das haben sich italienische Politiker wohl gedacht, als sie Ende März über ein Inserat in der Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ an die europäische Solidarität im Kampf gegen die Corona-Krise und deren Folgen appelliert und gleichzeitig schwere Vorwürfe gegen die Niederlande erhoben haben. Die Niederlanden würden über ihr Steuersystem den europäischen Ländern Steuereinnahmen entziehen. Das gehe auf Kosten der Sozialsysteme und der schwächsten Bürger in den anderen europäischen Ländern, die am meisten von der Corona-Krise betroffen seien.
Aggressive Steuerpolitik
Die Kritik an der niederländischen Steuerpolitik ist nicht neu, wurde bisher aber nicht publikumswirksam verbreitet. In den Berichten der sogenannten «Europäischen Semester», in denen die EU-Kommission alljährlich die wirtschaftliche Entwicklung der Mitgliedstaaten analysiert, wurden die Niederlanden schon wiederholt einer «aggressiven Steuerpolitik» bezichtigt. Im neusten «Semester»-Zeugnis vom Februar dieses Jahres hat die EU-Kommission den Vorwurf erneut erhoben.
Die Kommission benennt eine ganze Reihe kritischer Punkte, auf die sich die Kritik aus Italien abstützen kann. Das Land sei mit 15‘000 Briefkastenfirmen hinter Luxemburg zum weltweit zweitwichtigsten Standort für diese wenig transparenten Unternehmen aufgestiegen. Deren Bilanzsumme belaufe sich auf 4‘500 Milliarden Euro und damit auf das Sechsfache der niederländischen Wirtschaftskraft. Die Hälfte von allen Briefkastenfirmen der Welt befände sich in den Niederlanden und in Luxemburg.
Zahlreiche multinationale Konzerne wählen die Niederlande als Zwischenstation für den Transfer von Dividenden, Zinszahlungen und Royalties in Steuerparadiese.
Dahinter steht ein System, das «Double-Irish with a Dutch Sandwich» genannt wird. «Irish» und «Dutch» stehen für die prominente Rolle, die Irland und die Niederlande in diesem System spielen. Am Anfang und am Schluss der Sandwich-Konstruktion stehen irische Gesellschaften oder Tochtergesellschaften weltweit operierender Konzerne. Die eine hat ihren Sitz in Irland, die andere in einem Tiefststeuerland wie beispielsweise in den Bermudas. Dazwischen geschaltet ist eine Niederlassung in den Niederlanden.
Das Unternehmen in Irland müsste für den direkten Transfer seiner Gewinne in das Steuerparadies eine Quellensteuer bezahlen – nicht aber für den Transfer in ein EU-Land. Die Niederlande bieten sich als Transitstation an, weil sie als eines der wenigen EU-Länder auf Auslandsüberweisungen keine Quellensteuer erheben. Global führende Konzerne von Google über Amazon, Apple, Facebook, Starbucks und auch europäische Unternehmen wie etwa IKEA haben das System rege praktiziert und so von rekordtiefen Steuersätzen profitiert.
Niederlande in Spitzengruppe intransparenter Finanzplätze
Bereits vor Jahren hat der Internationale Währungsfonds festgestellt, dass die Niederlande bei der internationalen Steuervermeidung eine entscheidende Rolle spielten. Die auf Steuerfragen spezialisierte Nichtregierungsorganisation «Tax justice network» schätzt die Bedeutung heute noch grösser ein als bisher. In ihrem kürzlich publizierten Financial Secrecy Index 2020 rangiert das Land neu auf Position acht. Vor zwei Jahren lag es noch auf Rang 14. Von den europäischen Ländern werden nur die Schweiz, Luxemburg und indirekt über die Cayman-Inseln Grossbritannien als weniger transparent bewertet.
In den Niederlanden läuft auch vieles ohne Fahne
Die Niederlande haben zwar einige Steuerreformen mit Quellensteuern beschlossen. Ob sie die gewünschten Wirkungen haben werden, sei aber ungewiss, heisst es im «Semester»-Bericht der EU-Kommission. Auch in den Niederlanden selbst werden immer wieder Zweifel laut. Jüngstes Beispiel ist eine Klage gegen das ursprünglich argentinische Ölunternehmen Pluspetrol, das seinen Hauptsitz in Form einer Briefkastenfirma in Amsterdam hat. Eingeklagt wurde Pluspetrol beim Nationalen Kontaktpunkt zur Einhaltung der OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen. Gründe sind die undurchsichtigen Steuerpraktiken und die Umweltschäden, die das Unternehmen in Peru anrichtet. Die niederländische Nicht-Regierungsorganisation Centre for Research on Multinational Corporation SOMO, welche die Klage mitträgt, macht geltend, dass die komplex-verschachtelte Unternehmensstruktur es möglich mache, Profite über Luxemburg in den Steuerfluchthafen Bahamas umzuleiten. Damit verstosse das Unternehmen gegen die OECD-Verhaltensregeln über Steuern und Transparenz.
Die Steuervermeidungsvorwürfe machen der niederländischen Regierung offensichtlich wenig Eindruck. Sie machte in der Telefonkonferenz der Euro-Finanzminister in der Nacht vom 7. auf den 8. April Corona-Hilfszusagen noch immer von strengen Konditionen abhängig. Regierungen, die Rettungsgelder beanspruchen, sollen sich länderspezifisch zu «wachstumsfördernden» Reformen bereit erklären. Die Spaltung zwischen Nord und Süd im Euroraum droht sich damit aber weiter zu vertiefen.
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Keine
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Grafikquellen :
Oben — Press conference (2010)
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Unten — Merkel (2013)