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Aufstieg und Fall des Dr. M.

Erstellt von Redaktion am Freitag 5. Januar 2018

Seine Doktorarbeit wird ausgezeichnet.

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Er gilt als talentierter Dozent. Dann kommt raus: Er ist ein Betrüger. Und fast keiner hat was bemerkt.

Im Sommersemester 2014 hält Dr. Christian M. die Einführungsvorlesung Politische Ideengeschichte, jeden Montag von 14 bis 16 Uhr. Im Raum 011 des Zentralen Hörsaalgebäudes der Uni Göttingen geht es um Platon, Kant, Marx, die großen Denker. Ein wenig wirkt Dr. Christian M., 33, selbst wie einer: die ergrauenden Schläfen, die Brille, die feine Kleidung. M., hoch und hager, schreitet souverän um sein Pult und spricht wie gedruckt. Ein charismatischer Dozent, sagt ein Student, der damals dabei war. M. habe seine Veranstaltungen regelrecht zelebriert. Ein Dozent mit Hang zur Exzentrik sei er gewesen, adrett mit Stoffhose und Hemd unter dem Pullover, die Kragenfarbe auf die Socken abgestimmt. Keine Spur von Unsicherheit. Dabei hatte M. Angst vor der Vorlesung, sagen seine früheren Kollegen. Kein Wunder: Denn der charismatische Dr. M. hätte niemals Dozent sein dürfen. Seine ganze akademische Karriere bestand aus Betrug und Täuschung.

Etwas stimmt nicht, das fällt einem der Politikstudenten damals auf. Die Vorlesung passt nicht zur Literatur, die M. angegeben hatte. Aufbau, Definitionen, Formulierungen: Alles war anders als im Lehrbuch von M.s Doktorvater, den er als Dozent bei der Vorlesung vertritt. Der Student, damals im zweiten Semester, stößt in einem Buchladen auf ein anderes Lehrbuch, Tobias Bevc, Politische Theorie. Ein Buch, das in Göttingen eigentlich keine Rolle spielt, in der Lehrbuchsammlung der Uni-Bibliothek sucht man vergeblich danach. Doch in der Buchhandlung blättert der Politikstudent und staunt: Da ist die Abbildung 1 auf Seite 19 in Bevc’ Werk über Gerechtigkeitsdefinitionen, die er von Folie 8 aus M.s Vorlesung kennt. Da sind Passagen, die wortwörtlich auf eng bedruckten Folien der Vorlesung standen, etwa die Deutungen des Sozialismus, bei Bevc 29 Zeilen lang auf Seite 166. Offensichtlich hat M. große Teile seiner Vorlesung aus diesem Buch übernommen.

Warum gibt der Dozent das Werk seines Professors an, baut seine Vorlesung aber auf einem ganz anderen Buch auf? Seltsam, findet der Politikstudent, behält es aber für sich, er ist ja noch neu an der Uni. M. hat Glück. Noch. Zweieinhalb Jahre später füllt die Geschichte des falschen Politikwissenschaftlers Dr. Christian M. 21 Ordner bei der Staatsanwaltschaft Göttingen. Er wird unter anderem wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Es ist das Ende einer steilen akademischen Karriere. Und einer Geschichte, die die Frage aufwirft, ob Bluff und Blenderei in der Wissenschaft so alltäglich sind, dass handfester Betrug jahrelang nicht auffällt. Selbst an einer renommierten Hochschule wie der Georg-August-Universität in Göttingen, die sich mit mehr als 40 Nobelpreisträgern rühmt, wo die Gebrüder Grimm lehrten und Carl Friedrich Gauß die Sternwarte leitete.

Das Schweigen der Anderen

Wer mehr über Christian M. wissen möchte und sich heute an der Uni Göttingen umhört, bekommt schnell das Gefühl, alle, die etwas zu seinem Fall sagen könnten, hätten sich verabredet zu schweigen. Ein Kollege von damals sagt, er sei von M. über Jahre „massiv getäuscht und belogen“ worden, will sich darüber hinaus aber nicht äußern. Ein anderer spricht von einem „traurigen Kapitel“, das für ihn abgeschlossen sei. Und der Professor, der M. als Doktorvater gefördert hat, legt mitten im Telefonat auf, kommt man auf seinen einstigen Doktoranden zu sprechen. Anschließend reagiert er lange nicht auf E-Mails und weitere Anrufe. Wer also war Christian M.?

Antworten darauf lassen sich in den Akten finden, in den internen Berichten und in Gesprächen mit Weggefährten. So ist eine Annäherung an M. möglich.

Bevor er nach Göttingen kommt, hat Christian M. ganz andere Pläne. 2008, da ist er 27, bewirbt er sich beim Benediktinerorden in St. Ottilien, 40 Kilometer westlich von München. Er will Mönch werden. Der Abt zögert, so erzählt er es heute. M.s Werdegang erscheint ihm unstet, rastlos. Doch M. habe ihm versichert, sein innerer Drang sei stark, er sei entschieden. Das Kloster nimmt ihn als Novizen auf. Christian M. darf das schwarze Gewand für ein Jahr auf Probe tragen, das ist so üblich bei Neuen in der Gemeinschaft. Am Morgen steht M. um 4.45 Uhr auf, trifft sich mit den Brüdern zum Frühgebet. Die Vormittage verbringt er mit einer Handvoll Novizen im Unterricht, unter den strengen Augen Christi, der an einem Kruzifix in der Stube hängt. Nachmittags arbeitet M. im Klosterbetrieb, melkt die Kühe. Kontakt nach draußen hält er gern altmodisch, mit Briefen. Er nennt sich Bruder Julius.

Als der Bayerische Rundfunk im April 2009 einen Fernsehbeitrag über das Leben im Kloster drehen will, empfehlen die Benediktiner Christian M. als Interviewpartner. Im Fernsehen erzählt M. mit sanfter Stimme von seinen Eltern, die sich an den Gedanken gewöhnen mussten, dass ihr Kind jetzt im Kloster lebt. Von der Stille in seinem Zimmer. Von seinem Hadern mit Jesus, den Zweifeln am Glauben. „Aber letztendlich“, sagt er langsam, „überwiegt dann doch die Gewissheit: Ja, das, was ich mache, auch in den schweren Augenblicken, ist richtig.“

Wenige Monate später ist M.s Gewissheit verflogen. Er verlässt das Kloster, überstürzt und im Zorn, wie ein Mitbruder heute sagt. Die Gemeinschaft war nicht überzeugt, wollte ihn noch ein Jahr auf Probe dabehalten. M. muss das als Kränkung empfunden haben. Ein Mitbruder hilft ihm noch, das Zimmer auszuräumen, dann verschwindet M. Eine Adresse hinterlässt er nicht.

Er muss zu dieser Zeit auf die Ausschreibung des Professors gestoßen sein, der bald darauf sein Doktorvater wurde. „Wer Interesse hat, eine Abschlussarbeit oder Dissertation zum Thema Was heißt ‚Gewissen‘ in politischen Kontexten zu verfassen, ist herzlich eingeladen, das an meinem Lehrstuhl zu tun“, steht auf der Website des Seminars für Politikwissenschaft an der Uni Göttingen. Vor seinen Kollegen behauptet M. später, er habe sich mit einer Postkarte beworben. So berichtet es ein Mitdoktorand. Sein Doktorvater widerspricht: „Herr M. hat sich mit den üblichen Bewerbungsunterlagen beworben.“

Der strenge Dozent

Christian M. reicht zwei Zeugnisse ein, beide aus der Zeit vor dem Kloster: Seinen Magisterabschluss an der Münchner Hochschule für Philosophie, mit Siegel und Unterschrift, Note 1,3, beglaubigt am 21. August 2009 von der Stadt Georgsmarienhütte bei Osnabrück. Später ein Theologie-Diplom der Hochschule St. Georgen, ebenfalls 1,3, unbeglaubigt. Die Uni Göttingen nimmt ihn an, im Herbst 2009 beginnt M. seine Promotion. Bald gibt er auch Seminare. Wahrheit, Moral, Gewissen und Gerechtigkeit in der Politik heißt eines, Krisenethik – Ethikkrisen ein anderes.

Kommen Studenten in M.s Sprechstunde, gibt er sich streng. Einer sagt, dass M. pikiert auf die Frage reagiert habe, ob der Student den Schein machen könne, obwohl er so selten im Seminar gewesen sei. Ein anderer erzählt, wie er M. nach Aufschub für seine Hausarbeit fragte. „Ich bitte Sie“, habe M. entgegnet. „Als ich Student war, habe ich an einem Wochenende zwei Hausarbeiten geschrieben, und die waren zwanzig Seiten lang, nicht nur zehn.“ Auch mit seiner Dissertation ist M. außergewöhnlich zügig. „Sein Tempo hat bei uns für Erstaunen gesorgt“, sagt einer, der damals ebenfalls promovierte. Am Lehrstuhl habe M. als Musterdoktorand gegolten, sagen andere.

Seine Dissertation: ein Plagiat

Quelle      :    Zeit-Online >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle     : Staats und Universitäts Bibliothek

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