DEMOKRATISCH – LINKS

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RENTENANGST

Aufstehen auf Italienisch

Erstellt von Redaktion am Sonntag 18. November 2018

Gegen die Regierung wächst der Protest.

Piazzetta vista mare a Riace (2017).jpg

Von Jens Renner

Flüchtlingshelfer, Gewerkschaften, Alt-Linke tun sich zusammen.

Wann, wenn nicht jetzt? Der Titel von Primo Levis Roman drückt die Stimmung vieler aus, die derzeit gegen die Politik der italienischen Rechtsregierung auf die Straße gehen. Von einer neuen Lust am Demonstrieren berichtet das linksliberale Wochenmagazin L’Espresso. „Wann ist die nächste Demo? Ich bin dabei“, zitiert das Blatt einen anonymen Barbesucher, um die selbst in der bürgerlichen Mitte verbreitete Stimmung zu illustrieren. Auch wenn dabei Wunschdenken eine Rolle spielen mag – unzählige Protestaktionen belegen: Es gibt ein anderes, menschliches Italien, das von Matteo Salvinis rassistischen Tiraden und Luigi Di Maios penetrantem Selbstlob regelrecht angewidert ist.

Zum Modell solidarischen Zusammenlebens von Einheimischen und Migranten wurde das kalabrische Dorf Riace (der Freitag 42/2018). Es funktioniert seit 20 Jahren, soll aber nun von Staats wegen zerschlagen werden. Mit konstruierten, offensichtlich politisch motivierten Vorwürfen wurde Riaces Bürgermeister Domenico „Mimmo“ Lucano Anfang Oktober per Gerichtsbeschluss erst unter Hausarrest gestellt, dann seines Amtes enthoben. Er darf sein Dorf nicht mehr betreten, wurde aber durch öffentliche Auftritte zur Ikone des Widerstands gegen institutionellen Rassismus und staatliche Willkür. Einen Auftritt Lucanos im ersten Fernsehprogramm hatte die Lega zu verhindern versucht – vergeblich.

Vereint gegen Salvini

Nach einer Solidaritätsdemo, zu der am 6. Oktober etwa 6.000 Menschen in den abgelegenen Ort am Ionischen Meer strömten, gingen die Proteste weiter: dezentral am 27. Oktober in dutzenden Städten, dann, bisheriger Höhepunkt der Mobilisierung, am 10. November in Rom, wo annähernd 100.000 Menschen demonstrierten – „vereint und solidarisch gegen die Regierung, den Rassismus und das Salvini-Dekret“. Gemeint ist das Gesetz, das im Namen der „Sicherheit“ die letzten Reste des Asylrechts abschaffen würde. Am selben Tag protestierten in 60 Städten Tausende, überwiegend Frauen, gegen einen reaktionären familienpolitischen Gesetzentwurf des Lega-Senators Simone Pillon.

Domenico Lucano. ehemaliger und abgesetzter Bürgermeister von Riace

Bemerkenswert ist vor allem die Breite der Proteste. Beteiligt sind nicht nur linke und migrantische Gruppen, sondern auch Gewerkschaften, kirchliche Kreise, prominente Intellektuelle wie der Schriftsteller Roberto Saviano und Veteranen linker Bewegungen. Die Alt-Linke Luciana Castellina (der Freitag 27/2016), heute Mitglied der Sinistra Italiana, begrüßte in Riace etliche Kader der 1970er Jahre, die sich auf ihre alten Tage noch einmal auf die Straße begaben. Prominentester Teilnehmer: Adriano Sofri, seinerzeit Vorsitzender der linksradikalen Organisation Lotta Continua.

Der Kampf geht weiter. Dabei verhilft die Arroganz der Mächtigen auch lokalen Fällen von Diskriminierung zu landesweiter Aufmerksamkeit. So geschehen mit einer Verfügung der Kommunalverwaltung von Lodi bei Mailand, die Kinder aus 300 migrantischen Familien vom Besuch der Schulkantine ausschloss. Während Salvini die Bürgermeisterin öffentlich lobte, wurde der „Fall Lodi“ zum Synonym rassistischer Ausgrenzung – und zu einem Beispiel praktischer Solidarität: Eine Spendensammlung erbrachte so viel Geld, dass die betroffenen Kinder die neuen bürokratischen Schikanen umgehen und wieder in der Kantine essen können. Spenden flossen auch nach Riace, dessen Verwaltung in Zukunft auf staatliche Unterstützung verzichten will, und an das Projekt Mediterranea. Dessen Schiff, die „Mare Jonio“, ist seit Oktober wieder auf dem Meer zwischen Italien und Libyen unterwegs, um Geflüchtete in Seenot zu retten.

Quelle      :       Der Freitag          >>>>>          weiterlesen

Flüchtlingshilfe-Süditalien   vom 04. 10. 18

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Grafikquellen      :

Oben      —     Piazzetta vista mare a Riace (2017)

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Unten      —    Domenico Lucano.

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