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Aufbruch – Frankfurt/O

Erstellt von Redaktion am Sonntag 25. März 2018

Frankfurt / Oder – Ein  Aufruvh im Osten ?

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Bahnhof / Frankfurt

Endlich einmal nicht, so einen bereits ausrangierten, politischen Pöstchen Kleptomanen welchem die Partei noch einen goldenen Handschlag sichern musste, wie zuvor bei Biedenkopf oder vielen anderen West – Ost Grenzgängern . Da war der Westen sehr Bescheiden. Dem reichten zwei Versager. DL – Red. – IE

Aus Frankfurt an der Oder Philipp Daum

Eine Stunde nach Schließung der Wahllokale geht René Wilke über den Marktplatz, neben ihm Kameras, Mi­kro­fone, Zeitungsreporter, sein Sprecher, sein Wahlkreismitarbeiter, Linksparteichef Bernd Riexinger, hinter ihm eine Traube von dreißig Freunden, Fans, Schaulustigen, und bleibt stehen, drei Meter vor dem Rathaus von Frankfurt an der Oder.

„Wir sind zu viele“, sagt er und dreht sich um. „Das sieht aus wie ein Siegesmarsch. Ich will kein Signal, dass wir hier mit Massen ins Rathaus einfallen. Können ein paar von euch ins Café zurückgehen?“ Dann geht er durch die Plexiglastüren ins Rathaus, die Kameraleute filmen von vorn, zwanzig Leute hinter ihm her, nur ein paar kehren zurück ins Eiscafé Bellini, wo am Sonntagabend die Wahlparty der Linken und Grünen läuft.

Vor einer Woche hat Frankfurt einen neuen Bürgermeister gewählt: René Wilke, aufgestellt von Linkspartei und Grünen. Mit 33 ist er der jüngste Oberbürgermeister Brandenburgs, und er ist der einzige der Linkspartei im Land seit 1990. Der junge Wilke, oder René, wie ihn hier alle nennen, um die beiden Kandidaten besser zu unterscheiden, besiegte den amtierenden Bürgermeister Martin Wilke, den alten Wilke, Martin, einen parteilosen Konservativ-Liberalen, in der Stichwahl. 62,5 Prozent.

Das alles passierte im Bundestagswahlkreis von Alexander Gauland, wo die AfD bei der letzten Bundestagswahl 22 Prozent holte und schon 2014 bei der Landtagswahl 19 Prozent. Während in diesen Wochen in Cottbus, anderthalb Autostunden entfernt, Nazis und Rechte gegen Flüchtlinge auf die Straße gehen, spielte das Thema im Bürgermeisterwahlkampf in Frankfurt kaum eine Rolle. Der AfD-Kandidat, Wilko Möller, kam nicht in die Stichwahl.

Was ist da passiert?

Frankfurt, 80 Kilometer östlich von Berlin an der Grenze zu Polen, ist nett und melancholisch. Frankfurt war mal Hansestadt, Kleiststadt, eine wichtige Stadt in der DDR. Man findet alles davon: einen goldenen Hering am Rathaus, die größte norddeutsche Backsteingotikkirche, das Kleistmuseum und die breite Magistrale, auf der man gut demonstrieren, aber schlecht einkaufen kann. Je weiter man nach Norden kommt, desto mehr Geschäfte stehen leer, und dann steht da eine Karl-Marx-Büste. In Frankfurt ist viel Luft zwischen den Gebäuden, als hätte man die Innenstadt aus­ein­andergezogen wie Pizzateig.

Die Stadt lieferte lange Zeit verlässlich Meldungen aus dem Bereich „Achtung, wilder Osten“. Als nach der Wende Nazis einen Bus aus der polnischen Partnerstadt Gorzow überfielen und der Bürgermeister sagte, man könne ja nicht für jeden einzelnen Polen auf Besuch eine Hundertschaft bereithalten. Oder als zehn Jahre später ein Jordanier nach dem Silvesterfeiern in Berlin die Züge verwechselte und statt am Main an der Oder landete, wo er noch am Bahnhof verprügelt wurde.

Aus dieser Zeit bekam Frankfurt einen Ruf weg: eine Nazihochburg, wo Berliner maximal am Wochenende zum Polenmarkt hinfahren.

2016 aber geschah etwas Erstaunliches. Zum ersten Mal wurde die Stadt mehr und nicht weniger. Nach 25 Jahren, in denen mehr gestorben als geboren, mehr weggegangen als angekommen, mehr abgerissen als aufgebaut wurde, stand im Oktober 2016 ein positiver Saldo von 53 Einwohnern. Es waren Flüchtlinge in die Stadt gekommen.

Schon 2014 hatten sich die Spitzen von Verwaltung, Rathaus und kommunaler Wohnungsunternehmen zusammengesetzt und beschlossen, Flüchtlinge in der Stadt dezentral unterzubringen. In der Stadtverordnetenversammlung stimmten alle Fraktionen für dieses Konzept, sogar die AfD, die damals noch dem wirtschaftsliberalen Lucke-Flügel zuneigte.

Das Konzept wurde bald als „Frankfurter Weg“ bekannt. Mangel als Stärke: großer Leerstand, wenig Konkurrenz um Wohnungen. Die Stadt und ein Wohnungsunternehmen schlossen eine Kooperationsvereinbarung. Flüchtlinge konnten so Mietverträge unterzeichnen, anstatt Wohnungen zugeteilt zu bekommen. Bekamen sie einen Aufenthaltsstatus, konnten sie in den Wohnungen bleiben.

Seitdem werden Hauswarte in interkultureller Kompetenz geschult. Eine Infohotline wurde eingerichtet. Ein Mieterfonds. Es werden Nachbarschaftsfeste gefeiert, Gartenprojekte gestartet und Nachbarschaftslotsen ausgebildet, anerkannte Flüchtlinge, die Neuankommenden mit der deutschen Bürokratie weiterhelfen sollten. Flüchtlinge bekommen Nachbarschaftsschulungen. Quoten sollen die soziale Mischung bewahren.

Der Staat bin icke“ / Ingo Köcher, Klempner aus Frankfurt an der Oder

1.300 Flüchtlinge leben gerade in Frankfurt. Das klingt nach wenig, ist aber prozentual genau so viel wie in Cottbus, wo sich viele mit den Flüchtlingen überfordert fühlen. Wäre jetzt Landtagswahl, bekäme die AfD dort 29 Prozent.

Beim Spitzenduell der fünf Bürgermeisterkandidaten in der Viadrina-Universität sagte Wilko Möller von der AfD, er wolle keine „Cottbusser Verhältnisse“ in Frankfurt. Der Bürgermeister Martin Wilke antwortete: „Frankfurt hat sich sehr solidarisch verhalten. Wir haben keine großen Auffälligkeiten.“ Und: „Dass Frankfurt international ist, betrachte ich als Bereicherung.“ Es gab großen Applaus.

Die letzten zwei Jahre haben gezeigt, wie sich eine Stadt ändern kann, wenn man sich einer großen Aufgabe stellt. Und wie sich manche Leute ändern.

Neben einer verlassenen Grundschule, deren Uhr auf zehn nach zwölf stehen geblieben ist, kramt Heidi Päch den Schlüssel zur alten Turnhalle heraus. Als sie ihn Schloss stecken möchte, geht die Tür auf. „Schon wieder nicht abgeschlossen!“, flucht sie. „Ich bring die um!“

Im Oktober 2015 musste Heidi Päch, eine 60-Jährige mit dicker Brille, goldenen Ohrringen und einem Hang zu klaren Worten, sechzig Sozialstunden ableisten: „Hatte Scheiße gebaut.“ Päch ging zu einem Nachbarschaftshilfeverein, doch dort hatte man genug Helfer und sagte ihr: „Geh doch mal zum Brückenplatz, zu Kurzwelly.“ Michael Kurzwelly, ein aus Bonn zugezogener Künstler, der in der Vergangenheit bereits Projekte zur deutsch-polnischen Versöhnung organisiert und nun für sein neues Projekt eine verlassene Turnhalle angemietet hatte. „Der arbeitet mit Flüchtlingen.“ Flüchtlinge? „Na, Prost Mahlzeit!“, sagte Päch.

Sie war nicht gut auf Flüchtlinge zu sprechen. Päch fühlte sich zurückgestellt. Warum rennen die alle mit teuren Smartphones rum? Warum fahren die dicke Autos? Warum schmeißt diese Familie gespendete Möbel nach einem halben Jahr auf den Sperrmüll? Und warum, bitte schön, saniert man zunächst den Block, in dem Flüchtlinge einquartiert werden sollen und erst dann ihren eigenen, weshalb sie seit eineinhalb Jahre in einer Übergangswohnung lebt? In Heidi Pächs Denken hatte sich im Flüchtlingsherbst 2015 die Argumentationsformel der Wutbürger eingenistet: Die kriegen alles, wir nichts.

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René Wilke, MdL Brandenburg

Päch redet sich ein bisschen in Rage, wenn sie daran zurückdenkt, sie kneift ihre Augen zusammen, sie gestikuliert mit ihrer rechten Hand, deren Nägel viermal rot lackiert sind und einmal türkisblau.

Am nächsten Tag jedenfalls ging Heidi Päch zu Kurzwelly. Der fragte: „Wann hast du Zeit?“ „Immer“, sagte sie. „Ich bin seit dem 17. Januar 1990 arbeitslos.“

Und dann lächelt Päch, als sie weitererzählt. Zum ersten Mal betrat sie die alte Turnhalle, es war kalt, doch im Nebenraum war ein Café eingerichtet, junge Syrer saßen im Kreis und stellten sich höflich vor. „Hab selber gestaunt“, sagt Päch, reißt die Augen auf und hält sich den Unglauben mit beiden Händen vom Leib. „Die waren das ganze Gegenteil von dem, was man gehört hat.“

Päch setzt sich zu den Flüchtlingen und kramt ein bisschen Englisch aus der Schulzeit raus, ein bisschen Russisch, für die tschetschenischen Frauen, ein bisschen Deutsch, „Hände und Beene“. Sie betreut Kinder. Sie lernt Charlotte aus Kamerun kennen, „mein Charlöttchen“. Sie wird von syrischen Familien zum Essen eingeladen und lernt, dass man den Teller nie leer machen darf, sonst gibt es immer Nachschlag. Heidi Päch leistet alle Sozialstunden in einem Monat ab. Und bleibt. Im Dezember basteln sie 1.500 Weihnachtssterne.

„Irgendwie war das schön“, sagt sie. „Ich habe gemerkt: Ich werde gebraucht.“ Bis heute hat Päch den Schlüssel zur Turnhalle, schaut nach dem Rechten, räumt Kurzwelly und den Flüchtlingen hinterher und macht den Heizstrahler an, damit es der 80-jährige Anwalt, der zweimal in der Woche Rechtsberatung macht, warm hat in der kalten Halle.

Quelle    :      TAZ        >>>>>       weiterlesen

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Grafiquelle :

Oben   —     René Wilke, MdL Brandenburg

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