Antisemitismus-Diskussion :
Erstellt von Redaktion am Sonntag 9. August 2020
Felix Klein hat verstanden
Von Ze’ev Avrahami
Statt Antisemitismus zu bekämpfen, wird diskutiert, was genau ihn ausmacht. Doch am Ende aller theoretischen Debatten stehen immer echte Menschen.
Einen Monat nachdem ich zur israelischen Armee eingezogen worden war, brach die erste Intifada aus. Statt Soldat zu sein, machte ich Polizeiarbeit, sagte den Menschen, wann sie zur Arbeit gehen konnten und wann sie ihre Läden schließen mussten, wann sie die Grenze passieren und wann sie schlafen konnten. Einen Monat nachdem ich aus der Armee entlassen worden war, ging ich auf Reisen. (In Israel sagen wir: Wir dienen drei Jahre und versuchen den Rest unseres Lebens, diese drei Jahre zu vergessen.) Auf meiner Reise begann ich Briefe an meine Freundin zu schreiben, die ich in Israel zurückgelassen hatte.
Ich schrieb ihr, wie schrecklich depressiv ich war und dass diese drei Jahre des Anweisungenbellens und Anderen-Menschen-Sagens, was sie zu tun haben, mich für immer verfolgen würden. Dass sie ein Teil dessen geworden waren, was ich bin. Ich erinnere mich, dass ich ihr schrieb, dass wir da rausmüssen – nicht nur für die Palästinenser, sondern wegen der furchtbaren und brutalen Auswirkungen, die all das auf uns, auf die israelische Gesellschaft haben würde. Sie schrieb zurück: „Du hast recht. Ich habe einen neuen Freund.“
Felix Klein wurde als Beauftragter der Bundesregierung berufen, um die Auswirkungen des zunehmenden Antisemitismus in unserer Gesellschaft, in Deutschland, zu bekämpfen. Was nicht in seiner Jobbeschreibung steht, ist, dass er dabei unsere Gesellschaft heilen muss, jene Gesellschaft, die diese Form des Hasses reproduziert und schützt. Klein hat das begriffen.
Er versteht, dass man Krebs nicht mit einem Pflaster verarztet, er weiß, dass er das Bewusstsein der Deutschen schärfen und Diskussionen anstoßen muss. Er hat begriffen, dass das Problem nicht nur an den Rändern der Gesellschaft (bei den Rechten) liegt, sondern auch in ihrer Mitte. Dort, wo gebildete Menschen nicht einmal bemerken, dass das, was sie sagen und tun, antisemitisch ist. So wie sie es auch nicht merken, wenn sie rassistisch handeln. Er hat all das verstanden, und genau deshalb wollen einige, dass er seinen Posten räumt.
Mehr als 60 deutsche und israelische Intellektuelle haben letzte Woche in einem Brief an Kanzlerin Merkel darüber geklagt, dass der aktuelle „Gebrauch des Antisemitismusbegriffs“ darauf abziele, „legitime Kritik an der israelischen Regierungspolitik zu unterdrücken“, und Klein vorgeworfen, rechtspopulistische israelische Stimmen zu fördern.
Faszinierend an diesem offenen Brief ist, dass viele der Unterzeichneten keine Deutschen sind und auch nicht in Deutschland leben. Ich weiß nicht, woher sie – die meisten von ihnen sind Israelis – die Chuzpe haben, sich in eine innerdeutsche Angelegenheit einzumischen und zu fordern, eine Person zu entlassen, die von der Bundesregierung eingesetzt wurde. Die Hälfte der Unterzeichneten lebt nicht hier, von der anderen Hälfte sind viele keine Juden – somit sind die allermeisten von ihnen nicht direkt vom Antisemitismus in Deutschland betroffen. Wie also können sie diesen Brief unterschreiben? Und warum eigentlich haben so wenige Deutsche unterschrieben? Dazu komme ich gleich.
Debatte um Achille Mbembe
Hintergrund des Briefs war, dass Felix Klein gefordert hatte, den Philosophen Achille Mbembe nicht die Eröffnungsrede der Ruhrtriennale halten zu lassen. Als mit öffentlichen Mitteln gefördertes Event solle die Ruhrtriennale Mbembe wegen seiner Haltung zu Israels Existenzrecht, seiner Haltung zu BDS und der Art, wie er in einem seiner Werke den Holocaust relativiert, nicht einladen.
Mbembes Unterstützer sagen, keine dieser Anschuldigungen sei wahr. Fürs Protokoll: In meinen Augen unterstützt Mbembe sehr wohl BDS, er schrieb unter anderem das Vorwort zu „Apartheid Israel“ und fordert die komplette Isolation Israels. Ich glaube auch, wenn Mbembe schreibt, die israelische Besetzung sei der „größte moralische Skandal unserer Zeit“, zeigt das, dass sein moralischer und geografischer Kompass etwas schief ist.
Doch warum treibt die Debatte so viele Menschen um? Nun, zunächst gibt niemand gern auf, was ihm oder ihr selbstverständlich scheint. Über den gesamten politischen, sozialen, kulturellen, medialen und akademischen Sektor hinweg sind Menschen daran gewöhnt, so schlecht über Israel sprechen zu können, wie auch immer sie wollen.
Der Spiegel hat – vielleicht in Anlehnung an seine Relotius-Standards, Israel erst kürzlich eine Corona-Diktatur genannt. Fakten und Belege für diese Behauptung gab es nicht. Doch Millionen Deutsche haben es gelesen, und es wird natürlich haften bleiben. Faktenlage hin oder her. Der Spiegel und andere Medien haben dieses Spiel perfektioniert: Titel so zu drehen, dass sie Israel indirekt anklagen, die Idee zu streuen, der Mossad kontrolliere die deutsche Außenpolitik im Nahen Osten, und so fort. Doch sie stehen allesamt sofort auf den Hinterbeinen, wenn jemand es wagt, das Spiel beim Namen zu nennen: moderner Antisemitismus.
Klein will dem entgegenwirken. Er versteht, dass antisemitische Attacken in Deutschland die Früchte solch falsch gezeichneter Bilder und eindimensionaler Narrative über Israel sind. Wenn er und andere versuchen, ein anderes Narrativ aufzuzeigen, wirft man ihnen Zensur vor: Wie können sie es wagen, das Geschäft der Anti-Israel-Propaganda zu stören?
Liebe Deutsche, wenn ihr reden wollt, lasst uns gern reden: über die Besetzung, über Bibi und alles, was schiefläuft. Aber dann lasst uns bitte auch darüber reden, wie deutsche Steuergelder Terrortunnel finanzieren. Erst vergangene Woche räumte die niederländische Regierung ein, dass Gelder an eine Landwirtschaftsorganisation in Ramallah geflossen seien, die damit teilweise die Gehälter zweier des Mordes an der 17-jährigen Israelin Rina Shnerb Verdächtiger gezahlt haben. Auch die Bundesregierung unterstützt diese Organisation, obwohl Kritiker schon lange vor Verbindungen zu Terroristen warnen.
Wir können uns also gerne unterhalten – aber im Dialog, nicht in Monologen. Denn Reden unter Menschen, die sich einig sind, ist nichts anderes als Impotenz.
Israelkritik als Eintrittskarte
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Tafel 23 (Ein Wagen mit eppes Schacherjüden), aus: Die Große öffentliche Maskerade zu Pferde und zu Wagen in Bamberg am Fastnachts-Montage 1837. Bamberg, Lachmüller, (1837).
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Unten — Angela Merkel durant son discours à la manifestation contre l’antisémitisme à la porte de Brandebourg le 14 septembre 2014
Mittwoch 12. August 2020 um 0:51
Jegliche Form von gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ist zu desavouieren. Oftmals wirkt dies auf mich wie ein Geschäftsmodell. Dazu positioniere ich mich mit „Ich kaufe dieses Produkt nicht.“ Die „Moral“ dahinter war, ist und bleibt falsch.
Vernünftig ist es in zwischenmenschliche Beziehungen Kapazitäten wie Zeit, Energie und Geld zu investieren.
Eine Aktie kommt mich nicht in einem Fall von Krankenhausaufenthalt besuchen. Menschen hingegen schon.
Zum Umgang mit Menschen ist folgendes recht einfach. Alle Menschen haben einen Vornamen. Bewertet wird ein Mensch an den Eigenschaften des Charakter. Darin gibt es keinen Raum für Komplexe. Das führt zu einer neuen, zeitgemäßen Normalität.