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Angst essen Linke auf

Erstellt von Redaktion am Montag 22. Januar 2018

Debatte um die Zukunft der Linken

Von Alban Werner, Aachen

Alban Werner über die vielen Linken, die sich in Zeiten von Sondierungsgesprächen eher innerparteilichem Streit hingeben als am Fortschritt zu arbeiten.

Zu Beginn des Jahres 2018 sind Linke in verschiedenen Parteien nicht mit Potenzialen fortschrittlicher gesellschaftlicher Veränderung beschäftigt, die man in den Verhältnissen schlummern sieht, sondern vor allem mit ihrer eigenen Kannibalisierung. Sozialdemokratische Linke, Bewegungslinke und cäsaristische Linke zehren nur von der gesamtlinken Substanz, und diese wird währenddessen gewiss nicht größer.

Im Sog der Sondierung: Die sozialdemokratische Linke

Die SPD, vor allem aber die sozialdemokratische Linke leidet daran, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Meisterin der ›Triangulation‹ ist. Damit wird vor allem seit der Präsidentschaft Bill Clintons die politische Technik bezeichnet, sich geschickt so zwischen zwei Gruppen zu positionieren, dass eine davon sich nur noch um den Preis heftiger innerer und/oder äußerer Konflikte politisch bewegen kann. Im aktuellen Fall besteht das Dreieck aus Unionsparteien, SPD und der aufmerksamen Öffentlichkeit der Wählerinnen und Wähler, die bei einer möglichen vorgezogenen Neuwahl des Bundestages zum Zuge kämen.

Mit dem Ergebnis der Sondierungen hat die Union unter Merkel den öffentlichen Rechtfertigungsdruck im Zusammenhang mit einer Regierungsbildung komplett auf die SPD abgedrängt. Die SPD-Spitze kann mit dem vorliegenden Papier zwar hier und da kleinere sozialdemokratische Portiönchen vorweisen, so dass sie bei einem Nicht-Zustandekommen des »GroKöchens« im Auge der Wählerschaft den »schwarzen Peter« trägt. Allerdings profiliert sich die SPD damit im Auge ihrer eigenen, mehrfach gebeutelten Mitgliedschaft kaum noch als eine Kraft, die große soziale Verbesserungen durchsetzt. Die sozialdemokratische Funktionärsseele wird nur minimal gestreichelt.

Es gibt, zumindest was die Absichtserklärungen des Sondierungspapiers angeht, keine Verschlechterung für die Kernklientel von Union und SPD, mit der bedenkenswerten, gefährlichen Ausnahme des Arbeitszeitgesetzes, das »geöffnet« werden soll. Deutliche Verschlechterungen bzw. verhinderte Verbesserungen werden vielmehr den Geflüchteten zugemutet. Bis auf die Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung (die die SPD immerhin selbst zu Gerhard Schröders Zeiten abgeschafft hatte!) wird sich nicht mit mächtigen Interessen angelegt.

Es werden der SPD im Sondierungsergebnis genügend symbolische und in begrenztem Umfang materielle Brocken hingeworfen, sodass die sozialdemokratische Führungsebene auf dem anstehenden Bundesparteitag von Erfolgen sprechen kann. Für die europäische Ebene verspricht das Sondierungsergebnis die Stärkung der wechselseitigen Solidarität, Bekämpfung von Steuerwettbewerb und Steuervermeidung, Sozialpakt, Finanztransaktionssteuer.

Merkel kann ohne allzu große Schmerzen diese Schritte in einem Sondierungspapier zusagen, weil sie wegen der hohen Konsenshürden im Konzert der EU-Politik allesamt wahrscheinlich aussichtslos sind. Weiterhin lockt die SPD zumindest optisch die Offensive zur Qualifizierung, Vermittlung und Reintegration von ca. 150.000 Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Sie geht allerdings einerseits an der Problemursache vorbei, weil ein Großteil der Arbeitslosigkeit nicht falschen Qualifikationsprofilen der Beschäftigten, sondern unzureichender Arbeitskraftnachfrage der privaten Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen geschuldet ist. Andererseits verträgt sich die versprochene Mittelaufstockung schlecht mit dem Ziel, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozent zu senken.

Immerhin gibt es – zumindest auf dem Papier – ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Kinderarmut, mehr Nachdruck bei der Gleichstellungspolitik für Führungspositionen in Unternehmen (einschließlich gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Leitungsfunktionen des öffentlichen Dienstes bis 2025), organisatorische und finanzielle Besserstellung der Sozial- und Pflegeberufe (einschließlich flächendeckender Anwendung von Tarifverträgen in der Altenpflege), mehr Unterstützung für Frauenhäuser, die Investitionsoffensive für Schulen, Rechtsanspruch auf Ganztagsschulbetreuung im Grundschulalter, Verbesserungen beim BaFöG, Altersvorsorgepflicht für Selbstständige, Refinanzierung von Tarifsteigerungen bei Krankenhäusern, Bau von 1,5 Millionen öffentlich geförderter Wohnungen sowie schließlich weitere Einschränkung von Rüstungsexporten.

Eine neue GroKo als Gelegenheit für linke Politik?

Insgesamt bewegt sich das Ergebnispapier der Sondierungen ziemlich genau in dem Gestaltungskorridor, der von wichtigen Kräfteverhältnissen organisierter Interessen eingerahmt wird und an den die deutsche Politik sich meistens gehalten hatte, wenn sie nicht etwa durch den Schwung des 68er Aufbruchs oder die neoliberale Offensive in den »Nuller-Jahren« deutlicher in die Ausweitung der politischen Konfliktzone verschoben wurde. Neue Abgrenzungen des Korridors markieren im Wesentlichen die Schuldenbremse und die »schwarze Null« sowie das europa- und außenpolitisch veränderte Umfeld.

An den bislang künstlich empörten und hilflosen Reaktionen von Linken inner- und außerhalb der SPD wird deutlich: Die Linke hat immer noch keine Antwort darauf gefunden, dass sie sich nicht mehr wie noch 2002 und in den Folgejahren, als DIE LINKE entstand, in einer Konstellation innerdeutscher neoliberaler Offensive befindet. Diese Offensive endete nach der Rente ab 67 (mit vereinzelten Nachläufern wie Merkels schwarz-gelbem Sparhaushalt für 2011). Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der gesetzgeberische Gestaltungskorridor für fortschrittliche Politik allein dadurch größer würde, dass statt einer schwarz-roten Koalition eine wie auch immer geartete Minderheitsregierung der Union auf Bundesebene an den Schalthebeln sitzt. Man kann den JungsozialistInnen und anderen, die derzeit pausenlos gegen eine neue GroKo kämpfen, sicherlich Respekt zollen. Das sollte aber nicht davon ablenken, dass sie über die Ablehnung der Mitregierung hinaus für das weitere Vorgehen der SPD im Grunde auch kein Konzept haben.

Nicht auszuschließen ist weiterhin, dass Merkel noch ein paar Meter kompromissbereiter gegenüber der SPD ist, als es das Sondierungsergebnis abbildet. Bei Koalitionsverhandlungen könnte sie diesen Spielraum nutzen, damit die innerparteilichen Schwarz-Rot-Befürworter in der SPD genug vorweisen können, um die Regierungsvereinbarung über die 50 Prozent-Zustimmung ihrer Mitgliederbefragung zu hieven. Inhaltliche Kandidaten dafür wären z.B. die sachgrundlosen Befristungen, der Verzicht auf Öffnung des Arbeitszeitgesetzes, noch mehr Kohle für Bildung und Kommunen (Letzteres ist vor allem für die lokale SPD-Basis wichtig). Man kann damit rechnen, dass sich die Vorsitzenden von DGB und IG BCE und, falls der Öffnungsversuch beim Arbeitszeitgesetz fällt, auch die IG Metall beim SPD-Parteitag ein Stelldichein geben, um für einen Koalitionsvertrag zu werben.

Linke außerhalb der SPD täten gut daran, die Verhandlungsergebnisse als unzureichend zu kritisieren, sie aber zugleich (!) auch als Zeichen für die Durchsetzungsspielräume fortschrittlicher Politik im heutigen Deutschland zu lesen und zu überlegen, über welche Austragungsorte sozialer Konflikte, über welche Kanäle zur Verbreitung linker Politikentwürfe und über welche Begriffe, Symbole und alltagsmäßigen Anknüpfungspunkte diese Spielräume zu vergrößern wären. Sich nur denunziatorisch an der SPD abzuarbeiten ist ebenso leicht wie politisch nutzlos.

Denn Linke außerhalb der Sozialdemokratie müssen einsehen, dass sie derzeit nicht mal mehr als das wirken, was Jutta Ditfurth 2005 noch der LINKEN vorgeworfen hatte: eine »strategische Reserve« der SPD zu sein. Viele der angesprochenen Schritte aus dem Sondierungspapier von Schwarz-Rot würden die Nachfrage nach Arbeitskräften bei sozialen Dienstleistungen ausweiten und damit potentiell die Verhandlungsmacht von Gewerkschaften stärken. Wenn der Koalitionsvertrag selbst also noch lange kein großer Sprung nach vorne für fortschrittliche Politik ist, so könnten Teile von ihm Hoffnungen und Erwartungen wecken, die durch kluge Politisierung von links aufgegriffen und radikalisiert werden könnten.

Auch können und sollten sich Linke die Ratlosigkeit unter den Regierungen zunutze machen, die anhand der Expertengremien deutlich werden, die eine mögliche neue GroKo beauftragen möchte. Nicht weniger als sechs Kommissionen sollen Bundesregierung und Bundestag zu Themen berichten wie Probleme der Integrationsfähigkeit, Fluchtursachen, Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse sowie ›Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung‹. Sogar heiße Themen mit erheblichem Konfliktpotential wie die »Rentenkommission Verlässlicher Generationenvertrag« und eine Expertenkommission zu direkter Demokratie sind dabei. Dies sind Themen, bei denen die politische Linke Bodengewinne gut gebrauchen kann, wo sie also die Gelegenheit der zu erwartenden öffentlichen Debatten unbedingt aufgreifen und zu ihrem Vorteil zu verwandeln versuchen sollte.

Der kurze Traum einer neo-cäsaristischen Linken

Quelle    :    ND          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquelle    :     Der Schrei (1910)

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