Erstellt von Redaktion am Donnerstag 1. Juli 2021
Die Hysterie der Konservativen
Hinter den Angriffen auf die Grünen und ihre Kanzlerkandidatin steckt auf konservativer Seite vor allem eines: Angst. Das war zu erwarten – doch die Grünen wirken überrascht und laufen in eine Falle.
Der öffentliche Umgang mit den Grünen und speziell mit Annalena Baerbock von konservativer Seite, von Politik, Medien und Netzöffentlichkeit, verdient eine nähere Analyse – ebenso wie die grüne Reaktion darauf. Es beginnt vielleicht etwas überraschend mit der Frage, warum die CDU von Helmut Kohl im 20. Jahrhundert so umfangreiche schwarze Kassen anlegte.
Diese Frage lässt sich auf mehrere Arten beantworten. Die vielleicht interessanteste ist die angstgetriebene: Maßgebliche Teile der CDU waren überzeugt, dass ein Sieg der SPD das Ende der Bundesrepublik darstellen würde. Dass die Sozialdemokraten das Land quasi den Russen übergeben würden. Und dagegen musste man sich mit buchstäblich allen Mitteln wappnen – eben auch illegalen Geldmitteln. Die eigene, selbst verstärkte Angst diente der CDU als Begründung für den Bruch allgemeingültiger Regeln.
Konservatismus. Das lässt sich sogar wissenschaftlich nachvollziehen, wie der bekannte Psychologe John Bargh sagt. Nicht nur, dass die Amygdala, das Angstzentrum des Gehirns, bei Konservativen im Schnitt messbar größer ist. Eine Studie der Universität von Kalifornien zeigte auch folgenden Zusammenhang: Je ängstlicher Vierjährige sich verhielten, desto konservativer waren sie 20 Jahre später. Es gibt in den USA einen bösen Witz, der dazu passt: Ein Linker ist ein Konservativer, der noch nicht überfallen wurde. John Bargh unternahm sogar eine Art Gegenexperiment. Er verschob die Einstellungen konservativer Menschen messbar nach links – einfach, indem er sie bat, sich vorzustellen, sie seien körperlich unverwundbar. Das reicht aus, um »Konservative in Linke zu verwandeln«, wie Bargh in der »Washington Post« schreibt.
Man sollte diese Aspekte des Konservatismus trotz dieser eindrücklichen Experimente keinesfalls pathologisieren, schließlich ist Angst oft lebensrettend und als nachweislich evolutionär verankertes Gefühl ohnehin legitim. Aber schwierig wird es dort, wo der angstgetriebene Konservatismus so tut, als sei er die einzig wahre politische Vernunft. Denn dann entsteht leicht die Situation, die sich im Moment im deutschen Wahlkampf beobachten lässt: konservative Hysterie. Sie ist natürlich nicht bei allen Konservativen zu sehen, ebenso wie selbstredend nicht alle Konservative angstgesteuert sind. Trotzdem handelt es sich um ein in vielerlei Gestalt wiederkehrendes Muster.
Eine aberwitzige Angst vor den Grünen
Am sichtbarsten ist die konservative Hysterie in der aberwitzigen Angst vor den Grünen. Die Grünen im Jahr 2021, mit maßgeblichen politischen Personen wie Winfried Kretschmann, Annalena Baerbock oder Cem Özdemir, sind ungefähr so revolutionär wie Vollkornbrot. Und trotzdem wird nicht nur von der rechtsradikalen AfD, sondern bis in konservative und liberal-konservative Kreise hinein von einer »Planwirtschaft« gesprochen, die die Grünen angeblich anstreben.
Die Union schürt schrill die Angst vor der vorgeschlagenen Benzinpreissteigerung der Grünen – und verschweigt, dass sie in ihrer Politik dieselbe Steigerung nur kurze Zeit später anstrebt. Der Unternehmer und Investor Georg Kofler spendet 750.000 Euro an die FDP – und zwar »aus Angst vor den Grünen«, wie das Handelsblatt schreibt, seine eigenen Worte dazu lauten: »Der sozialistische Wolf kommt hier im grünen Schafspelz daher.« Eine Partei eines »antiquierten, planwirtschaftlichen Sozialismus« zu beschuldigen, deren Spitzenkandidatin zugleich die Favoritin der meisten wirtschaftlichen Führungskräfte wie auch von Ex-Siemens-CEO Joe Kaeser ist – das ist geradezu die Definition von konservativer Hysterie. Der Boulevard und die sozialen Medien schüren diese Stimmung, die in der Bevölkerung durchaus resonanzfähig ist.
Es ist gar nicht so sehr die Frage, wie echt die Angst vor den Grünen ist, ob sie eher eine Pose, eine Art Schauspiel fürs Publikum oder tatsächliche Sorge ist – sondern wie die Grünen auf die konservative Hysterie reagieren. Die Antwort: nicht gut. Vorsichtig gesprochen.
Die Reaktionen der Grünen auf die konservative Hysterie ist bemerkenswert lasch und erscheint zugleich verletzlich auf eine Weise, die politisch toxisch ist. Schwäche verzeiht das Wahlvolk selten, auch nicht bei Leuten, die eine weniger auftrumpfende, bollerige Politik machen wollen als Konservative. Dabei sollte sich der Wahlkampf der Grünen eigentlich von selbst erzählen, die Korruptionsskandale der Union, die desaströse Bildungspolitik der GroKo, die bitteren Digitalisierungsmängel, die weltweite Klimakatastrophe zum Zusehen.
Stattdessen wird über den Schlamm gejammert, mit dem die Grünen beworfen würden. Das mag faktisch irgendwie korrekt sein, aber konservativer Wahlkampf hatte vor Merkel selten mit aufrechter, eleganter und emotional tragfähiger Debattenkommunikation zu tun. Nichts, was derzeit von konservativer (oder Boulevard-) Seite auf die Grünen und Baerbock herunterprasselt, ist überraschend oder noch nie dagewesen. Das macht den geworfenen Schlamm nicht besser. Aber das macht es unklüger, offensichtlich nicht darauf vorbereitet gewesen zu sein. Der Umgang mit den Plagiatsvorwürfen gegen die grüne Kanzlerkandidatin ist exemplarisch.
Manche Angriffe sind unfair, aber nur wenige komplett ausgedacht
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Annalena Baerbock (Chairwoman of Alliance 90 / the Greens, Berlin) Foto: Stephan Röhl
Erstellt am Donnerstag 1. Juli 2021 um 12:08 und abgelegt unter Medien, P.Die Grünen, Positionen, Umwelt.
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