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AKP Reise in die Türkei

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 31. Januar 2018

Eine Almancı auf Staatsbesuch

 Datei:Jacaranda Izmir 20110708 c.jpg

Von Ebru Tasdemir aus Izmir, Antalya und Berlin

Die AKP lädt zur Pressereise nach Izmir und Antalya. „taz gazete“-Redakteurin Ebru Taşdemir war dabei – und wurde überrascht.

Das Flugzeug nach Izmir ist bis auf den letzten Platz besetzt, mehrheitlich Deutschtürkinnen und Deutschtürken, so wie ich. Im Anflug sehe ich aus dem Fenster die ägäische Küste und muss weinen. Das Verhältnis zur Heimat meiner Eltern ist schwierig geworden in den vergangenen Jahren. Ich habe die Türkei gemieden und hänge gleichzeitig an ihr. Meine Sitznachbarin reicht mir mitfühlend ein Taschentuch, und es schwingt neben der Vorfreude auf Izmir, der Stadt, in der ich etliche Sommer am Meer verbrachte, doch so etwas wie Angst mit.

Vor den Kabinen der Passkontrolle reihe ich mich ein. Zwei Beamte in Zivil sprechen mehrere junge Männer in der Warteschlange an. „Name, warum bist du hier, wen besuchst du?“, herrscht ein älterer Zivilpolizist im Karohemd den jungen Mann, Typ Student, hinter mir an. Der atmet hörbar aus. „Hör auf, Faxen zu machen und komm mit“, ist das Letzte, was ich höre, während ich meinen Personalausweis auf den Tresen lege. Der grimmig guckende Beamte ist unerwartet höflich, als er mir meinen deutschen Ausweis wieder übergibt. Erste Hürde geschafft, denke ich. Später erfahre ich: Wir sind registriert. Der Beamte weiß, warum ich hier bin.

Wenn ich sonst in die Türkei fliege, besuche ich meine Eltern, meine Familie, mache ein bisschen Urlaub, typische Almancı eben. Jetzt reise ich ein als Journalistin, auf Einladung einer PR-Agentur der AKP. Ein seltsames Gefühl, schließlich ist die Partei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan verantwortlich für Verhaftungen von Oppositionellen und Journalisten, für Repressionen und Menschenrechtsverletzungen. Die türkische Militäroffensive in Syrien hat noch nicht begonnen, die Reise fällt in die kurze Zeit der Annäherung der türkischen Regierung an Europa. Was erwartet mich in den nächsten Tagen?

„Zwar taz, aber objektiv“

Der Anruf erreicht mich kurz vor Weihnachten auf dem Handy. Der Herr spricht meinen Namen einwandfrei aus, redet aber weiter auf Deutsch. Er würde mich gern bei einer Pressereise in die Türkei dabei haben. Anfang Januar für fünf Tage nach Izmir und Antalya, Journalisten von anderen deutschen Medien hätten bereits zugesagt. Ich sei „zwar taz, aber objektiv“, begründet er die Einladung. Ich stutze, dann muss ich lachen. Er lacht mit und erzählt von einem Artikel, den ich 2016 als Freie für Zeit Online von einer Großkundgebung der AKP in Köln geschrieben und dort nur die Unterstützer Erdoğans zitiert habe.

Für diesen Artikel erntete ich damals Häme, Kritik und ja, auch Hass – aber aus der linken Ecke. Ich hätte die Erdoğan-Fans verharmlost, ich sei eine AKP-Schlampe, und noch viel Schlimmeres hörte und las ich anschließend. Anscheinend waren die Gräben mittlerweile so tief, dass einige Leser eine Reportage aus den Gefilden der Erdoğan-Unterstützer, die diese nicht gleich als dumm und verblendet brandmarkte, nicht aushielten.

Für den Herren am Telefon war diese Reportage offenbar eine ausreichende Referenz für meine Tätigkeit. Interessant, denn wenn man mich googelt, erscheint sehr schnell, dass ich bei der auf Türkisch und Deutsch erscheinenden Solidaritätsplattform der taz, also taz.gazete, als Redakteurin arbeite. Ich betreue die Texte von Kolleginnen und Kollegen aus der Türkei, deren Arbeit durch die Notstandsdekrete unter dem Ausnahmezustand erschwert wurden, die kaum noch Möglichkeiten finden, im Land mit unabhängigem Journalismus ihr Brot zu verdienen.

Schnelle Entscheidung

Ispat, in deren Namen er mich einlädt, ist das anscheinend gleich. Die Agentur für Investitionsförderung wurde 2006 vom damaligen Ministerpräsidenten Erdoğan gegründet und ist direkt dem Amt des Ministerpräsidenten der Türkei unterstellt. Heute betreut sie unter anderem deutsche Investoren beim Einstieg in den türkischen Markt. Eine Vielzahl von Beratern arbeitet daran, „Investitionen zu fördern, die für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Türkei notwendig sind“, so steht es auf der Webseite. Dabei halfen in der Vergangenheit auch Politiker aus Deutschland kräftig mit: zum Beispiel Rezzo Schlauch von den Grünen und Ole von Beust, einst Bürgermeister von Hamburg.

Meine Entscheidung fällt in dem Moment, in dem ich auflege. Natürlich fliege ich, es geht nur noch darum, alle anderen um mich herum zu überzeugen.

Meine Kinder finden die Einladung cool und spannend. Kollegen, denen ich von der Reise erzähle, vermuten eine Falle, um mich ins Land zu locken, mit anschließender medienwirksamer Verhaftung. Klar, denke ich, und offeriere Ideen für #FreeEbru-Kampagnen, eher sarkastisch gemeint als witzig. Die Türkei, so wird klar, gleicht in der Fantasie der Kollegen einem riesigen Kerker, der Menschen verschlingt und nicht mehr ausspuckt.

Land meiner Kindheitserinnerungen

Datei:İzmirrr.jpg

Für mich ist die Türkei viel mehr, das Land meiner Familie und guten Freunde, das Land meiner Kindheitserinnerungen und der ersten verschämten Jugendliebe. Meine Eltern waren sogenannte Gastarbeiter, sie zogen vor 20 Jahren zurück an die türkische Küste. Aber seit der Inhaftierung von Deniz Yücel kann auch ich nicht mehr freimütig dort hinfahren. Länger als sechs Wochen war ich nie da. Meine Eltern sind oft besorgt. „Schreib ordentlich“, rät mir meine Mutter am Telefon, was so viel heißt wie: Schreib nichts Politisches, nichts Kritisches, zensiere dich selbst.

Ihre Angst, dass ich aufgrund meiner Artikel über die Türkei irgendwann nicht mehr ins Land einreisen kann, ist die begründet? Aber wie sehr kann ich das Land kennen, wenn ich es nur von Berlin aus betrachte? Ich will vor Ort Eindrücke sammeln und sehen, wie sich der Staat gibt, welche Erzählungen die Politiker für uns bereithalten, und wer die Menschen sind, die die Regierung und die AKP repräsentieren – als Protégé der türkischen Wirtschaftsförderung scheint mir das unverhofft möglich.

Es ist warm, als wir in der Türkei ankommen, frühlingshaft. Die Tage sind gefüllt mit Besuchen bei deutschen und deutschstämmigen Firmen – von Krone, einem Fahrzeugwerkhersteller in Izmir, bis hin zu Alya Yatçılık, einer Produktionsstätte von Luxusjachten in Antalya. Anzugträger aus den Managementebenen reden zu uns. Nur wenige Frauen. Sie sagen wenig bis gar nichts in den Gesprächen. Ungewöhnlich erscheint die Frage nach Gewerkschaften, in denen die Mitarbeiter organisiert sind. Die Firmenmanager verneinen meist lächelnd.

Sie gehen lieber auf die deutsch-türkischen Beziehungen im vergangenen Jahr ein, man spürt die Anspannung. Das Verhältnis der beiden Länder wurde zuletzt wieder etwas besser, alle hoffen, dass das so bleibt. Niemand hier überlegt ernsthaft, sich aus dem türkischen Markt zurückzuziehen. Die Wachstumsrate der Türkei stieg im vergangenen Jahr um 11 Prozent, doppelt so viel wie im Vorjahr. Die Branchen, die dafür verantwortlich sind: der Bausektor, der Dienstleistungssektor, die Industrie. Und trotzdem: Die Inflationsrate des Landes ist mit knapp 13 Prozent auf dem schlimmsten Stand seit 14 Jahren. Die Arbeitslosenquote liegt laut Statistischem Amt der Türkei bei 10,3 Prozent, und das sind nur die offiziellen Zahlen.

„Hier ist das Paradies“

Quelle     :       TAZ        >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen    :

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Beschreibung
Deutsch: Frachtschiff Jacaranda vor Izmir (Türkei), 8. Juli 2011
English: Cargo ship Jacaranda at Izmir (Turkey), 8 july 2011
Datum
Quelle Eigenes Werk
Urheber HG32

Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

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Beschreibung
English: Collage of İzmir
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2 Kommentare zu “AKP Reise in die Türkei”

  1. Izmir sagt:

    Deine Seiten gefallen mir sehr gut. Man fühlt und spürt dass Du es mit viel liebe schreibst und gestaltest.

  2. Redaktion sagt:

    Danke für das Kompliment, erhält man nicht so oft.

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