AKL/Sitzung des P.-Vorstand
Erstellt von Redaktion am Dienstag 11. Dezember 2018
Von der Sitzung des Parteivorstandes der LINKEN
am 8./9. Dezember 2018
Quelle : AKL
Bericht von Lucy Redler und Thies Gleiss
(Mitglieder des AKL-Bundessprecher*innen-Rates im Parteivorstand)
GELBE WESTEN, ÖKO-SOZIALISTISCHE OPPOSITION UND MAL WIEDER EIN WAHLPROGRAMM
Eine Woche nach der gemeinsamen Sitzung mit der Fraktion der LINKEN im Bundestag, auf der das Papier der vier Vorsitzenden von Fraktion und Partei und die Spannungen in der Partei besprochen wurden, kam der Parteivorstand zu einer nächsten, ordentlichen Sitzung zusammen. Das Gemeinschaftspapier findet sich hier: https://www.die-linke.de/start/nachrichten/detail/deutschland-ist-eine-einwanderungsgesellschaft/ , der Bericht von Lucy Redler und Thies Gleiss von der gemeinsamen Tagung steht auf der Website der AKL: https://www.antikapitalistische-linke.de/?p=2882
Die ordentliche Sitzung am vergangenen Wochenende – das sei vorab hervorgehoben – es war die politisch interessanteste Sitzung in der bisherigen Amtsperiode des PV. Es gab eine intensive, zielgerichtete und solidarische Debatte wie lange nicht mehr.
Es nahmen 29 der 44 PV-Mitglieder teil, mehrere Genoss*innen waren am gleichzeitig stattfindenden Kongress des Studierendenverbandes SDS engagiert und konnten nicht oder nur teilweise an der PV-Sitzung teilnehmen. Ein großes Lob von dieser Stelle an den SDS für diesen tollen Kongress mit mehr als 1300 Teilnehmer*innen.
Der hier präsentierte Bericht umfasst leider nicht die letzte Stunde der PV-Sitzung, weil wir beide die Sitzung etwas vorzeitig verlassen mussten. Für Beschlüsse zu bis dahin noch nicht behandelten Vorlagen (Jahresauftakt und Gedenktag 100 Jahre Ermordung von Luxemburg und Liebknecht; Fest der Linken 2019; Aktionskonferenz „Aufstehen gegen Rassismus“; 8.März 2019 Plakat und Flyer; Feministischer Flyer; Politischer Aschermittwoch in Bayern; Unterstützung der Aktionen zum AfD-Parteitag in Riesa; überwiesener Antrag vom Parteitag zur Mindestsicherung) verweisen wir auf das Protokoll und die Sofortinformation zu dieser PV-Sitzung.
Rettet das „Neue Deutschland“ und Solidarität mit den Gilets Jaunes in Frankreich
Vor Beginn der Sitzung und vor dem Sitzungssaal informierte Ver.di über die in ihren Augen unzureichenden Rettungsmaßnahmen zur Sicherung der Zukunft der Zeitung „Neues Deutschland“ und des Druck- und Verlagshauses. In einem Flugblatt protestierte Ver.di gegen die schleppenden Verhandlungen mit der LINKEN als Hauptgesellschafter der ND-Gesellschaft. Es wurden darin sieben Forderungen zur Absicherung der Einkommen und Beschäftigungsverhältnisse aufgestellt.
Der Bundesschatzmeister der LINKEN, Harald Wolf, informierte den PV über den Stand, die bisherigen Zuschusszahlungen zur Rettung des ND und die Perspektiven der Sanierung. Die Verhandlungen laufen weiter, dem ND geht es ökonomisch etwas besser, aber nachhaltig sind die bisherigen Maßnahmen noch nicht.
Der PV nahm nach längerer und sehr konstruktiver Debatte einen gemäß des Debattenverlaufs veränderten Antrag zur Solidarität mit der „Gelbwesten-Bewegung“ in Frankreich an. Es gab keine Gegenstimmen oder Enthaltungen. Der Beschluss lautet:
„Solidarität mit den sozialen Protesten der Gelbwesten in Frankreich
DIE LINKE solidarisiert sich mit den sozialen Protesten der Gelbwesten in Frankreich. Ihr Widerstand gegen den neoliberalen und autoritären Kurs des französischen Präsidenten Macron ist berechtigt.
DIE LINKE unterstützt die französischen Linken der France Insoumise und des PCF in ihrem Kampf gegen die Regierung Macrons, die allein den Interessen der Superreichen dient, an der Seite der Gelbwestenbewegung, auch um Unterwanderungsversuchen der Rassemblement National entgegenzuwirken.
DIE LINKE begrüßt die Solidarisierungen von Gewerkschaften, Schüler*innen und Studierenden mit den sozialen Protesten und verurteilt die brutalen Repressionen gegen sie. Sie sieht in der Breite des sozialen Widerstands auch eine Ermutigung für Deutschland.“
Zu Besuch: Hans-Jürgen Urban vom IG Metall Hauptvorstand
Das IG Metall Vorstandsmitglied Hans-Jürgen – Hansi – Urban hielt eine spannende Einleitung zur politischen Lage der Linken und der Gewerkschaftsbewegung, über die der PV dann zwei Stunden lang diskutierte.
Hans-Jürgen Urban ist seit langem für seine Ausführungen zur „Mosaik-Linken“ bekannt, mit der er das sehr aufgesplitterte und gesellschaftlich breit gestreute Potenzial für linke Politik von heute umschreibt. Diese auf unterschiedlichen Ebenen anzusprechende Linke muss verstärkt zusammengeführt werden. Das wird ein Prozess sein, der nicht von oben per Beschluss einer Agentur oder durch ein simples Parteienbündnis erreicht wird. In diesem Zusammenhang sind die Debatten über eine neue Klassenpolitik, wie sie gerade der LINKEN-Vorsitzende Bernd Riexinger in seinem neuen Buch dargelegt hat, außerordentlich wichtig. Interessant waren auch die Ausführungen von Hansi Urban zur gesellschaftlichen Gegenseite, die in der linken Strategiediskussion aktuell gerne übersehen wird. Für die Gewerkschaften schwinde ihm zufolge aufgrund der technologischen und organisatorischen Entwicklung des Kapitals eine klar auszumachende Gegenseite. Ökonomisch druckvolle Kämpfe werden schwieriger. Dafür ist die gesellschaftliche Gesamtlage diffuser geworden. Die politische Elite und Träger „des Systems“ beginnen sich Hansi Urban zufolge gegenüber den Protesten und Unterklassen zu immunisieren, es entsteht ein unklares „Wir-da-unten“ gegen „Die-da-oben“, was in der jüngsten Protestbewegung der Gelbwesten in Frankreich sehr deutlich wird. Der herrschenden Klasse gelingt es nicht, ihre Herrschaft durch eine in alle Ebenen der Gesellschaft vordringende Präsentation von „Gewinner*innen“ der aktuellen Lage zu stabilisieren. Es entwickelt sich ein Krisenbewusstsein auch ohne aktuelle Krise.
Hansi Urban endete mit sechs Punkten für eine moderne Strategie der Linken:
- Der Begriff „Sicherheit“ muss als soziale Sicherheit mit den entsprechenden Aktionen und Akteur*innen zur Verteidigung von Sozialstaat und Einkommen verstanden werden.
- Linke Politik ist immer eine Klassenpolitik, das heißt, sie muss auf reale, in der Ökonomie und den Eigentumsverhältnissen verankerte Interessensgegensätze zurückgeführt werden.
- Linke Politik sollte als Schwerpunkt die Verteidigung und den Ausbau des „Öffentlichen“ gegenüber dem „Privaten“ haben.
- Linke Politik muss sich in der Debatte über Flucht und Migration eindeutig positionieren, ohne die ungeteilte, internationale Solidarität zu verlassen. Die Debatte über „Offene Grenzen“ ist im hohen Maße eine Scheindebatte.
- Der politische Kampf gegen Rechts hat hohe Priorität ohne irgendein Zugeständnis an die politischen Inhalte der Rechten zu machen.
- Die Nationalstaaten haben eine wichtige Bedeutung, aber die Europa-Diskussion der Linken muss eine Debatte zur Überwindung der Nationalstaaten begründen. Er verwies auf Debatten innerhalb der Gewerkschaften zur Positionierung zur EU und sprach sich für eine deutliche Kritik an dieser EU aus.
Zum Schluss präsentierte Hansi Urban zwei daraus abgeleitete mögliche Alternativen: Eine Orientierung auf ein politisches Bündnis mit Sozialdemokraten und wenigen Grünen. Das wäre ein sehr fragiles Bündnis und erfordere hohe Bereitschaft zu gegenseitigem Respekt unterschiedlicher Positionen. Oder die Entwicklung einer politisch-programmatisch neu zusammengeführten linken Opposition, auf einem klaren öko-sozialistischen Programm.
Beides gleichzeitig, sei nur sehr eingeschränkt möglich.
Dennoch reklamierten in der folgenden ausführlichen Diskussion mehrere PV-Mitglieder dieses „Beides-zugleich-machen“ für sich. Dass Lucy Redler und Thies Gleiss sich mit Leidenschaft für die zweite Variante stark machten, sollte klar sein.
Aussprache zur Lage der Partei
Ein weiterer längerer Tagesordnungspunkt wurde der Aussprache über die Lage der Partei und die Auswertung des Treffens mit der Bundestagsfraktion gewidmet. Dazu war als Gast der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jan Korte gekommen.
Bedeutung und Ergebnis des gemeinsamen Treffens von Fraktion und Vorstand wurden sehr unterschiedlich bewertet. Wichtige inhaltliche Fragen zu Flucht und Migration wurden nicht beantwortet oder nicht in praktische Handlungsperspektiven umgewandelt. Das gleiche gilt für Fragen des Verhältnisses zwischen Fraktion und Vorstand. Immerhin wurde von Aufstehen-Initiatoren im PV nochmal betont, dass aus Aufstehen keine Partei werden solle und angedachte Wahlantritte zu den Kommunalwahlen von Aufstehen nicht richtig seien bzw nicht stattfinden sollten.
Lucy Redler und Thies Gleiss wiederholten ihre Vorschläge, dass die Krise der LINKEN nicht durch Spitzengespräche und Appelle an Sekundärtugenden des solidarischen Umgangs miteinander gelöst werden kann. Die Mobilisierung der gesamten Mitgliedschaft, Beachtung der innerparteilichen Demokratie und des Vorrangs von Parteibeschlüssen gegenüber denen der Fraktion und eine aktivistische Bewegungsorientierung aus den nur-parlamentarischen Sphären hinaus, das sind die Ansatzpunkte für eine bessere Aufstellung der LINKEN und erfolgreichere Wahlkämpfen.
Thies Gleiss betonte einmal mehr, dass dies ohne eine Regulierung der Parlamentsorientierung der LINKEN mit Befristungen für Parlamentsmandate, Kontrolle aller Privilegien der Berufspolitiker*innen der LINKEN und Trennung von Parteiamt und Mandaten nicht erfolgreich sein wird.
Das Wahlprogramm zur EU-Wahl 2019
Den längsten Teil der PV-Sitzung nahm die Debatte über den Entwurf der Parteivorsitzenden für ein Programm zur EU-Wahl im Mai 2019 ein. Es gab zu den einzelnen Kapiteln des ungefähr fünfzig Seiten langen Textes sehr viele kleinere Änderungsanträge. Wie immer wurden viele davon ganz oder teilweise übernommen. Dadurch bekommt das Programm viele Autor*innen und Ko-Autor*innen und birgt viele kleine Erfolgserlebnisse – aber die Lesbarkeit und sprachliche Attraktivität des Textes leidet darunter sehr.
Dieses Verfahren wird jetzt noch einmal gedoppelt, weil nun die Debatte in der gesamten Mitgliedschaft beginnt und hunderte von weiteren (oder auch die alten, nicht übernommenen) Änderungsanträgen dem Parteitag im Februar zur Entscheidung vorgelegt werden. Das Ganze nennt sich parteiinterne Demokratie und ist mühsam, aber unendlich viel sinnvoller und politischer als von oben verordnete Anordnungen und von Werbeagenturen getextete, bunte Papiere.
Der Programmentwurf wurde dann mit Mehrheit von 14 Stimmen, ohne Gegenstimmen und bei 11 Enthaltungen angenommen und wird als Vorschlag des Parteivorstandes an den Parteitag als Leitantrag gestellt.
In der Programmdiskussion gab es drei längere Debatten: Über den Titel; über einen kompletten Ersetzungsantrag zur Präambel von Lucy Redler und Thies Gleiss und über längere Ergänzungsanträge von Christine Buchholz.
Der Titel ist eine erweiterte Version eines Vorschlages von Judith Benda, Lucy Redler und Thies Gleiss und lautet: „Für ein solidarisches Europa der Millionen – gegen die EU der Millionäre“. Damit lässt sich sicher leben, weil das Spannungsverhältnis gut aufgegriffen wird, in dem die LINKE steht. Sie ist entschiedene Gegnerin der Politik der EU und seiner Einzelstaaten, die nach wie vor mit den in der LINKEN mehrfach (und jetzt wieder) beschlossenen Begriffen „undemokratisch, neoliberal und militaristisch“ treffend beschrieben wird. Aber die LINKE ist auch internationalistisch und ebenso heftige Gegnerin der von den Rechten verfolgten Position „Für ein Europa der Vaterländer“ (und auch in der – bei Einigen in der LINKEN leider weniger kritisierten – Variante des „Europa der Nationalstaaten“).
Der alternative Präambel-Vorschlag von Lucy Redler und Thies Gleiss und auch die Anträge von Christine Buchholz und Harri Grünberg wollten einen deutlich schärferen Akzent auf die Kritik an der konkreten EU von heute setzen. In den fünf Jahren seit der letzten EU-Wahl sind die Krise der EU und ihre Wandlung in ein Zwangsprojekt des Kapitals mit unterschiedlichen Verankerungen in den europäischen Nationalstaaten immer deutlicher geworden. Die EU wird von Millionen von Menschen als reale Bedrohung für Einkommen und soziale Sicherheit erfahren. Das deutsche Kapital ist dabei der große Gewinner. Deshalb muss die deutsche LINKE eine klare Position gegen diese EU einnehmen, das wird von der übrigen europäischen Linken auch so erwartet.
Zudem ist es sowieso schwierig, mit der schon jetzt im Programm erklärten EU-Kritik noch irgendwie eine linke oder andere „Pro-EU-Nische“ zu besetzen. Wir werden zurecht als EU-Kritiker*innen angesehen – und diesen Ruf sollten wir in Programm und im Wahlkampf auch selbstbewusst annehmen.
Die Anträge von Harri Grünberg und Christine Buchholz wurden nur geringfügig übernommen und in den Programmentwurf eingebaut; der alternative Präambel-Vorschlag wurde mit sieben Ja und drei Enthaltungen mehrheitlich abgelehnt.
Weiteres und Bedenkliches
Der PV nahm den Zeitplan für den Europa-Parteitag an. Dabei kam es wie vor jedem Parteitag zur kontroversen Debatte, ob die vielen Promi-Reden und „Berichte“ nötig seien und der damit einhergehende Verlust an Debattenzeit für die „normalen“ Delegierten in Kauf genommen werden sollte. Wir meinen auch hier: nein. Die Frage eines PV-Mitgliedes, warum denn die beiden Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion auf einem Europawahl-Parteitag verlängerte und privilegierte Redenzeiten erhalten müssten, hätten wir gern anders beantwortet als jetzt geschehen. Die PV-Mehrheit kapitulierte einmal mehr von einer „Macht des Faktischen“, auch wenn das Gemurre und die Unzufriedenheit damit.
Die Parteitagsgremien – Präsidium, Mandatsprüfungs-, und Zählkommission wurden bestimmt. Über den Antrag des PV, wie groß die Liste der Kandidatinnen zur EU-Wahl sein soll, die von der Vertreter*innenversammlung gewählt wird, wird auf der nächsten Sitzung entschieden.
Es gibt im PV auch Genossen (in jeder Hinsicht sternchenlose), die immer mal wieder beanstanden, warum es ohne weitere besondere Begründung ein in der Tagesordnung ausgewiesenen Frauenplenums geben soll. Die Ironie der Vorsitzungssitzung ergab, dass nur fünf Minuten später festgestellt wurde, dass es zu wenige Kandidatinnen bei der EU-Wahl gibt. Um das und den Frauenanteil in der LINKEN generell zu erhöhen, sind Frauen-Plena kein schlechtes Mittel.
Der PV beschloss zudem, sich dem Antrag des Bundesausschusses an den Parteitag, in der Satzung die Amtszeitregelungen für die BA-Mitglieder neu zu definieren, anzuschließen. Jetzt sind auch die Bundesausschuss-Mitglieder für zwei Jahre gewählt, beginnend mit dem Tag der ersten Zusammenkunft des BA.
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Grafikquellen :
Oben — Twitter – DIE: LINKE
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Unten — Manifestants autour d’un rond-point à Vesoul (Haute-Saône).…
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