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Ai Weiwei über sein Exil

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 5. September 2019

„Deutschland hat sich angestrengt“

Ai Weiwei 2008.jpg

Das Interview führte Susanne Messmer

Der Künstler Ai Weiwei möchte sein Berliner Exil verlassen. Ein Gespräch über unfreundliche Taxi-Fahrer, die Arroganz von VW und einen Schatten auf der „deutschen Seele“.

taz am wochenende: Ni hao.

Ai Weiwei: Ni hao.

Herr Ai, es heißt, Sie mögen den europäischen Brauch des Händeschüttelns nicht?

Als ich gerade in Deutschland angekommen war, haben mir die Leute manchmal die Hand gedrückt, bis die Knochen knackten. Inzwischen komme ich damit klar.

Nach Ihrer Ankunft in Deutschland 2015 haben Sie gesagt, dass Sie Deutschland lieben. Jetzt wollen Sie Deutschland den Rücken kehren. Was ist passiert?

Über Deutschland zu sprechen, ist wirklich eine komplizierte Angelegenheit. Für mich ist Deutschland immer noch die stärkste Stimme auf der richtigen Seite der Geschichte, um Barack Obama zu zitieren. Auch im Umgang mit den Flüchtlingen. Angela Merkel balanciert vieles aus. Sie hat keine Angst vor den Donald Trumps dieser Welt. Das ist die eine Seite, die oberflächliche Seite. Die andere Seite ist, dass Angela Merkel elfmal in China war. Kein Staatsoberhaupt der Welt hat das je getan. Sie mag ja von der chinesischen Kultur fasziniert sein, aber ganz wahrscheinlich geht es ihr doch eher um das Überleben Deutschlands. Sie braucht einen starken Partner. Und China ist zweifellos der begehrenswerteste Partner, den man heute haben kann.

Trotz der Unruhen in Hongkong?

Die jungen Leute dort sind mutig und klug. Aber ich fürchte, sie haben keine Chance. China wird früher oder später gewaltsam eingreifen. Und die Leute im übrigen Teil des Landes interessieren sich kaum für sie. Es heißt in China immer, dass zuerst der Wohlstand kommen muss. Aber niemand weiß, was danach kommen soll. Besonders die junge Generation ist vollkommen herzlos. Sie ist verloren. Sie interessiert sich nur noch für Autos.

Wo wir auch bei der deutschen Autoindustrie wären, der es nicht so gut geht, wie man hört. Sie braucht den chinesischen Markt.

Exakt. Volkswagen verkauft 40 Prozent der Autos nach China. Gerade hat Volkswagen eine neue Fabrik in Xinjiang gebaut.

In Xinjiang, wo gerade bis zu drei Millionen Menschen in Internierungslagern eingesperrt sind – angeblich, weil sich dort der Islamismus breit macht?

Ja, genau. Die Situation wird schlimmer und schlimmer. Mein Vater Ai Qing, der Dichter, wurde Anfang der 1950er Jahre nach Xinjiang zwangsverschickt. Das war während der Anti-rechts-Kampagne. Wir haben dort fünf Jahre lang in einem Erdloch gelebt. Er musste täglich die Latrinen für 200 Menschen leeren. Im Sommer war der Gestank unerträglich. Im Winter konnte die Temperatur auf 40 Grad unter null sinken. Die Scheiße gefror zu riesigen Pagoden. Jeder in China weiß, dass Xinjiang kein guter Ort ist, um Geschäfte zu machen. Aber Volkswagen wollte der chinesischen Regierung einen Gefallen tun. Der Konzern möchte dort Arbeitsplätze schaffen. Ich kann nur sagen: Sie feiern da oben wirklich eine gute Party!

Haben Sie auch deshalb Volkswagen verklagt?

Ai Weiwei Örebro Open Art 2015.JPG

Ich habe in Kopenhagen eine Installation mit Schwimmwesten gezeigt, die auf der Insel Lesbos nach der Rettung von Flüchtlingen am Strand liegen geblieben waren. Volkswagen hat ein Auto in leuchtendem Orange im Programm, sie parkten es vor der Installation und ließen es dort für eine Werbeanzeige fotografieren. Das war taktlos. Als ich Volkswagen darauf ansprach, reagierte man arrogant. Es hieß: „Wer kennt schon dieses Kunstwerk?“ Wirklich verrückt.

Aber Volkswagen ist nicht Deutschland. Deutschland hat sich um Sie bemüht, als sich Ihre Lage in China zuspitzte, als Sie 2011 ins Gefängnis kamen, als Sie bis kurz vor Ihrer Ausreise nach Deutschland keinen Pass hatten. Oder nicht?

Der damalige deutsche Botschafter, Michael Clauß, hat mich tatsächlich jeden Monat einmal in meinem Pekinger Studio besucht. Keiner der 150 Botschafter in China hat das getan. Es hat mich sehr beeindruckt. Clauß hat mir geholfen, aus China rauszukommen. Deutschland hat sich wirklich angestrengt. Allerdings kann ich nicht klar erkennen, warum. Ich habe den Eindruck, es ist für beide Seiten nur ein Spiel. Es ist ein Fake. Eine Art Dekoration. Eigentlich geht es um Geschäfte.

Man hat Sie mit Ihrer Familie oft spazieren gehen sehen im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, wo Sie leben und arbeiten.

Ich war hier glücklich.

Sprechen Sie ein wenig Deutsch?

Leider nein. Allerdings ist mein Englisch auch nicht so gut. Und mein Chinesisch auch nicht.

Also ist Ihr Alltag, sind die unfreundlichen Taxifahrer, die Sie anderswo erwähnten, gar nicht der Grund für Ihren Entschluss, Deutschland zu verlassen?

Ich weiß sehr wohl, dass diese Taxifahrer zur Folklore gehören. Ich weiß ebenfalls, wie man ihnen begegnet. Das ist nicht der Punkt, auch wenn die Presse das nach meiner Äußerung so dargestellt hat. Es gab eine Kolumne des Chefkommentators der Welt, die wenige Tage nach besagtem Interview erschien, in der er sich über mich lustig machte. In derselben Ausgabe der Zeitung ist eine ganzseitige Werbeanzeige von Xinhua erschienen.

Von der Nachrichtenagentur der chinesischen Regierung?

Genau. Wissen Sie: Mein damals sechsjähriger Sohn war dabei, als wir zum ersten Mal von insgesamt drei Malen aus einem Taxi geworfen wurden. Ich wollte nicht, dass er sieht, wie aggressiv ich werden kann. Es geht hier überhaupt nicht um mich selbst. Es geht ums Prinzip. Ich habe mich bei der Antidiskriminierungsstelle beschwert. Ich mag es, durch das System zu gehen. Ich habe auch in China viele Briefe an chinesische Behörden geschrieben, obwohl ich natürlich weiß, dass das zu nichts führt. Ich habe trotzdem meine Fragen gestellt. Ich besitze über 200 Antwortschreiben der chinesischen Regierung. In allen steht, dass sie meine Fragen nicht beantworten werden. Wunderschön. Ich stelle all diese Briefe gerade in den Vereinigten Staaten aus. Ein New Yorker Journalist hat mich gefragt, warum ich das immer wieder gemacht habe, obwohl ich doch weiß, dass dabei nichts herauskommt.

Aj Wej-wej Zvěrokruh Praha 2016 1.jpg

Was haben Sie ihm gesagt?

Man muss immer wieder das Gute prüfen, genauso wie das Böse. Ich bin im Exil groß geworden. Denken Sie, ich bin naiv? Jede Generation hat ihren Job. Ich bin stolz darauf, dass ich meinen mache.

Wie hat die deutsche Diskriminierungsstelle denn auf Ihren Brief reagiert?

Sie hat geantwortet, dass sie nichts mehr für mich tun kann, weil ich mich spätestens zwei Monate nach dem Vorfall hätte melden müssen. Meine Antwort lautete: Diskriminierung hat keine Deadline. Unsere Erinnerung hat keine Deadline.

Sie haben gesagt, dass Deutschland keine offene Gesellschaft sei. Was genau meinen Sie damit?

Quelle        :           TAZ          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben       —       Ai Weiwei @ 798 Beijing

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2. von Oben       —     Think different (How to hang workers´ uniforms), above Köpmangatan in Örebro, at Örebro Open Art June-September, 2015.

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