Abschied vom Euro?
Erstellt von Redaktion am Freitag 18. September 2015
Europas Linke nach der Griechenlandkrise
von Andreas Nölke
Im linken und linksliberalen Spektrum der Bundesrepublik herrscht großer Unmut über das dritte Griechenland-Programm der Eurogruppe vom Juli 2015. Während es in der SPD zumindest brodelt, artikulieren viele Grüne offen ihre Empörung, selbst wenn ihre Bundestagsfraktion das Abkommen unterstützt hat. Gregor Gysi brachte in seiner Bundestagsrede vom 17. Juli die zentralen Kritikpunkte nicht nur der Linkspartei auf den Punkt: Das Brüsseler Abkommen sei „unsozial, undemokratisch und antieuropäisch“. Aus ökonomischer Sicht ließe sich hinzufügen, dass es zudem noch „unwirksam“ ist.
„Unsozial“ ist das Abkommen, weil es überproportional die ärmeren Bevölkerungsgruppen belastet, etwa durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Rentenreformen. Auch die Reformen des Arbeitsrechts und die geplanten Privatisierungen dürften die Position der Arbeitnehmer schwächen, selbst wenn die Syriza-geführte Regierung die Bedingungen insgesamt sozial gerechter gestalten konnte als ihre Vorgänger.
„Undemokratisch“ ist das Abkommen, weil seine Bedingungen dem erklärten Willen der griechischen Bevölkerung widersprechen, wie er in der Wahl vom 25. Januar und dem Referendum vom 5. Juli zum Ausdruck kam. Zwar lässt sich einwenden, dass nicht nur der griechische Volkswille, sondern auch jener der anderen europäischen Völker zähle, die Sicherheiten für bereitgestellte Kredite fordern. Trotzdem ist die Schroffheit, mit der das Abkommen dem Referendumsergebnis widerspricht, beispiellos. Als noch gravierender erweist sich, dass das Athener Parlament für Gesetze künftig vorab die Billigung von IWF, EU-Kommission und EZB einholen muss.
„Antieuropäisch“ ist das Abkommen, weil viele Menschen nun den Eindruck gewonnen haben, dass die Europäische Union in erster Linie mit Zwangsinstrumenten operiere. Dazu tritt ein verschärfter Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland (samt ihren jeweiligen Verbündeten) – eine Entwicklung, die das europäische Friedenswerk genauso in Frage stellt wie der nun weit verbreitete Eindruck einer neuerlichen deutschen Dominanz.
„Unwirksam“ ist das Abkommen schließlich, weil es die Verschuldung Griechenlands nicht senken wird. Der Internationale Währungsfonds hat das in seiner Schuldentragfähigkeitsanalyse eindrücklich festgestellt.[1] Zudem verstärken viele Elemente des Abkommens – zum Beispiel die Steuererhöhungen und Rentenkürzungen – einerseits durch Nachfrageeinschränkung die rezessive Entwicklung der griechischen Wirtschaft, während sie andererseits kaum ausreichen, um die dortigen Produzenten preislich wieder wettbewerbsfähig werden zu lassen. Selbst die vorgesehenen, potentiell hilfreichen Reformen von Verwaltung und Rechtssystem leiden unter fehlender griechischer „Ownership“ des Programms. Sprich: Unter den gegebenen Bedingungen macht die Regierung sie sich nicht zu eigen – eine große Gefahr bei derart anspruchsvollen mittelfristigen Zielen. Und schließlich dienen die Finanzmittel des ESM nicht dazu, die griechische Wirtschaft durch Investitionen wieder anzustoßen. Stattdessen kommen sie nur bei der Ablösung von bestehenden Schulden und der Rekapitalisierung des Bankensystems zum Einsatz. Ob nennenswerte zusätzliche Investitionsmittel zur Verfügung stehen, bleibt weiterhin unklar.
Die Zwänge des Eurosystems
Jedoch greifen linke Kritiker des Abkommens zu kurz, wenn sie für diese Probleme in erster Linie die handelnden Politiker – Angela Merkel, Wolfgang Schäuble oder Sigmar Gabriel – persönlich verantwortlich machen oder wenn sie gar eine neue nationalistische Ausrichtung der deutschen Politik feststellen. Die Kritiker übersehen dabei die strukturellen ökonomischen, politischen und institutionellen Zwänge des Eurosystems. Zieht man diese jedoch in Betracht, so gab es beim Abkommen de facto nur geringe Spielräume – jedenfalls solange Griechenland im Euro verbleiben will, worin das erklärte Ziel von Bevölkerung und Regierung besteht.
Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen
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