Abgesoffen + ausgedörrt
Erstellt von Redaktion am Freitag 16. Juli 2021
Wie Wasser in Deutschland zum umkämpften Gut wird
Von Nick Reimer, Toralf Staud
Was ist nicht geklagt worden über das vergangene Frühjahr: viel zu kühl fanden es viele und total verregnet. Doch das täuschte. Solche Klagen zeigen, wie sehr wir uns bereits an den Klimawandel gewöhnt haben. Weil die letzten Jahre extrem trocken waren, erscheint uns ein Frühling mit normaler Regenmenge bereits als zu feucht. Doch an unstete Niederschläge müssen wir uns gewöhnen. Klimawandel bedeutet nämlich nicht nur höhere Temperaturen, sondern auch andere Regenverhältnisse – mit verheerenden Folgen für Wälder, Landwirtschaft, Städte oder die Wasserversorgung.
Seit 1881 ist es in Deutschland bereits rund 1,6 Grad Celsius wärmer geworden, bis 2050 wird ein Anstieg um mehr als zwei Grad erwartet. Wärmere Luft kann aber auch mehr Wasser aufnehmen – was in der Wissenschaft mit der Gleichung von Clausius-Clapeyron beschrieben wird: Pro Grad zusätzlich speichert Luft demzufolge sieben Prozent mehr Wasserdampf. Das bedeutet: Regenwolken könnten Mitte des Jahrhunderts schon rund 15 Prozent mehr Wasser transportieren als früher. „Mehr Wasser bedeutet auch mehr Energie“, erklärt Andreas Becker vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Fällt ein Millimeter Regen auf einen Quadratmeter Boden, bedeutet das – wenn nichts versickert oder verdunstet – einen Liter Wasser, der anschließend irgendwo hin muss.
Klimamodelle ergeben, dass Deutschland insgesamt feuchter wird. In den kommenden Jahrzehnten wird demnach die Jahressumme der Niederschläge um rund fünf Prozent zunehmen.[1] Die Klimamodelle erwarten zudem viel mehr Starkregen – auf den Regenradars zeichnet sich der Trend bereits ab 25 Millimetern Regen pro Stunde, das entspricht pro Quadratmeter 25 Litern, also zweieinhalb Wassereimern – sie gilt den Meteorologen des Deutschen Wetterdienstes daher als Starkregenereignis. Doch in den einzelnen Jahreszeiten klafft die Entwicklung auseinander: Die Winter werden nasser, die Sommer trockener. Und wenn es im Sommer künftig mal Niederschlag gibt, dann wird das immer öfter ein heftiger Wolkenbruch. Dazwischen jedoch – das ist die Kehrseite der Entwicklung – wird es häufigere und längere Trockenphasen geben. „Normaler Landregen, so, wie wir ihn heute noch kennen, das wird in Zukunft die Ausnahme sein“, sagt DWD-Experte Becker. Offenbar läuft diese Entwicklung längst. Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung hat nachgewiesen, dass extreme Niederschläge weltweit in den vergangenen Jahrzehnten bereits häufiger geworden sind.[2] Für Deutschland ist die Datenlage auf den ersten Blick weniger klar, aber auf den zweiten Blick doch deutlich. Seit Beginn der Aufzeichnungen 1881 hat die Summe der Jahresniederschläge um neun Prozent zugenommen. Und während der Wetterdienst Anfang der 2000er Jahre in Deutschland 500 bis 700 Starkregen jährlich registrierte, stieg die Zahl zuletzt auf mehr als 1000 pro Jahr – besonders viele davon in den Sommermonaten.
Dabei kann es jeden Ort treffen, und das meist unverhofft. So fiel im Juni 2017 an einem Dreivierteltag so viel Wasser vom Himmel wie sonst im ganzen Quartal. Im Jahr darauf – 2018 ist eigentlich als Trockenjahr in Erinnerung – sorgte ein Platzregen in der Hauptstadt für ein derartiges Chaos, dass die Berliner Feuerwehr den Ausnahmezustand ausrufen musste. 2019 wiederholte sich das, innerhalb einer Stunde prasselten im Stadtteil Wedding 61 Millimeter Regen nieder. Starkregen können beschauliche Bäche in reißende Ströme verwandeln – und ganze Ortschaften verwüsten. Im sächsischen Zinnwald auf dem Kamm des Ost-Erzgebirges gingen am 12. und 13. August 2002 binnen 24 Stunden 312 Millimeter Regen nieder, also fast ein Drittelmeter – bislang der höchste je in Deutschland gemessene Wert. Im Laufe eines Tages fiel damit auf rund drei Quadratmetern ein Kubikmeter Wasser – der eine Tonne wiegt. Zinnwald liegt auf 800 Höhenmetern, von hier musste das ganze Wasser ins Tal abfließen. Mit einer Wucht, die kaum vorstellbar ist: Wenn 50 Kubikmeter Wasser ungebremst zehn Meter einen Abhang hinunterstürzen, haben sie – energetisch umgerechnet – dieselbe Wirkung wie ein 20 Tonnen schwerer Lastwagen, der mit 80 Stundenkilometern in ein Haus kracht.[3]
Längst sind Sturzfluten keine Seltenheiten mehr. Ständig gibt der Deutsche Wetterdienst Unwetterwarnungen heraus, auf den Warnkarten und Wetterapps sind dann tiefrote bis violette Flächen zu sehen. Es gibt aber auch Wetterlagen, bei denen ganze Bundesländer dunkelrot bis violett eingefärbt werden: also großflächige langanhaltende Regenfälle. 2002 war das an der Elbe der Fall: Eine sogenannte Fünf-b-Wetterlage über dem Erzgebirge sorgte für den Regenrekord an der Messstation in Zinnwald. Flüsschen mit sanften Namen wie Müglitz, Weißeritz, Bobritzsch, Gottleuba oder Mulde verwandelten sich in gurgelnde Ströme, die Brücken, Hausgiebel und Ortszentren mit sich rissen. Und weil all diese Bäche in die Elbe münden, stieg der Fluss am Pegel Dresden auf 9,40 Meter. „HQ 100“: Nie zuvor seit 1776, dem Aufzeichnungsbeginn des Pegelstandes der Elbe, stieg das Wasser hier so hoch. Von „einem Jahrhunderthochwasser“ war damals die Rede. Aber schon vier Jahre später wurde Elbflorenz wieder überschwemmt, flussab der Pegelstand des Jahrhundertereignisses sogar übertroffen, in Hitzacker im nördlichen Lüchow-Dannenberg zum Beispiel oder in Lauenburg, der südlichsten Stadt Schleswig-Holsteins. Und als 2013 der Pegel in Dresden neuerlich auf 8,76 Meter anschwoll, in Meißen und Schöna sogar auf über zehn Meter, nahmen die Sachsen das dritte „Jahrhunderthochwasser“ in nur elf Jahren fast schon routiniert.
Mehr Regen und trotzdem mehr Dürre
Meteorologen haben für solche Phänomene inzwischen einen festen Namen etabliert. Sie nennen die Großwetterlage „Tief Mitteleuropa“ – ein in der Regel sehr stationäres Tiefdruckgebiet, also eines, das sich kaum bewegt. „Die Wetterlage ist häufig mit sehr starken Niederschlägen verbunden“, erklärt Thomas Deutschländer, Hydrometeorologe beim DWD: ein ortsfestes Tief, „das feucht-warme Luftmassen aus dem Mittelmeerbereich nach Mitteleuropa führt“. Hier treffen diese Luftmassen dann auf kältere Strömungen aus dem Norden. „Und das führt dann eben dazu, dass es zu diesen heftigen Starkniederschlägen kommt.“[4] Und zwar immer häufiger.
Derzeit droht „Tief Mitteleuropa“ hierzulande durchschnittlich an etwa neun bis 15 Tagen im Jahr. Die Zahl der Tage schwankt laut Meteorologe Deutschländer von Jahr zu Jahr sehr stark. Aber es deute alles darauf hin, dass sie mit der Erderwärmung langfristig zunehmen. Seit den 1950er Jahren sei diese Wetterlage bereits rund 20 Prozent häufiger geworden, bis zum Jahr 2100 wird ihre Zahl laut DWD etwa noch mal so stark steigen.[5]
Das Climate Service Center in Hamburg, eine Einrichtung des Helmholtz-Verbundes, kam in einer Studie für den Gesamtverband der Versicherungswirtschaft ebenfalls zu dem Fazit, dass es in Deutschland 2050 viel mehr Starkregentage geben wird. In großen Teilen Deutschlands betrage die Zunahme bereits mehr als 30 Prozent, so die Experten. Besonders deutlich werde dies an der Nordseeküste und vor allem in den Mittelgebirgen – eine Karte der am stärksten betroffenen Landkreise zeigt einen breiten roten Streifen vom südlichen Nordrhein-Westfalen und Teilen Rheinland-Pfalz’ quer über Hessen und Südthüringen bis hinunter in den Osten und die Mitte Bayerns.[6]
Leider führt mehr Regen nicht dazu, dass uns künftig Dürren erspart bleiben. Im Gegenteil: Mehr Starkniederschläge bedeuten paradoxerweise, dass auch die Trockenheit in Zukunft zunimmt. Die Rechnung ist ganz simpel: Fällt immer mehr Regen in kurzer Zeit, muss – selbst bei leicht höherer Jahresgesamtmenge – die Zahl jener Tage steigen, an denen gar kein Tropfen niedergeht. Mehr Wasser an einzelnen Tagen bedeutet demnach trotzdem – und gerade deshalb – mehr Dürre insgesamt. Denn Dürre ist jedenfalls mehr als die Regenmenge. „Dürre ist kein absoluter Zustand“, erklärt Andreas Marx. „Als Dürremonat wird ein Monat beschrieben, der 80 Prozent weniger Bodenfeuchte aufweist als im Mittel der Jahre 1951 bis 2015.“
Dürre ist also auch eine Frage der Bodenbeschaffenheit, der hydraulischen Leitfähigkeit, der Verdunstung – und der Regelmäßigkeit des Niederschlags. Denn ist ein Boden erst ausgetrocknet, nimmt er kein Wasser mehr auf – egal, wie viel es regnet. Man spricht daher auch von selbstverstärkender Dürre. Anfang Februar 2020 zum Beispiel waren weite Flächen der Deutschlandkarte tiefrot, die Signalfarbe für die höchste von fünf Trockenstufen. In einer Bodentiefe bis zu 1,80 Metern war praktisch kein Wasser mehr vorhanden. Und das nach einem Winter – also jener Jahreszeit, während der hierzulande üblicherweise viel Niederschlag fällt und die Böden gründlich durchfeuchtet. Fast ganz Sachsen war betroffen, der Süden Brandenburgs, die Altmark, Niederbayern von Passau bis nach Ingolstadt, die Schwäbische Alb, das Weserbergland und die Ostseeküste rund um Usedom. Der Boden ist eine zentrale Komponente in der Dürrewissenschaft: Sandige Böden nehmen Wasser zwar schneller auf als schwere, tonhaltige; sie speichern Feuchtigkeit aber wesentlich schlechter. Hitzewellen verstärken die Dürregefahr wiederum in allen Böden, denn Hitze trocknet die Erde aus, wodurch sich ihre hydraulische Leitfähigkeit minimiert. „Der Boden ist dann wie imprägniert, ausgedörrte Böden sind in der Regel selbst nach einem starken Regenguss staubtrocken“, sagt Andreas Marx. Zwar sehe die Oberschicht nach einem Platzregen oft nass aus, und sie fühle sich manchmal auch so an. Doch bis in die tieferen Schichten dringt der Regen nicht mehr vor. Der Grund dafür: Ausgedörrte Tiefenschichten können Wasser nicht mehr aufnehmen, es perlt an ihnen ab, verbleibt in den höheren Bodenschichten oder fließt gleich an der Erdoberfläche ab.
Laut dem Dürremonitor, der auf den Daten von ungefähr 2000 Wetterstationen des Deutschen Wetterdienstes basiert, ist Deutschland seit den 1950er Jahren bereits deutlich trockener geworden. Seit dem Start des Dürremonitors 2014 gab es kein einziges Jahr mehr, in dem er nicht irgendwo in Deutschland tiefrote Gebiete zeigte. Natürlich gab es auch früher trockene Jahre, erklärt Andreas Marx, etwa 1963/64 oder 1976. Doch speziell 2018 und 2019 seien wirklich extrem gewesen: Gleich zwei Jahre hintereinander so großflächig so wenig Wasser – das gab es in Europa seit 250 Jahren nicht. Oder, wie Marx es ausdrückt: „seit der Französischen Revolution nicht mehr“.
Modellrechnungen zeigen, wie sich das Problem in Zukunft weiter verschärfen wird. Eine so extreme Trockenheit wie 2018/19, ermittelten Kollegen von Marx, wird bei ungebremstem Klimawandel bis Ende des Jahrhunderts etwa sieben Mal häufiger auftreten als bisher. Erwärmt sich die Erde um drei Grad, was angesichts des laschen Klimaschutzes derzeit ein wahrscheinliches Szenario ist, wären in Mitteleuropa 40 Prozent mehr Gebiete von Dürre betroffenen als bei 1,5 Grad Erwärmung. Auch die Zahl der Dürremonate würde steigen, hierzulande wären besonders Ost- und Süddeutschland betroffen.[7]
Jahre mit zu wenig Niederschlag können die langfristige Bilanz dramatisch verschlechtern. So registrierten die Radargeräte des Deutschen Wetterdienstes zwischen April und Oktober 2018 vom Schwarzwald bis zur Ostsee beispielsweise 40 Prozent weniger Regen als im langjährigen Mittel. Auch mehr als zwei Jahre später hat sich Deutschland davon nicht erholt. Blickt man Ende 2020 mit Andreas Marx auf seinen Dürremonitor, dann ist der in vielen Gegenden noch immer tiefrot. Zwar hat es 2020 mehr geregnet als 2018 oder 2019, aber die Niederschläge waren regional sehr ungleich verteilt. „Mancherorts hatten wir deshalb jetzt schon das dritte Trockenjahr in Folge.“ Und insgesamt waren die Niederschläge bei Weitem nicht genug.
Ein Blick in eine düstere Zukunft
Quelle : Blätter-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Sennelandschaft im Herbst, Deutschland