Erdogans »Neue Türkei«
Erstellt von Redaktion am Samstag 23. April 2016
und der Krieg gegen die Kurden
von Gülistan Gürbey
Das türkische Jahr begann – vor allem aus deutscher Perspektive –, wie das letzte geendet hatte, nämlich mit einem Selbstmordanschlag des IS. Dieser riss am 12. Januar vor der weltberühmten Blauen Moschee in Istanbul neun deutsche Touristen in den Tod. Die türkische Regierung reagierte umgehend, Ministerpräsident Ahmet Davutoglu teilte mit, dass die türkische Artillerie nach dem Anschlag rund 500 Mal Stellungen des IS auf syrischer Seite beschossen habe.
Noch bis zum Sommer 2015 stand die türkische Regierung unter interner und internationaler Kritik, überhaupt nicht gegen den IS vorzugehen, sondern diesen zu dulden oder gar (stillschweigend) zu fördern. Tatsächlich ließ die Regierung dem IS lange Zeit ganz bewusst Bewegungsspielraum, um so das Assad-Regime zu bekämpfen – wie auch die syrischen Kurden unter der Führung der PYD (Demokratische Unionspartei), die der türkisch-kurdischen PKK nahesteht.
Die ersten beiden Anschläge des IS in der Türkei trafen denn auch prompt kurdische und linke Kräfte: Am 20. Juli 2015 wurden in Suruc 32 Menschen getötet, die Aufbauarbeit im vom IS befreiten syrisch-kurdischen Kobane leisten wollten, und am 10. Oktober 2015 wurde in Ankara eine von der kurdischen HDP (Demokratische Partei der Völker) organisierte Friedensdemonstration getroffen, dabei kamen mehr als 100 Menschen ums Leben.
Trotz des jüngsten Anschlags bleibt noch abzuwarten, wie entschieden die türkische Regierung den IS bekämpfen will – im Gegensatz zur unerbittlichen Haltung gegen die Kurden, die im anhaltenden Krieg gegen die PKK zum Ausdruck kommt.
Diesen betreibt die Türkei seit Mitte Februar auch direkt auf syrischem Gebiet: Mit Kampfbombern und Artillerie griff die türkische Armee Stellungen der Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien an – und damit jene, die sich in erster Linie dem IS in Syrien entgegenstellen.
Bereits seit Juli 2015 nimmt die türkische Armee mit Spezialeinheiten und schweren Waffen kurdische Städte im Südosten des Landes unter Beschuss. Ziel ist es, die PKK und ihre städtische Jugendorganisation YDG-H zu eliminieren. Diese haben ihrerseits den Krieg in die Städte getragen und vielerorts die Selbstverwaltung bzw. Autonomie ausgerufen.
Nun fordert der radikale Gegenschlag der Regierung Davutoglu zunehmend Opfer unter der kurdischen Zivilbevölkerung. Human Rights Watch und Amnesty International beanstanden massive Menschenrechtsverletzungen durch das unverhältnismäßige und harte Vorgehen der Spezialeinheiten von Armee und Polizei. Nach ihren Angaben wurden bereits mehr als 150 Zivilisten getötet, darunter Kinder, Frauen und Alte. 200 000 Kurden befinden sich auf der Flucht.
Betroffen sind vor allem jene Städte und Provinzen, in denen die Unterstützung für die PKK und die HDP besonders groß ist. Nach Angaben der Türkischen Menschenrechtsstiftung wurde über Wochen eine totale Ausgangssperre in sieben Städten verhängt, unter anderem in Diyarbakir, Sirnak, Mardin und Hakkari. Die Armee geht in den Wohngebieten mit Militärpanzern, Spezialeinheiten und Scharfschützen vor, während der Bevölkerung der Zugang zu existenzieller Grundversorgung (Strom, Wasser, Lebensmittel) verwehrt und der Kontakt zur Außenwelt völlig abgeschnitten wird. Proteste und Demonstrationen werden mit exzessiver staatlicher Gewalt aufgelöst; und weil die Sicherheitskräfte die medizinische Versorgung verhindern, sterben immer mehr Zivilisten an ihren Verletzungen.
Der von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan angekündigte totale Krieg trifft aber auch die HDP und ihre Bürgermeister. Bereits vor den Parlamentswahlen vom Juni 2015 war die HDP ins Visier der Regierung geraten. Mit verbalen Attacken („politischer Arm der PKK und Unterstützer der Terroristen“) wurde sie öffentlich zur Zielscheibe, was sich in Hunderten von Übergriffen auf HDP-Büros niederschlug (darunter ein Bombenanschlag auf der Wahlkampf-Abschlusskundgebung in Diyarbakir).
Hinzu kommen massive strafrechtliche Repressionen: Gegen den Covorsitzenden Selahattin Demirtas und weitere HDP-Politiker laufen derzeit Ermittlungsverfahren. Betroffen sind auch zahlreiche HDP-Bürgermeister. Sie bilden den Nukleus der Partei. Ihre erfolgreiche lokale Politik schlägt sich in kommunalen Wahlsiegen nieder. Viele von ihnen haben die jüngste Ausrufung der Selbstverwaltung mitgetragen und stehen daher im Visier der Regierung. Sie wirft den Bürgermeistern unter anderem vor, Finanzmittel aus Ankara zur Unterstützung des Terrorismus verwendet zu haben. Zahlreiche Bürgermeister wurden bereits ihrer Ämter enthoben und verhaftet. Nun plant die Regierung, an ihrer Stelle staatliche Verwalter einzusetzen und ihnen die Kontrolle und Verwaltung zu übergeben. Dass auf diese Weise die demokratisch legitimierten Errungenschaften kurdischer Politik von heute auf morgen zunichte gemacht werden, würde die HDP um Jahre zurückwerfen. Ein Ende der Gewalteskalation ist nicht absehbar, legt man die Äußerungen von Staatspräsident Erdogan und Ministerpräsident Davutoglu zugrunde: „Viertel um Viertel, Haus um Haus und Straße um Straße werde von Terroristen und ihren Unterstützern gesäubert.“ Sollte ein neuer Friedensprozess eingeleitet werden, dann nicht mehr mit PKK und HDP, sondern mit anderen kurdischen Akteuren – darauf scheint die neue Strategie der Regierung ausgerichtet zu sein.
Der Krieg in den Städten
Quelle: Blätter >>>>> weiterlesen
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Fotoquelle – Wikipedia: CC BY-SA 3.0
Beschreibung |
English: Kurdish greengrocer
|
Urheber | Dûrzan |
m
Samstag 23. April 2016 um 15:28
Erdogan wird den IS nicht konsequent bekämpfen. Die halten ihm nämlich die Kurden von seinem Territorium fern. Außerdem hat die Türkei völkerrechtswiedrig Soldaten auf syrischem Staatgebiet stationiert. Und den Völkermord an den Armeniern ( auch mit Hilfe des deutschen Kaiserreichs ) wird er auch nicht zugeben. Nun auch noch die Aufforderung an die niederländischen Türken zu petzen.
Schmeißt diesen Kerl aus der Nato, lasst ihn nie in die EU und vergesst den Blödsinn mit der Visafreiheit.
Samstag 23. April 2016 um 16:29
http://www.welt.de/politik/deutschland/article154675795/Tuerkei-will-Projekt-der-Dresdner-Sinfoniker-stoppen.html
Sonntag 24. April 2016 um 9:17
Es reicht. Ich bin weit davon entfernt der AFD nachzulaufen. Aber langsam gehen mir die Argumente für meine Kollegen oder Bekannten aus. Und kann die Wut oder Empörung teilweise nachvollziehen.
http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/id_77640578/tuerkische-kritik-an-konzert-in-dresden-sorgt-fuer-empoerung.html
Sonntag 24. April 2016 um 9:58
#1 Ganz Ihrer Meinung.
Dienstag 26. April 2016 um 18:11
http://www.t-online.de/nachrichten/ausland/id_77664802/abfuhr-fuer-erdogan-in-der-schweiz-kritisches-foto-bleibt.html
Und dazu noch eine Meldung nach der türkische Parlamentspräsident Kahraman die Einführung einer islamischen Verfassung fordert. Die Trennung von Staat und Kirche dürfe darin keinen Platz mehr haben.
Ach ja:
Das EU-Gericht für Menschenrechte hat entschieden das die Türkei die Rechte der Aleviten verletze.
Noch etwas:
Die Türkei steuert über die Entsendung und Bezahlung der Imane Meinungsmache in den DITIB-Moscheen.
Wer jetzt noch Argumente für die Aufnahme der Türkei in die EU findet kann mir die mitteilen. Ich habe keine mehr.
Mir reicht es.
Dienstag 26. April 2016 um 21:21
Die Türkei gehört absolut nicht in die EU. Diese Meinung vertrete ich schon seit vielen Jahren. Ändern wird sich daran nichts.