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Erstellt von Redaktion am Mittwoch 23. Juni 2021

Mächtiger als jedes Marketing-Gelaber

Von Sascha Lobo

Der europäische Fußballverband hat es geschafft, die eigenen Worte vollständig abzulösen vom eigenen Handeln. Aber mit seiner Bigotterie wird er am Ende mehr für LGBTIQ+ getan haben als mit seinem Marketing-Gelaber.

Der europäische Fußballverband Uefa bringt das psychologische Wunder zustande, dass man von ihm nichts erwartet und trotzdem enttäuscht wird. Er hat verboten, das Münchner Stadion, in dem am heutigen Abend Deutschland gegen Ungarn spielt, in den Farben des Regenbogens zu beleuchten, wie der Oberbürgermeister es gemäß der Forderung des Stadtrats beantragt hatte. Die bunte Flagge steht für die LGBTIQ+-Bewegung (Lesbian Gay Bi Transgender Intersexual Queer und dem Plus für weitere Geschlechtsidentitäten und sexuelle Ausrichtungen). Weil Ungarn eine rechtsradikale, despotische LGBTIQ+-feindliche Regierung hat, die dementsprechend LGBTIQ+-feindliche Gesetze erlässt.
Natürlich ist die Uefa in erster Linie kein Fußballverband, sondern eine anachronistische, antidemokratische Zumutung. In den sozialen Medien hieß es deshalb nach Bekanntwerden der Entscheidung fast wörtlich, dass die Uefa schmoren solle im Geifer, der aus Gebissen toller Hunde träuft, mit Affenpisse vermischt, mit Stacheln, einem Igel ausgerissen, im Regenfass, drin schon die Würmer schwimmen, krepierte Ratten und der grüne Schleim von Pilzen, die des Nachts wie Feuer glimmen, in Pferderotz und heißem Leim.

Das ist natürlich sehr ungerecht, und zwar der substanziell argumentierenden Uefa-Kritik gegenüber, denn es handelt sich um eine lästerzüngige Schmähkritik, wo doch eigentlich eine sachliche, fundierte Kritik wirkungsmächtiger wäre: Die Uefa ist der Zerrspiegel, in dem sich die korrupteste, werteaverseste Version eines globalisierten Kapitalismus spiegelt. Und das sage ich als überzeugter Anhänger sowohl der sozialen Marktwirtschaft wie auch der vernetzten Globalisierung.

Die Perversion beginnt damit, dass der Münchner Stadtrat eine Aktivität in seiner eigenen Stadt bei der Uefa überhaupt beantragen musste. Dahinter verbirgt sich ein umfassendes Vertragswerk für die Durchführung einer Fußball-Europameisterschaft. Faktisch bedeutet das, dass für den Zeitraum einer Fußballmeisterschaft eine Stadt einen Teil ihrer demokratischen Hoheit abgibt an die Uefa, an einen seiner Schwesterverbände oder den Weltverband Fifa. Für solche temporären Herrschaften werden von den ausrichtenden Ländern und Städten manchmal eigene Gesetze erlassen. Das der Uefa artverwandte IOC (Internationales Olympisches Komitee) hat es darin zur Meisterschaft gebracht. Bei den Sommerspielen in London 2012 bekam das IOC teilweise sogar Exekutiv-Funktionen übertragen. Etwa in Form einer eigenen »Branding Police«. Sie durfte unter anderem quer durch die Stadt Logos von Nichtsponsoren entfernen oder abkleben – bis hin zu den Logos in den Toiletten jedes olympischen Veranstaltungsortes. Die Branding Police kontrollierte auch das Verbot für Nichtsponsoren, den Begriff »Spiele« zu verwenden. Oder, wirklich wahr, die Jahreszahl »2012« in die eigene Kommunikation einzubinden. Das IOC erreichte bei den britischen Gesetzgebern, Verstöße gegen verschiedene Branding-Regeln nicht etwa als Vergehen zu ahnden – sondern als Verbrechen.

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Und weil die Uefa Verträge mit der Austragungsstadt München in dieser unseligen Tradition internationaler Sportgroßveranstaltungen abgeschlossen hat, muss München bei dem Verband lieb nachfragen, ob es wohl eine Regenbogenbeleuchtung anschalten darf. Die Uefa untersagte es mit der hanebüchenen Begründung, man dürfe keine politische Botschaft senden. Die Hanebüchigkeit liegt darin, dass die Uefa praktisch unablässig vorgibt, politisch zu sein. Auf der Startseite der Organisation, UEFA.com, finden sich Aktionen wie der »World Refugee Day«. Eine eigene Rubrik namens »Social Responsibility« macht mit Fotos von Menschen mit Behinderung auf und traut sich ernsthaft, von den vorgeblichen Uefa-Werten »Diversität, Inklusion und Zugänglichkeit« zu sprechen, es ist völlig unerträglich.

Unter dem Hashtag #equalgame, der noch heute das Leitmotto der Uefa ist, twitterte der Account des Verbands 2017: »Das ist Liams Geschichte über Leidenschaft, Stolz und wie es ist, der erste offen schwule, männlicher Fußballer zu sein, der in Wembley spielt«. #EqualGame #LGBT«, ergänzt um ein paar Regenbogenflaggen. In weiteren Tweets erklärt die Uefa: »Football is for EVERYONE«, gefolgt von den Emojis Muskelarm, Regenbogenflagge, Fußball. Der Verband hat selbst nach eigenem Maßstab oft und oft absichtsvoll politisch kommuniziert.

Quelle       :         Der Spiegel     –   >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben        —       Beleuchtung in Regenbogenfarben zum Christopher Street Day 2016

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