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Der Weg Bonhoeffers

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 16. April 2020

»Dem Rad in die Speichen fallen«

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Dietrich Bonhoeffers Weg in den Widerstand

Wir schreiben Montag, den 17. Juni 1940. Dietrich Bonhoeffer und sein Freund Eberhard Bethge, die sich in dieser Zeit im Auftrag der Bekennenden Kirche zu einer „Visitation“, also einer Besuchsreise bei evangelischen Gemeinden, in Ostpreußen aufhalten, verbringen einen Tag in Memel, dem heutigen Klaipeda. Vormittags hatte Bonhoeffer in einer spärlich besuchten Pfarrkonferenz gesprochen; für den Abend war ein Bekenntnisgottesdienst angesetzt. Einen Teil des Nachmittags verbringen die beiden in einem Gartenlokal an der Spitze der Kurischen Nehrung. Über den Ausläufer des Haffs schauen sie hinüber nach Memel. Plötzlich werden über den Lautsprecher die Rundfunknachrichten übertragen, die von dem Sieg deutscher Truppen über Frankreich berichten: Der französische Regierungschef Marschall Pétain hat Deutschland einen Kapitulationsvorschlag unterbreitet. Ein Taumel ergreift die sommerliche Kaffeegesellschaft im Memelland. Alle springen auf, erheben die Arme zum „Hitlergruß“ und singen „Deutschland, Deutschland über alles“ sowie „Die Fahne hoch“. Nur Eberhard Bethge steht wie benommen daneben, ohne sich an dem Jubel zu beteiligen. Da reißt Dietrich Bonhoeffer den Freund am Arm: „Bist du verrückt?“, raunt er ihm zu und zwingt ihn, den Arm zu dem von ihm verachteten „Deutschen Gruß“ zu erheben. Danach fügt er hinzu: „Wir werden uns jetzt für ganz andere Dinge gefährden müssen, aber nicht für diesen Salut.“[1]

Gewiss war Dietrich Bonhoeffer bereit, Gesicht zu zeigen. Doch wer unter den Bedingungen einer Diktatur Gesicht zeigen will, muss auch bereit sein, sein Gesicht zu verbergen. „Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, wir sind mit vielen Wassern gewaschen, wir haben die Künste der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, […] sind wir noch brauchbar?“[2] Auch dieser Selbstzweifel gehörte zu der Schuldübernahme, zu der diejenigen bereit sein mussten, die in einer solchen Situation verantwortlich handeln wollten. Mit der Rückkehr aus Amerika im Juli 1939 traf Bonhoeffer die Entscheidung, mit seiner Person, ja mit seinem Leben für ein anderes und besseres Deutschland einzutreten. Das Risiko konspirativen Handelns war ihm von Anfang an bewusst.

Dietrich Bonhoeffers Verbindung zum Widerstand ist so offenkundig, dass seine ganze Lebensgeschichte unter die Überschrift „Theologe im Widerstand“ gestellt werden kann.[3] Die Prägung in der Familie und im Grunewalder Freundeskreis machte ihn gewiss von vornherein resistent gegen den Bazillus der nationalsozialistischen Ideologie. Aber auch die Hinwendung zum christlichen Glauben, die Entscheidung für die Theologie und darüber hinaus die Begegnung mit der Bergpredigt im Jahr 1932 zeichneten seinen Weg vor. Die Verantwortung für den Frieden, die er aus der Botschaft Jesu entnahm, führte ihn in die Weite der Ökumene. Zweimal, 1935 im Pfarramt in London und 1939 angesichts der Einladung zu einem dauerhaften Aufenthalt in New York, widersetzte er sich der Versuchung, diese Weite der Ökumene zu nutzen, um den Herausforderungen und Gefährdungen im eigenen Land zu entkommen.

Die Formel „Theologe im Widerstand“ nötigt zu der Frage, was denn das Theologische an diesem Widerstand war. Dieser Frage nähern wir uns in drei Schritten: Zunächst geht es um Bonhoeffers Rolle im Widerstand; sodann ist zu klären, ob er für sein Handeln einen theologischen Konsens in seiner, der evangelischen Kirche voraussetzen konnte; schließlich wenden wir uns der Frage zu, ob wir bei Bonhoeffer von einer Theologie des Widerstands sprechen können, obwohl er unter den Bedingungen der Konspiration weder über sein Handeln noch über dessen Motive schriftlich Auskunft geben konnte.

Einspruch gegen das Führerprinzip

Dietrich Bonhoeffer ist einer der bekanntesten Angehörigen des deutschen Widerstands. Diese Rolle wird meistens mit seiner persönlichen Beteiligung an der Konspiration gegen Hitler seit 1940 verbunden. Doch dem ging bereits eine Zeit voraus, in der er auf eine klare, widerständige Haltung seiner Kirche gegenüber dem Staat drängte. Schon unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten erkannte er, dass die Kirche nicht nur ihr Wächteramt gegenüber dem Staat wahrnehmen, sondern den Opfern staatlichen Handelns beistehen und gegebenenfalls staatlichem Unrecht direkt in den Arm fallen musste.

Unmittelbar nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler warnte Bonhoeffer vor dem drohenden Missbrauch des Führerprinzips.[4] In erschreckender Geschwindigkeit fand dieses Prinzip in einer Gleichschaltung evangelischer Kirchenverfassungen seine Entsprechung. Auch darüber hinaus kämpfte die Glaubensbewegung Deutsche Christen für eine Umgestaltung der evangelischen Kirche im Geist der „nationalen Revolution“. In Entsprechung zum geplanten staatlichen „Arierparagraphen“ verlangte sie auch für die Kirche eine Regelung, die nicht nur die Zulassung von Menschen jüdischer Herkunft zum Pfarramt verhindern, sondern darüber hinaus getaufte Juden aus der evangelischen Kirche ausschließen sollte.

Bonhoeffer war von diesem Vorhaben alarmiert. An der Wende vom März zum April 1933 trug er Überlegungen zur Forderung nach einem solchen kirchlichen „Arierparagraphen“ in einem Kreis von Pfarrern vor. Nach seiner Überzeugung konnten die Zugehörigkeit zur Kirche und der Zugang zu ihren Ämtern nur unter Glaubensgesichtspunkten beurteilt werden. Gesetzliche Vorgaben, erst recht solche, die rassistische Ausschließungsgründe geltend machten, waren für ihn mit dem christlichen Bekenntnis unvereinbar. Darin sah er einen Bekenntnisfall, einen status confessionis, vor dem die Kirche nicht ausweichen konnte.

Die Kirche vor der Judenfrage

Zugleich verschloss Bonhoeffer jedoch die Augen nicht davor, dass schon zu diesem Zeitpunkt Maßnahmen zur politischen und gesellschaftlichen Entrechtung des jüdischen Bevölkerungsteils ergriffen wurden. Für ihn war klar, dass er in einer solchen Situation seine Überlegungen nicht länger auf den kirchlichen Bereich beschränken konnte. Dem Vortrag über den „Arierparagraphen“ in der Kirche stellte er deshalb einen Abschnitt voran, der von der Verantwortung der Kirche gegenüber dem Staat handelte. Beiden Teilen zusammen gab er den Titel „Die Kirche vor der Judenfrage“.[5] Der Text verdeutlichte, dass die Verantwortung der Kirche nicht erst dann beginnt, wenn die Einführung eines „Arierparagraphen“ in der Kirche gefordert wird. Aber selbstverständlich hielt er es für eine christliche Kirche für inakzeptabel, wenn einer rassistischen Trennung zwischen „Ariern“ und Juden der Vorrang vor der in der Taufe begründeten Gemeinschaft zuerkannt wurde.

Deshalb versuchte er, ökumenische Partner darauf aufmerksam zu machen, dass für die Bekennende Kirche ein solcher Bekenntnisfall bevorstehe. Gleichzeitig bemühte er sich darum, durch die Mitarbeit am Betheler Bekenntnis noch rechtzeitig zu erreichen, dass die Bekennende Kirche sich eindeutig und in verbindlicher Form zu dieser Frage äußerte. In beiden Richtungen blieb Bonhoeffer der Erfolg versagt. Im September 1933 tagte die Synode der preußischen Landeskirche im Preußischen Herrenhaus, dem heutigen Bundesratsgebäude; diese „Braune Synode“ beschloss, den „Arierparagraphen“ auch in der Kirche einzuführen. Damit trat für Bonhoeffer, der schon zuvor gegen diesen Schritt Front gemacht hatte, die Situation des kirchlichen Schismas ein.

Bundesarchiv Bild 183-R0211-316, Dietrich Bonhoeffer mit Schülern.jpg

Unter Berufung auf dessen Schrift „Theologische Existenz heute“ fragte er den in Bonn lehrenden Karl Barth nach seiner Meinung zu dieser Situation. Dieser antwortete, der Kirchenleitung und den von ihr vertretenen Kirchenmitgliedern müsse man sagen, dass sie mit der Einführung des „Arierparagraphen“ „in diesem Stück nicht mehr Kirche Christi“ seien. Obwohl es sich nach seiner Auffassung um einen Bekenntnisfall handelte, riet er zum Abwarten: „Das Schisma muss, wenn es kommt, von der andern Seite kommen.“[6] Bonhoeffer erwartete dagegen von der Bekennenden Kirche Klarheit im Blick auf den status confessionis. Zwar war es die Glaubensbewegung Deutsche Christen, die das Schisma vollzog. Aber Bonhoeffer verlangte von der Bekennenden Kirche, dass sie die Trennung, die von der anderen Seite ausging, ihrerseits ausdrücklich feststellte. Sein Aufsatz zur Bekenntnissituation aus dem Jahr 1936 gipfelt deshalb in dem Satz: „Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil.“[7] Wohl kein anderer Satz Bonhoeffers hat bereits zu seinen Lebzeiten so viel Widerspruch ausgelöst wie dieser. Nachdem er schon mit dem Versuch einer klaren Äußerung zum „Arierparagraphen“ als Bekenntnisfall im Rahmen des Betheler Bekenntnisses gescheitert war, musste er erneut erkennen, dass die Bekennende Kirche zur Klärung der Frage, wann sie ein Schisma in aller Form feststellen musste, nicht bereit war.

Dass Dietrich Bonhoeffer für seine Auffassung so wenig Unterstützung fand, machte ihn der Bekennenden Kirche gegenüber zunehmend skeptisch. Das lakonische Resümee im „Entwurf für eine Arbeit“, den er im August 1944 im Tegeler Militäruntersuchungsgefängnis zu Papier brachte, heißt: „Entscheidend: Kirche in der Selbstverteidigung. Kein Wagnis für andere.“[8] So musste er den Schritt in den Widerstand auf eigenes Risiko und in der Einsamkeit der Konspiration wagen.

Seelsorger für den Widerstand

Die Zeit seit 1939 hat Bonhoeffers Bild als Symbolgestalt des deutschen Widerstands geprägt. Aber er gehörte nicht zu dessen zentralen Personen. Er assistierte Hans von Dohnanyi und Hans Oster, die ihre Position in der Militärischen Abwehr nutzten, um Pläne zur Beseitigung des Diktators zu entwickeln, und an Attentatsversuchen unmittelbar beteiligt waren. Bonhoeffer ermutigte sie als Seelsorger und deutete im Gespräch sowie gelegentlich in schriftlicher Form, was sie taten. Sein Schwager Hans von Dohnanyi wurde von dem Gestapo-Kommissar Franz Xaver Sonderegger als „das geistige Haupt des 20. Juli“ bezeichnet. Sein unmittelbarer Vorgesetzter war Generalmajor Hans Oster, der an der Schaltstelle zwischen militärischem und zivilem Widerstand „die Fäden in der Hand“ hielt; es war deshalb nicht abwegig, in Dohnanyi den konzeptionellen Kopf dieses „Zentrums“ zu sehen, „um das die Versuche, Hitler zu beseitigen, immer wieder kreisten“.[9] Dohnanyi beteiligte sich auch unmittelbar an Umsturzvorbereitungen, so insbesondere an Henning von Tresckows und Fabian von Schlabrendorffs Attentatsversuch am 13. März 1943, bei dem der in Hitlers Flugzeug geschmuggelte Sprengsatz wegen zu großer Kälte im Frachtraum des Flugzeugs nicht zur Explosion kam. In solche Aktivitäten wurde Bonhoeffer nicht einbezogen. Von ihm sagte Dohnanyi, er sei „kein Politiker gewesen, sondern ein gütiger Helfer, der von der Richtigkeit der antihitlerischen Strömung durchdrungen gewesen sei“; er machte sich den Vorwurf, Bonhoeffer in eine Situation hineingezogen zu haben, in die er von sich aus nie geraten wäre.[10] Eberhard Bethge stellte nüchtern fest, Bonhoeffers Rolle im Widerstand sei „an politischer Bedeutung […] nicht hoch einzuschätzen“, und fügte hinzu: „Er hat seinen Platz und seine fachlichen Fähigkeiten in dieser Hinsicht selber nicht über Gebühr veranschlagt. […] Im Übrigen gehörte politischer Ehrgeiz nicht zu seinen Eigenschaften.“[11] Man kann also, wie in der neueren Forschung zu Recht hervorgehoben wurde, von Bonhoeffers Rolle im Widerstand gar nicht sprechen, ohne sie zu der bestimmenden Rolle Hans von Dohnanyis in Beziehung zu setzen.[12]

Innere Revolte gegen das Gefangenenschicksal

Quelle       :         Blätter         >>>>>            weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben       —      Location:City Center Marl/Germany Collection: Skulpturenmuseum Glaskasten Sculpture: Portrait Dietrich Bonhoeffer (1977) Sculptor: Alfred Hrdlicka

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Unten         —      Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. ADN-ZB/IML-ZPA Bonhoeffer, Dietrich Antifaschistischer Widersstandskämpfer geb. 4.2.1906 ermordet: 9.4.1945 in Flossenburg UBz.: Dietrich Bonhoeffer mit Schülern im Frühjahr 1932

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