Ein Ausflug zurück
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 3. Juli 2019
Der Osten muss sterben, um zu leben
Von Julia Lorenz
Wir brauchen eine empathische Debatte über Ostdeutschland. Aber bitte ohne identitätspolitische Schlagseite.
Bin ich ein Ossi? Eigentlich nicht. Schließlich wurde ich 1991 geboren, mitten hinein in die Nachwendezeit. Ich hatte das Glück, in einer Familie aufzuwachsen, die das Ende der DDR gut überstanden hat: kein Frust, keine Altlasten, nur der wiederkehrende Appell meiner Eltern, mir die Welt anzuschauen – „wir konnten das ja nicht in deinem Alter“. Meinen sächsischen Dialekt hört man, nach fast zehn Jahren in Berlin, kaum noch.
Bin ich also kein Ossi? Irgendwie ja doch. Noch vor ein paar Jahren nutzte ich Worte wie „Kaufhalle“ und „Nikki“. Als ich kürzlich „Gundermann“ im Kino schaute, ging mir, trotz der politischen Brisanz des Films, schlichtweg das Herz auf: weil mich das Mobiliar im Film an Omas Stube erinnerte.
Am ostdeutschesten fühle ich mich aber, wenn mal wieder Mist passiert in der alten Heimat. Dann werde ich sehr wütend auf den Osten. Auf die Rechtsrockfans in Ostritz. Auf die Polizei, weil sie dort Männern mit tätowierten Hakenkreuzen die Armbinde richtete, statt eine Anzeige aufzunehmen. Auf den geifernden Hass auf den Straßen. Schließlich werde ich wütend auf mich selbst, weil ich in meinem Furor der Lesart auf den Leim gehen, die Bewohner des Ostens in Sippenhaft zu nehmen. Und dann kreist der Kopf: um die Frage, was man nun anfängt mit dieser Wut, die in alle Richtungen zielt.
Zur Europawahl wurde die AfD in Brandenburg mit 19,9 Prozent stärkste Kraft, in Sachsen sogar mit 25,3 Prozent. In Görlitz konnte kürzlich knapp die Wahl eines AfD-Politikers zum Bürgermeister verhindert werden. Seit Monaten treibt die Politiker demokratischer Parteien in Sachsen, Brandenburg und Thüringen die Angst vor den Landtagswahlen an.
Man muss nach allen Tabubrüchen der letzten Jahre nicht mehr viele Worte darüber verlieren, warum die Erzählung von der „Protestpartei“ eine üble Verharmlosung ist. Kann schon sein, dass sich abgehängt fühlt, wer die AfD wählt, nicht ernst genommen und frustriert, in Stänkerlaune gegen ein angeblich feindlich gesinntes Establishment. Vor allem aber will man (oder nimmt zumindest billigend in Kauf), dass harte Nazis im Parlament sitzen. Weder Abstiegsängste noch Post-Wende-Traumata taugen da als Rechtfertigung. Ostdeutsch, arm oder ängstlich zu sein, ist keine Rechtfertigung für Rassismus. Darüber mag ich nicht diskutieren.
Wenn aber unter Bekannten und in den Kommentarspalten das Witzchen die Runde macht, wir bräuchten den „Säxit“, dann mag ich den Osten verteidigen. Weil diese Verachtung ein Schlag ins Gesicht für alle ist, die sich dort für Kulturprojekte, Antifa-Strukturen oder ein freigeistiges Miteinander einsetzen. Weil Leute von Jammer-Ossis und Opfermythen reden, wo doch sattsam bekannt ist, dass viel zu wenige Ostdeutsche in großen Unternehmen, Redaktionen und auf hochrangigen Politikerposten sitzen. Dass man im Osten ärmer stirbt als im Westen.
Sicher, Klischees gibt es über beinahe alle Regionen Deutschlands: hier die halstarrigen Bayern, dort die Spießbürger aus dem Pietkong. Aber wer gegen den Osten ätzt, tritt nach unten – anders als beim Lästern über Schwaben. Das Ressentiment dem Osten gegenüber ist ein Clusterfuck, ein Zusammenspiel von Vorurteilen gegen DDR-Biografien, Provinzialität, Armut, Bildungsferne. In der Verachtung für Ostdeutsche bricht sich auch immer eine Form von Klassismus Bahn, die salonfähig wird, weil man schließlich über die „Richtigen“ lacht – über die dummen Ostnazis nämlich. Jede Wette: Wer über den LKA-Mitarbeiter Maik G. beömmelt (Genau, der mit „Sie begehen hier eine Straftat!“), der lacht nicht nur, weil er seiner Bestürzung ob der Zustände in sächsischen Behörden nicht anders Ausdruck verleihen kann. Sondern auch, weil da ein dicker Depp mit blödem Dialekt und noch blöderem Discounter-Hut ziemlichen Stuss erzählt.
Lange wurde pauschalisierend über den Osten geredet – aber nicht mit seinen Bewohnern. In der jüngsten Zeit ist nun eine lebendige Debatte über Ost-Identität erwacht. Für großes Aufsehen sorgte kürzlich eine Studie der Migrationsforscherin Naika Foroutan. Die kam, sehr knapp gesagt, zu dem Ergebnis, dass Ostdeutsche und Migranten in Deutschland mit ähnlichen Vorurteilen von außen zu kämpfen haben. In eine ähnliche Kerbe schlug der Kulturwissenschaftler Paul Kaiser, der kürzlich eine Tagung mit dem Titel „Kolonie Ost? Aspekte von ‚Kolonialisierung‘ in Ostdeutschland seit 1990“ veranstaltete. Der Gedanke: Was Ostdeutschland und ehemalige Kolonien eint, ist das Gefühl von Fremdbestimmung.
Für beide Ansätze gab es Kritik – weil es sich frivol anfühlt, die Probleme von Weißen mit deutschem Pass und Migranten zusammenzudenken. Aber es gab auch Zuspruch und Begeisterung. Fair enough: Das Gefühl vieler Ostdeutscher, nicht dazuzugehören, hat eine Mehrheit lange belächelt. Nun wird es in einer Debatte verhandelt, die spannend genug für die Feuilletons ist. Ein Gutes bringen diese Ansätze auf jeden Fall mit sich, nämlich die Anerkennung von systemischen Unterschieden und damit von strukturellen Unterschieden.
Das birgt allerdings eine Gefahr: in identitätspolitisches Lagerdenken zu verfallen. Per se muss Identitätspolitik nichts Verkehrtes sein. Wenn sich Benachteiligte zu einem gemeinsamen „Wir“ zusammenschließen, kann sie das bestärken und beflügeln. Der Claim schwarzer Aktivisten, „black and proud“ zu sein, wertet Weiße nicht ab. Sich selbst zu feiern, durchaus stolz vom Mainstream abzugrenzen, ist für Frauen und People of Colour, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung und andere Gruppen eine Strategie, um nicht durchzudrehen in einer ihnen feindlich gesinnten Welt.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Hotel Zum Löwen, and Strasse des Friedens, Ilmenau, DDR – Aug. 1989
Author | Felix O | ||||
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Unten — Arnstadt, Demonstration
ADN-ZB Ludwig-12.11.89
Bez. Erfurt: Rund 10.000 Arnstädter demonstrierten gemeinsam mit ihrem Bürgermeister Bernd Markert (3.v.l.) für friedvolle Veränderungen, verbesserten Umweltschutz und die Zulassung demokratischer Vereinigungen sowie freie Wahlen.
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