DEMOKRATISCH – LINKS

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RENTENANGST

Politische Partei-Organe?

Erstellt von Redaktion am Sonntag 28. Oktober 2018

Neue Überlegungen zur Organisationsfrage

Quelle      :       Scharf – Links

Von systemcrash

Vergesst unverzüglich die großen Siege und fahrt fort, unerschütterlich, hartnäckig, ewig in Opposition, zu fordern: fahrt fort, euch mit dem Andersartigen zu identifizieren, Skandal zu machen, zu lästern! — Pier Paolo Pasolini

„Nicht durch Erzeugung einer revolutionären Hurrastimmung, sondern umgekehrt: nur durch Einsicht in den ganzen furchtbaren Ernst, die ganze Kompliziertheit der Aufgaben, aus politischer Reife und geistiger Selbständigkeit, aus kritischer Urteilsfähigkeit der Massen, die von der deutschen Sozialdemokratie unter verschiedensten Vorwänden jahrzehntelang systematisch ertötet wurde, kann die geschichtliche Aktionsfähigkeit des deutschen Proletariats geboren werden. Sich kritisch mit der russischen Revolution in allen historischen Zusammenhängen auseinanderzusetzen, ist die beste Schulung der deutschen wie der internationalen Arbeiter für die Aufgaben, die ihnen aus der gegenwärtigen Situation erwachsen.“Rosa Luxemburg 

Kritik versus Cliquismus

Angesichts der Spaltung der IBT  habe ich mir ein paar Gedanken gemacht über den Sinn parteiförmiger Organisierung in der heutigen Zeit. Das Grundaxiom des ‚Leninismus‘, dass die Arbeiterbewegung nicht aus sich selbst heraus zu ‚revolutionären‘ Schlussfolgerungen gelangt, scheint mir geschichtlich genügend abgesichert zu sein (zumindest für Westeuropa). Aber die gegenteilige Tendenz, dass [Funktions-]’Eliten‘ immer dazu tendieren, sich zu verselbständigen und sich gegenüber ihrer ‚Basis‘ bis zu einem Grad zu ‚entfremden‘ scheint mir ebenfalls genügend bestätigt zu sein. Und diese beiden gegenläufigen Tendenzen führen dazu, dass sich Kritik, Spaltung und Neuorganisierung wie in einem Staffellauf der Geschichte immer wieder aufs neue wiederholen, bis irgendwann … ja, was? Sich eine ‚Führung‘ herauskristallisiert, die sowohl ‚programmatisch‘ als auch ‚menschlich‘ über jede Kritik erhaben ist?

Das wird aber nie geschehen, weil es eben gerade Menschen auszeichnet, dass sie nie ‚fertig‘ sind; weder mit sich selbst noch mit irgendwelchen ‚äusseren Dingen‘. Das ‚unbefleckte Programm‘ [1], wie es Trotzki im Übergangsprogramm bezeichnet (interessant auch, dass es sich um eine religiöse Metapher handelt) gibt es nicht. Es gibt nur die Versuche, die Emanzipation voranzutreiben. Aber sie kann niemals abgeschlossen werden.

Muss man als ‚Parteimensch‘ ein ‚A*loch‘ sein? 

Auch wenn es kein Lenin-Zitat ist, aber es stimmt natürlich, dass eine Partei kein Mädchenpensionat ist (die sexistische Konnotation ist uns natürlich auch klar). Innerorganisatorische Kämpfe sind eine Notwendigkeit, um das eigene politische Programm zu schärfen. Auf der anderen Seite sind aber parteiförmige Zusammenschnlüsse auch eine Zusammenkunft (unterschiedlicher) Menschen, die sich irgendwie miteinander ins Benehmen setzen müssen (für kleine Gruppen gilt das natürlich noch viel mehr). Und es wird immer Leute geben, die man mag, die einem egal sind oder sogar, die man abgrundtief hasst. Und trotzdem muss man mit all diesen leuten klar kommen, wenn man eine politische Arbeit machen will. Die persönlichen Gefühle müssen dabei eben zurückgestellt werden. Aber genau das kann nicht jeder! Und je mehr eine Gruppe von solchen persönlichen Gefühlen beherrscht wird, umso ‚cliquistischer‘ funktioniert sie und je mehr die Auseinandersetzungen ’sachorientiert‘ bleiben, umso mehr kann sie als politische Körperschaft wirken. Aber dies ist natürlich ein ewiger Spagat, der auch seine Grenzen hat. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass persönliche Animositäten eine so grosses Gewicht bekommen können, dann man selbst dann nicht mehr mit jemanden zusammenarbeiten kann, selbst wenn man die gleichen Ansichten vertritt;).

In der Regel kommen ja in einer politischen Partei oder Organisation Menschen zusammen, die zwar ähnliche inhaltliche Ansichten haben, aber charakterlich durchaus sehr verschieden sein können. Die Unterscheidung von ‚Harten‘ und ‚Weichen‘ in der Geschichte der russischen Sozialdemokratie scheint mir dafür paradigmatisch zu sein. ‚Weiche‘ neigen dazu, zu schwanken oder zu versöhnlich zu sein und/oder ‚falsche Kompromisse‘ einzugehen. Sie bringen ein Element der Unsicherheit in eine Organisation. Die ‚Harten‘ hingegen stehen fest zu ihren Prinzipien und lassen sich durch nichts erschüttern, selbst wenn die Meereswellen wie Brecher gischtig brandend gegen den Felsen schlagen, auf dem man steht.;) Darum haben sie auch meistens eine Führungsposition inne. Aber auch die ‚Harten‘ können zu hart sein, und dann ist es gut, wenn die ‚Weichen‘ ein Korrektiv bilden können, um z. B. eine politische Linie zu ändern. Darum kommt es in einer Organisation — wie eigentlich überall im Leben — auf die ‚gesunde Mischung‘ an, die eine positive ‚Gesamtresultante‘ hervorbringen soll.

Diese ‚gesunde Mischung‘ ist aber in (sehr) kleinen Gruppen meistens nicht vorhanden. Hier kommen ja Menschen zusammen, die über eine hohe inhaltliche Übereinstimmung verfügen. Dies macht sie vorderhand nach aussen ziemlich ’schlagkräftig‘, aber wenn es mal wirklich zu einer schwerwiegenden Krise kommt, dann fehlt das vermittelnde und korrigierende Element. Dies scheint mir ein wesentlicher Grund (mit) dafür sein, warum kleine Gruppen eine Anfälligkeit für Spaltungen haben.

Im Falle der IBT kommen meines Erachtens noch zusätzliche Geburtsfehler hinzu. Die IBT (anfangs BT) hat es nie geschafft, sich aus dem Orbit der Sparts zu entfernen. Sie waren sogar stolz darauf, als die ’netten Sparts‘ in der (linken) Öffentlichkeit angesehen zu werden.

Die deutsche Gruppe IV. Internationale‚, die später mit der BT fusionierte, hat nach meiner Erinnerung schon sehr frühzeitig darauf hingewiesen, dass es notwendig sei,  ein eigenes Profil (unabhängig von den ‚historischen Traditionen‘, auf die man sich bezieht) zu entwickeln. Damit konnten sie sich aber wohl nicht durchsetzen. Im übrigen war eine Mehrheit der GIVI gegen die Verteidigung des ‚Militärkomitees‘ im ‚August-Putsch‘ (1991) der damals noch vorhandenen ‚Sowjetunion‘. Mit genau dieser Position wollte sich aber die (I)BT als die wahren ‚Sowjetdefensisten‘ in der Öffentlichkeit darstellen (sie wähnten sich ja als Vertreter des ‚orthodoxen Spartacismus‘). Diese Position in Frage zu stellen, wäre eine Chance gewesen, aus dem stalinophilen Dunstkreis der Sparts (der sich auch schon weit vor 1991 zurückverfolgen lässt) herauszutreten und zu demonstrieren, dass sich ‚Trotzkismus‘ in erster Linie durch unabhängiges Denken auszeichnet.

In ihrer über 30-jährigen Existenz (die „Externe Tendenz“ der Spartacist-Tendenz wurde 1985 gegründet) hat es die IBT nie geschafft, über ihre Mikrogruppen-Webseiten-Existenz hinauszukommen (mit wohl überwiegend älteren Kadern noch aus den ‚guten‘ Spartacist-Zeiten) und neue politisch interessierte Schichten anzusprechen. Stattdessen hat man ellenlange Polemiken gegen die IKL (und seit einiger Zeit auch über die Internationalist Group, eine weitere Spart-Abspaltung) geschrieben und ältere Texte der Spartacist-Tendenz aus den 70er-Jahren, wo die Welt noch das ‚revolutionäre Heil‘ enthielt, aus der Mottenkiste gekramt. Mit einem solchen (überhistorisierenden und sektologischen) Politikverständnis kann man keine neuen Leute ansprechen (das schreckt eher ab!). Zumindest soviel sollte klar sein.

Durchaus möglich, dass diese Spaltung das Ende der organisatorischen Eigenexistenz der IBT bedeutet (die BT kann ich [noch] nicht einschätzen, aber sie scheinen durchaus Zuspruch zu bekommen). Aber der ‚Trotzkismus‘ ist eine geschichtsmächtige Tatsache, daran kann der Zusammenbruch einer ohnehin marginalen Gruppe nichts ändern. Aber nicht dem ‚Trotzkismus‘ als geschichtliche Tatsache sollte unsere Hauptaufmerksamkeit gelten, sondern der Frage, wie wir heute zu einer ‚revolutionären Organisierung‘ gelangen können. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten in dieser Angelegenheit grosse Fortschritte erzielt hätten.

Eher scheint die Zeit gegen die (radikale) linke zu arbeiten.  Aber auch das müsste dann entsprechend analysiert und – genutzt werden.

Umgruppierung – ein gescheitertes Projekt? 

In einer ihrer letzten Broschüren der Gruppe IV. Internationale („Für die Wiederschaffung der IV. Internationale“, oO, oJ) schrieb diese:

„Unsere generelle Einschätzung der Bruchpunkte in der Entwicklung des Trotzkismus wie auch der partiellen revolutionären Ansätze drückt keineswegs Neutralität oder Agnostizismus aus, sie vermeidet lediglich den Zeitmaschinen-Effekt: wie hätten wir gehandelt, wenn [wir zu diesem Zeitpunkt gelebt hätten]? Diese Methode ist untauglich.

Wir sind eine kämpfende Propagandagruppe in der Tradition der IV. Internationale mit dem Ziel ihrer Wiederschaffung. Tradition, wie Hegel treffend formulierte, ist ’nicht nur eine Haushälterin, die nur Empfangenes treu verwahrt und es so den Nachkommen unverändert überliefert … sondern wesentlich bearbeitet und umbildet. Dieses Erben ist zugleich Empfangen und Antreten der Erbschaft“. [2]

Die Umgruppierung revolutionärer Kräfte ist die Frage der programmatischen Perspektive, nicht eine des Credos zur ungebrochenen Existenz des revolutionären Pols oder zum substanzlosen Willen.“ 

Ich bin mir nicht sicher, ob die ‚programmatische Perspektive‘ allein für eine ‚Umgruppierung‘ ausreicht. Beim NaO-Prozess ist es versucht worden, und dieser ist gescheitert. Die ‚programmatische Perspektive‘ ist ganz sicher eine Bedingung der Umgruppierung (die dann auch zugleich eine Neugruppierung darstellt), aber hinzukommen muss noch der (politische) Wille und entsprechende menschliche Qualitäten.

„Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.

Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.

Dabei wissen wir ja:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.

Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.“

(Brecht, An die Nachgeborenen)

[1] „Die gegenwärtige Krise der menschlichen Zivilisation ist die Krise der proletarischen Führung. Die fortgeschrittenen Arbeiter, die in der IV. Internationale vereinigt sind, zeigen ihrer Klasse den Ausweg aus dieser Krise. Sie legen ihr ein Programm vor, das sich auf die internationale Erfahrung des Befreiungskampfes des Proletariats und aller Unterdrückten der Welt gründet. Sie bieten ihr ein unbeschmutztes Banner.“ (Trotzki, Übergangsprogramm)

In der englischen Fassung heisst es ’spotless‘, was auch ‚unbefleckt‘ heissen kann.

[2] Von Goethe gibt es den schönen Spruch:

„Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.“

Und ‚erwerben‘ meint meines Erachtens, sich eine Sache von Grund auf selbst anzueignen. Das ist mehr als nur etwas ‚übernehmen‘.  [Anm. von mir, systemcrash]

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Grafikquelle      :    Bildmontage: HF
    /   übernommen von Scharf-Links

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