27. Januar . . . . 1945 . . .
Erstellt von Redaktion am Samstag 26. Januar 2019
Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee die Gefangenen des Konzentrationslagers.
Autor : Stefan Weinert
Während der NS-Zeit ermordeten die Nazis in Auschwitz über anderthalb Millionen Männer, Frauen und Kinder. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee die Gefangenen des Konzentrationslagers.
Auschwitz ist synonym für den Massenmord der Nazis an Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, Kriminellen, Politischen und anderen Verfolgten. Wer durch das Tor mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ ging, kam nicht in das Konzentrationslager Auschwitz, sondern er durchschritt das Tor zur Hölle. Einer, der dennoch Auschwitz überlebte, war der Jude und italienische Widerstandskämpfer Primo Levi. Er schrieb später folgendes:
„Dann wurden wir zum ersten Mal gewahr, dass unsere Sprache nicht über die Worte verfügt, um diesen Angriff, diese Zerstörung eines Menschen zu beschreiben … Wir hatten den Tiefpunkt erreicht. Es ist unmöglich, noch tiefer zu sinken … Es gibt nichts mehr, das uns gehört: Sie haben uns unsere Kleider genommen, unsere Schuhe, sogar unser Haar … Sie werden uns sogar unseren Namen wegnehmen … Nicht wir, die Überlebenden, sind die wirklichen Zeugen. Das ist eine unbequeme Einsicht, die mir langsam bewusst geworden ist, während ich die Erinnerungen anderer las und meine eigenen nach einem Abstand von Jahren wieder gelesen habe. Wir Überlebenden sind nicht nur eine verschwindend kleine, sondern auch eine anomale Minderheit; wir sind die, die aufgrund von Pflichtverletzung, aufgrund ihrer Geschicklichkeit oder ihres Glücks den tiefsten Punkt des Abgrunds nicht berührt haben. Wer ihn berührt hat, konnte nicht mehr zurückkehren, um zu berichten, oder er ist stumm geworden.“ Primo Levi (1917 bis 1987), „Ist das ein Mensch?“)
Der 27. Januar, der Tag der Befreiung von Auschwitz, ist kein Feiertag, sondern ein „Denk nach Tag“
Birkenau, Polen – Eine Frau mit Kindern, als nicht „arbeitsfähig“erachtet, gehen ohne es zu wissen zur Gaskammer
Der Jahrestag der Befreiung des KZ-Auschwitzwurde wurde 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog offizieller als deutscher Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Die Vereinten Nationen erklärten den 27. Januar im Jahr 2005 zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts.
Erst 1963 kam es – trotz enormer Widerstände von „oben“ – und nur auf Initiative und durch die Hartnäckigkeit eines kleinen Staatsanwaltes, in Frankfurt a.M. zum ersten Auschwitzprozess. Ihm folgten 1965 und 1967 zwei weitere und es sollten noch weitere folgen.
In Auschwitz war auch der Arzt Dr. Joseph Mengele tätig, der die Gefangenen selektierte, die Gaskammern überwachte und Experimente an lebenden Menschen vornahm, wobei bei ihm dafür besonders Zwillinge interessant erschienen.
Anna Sussmann, Häftling in Auschwitz berichtet: (Zitiert nach Langbein, Hermann: Wien, 1995, „Menschen in Auschwitz“, Wien 1995, S. 497.)
„Die Wehen begannen beim Zählappell. Ich musste trotzdem Habtacht stehen.
Als der Appell endlich vorüber war, musste ich mich in den Block hineinschleichen.
Unter Decken habe ich entbunden. Es war ein Bub, der gelebt hat. Obwohl
ich mich sehr zurückgehalten habe, habe ich doch einen Schrei ausgestoßen.‘
Diesen Schrei hörte Mengele. Er nahm das Kind und warf es ins offene Feuer.“
Martina Puzyna, Häftlings-Nr.54538, berichtet: (Bericht über eine Situation Ende 1944, Mengele-Verfahren, Bd. 13, Bl. 57ff., zitiert nach Klee, Ernst: Auschwitz,
die NS-Medizin und ihre Opfer, Frankfurt am Main 2001, S. 490.
„In dem Arbeitsraum neben dem Sektionssaal warteten 14 Zigeunerzwillinge unter
Bewachung von SS, bitter weinend. Dr. Mengele sagte kein Wort zu uns, bereitete
eine 10 ccm und eine 5 ccm Spritze vor. Aus einer Schachtel legte er Evipan,
aus einer anderen Chloroform, das sich in 20 ccm Gläschen befand, auf den
Operationstisch. Danach führten sie den ersten Zwilling herein, es war ein 14 Jahre
altes Mädchen. Dr. Mengele befahl mir, das Mädchen zu entkleiden und auf
den Seziertisch zu legen. Danach spritzte er in dessen rechten Arm intravenös
Evipan ein. Nachdem das Kind eingeschlafen war, tastete er die linke Herzkammer
aus und injizierte 10 ccm Chloroform. Das Kind war nach einigen Zuckungen
tot, worauf Dr. Mengele es in die Leichenkammer bringen ließ. In dieser Weise
folgte in dieser Nacht die Tötung aller Zwillinge.“
Miklos Nyiszli (Häftlingsarzt) berichtert: (Sammelband „ Auschwitz – Zeugnis und Berichte“, herausgegeben von H. G. Adler, Hermann Langbein, und EllaLingens-Reiner, Frankfurt 1979, S. 64-67)
„Jetzt öffnet die SS-Wache die zwei Flügel der Eichentür am Ende des Saales. Die Menge drängt in den nächsten Raum, der ebenfalls hell erleuchtet ist. Er ist genauso groß wie der Auskleideraum, nur die Bänke und Haken fehlen. In der Mitte des Saales stehen im Abstand von jeweils dreißig Metern Säulen. Sie reichen vom Boden bis zur Decke. Keine Stützsäulen, sondern Eisenblechrohre, die überall durchlöchert sind.
Die Deportierten sind jetzt im Saal. Ein scharfer Befehl: »SS und Sonderkommandoraus! « Sie gehen hinaus. Nachdem draußen festgestellt ist, dass niemand fehlt, werden die Türen verschlossen, wird das Licht von außen gelöscht. Im gleichen Augenblick hört man ein Auto vorfahren. Der Wagen mit dem Roten Kreuz bremst. Ein SS-Offizier und ein SDG-Scharführer steigen aus. Der Scharführer hat vier grüne Blechdosen in der Hand. Die beiden betreten die Rasenfläche über der Halle, auf der im Abstand von dreißig Metern Betonsockel stehen. Beim ersten Sockel legen sie Gasmasken an. Dann heben sie den Deckel ab, brechen den Patentverschluss der Blechdose auf und schütten den Inhalt, eine violette, bröckelige Masse, in die Öffnung: Zyklon. Das Zyklon entwickelt Gas, sobald es mit Luft in Berührung kommt. Es fällt durch die Blechrohre in den unterirdischen Raum. Das Gas entweicht sofort durch die Löcher der Säulen und füllt den Raum unten in Sekundenschnelle.
Zyklon tötet zuverlässig innerhalb fünf Minuten. So pünktlich wie heute erscheint der Wagen mit dem Roten Kreuz zu jedem Transport das Gas wird nämlich von einer weit entfernten Baracke hergebracht. Ganz unvorstellbar ist für mich, dass dieses Mordauto das Zeichen des Internationalen Roten Kreuzes trägt. Die Gas-Scharfrichter warten noch weitere fünf Minuten, um ihrer Sache ganz sicher zu sein. Sie zünden sich Zigaretten an und steigen dann wieder in ihr Auto. Fast dreitausendunschuldige Menschen haben sie innerhalb von wenigen Minuten umgebracht…
Nach zwanzig Minuten werden die elektrischen Entlüftungsapparate eingeschaltet, um die giftigen Gase zu vertreiben. Die Tore öffnen sich, und schon rollen Lastwagen heran. Männer vom Sonderkommando laden die Kleider und Schuhe auf. Sie werden zur Desinfizierung gebracht. Diesmal wirklich zur Desinfizierung. Die modernen Saugventilatoren haben das Gas bald aus dem Raum gepumpt. Nur zwischen den Toten ist es noch in kleinen Mengen vorhanden. Noch nach 2 Stunden verursacht es einen erstickenden Reizhusten. Deshalb trägt das Sonderkommando, das jetzt mit Schläuchen hereinkommt, Gasmasken. Wieder ist der Raum in grelles Licht getaucht, und es bietet sich ein grauenhaftes Bild dar. Die Leichen liegen nicht im Raum verstreut, sondern türmen sich hoch übereinander. Das ist leicht zu erklären: Das von draußen eingeworfene Zyklon entwickelt seine tödlichen Gase zunächst in Bodenhöhe. Die oberen Luftschichten erfasst es erst nach und nach.“
Es ist eine Schande und auch ein skandalon (= wörtl. Fallstrick), dass es bis heute immer noch unter uns Lebende gibt, die Auschwitz, Treblinka, Dachau, Ravensbrück … leugnen, oder verharmlosen, oder als einen „Vogelschiss“ bezeichnen. Auch daran sollten wir denken, wenn wir am 27. Januar an die Befreiung denken, dass wir nämlich solche Zeitgenossen unter uns nicht nur dulden, sondern ihnen den Einzug in unserer Parlamente gewähren.
Es reicht nicht, sich am 27. Tag des neuen Jahres zu versammeln, Reden zu halten, Kränze niederzulegen, Glockenschäge ertönen zu lassen und Gedenktafeln zu enthüllen. Sondern wir müssen jeden Tag des Jahres unsere Stimme gegen die Menschenverachter unserer Zeit erheben – und das nicht nur am Küchentisch, sondern öffentlich am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, auf dem Wochenmarkt,und wo es nötig ist – sobald wir mit Menschenverachtung konfrontiert werden.
So erlebte ich es vor fünf Monaten, als ein auswärtiger Bautrupp ein ehemaliges Flüchtlingsheim, das nicht mehr gebraucht wurde, abriss. Ich ging auf den Kapo zu und fragte ihn, ob er denn wüsste, was für Menschen hier früher gelebt hätten. „Was für Menschen?“ fragte er zurück. „Nun, es waren Flüchtlinge,“ antwortete ich unbedarft. Daraufhin der Kapo: „Das sind keine Menschen!“ Und es folgte der bekannte Schwall von Hetze und Verachtung gegen Andersseiende. Trotz meiner Einwände und persönlich guten Erfahrungen mit Flüchtlingen, ließ er nicht davon ab. Im Gegenteil, immer wieder betonte er, Flüchtlinge seien keine Menschen.
Zu Hause angekommen, rief ich die Geschäftsführung der Baufirma an und beschwerte mich in einem solchen Maße, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihren Mitarbeiter zur Rede zu stellen. Tage später bekam ich den mit „tausend“ Entschuldigungen bestückten Anruf, dass jener Kapo zurecht gewiesen wurde und einen entsprechenden Eintrag in seine Personalakte bekommen habe. Nun, ich als Chef hätte ihn fristlos entlassen, aber immerhin.
Stefan Weinert, Ravensburg
Theologe und Flüchtlingssozialarbeiter i.R.
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Grafikquellen :
Oben — Child survivors of the Holocaust filmed few days after the liberation of Auschwitz concentration camp by the Red Army, January, 1945. Still photograph from footage shot by the Alexander Voroncov from the film unit of the First Ukrainian Front. Some of the tiny percentage of children not immediately killed upon arrival at the camp, this group includes Jewish twins who had been kept alive to be used in experiments by Dr. Josef Mengele. 6 of the children Gabi Neumann, Marta Weiss, Bracha Katz, Tomy Shacham, Erika Dohan and Shmuel Schelach were from Slovakia.…