Hitlergruß im Reichstag
Erstellt von Redaktion am 19. Juni 2021
Rechtsextreme bei der Bundestagspolizei
Die Uniformierten gleichen sich den Zeitgeist der Konservativen Politik an, von daher müssen sie wohl schon sehr verwaschen aussehen ?
Von Kersten Augustin und Sebastian Erb
Die Bundestagspolizei soll das Parlament schützen. taz-Recherchen zufolge arbeiten dort Reichsbürger, Rassisten und Coronaleugner.
Bewaffnete Demonstrant*innen stürmen den Bundestag in Berlin. Sie brechen in Büros ein, durchwühlen Dokumente, suchen nach Abgeordneten, die sich zwischen den Sitzreihen verstecken.
Klingt unrealistisch? In den USA ist genau das passiert: Am 6. Januar drangen Rechtsextreme ins Kapitol ein.
In der deutschen Hauptstadt kam es Ende August vergangenen Jahres nicht so weit, als ein paar hundert Menschen auf die Treppen des Reichstagsgebäudes stürmten, über denen der Schriftzug „Dem Deutschen Volke“ steht. „Das Haus der Deutschen besetzen“, hatten sie vorher in Chatgruppen geschrieben, und: „Diese Wichser da drinnen aufhängen, wenn es nach mir gehen würde.“
Nur drei Streifenpolizisten stehen zwischen dem Mob und der Glastür, so sieht man es in Handyvideos. Zwei Meter dahinter sitzt ein Pförtner in einem Glaskasten, vor ihm ein weißer Kippschalter und ein roter Knopf. Er könnte die Tür zum Reichstagsgebäude jetzt öffnen, wenn er wollte.
Der Bundestag braucht Schutz. Aber wer sind die Personen, die ihn schützen?
Die taz hat mit einem Dutzend aktuellen und ehemaligen Beamt*innen der Bundestagspolizei und weiteren Personen gesprochen, die für die Sicherheit im Parlament zuständig sind. Wir sind auf eine Gefahr von innen gestoßen. Auf Reichsbürger in Uniform, die das Parlament schützen sollen, aber glauben, dass die Bundesrepublik nicht existiert. Auf Coronaleugner und Rassisten, die Namibia noch heute als Deutsch-Südwestafrika bezeichnen. Auf Pförtner*innen, die aktuell für die AfD-Fraktion arbeiten und bald wieder an einem der Eingänge sitzen könnten.
Es geht dabei auch um rechte Memes in dienstlich genutzten Chatgruppen. In einem weiteren Fall soll ein Beamter im Pausenraum der Bundestagspolizei den Hitlergruß gezeigt haben.
Doch wir sind nicht nur auf Rechtsextremismusfälle gestoßen, denen bislang offenbar niemand nachgegangen ist. Je länger wir uns mit der Polizei des Bundestags beschäftigen, desto stärker bekommen wir den Eindruck: Das ist eine Organisation, die sich verselbstständigt hat. In der Parlamentspolizei mit ihrer historischen Sonderstellung mischen sich eine gute finanzielle Ausstattung mit regelmäßiger Unterforderung im Alltag. Das führt beispielsweise dazu, dass die Polizei des Bundestags Scharfschützengewehre angeschafft hat, die sonst nur ein SEK besitzt. Und eine mysteriöse Spezialeinheit gegründet hat, die öffentlich noch nie erwähnt wurde und von der selbst im Bundestag kaum einer weiß.
Die Bundestagspolizei
Der Bundestag ist der kleinste Polizeibezirk der Republik, rund 200 Beamt*innen arbeiten hier. Sie sind ausschließlich für die Liegenschaften des Bundestags verantwortlich. Die Bundestagspolizei untersteht dem Bundestagspräsidenten, Wolfgang Schäuble von der CDU. Nur mit seiner Zustimmung dürfen Beamt*innen in den Parlamentsgebäuden Personen festnehmen oder Büros durchsuchen. Die Polizei des Landes Berlin oder die Bundespolizei sind nicht zuständig, so will es das Grundgesetz. Die Idee ist gut: Im Falle eines Staatsstreichs soll das Parlament nicht schutzlos sein. Das bedeutet aber auch: Es muss sich im Zweifelsfall selbst schützen können.
Nach dem versuchten Reichstagssturm und dem Sturm des US-Kapitols hat Schäuble angekündigt, die Sicherheit des Bundestags zu verbessern. Die Berliner Landespolizei hat ihre Präsenz vor dem Gebäude verstärkt. Die Bundestagspolizei arbeitet jedoch weiter wie vorher, erfahren wir in mehreren Gesprächen mit Polizist*innen, Abgeordneten und Vertreter*innen der Bundestagsverwaltung.
Dabei gibt es Beamt*innen, bei denen man als Dienstherr genauer hinschauen müsste. Da wäre etwa der Polizist Michael R. 2014 wird er stellvertretender Bundesvorsitzender der Splitterpartei „Deutsche Nationalversammlung“. Es ist eine Reichsbürgerpartei, die das Grundgesetz nicht anerkennt. Unter dem Motto: „Achtung! Wachablösung! Das Grundgesetz geht – Die Verfassung kommt! Für ein souveränes Deutschland!“ demonstrierte die Partei damals vor dem Reichstag, für dessen Schutz Michael R. zuständig ist.
So große Weideflächen und keine Bullen in Sicht
Im Pausenraum der Polizei im Bundestag lag einmal ein Flyer aus, der der taz vorliegt. Es ist ein Flyer der Preußischen Gesellschaft, einer nationalistischen Vereinigung, die Deutschland „geistig erneuern“, „Überfremdung stoppen“ und einen „Freistaat Preußen“ errichten will. Michael R. habe ihn dort verteilt, sagt ein Kollege von ihm. Er habe eine Zeit lang versucht, Mitstreiter anzuwerben, sagt ein anderer. Er hat zudem nach Aussage eines Kollegen rechte Memes im Chat seiner Dienstgruppe gepostet. Im Pausenraum habe R. seine Thesen wiederholt: Er sei kein Bürger der BRD, es habe keinen Einigungsvertrag gegeben. Deutschland sei kein Staat, sondern eine GmbH.
Michael R. war früher bei den Reichsbürgern, dann trat er der AfD bei
Irgendwann nach dem Vorfall mit dem Flyer bekommt R. Ärger von Vorgesetzten. Auf taz-Anfrage teilt die Pressestelle des Bundestags mit: Gegen den Polizeibeamten wurde 2019 ein Disziplinarverfahren eingeleitet, weil er sich verfassungswidrig geäußert haben soll. Der Verdacht habe sich nicht bestätigt, das Verfahren wurde eingestellt.
Michael R. ist jetzt Polizeiobermeister und arbeitet immer noch im Bundestag. Die Reichsbürgerpartei ist nicht mehr aktiv, dafür ist R. der AfD beigetreten. Bei Facebook gefällt ihm die German Defence League, Pegida und „Keine weiteren Asylantenheime in Deutschland“, er ist Mitglied der Gruppen „Patrioten Brandenburg-Preussen“ und „Weltweiter Widerstand“.
Michael R. wohnt in einer Neubausiedlung in Brandenburg. Als wir klingeln, ist er überrascht und aufgebracht, dass wir bei ihm zu Hause das Gespräch suchen. Inhaltlich sagt er nichts, aber er fragt nach unseren genauen Namen. Dann sagt er spöttisch, dass er mal nachschauen werde. „Wir haben da ja unsere Computer.“
Michael R. ist nicht der einzige problematische Polizist in den Reihen der Bundestagspolizei. In Chats wurden in den vergangenen Jahren zweifelhafte Inhalte geteilt. Ein Meme aus einer Chatgruppe, das der taz gezeigt wurde, zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem Hundekopf: „Die Kanzlerin wurde geimpft. Keine Nebenwirkungen, sagt der Gesundheitsminister“. In anderen Memes wurde laut Aussagen mehrerer Polizist*innen Merkel als Verräterin bezeichnet oder es wurde gegen Minderheiten gehetzt.
„Am Ende sind wir die mit den Knarren im Haus“, sagt ein Bundestagspolizist. „Es ist wie bei Troja: Wer hat den Schlüssel zur Tür?“
Ein Polizist erinnert sich an ein Bild in einem Chat mit einem Gewehr und einem Gewaltaufruf gegen Schwarze Menschen: „Springt der N**** wild herum, schalt’ auf Automatik um“. Er war so entsetzt, dass er das Bild damals einer Person zeigte, die uns das ebenfalls bestätigt. Ein anderer Polizist erinnert sich im Gespräch mit der taz an ein Bild mit dem Schriftzug: „Dem Führer hätte das nicht gefallen“ und an antisemitische Witze, etwa, wie viele Juden in einen Aschenbecher passen würden. Nicht alle dieser Chatinhalte dürften strafrechtlich relevant sein, sie könnten aber disziplinarrechtliche Konsequenzen haben. Und sie weisen auf eine fragwürdige Polizeikultur hin.
„Am Ende“, sagt ein Bundestagspolizist, „sind wir die mit den Knarren im Haus.“ Und: „Es ist wie bei Troja: Wer hat den Schlüssel zur Tür?“
Eine Recherche in den Reihen der Polizei ist nie leicht, so auch in diesem Fall. Viele Beamt*innen wollen nicht mit der Presse sprechen, anderen ist angeblich nie etwas Problematisches aufgefallen. Die, die Probleme thematisieren, haben Angst vor Konsequenzen und äußern sich nur, wenn ihre Identität geschützt bleibt.
Aus den Äußerungen dieser Polizist*innen geht hervor, dass auch außerhalb von Chatgruppen rassistische Bezeichnungen wie „Kanacke“, „N****“ oder „Schwarzkopf“ bei der Polizei des Bundestags alltäglich sind. Besonders schlimm sei es nach dem Sommer 2015 geworden, als viele Geflüchtete nach Deutschland kamen. Im Pausenraum hätten Polizisten Flüchtlinge als Terroristen bezeichnet. Bei der Arbeit zeigten einige Kolleg*innen ihre Missachtung für die Bundesregierung und Sympathien für die AfD. Mehrere Bundestagspolizisten sollen an Demonstrationen der rechtsextremen Organisation Pegida teilgenommen haben, berichten aktuelle und ehemalige Polizist*innen.
„Es gibt einige Polizisten, die das im Pausenraum nicht mitanhören wollen, die nehmen sich ihre Stulle und essen die auf der Leitstelle“, sagt einer von ihnen.
Ein Beamter, der sich laut Aussage mehrerer Polizisten regelmäßig rassistisch äußert, ist ein Polizeihauptmeister und Mitglied einer Reservistenkameradschaft. Und bei Äußerungen soll es nicht geblieben sein. Er habe mehrfach den Pausenraum im Reichstagsgebäude betreten und dabei zur Begrüßung den Hitlergruß gezeigt, sagt ein Polizist, der damals nach eigenen Angaben im Raum war. Er habe dabei die Hacken zusammengeschlagen und die Radiostimme von Adolf Hitler imitiert.
Wir rufen bei zwei Polizisten an, die im Raum gewesen sein sollen. Beide reagieren nervös, dementieren den Hitlergruß nicht und brechen das Gespräch ab. Der Polizeihauptmeister sagt am Telefon, er schaue gerade eine Doku über Treblinka und Auschwitz, „ich würde so etwas nie tun.“ Er dementiert rassistische Äußerungen, er habe „genügend Freunde, die schwarze Hautfarbe haben“.
Nachdem die von der taz befragten Polizisten ihre Vorgesetzten über den taz-Anruf informierten, hat die Bundestagsverwaltung disziplinarische Vorermittlungen wegen des mutmaßlichen Hitlergrußes eingeleitet. Der Polizeihauptmeister und die beiden anderen Polizisten stritten den Vorfall ab und die Angelegenheit wurde zu den Akten gelegt.
Ein ehemaliges Mitglied des Personalrats im Bundestag bestätigt, dass sich Polizisten bei ihm über rechte Sprüche beschwert haben. „Das ist mir nicht neu“, sagt er. „Einzelne haben mir das berichtet, das war aber kein Anlass für mich, das zu objektivieren.“
Er ist mit dieser Haltung nicht allein. Leitende Beamte der Bundestagspolizei haben in den vergangenen Jahren keinerlei Fortbildungen zu politischem Extremismus besucht. Nur zwei Polizisten des mittleren Dienstes besuchten auf eigene Initiative mehrtägige Fortbildungen zu islamistischem Terrorismus und Linksextremismus.
Hat die Verwaltung des Bundestags die Gefahr von rechts jahrelang nicht ernst genommen?
Die Pressestelle des Bundestags antwortet auf taz-Anfrage, man handle bei rechtsextremen Verdachtsfällen „klar und konsequent“. Eine verdachtsunabhängige Überprüfung finde jedoch nicht statt. Seit 2013 habe es insgesamt drei Fälle gegeben, die sich aber nicht bestätigt hätten. Von den Fällen, die von der taz recherchiert wurden, fällt nur der Hitlergruß darunter. Er wurde aber erst im Zuge der Recherchen im Bundestag Thema. Bundestagspräsident Schäuble wollte sich auf Anfrage nicht äußern.
Im Präsidium des Bundestags – dem Leitungsgremium, das der Bundestagspräsident mit seinen Stellvertreter*innen bildet – waren mögliche Bedrohungen lange Zeit kein Thema. Nach dem versuchten Sturm auf das Reichstagsgebäude ging es vor allem um die Frage, warum die Demonstrant*innen von der Berliner Polizei so unterschätzt wurden. Bundestagspräsident Schäuble traf sich mit Bundesinnenminister Horst Seehofer und Berlins Innensenator Andreas Geisel, um die Zusammenarbeit mit Bundes- und Landespolizei zu verbessern. Um mögliche Gefährdungen des Bundestags von innen ging es nicht.
Das änderte sich im vergangenen November. Eine rechte Aktivistin, die als Gast eines AfD-Abgeordneten in den Reichstag gekommen war, bedrängte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor einem Aufzug. Bemängelt wurde intern, dass in der Nähe stehende Polizisten nicht eingeschritten waren. Die Aktion hatte Konsequenzen, allerdings nicht für die Polizei, sondern für die Abgeordneten: Sie müssen nun die Namen ihrer Gäste hinterlegen.
Nach dem Sturm auf das US-Kapitol waren viele deutsche Abgeordnete geschockt. Sie hatten live verfolgt, wie ihre amerikanischen Kolleg*innen sich vor dem Mob verstecken mussten, ihre Büros durchsucht wurden. Wie Demonstranten Selfies mit Polizisten machten. Könnte so etwas auch hier passieren?
Der Referatsleiter, der für die Bundestagspolizei zuständig ist, verneinte das im Ältestenrat und gegenüber den Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen. Die Abgeordneten kennen höchstens zwei ältere rechtsextreme Verdachtsfälle in den Reihen der Bundestagspolizei: In einem geht es um einen Polizisten, der eine Motorradkutte mit eisernem Kreuz getragen haben soll. Im anderen um einen Polizisten, der in einer problematischen Chatgruppe erwähnt worden sein soll. In beiden Fällen sind die Polizisten nach einer Überprüfung weiter im Dienst. Weder der Flyer im Pausenraum noch andere von der taz recherchierte Fälle wurden den Abgeordneten genannt.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Royal London Wax Museum – Adolf Hitler Royal London Wax Museum, Victoria, British Columbia, Canada
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2.) von Oben — Ehemaliger Fußballplatz
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