„Man verdummt ja“
Erstellt von Redaktion am 3. Januar 2021
„Ich bin genug vor Autos aufgetreten“
Das Interview führte Doris Akrap
Was kommt nach der Pandemie, wie kommt man nach Mülheim/Ruhr, wie geht es weiter? Helge Schneider im Gespräch über die großen und kleinen Danachs.
Wegen Corona findet diese Begegnung per Skype statt. Bevor die erste Frage gestellt wird, bietet der Interviewte der Interviewerin am Bildschirm Kekse in einer Schale an. Nach der ersten Frage setzt er sich eine rote Clownsnase auf. Ein paar Fragen später setzt er sie wieder ab.
taz am wochenende: Herr Schneider, dieses Interview erscheint nach 2020. Was kommt danach?
Helge Schneider: 2021.
Sind Sie bei den Maßnahmen gegen Corona Team Nachschärfen oder Team Vorpreschen?
Vorpreschender Vorschärfer.
Auf Ihrem im ersten Lockdown produzierten Album, „Mama“, ist der beste Coronasong aller Zeiten zu hören: „Heute hab ich gute Laune“ mit der brillanten Zeile „Ich hab heute gut geschlafen, schlafen. Und jetzt esse ich ein Ei. Denn ich hab ja gute Laune, Laune. Und die geht auch nicht vorbei“. Hallt der Song nach?
Ich hab ihn noch nie im Radio gehört, obwohl ich den ganzen Tag Radio höre. Aber anscheinend sind andere Sachen wichtiger. Zum Beispiel zur Zeit „Driving Home for Christmas“.
Wird das ein Nachspiel haben?
Bestimmt. Eines Tages wird man sich an das Lied erinnern.
Was kommt als Nächstes?
Erst mal werde ich eine neue Zündspule in mein Motorrad einbauen, weil ich da was abgebrochen habe. Die ist heute mit der Post gekommen, obwohl ich sie erst gestern bestellt habe.
Hatten Sie nach der Absage aller Konzerte wegen Corona Nachteile durch Ihre Ansage, Sie würden nicht vor Autos auftreten?
Ich bin schon genug vor Autos aufgetreten. Auf jeder Autobahnraststätte. Aber das macht einfach keinen Spaß. Mein Beruf ist ja abhängig von den Reaktionen des Publikums, weil ich kein Konzert reproduziere, sondern weil ich improvisiere. Bei Leuten mit Maske sehe ich aber keine Reaktion, und deswegen kann ich auch nicht vor Autos auftreten. Obwohl ich Autos ja sehr gut finde. Ich grabe gerne für jemanden einen Garten um. Aber meine Kunst ist keine Dienstleistung. Wenn ich bei einem Auftritt merke, da wird nur genommen, macht das keinen Spaß.
Improvisieren Sie nach einem bestimmten Rezept?
Nein. Ich sehe das Improvisieren als Teil des Menschseins. Man sieht es ja jetzt in der Coronakrise: Ohne improvisieren geht es nicht.
Kochen Sie auch nach Gefühl?
Ja. Aber Hefeklöße nicht. Da muss ich immer nachgucken, wie viel Wasser.
Marimbafon, Vibrafon, Saxofon, Hawaiigitarre, Hammondorgel, Geige, Trompete, Akkordeon, Schlagzeug … Spielen Sie auch alle Ihre Instrumente nach Gefühl?
Klavier und Cello hab ich gelernt. Zwei Semester an der Uni. Da war ich mit Sondergenehmigung, weil ich keinen Schulabschluss hatte, nur Sitzenbleiben- und Schuleverwiesen-Zeugnisse. Ich hätte Konzertpianist werden können, aber ich wollte lieber Musiklehrer werden. Daraus wurde auch nichts. Was ein Glück! Ich spiel lieber was vor, dann können die Kinder das ja nachspielen.
Haben Sie mal Nachhilfeunterricht gegeben?
Einmal Klavierunterricht. Da hab ich gesagt, der hätte kein Talent. In Wahrheit hatte ich aber keine Lust.
Sie haben Bücher geschrieben und Hörbücher gemacht. Lesen Sie lieber vor oder sprechen Sie lieber nach?
Ich schreibe gerne. Habe aber grade keine Lust. Hörbücher hab ich nur gemacht, weil man mich dazu gedrängt hat. Finde besser, wenn Christian Brückner das macht.
Was machen Sie am liebsten nach Mittag?
Mittagsschlaf. 5 Minuten. Danach bin ich wieder richtig fit.
Sind Sie einer, der seinen Geburtstag nachfeiert?
Nein.
Wie kommt man am besten nach Mülheim?
Trampen.
Nach Ihrem Brief an den Finanzminister Olaf Scholz wurden die Novemberhilfen für freie Kunstschaffende korrigiert. In Ihrem Brief stand „Unter tützung“. Warum haben Sie das nicht nachgebessert?
Ich hab Untertützung geschrieben? Wahrscheinlich berufen die sich jetzt auch noch auf mich. Also jedenfalls krieg ich jetzt auch was. Das muss aber der Steuerberater beantragen. Man darf das nicht selber. Man darf es nur selber durchlesen. Ich hab schon lange nicht mehr so viel gelesen, seit ich den Führerschein gemacht hab.
Raubt Ihnen die Bewegung der Coronaleugner und Verschwörungstheoretiker die Nacht?
Nein. Vor neun Monaten hab ich mir acht Rollen Klopapier an der Tankstelle gekauft. Die hab ich immer noch. Da hat es mich auch erwischt. Man verdummt ja. Durch die ewige Präsenz der sozialen Medien verdummen die Leute. Und da wollen dann einige unbedingt ganz schlau sein und fordern ihr Recht. Dabei ist das kein Recht, sondern Egoismus, was die einfordern. Mir fehlt da der Humanismus.
Im Nachschlagewerk Wikipedia steht unter Helge Schneider: „Er entwickelte seinen persönlichen Stil der Antikomik, der sich Kritikern zufolge durch Respektlosigkeit, kindischen Unsinn und das Vermischen von Banalem mit Anspruchsvollem auszeichnet.“ Können Sie das bestätigen?
Eigentlich alles. Aber Respektlosigkeit kann ich nicht bestätigen. Respekt hab ich immer. Alle Komik, die ich praktisch praktiziere, basiert auf meiner eigenen Körperlichkeit, auf meinem eigenen Ich. Respektlos heißt ja, dass man sich über andere lustig macht, das mach ich aber nicht.
Nach Ihrem ersten Album, „Die Gewinner des Ikea-Jazzfestivals“, von 1975 kam lange nichts. Erst 1991 wieder. Was war da los?
Ich hatte keine Ahnung, wie man eine Schallplatte macht. Der Regisseur Werner Nekes, der damals mein Nachbar war und den Film „Johnny Flash“ mit mir gedreht hat, hat gesagt: Mach doch mal so 20 Lieder. Daraus ist dann meine erste richtige Schallplatte entstanden: „Seine größten Erfolge.“ Da sind super Songs drauf. Zum Beispiel „Es hat gefunkt bei mir“. Das spiel ich immer noch.
„Es gibt Reis Baby“, „Hefte raus – Klassenarbeit“, „22 sehr sehr gute Lieder“ – Sie haben danach noch über 30 Alben gemacht. Nach dem wievielten haben Sie aufgehört zu zählen?
Ich hab von Anfang an nicht gewusst, wie viele es sind.
Sie haben auch über fünf Kinder gemacht: Nach dem wievielten haben Sie aufgehört zu zählen?
Manchmal zähl ich sie tatsächlich. Und ich verwechsle die Namen. Wenn man Kinder in verschiedenen Altersgruppen hat, passiert das schon mal.
Nach der wievielten Gitarre haben Sie sich gedacht: genug?
Keine Ahnung. Ich habe auch welche verkauft, darüber ärgere ich mich manchmal immer noch. Und zwei vermisse ich. Ich glaube, die wurden mir geklaut. Oder ich hab sie auf dem Autodach liegen lassen, als ich vor einigen Jahren mal zwei Stunden lang gefilzt wurde von vier französischen Polizisten, die anscheinend alle Brüder waren. Ich kam mir vor wie in einem Film, „Der Gendarm von Saint Tropez“.
Wonach haben die denn gesucht?
Ich kam grade aus Spanien mit dem Auto und hatte nur eine Zahnbürste mit und zwei Gitarren. Die Polizisten haben mir nicht geglaubt, dass ich das bin im Ausweis. Die wollten nicht glauben, dass ich 1955 geboren bin. Aber ich hätte wahrscheinlich auch nicht sagen sollen: „Das finden die nie.“
Wie kamen Sie eigentlich nach Spanien, wo Sie ein Haus haben und das Video zum Smash-Hit „Sommer, Sonne, Kaktus“ gedreht haben?
Zum ersten Mal 1970 mit dem Europabus. Nach Barcelona. Ich dachte, Barcelona wäre so ein Strand mit Palmen, von denen ab und zu mal eine Kokosnuss runterfällt und wo Strohsonnenschirmhäuschen rumstehen. Als wir von einer achtspurigen Straße in Barcelona ankamen, waren nur unfertige Hochhäuser zu sehen. Keine Kokosnüsse und keine Palmen. Dann hab ich einen Liter Sangria getrunken und mir eine Brandblase an der Schulter geholt. Meine Freundin auch, genau an derselben Stelle.
Sie haben früher Eduscho-Studien betrieben: Kaffeetrinken und Leute beobachten. Waren Sie mal bei Tchibo, nachdem Eduscho zugemacht hatte?
Ich war mal bei Tchibo, als es Eduscho noch gab. Da hatte ich ein schlechtes Gewissen.
Es gab keinen Nachfolger – Tchibo-Studien?
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — October 2009
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2.) von Oben — Helge Schneider 2002
Unten — Helge Schneider at Frankfurt Book Fair 2015
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- File:Helge Schneider auf der Frankfurter Buchmesse 2015.JPG
- Created: 15 October 2015
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