Erstellt von Redaktion am 14. August 2020
Whistleblower, Folteropfer, Kulturprojekt
Von Daniela Lobmueh, Nora Drenalin und Hannes Sies
Viele Kulturschaffende haben sich für Julian Assange und WikiLeaks eingesetzt -unseren Mainstream-Medien, sonst jedem Prominenten hinterherhechelnd, war dies kaum der Erwähnung wert. Angela Richter ist eine bedeutende Theatermacherin im deutschsprachigen Raum, auch international -sie brachte den Fall Assange als Erste auf die Bühne.
Der bedeutendste Enthüllungs-Journalist und Whistleblower des 21.Jahrhunderts, Julian Assange, wird immer noch von der Britischen Regierung in Folterhaft im Hochsicherheitsknast Belmarsh (London) gehalten. Von den Medien immer wieder vergessen siecht dort der, auch nach Ansicht Hunderter Ärzte sowie des UNO-Folterexperten, unter unmenschlichen Bedingungen willkürlich eingekerkerte USA-Kritiker dahin. Auftraggeber ist die US-Regierung (Bush, Obama, Trump), im Dienste ihrer Finanzmogule, die auch hinter der Intrige einer fingierten „Vergewaltigung“ stecken dürfte -der Propagandalüge, die Assange verteufeln sollte. Gefälschte Beweise, fingierte Protokolle führten zu seiner Verfolgung, dienten den Briten als fadenscheinige Rechtfertigung zu seiner Inhaftierung.
Angela Richter – Kultur kann und sollte politisch sein
Doch Assange und Wikileaks sind längst mehr als nur ein Politikum (als politischer Bankrott der heuchelnden West-Medien-Propaganda vom angeblichen Kampf des Westens für weltweite Menschenrechte, die in Wahrheit meist nur gierige Machtpolitik bemäntelt, ob in Vietnam, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien oder Ukraine). Assange und Wikileaks sind Kulturphänomene, die Film, Literatur und Theater erreicht haben. An das Theaterstück von Angela Richter „Assassinate Assange“ (2012) soll hier erinnert werden, denn Julian Assange, derzeit in Belmarsh auch unter Corona-Ansteckungsgefahr in illegaler Folterhaft gehalten, braucht heute Aufmerksamkeit und Unterstützung mehr denn je. Theater in aller Welt sollten es unverzüglich auf ihren Spielplan setzen -Sophokles, Shakespear und Tschechow sollte man manchmal warten lassen. Angela Richter steht in der Tradition provozierender Kunst, etwa des Neodadaisten und Jungen Wilden Martin Kippenberg. Sie inszenierte mit und über Whistleblower (Assange, Snowden, Ellsberg), thematisierte u.a. Medienlügen, Internet-Überwachung („Supernerds“, was verdummte West-Journalisten zum in ablenkender Absicht stereotyp abgesonderten Propaganda-Klischee „Nordkorea“ reizte, obwohl es sich deutlich gegen die USA und ihre NSA richtet), Netzkriminalität („Silkroad“) und den neoliberalen Zugriff auf unsere Körper durch plastische Chirurgie („Brain and Beauty“). Zuletzt arbeitete sie mit dem medienkritischen Philosophen und Assange-Unterstützer Slavoj Zizek zusammen („Antigone“, Zagreb 2019).
Kulturphänomen WikiLeaks: „Assassinate Assange“ von Angela Richter
Das Theaterstück von Angela Richter ist zugleich vielschichtig und schlicht. Es behandelt den Fall Assange als Mythos, dem es vielleicht ein wenig und sehr vorsichtig zu huldigen gilt, der aber zugleich entzaubert werden soll. Dieser Spagat gelang leider nur unter großen Einbußen an Information über die Arbeit von Wikileaks –darüber erfuhr das Publikum fast nichts. Stattdessen setzte die Inszenierung auf lakonische Monologe von und über Julian Assange sowie „seine beiden Schwedinnen“ –und auf kraftvolle Bilder aus dem Beamer.
Die erfolgreiche Dramatikerin Angela Richter („Fall Esra“, „Jeff Koons“; „Vive la Crise“) ersteigerte für 1600,- Euro ein Mittagessen mit Julian Assange und Slavoj Zizek. Ihr damaliger Ehemann, der Maler Daniel Richter, fertigte Assange-Portraits, die in der Kampnagel-Fabrikhalle vor dem Theatersaal auf T-Shirts feilgehalten wurden. Nach der Flucht des Wikileaks-Gründers in die ecuadorianische Botschaft besuchte Angela Richter ihn dort achtmal und interviewte ihn. Ergebnis: 30 Stunden Audio-Mitschnitte, wovon sie einigen Text in ihr Stück einfließen ließ, inklusive Assange im O-Ton. Vorhang auf.
Albino-Affen auf Odyssee im Weltraum
Das Bühnenbild ist denkbar schlicht. Einzige Requisiten sind ein Pappkarton, die Wand hinter der Bühne als Fläche für Beamer-Projektionen und ein paar Laptops (die evtl. aber nur der Steuerung der Beamer dienen). Elf Darsteller in Albino-Affen-Kostümen sind das Ensemble, nur wenige legen ihre Affenmaske zeitweise für Monologe und einige Dialoge ab: Konservativ-reaktionäre Feuilletonisten stürzen sich natürlich dankbar auf den hingeworfenen Knochen und jubeln: „Assange zum Affen gemacht!„, aber empören sich dann enttäuscht: „Am Ende doch ein Held„.
Den Auftakt entlehnt Angela Richter bei Kubricks „2001 –Odyssee im Weltall“: Elf Affen sitzen um ein Lagerfeuer, vom Beamer auf den Pappkarton in ihrer Mitte projiziert, hinter ihnen funkelt unsere Galaxis in der Dunkelheit (stellvertretend der Andromedanebel), am Rand läuft die Anonymous-Losung „Expect us“ durch.
Die Stimme von Assange räsoniert über intelligentes Leben, dessen Spuren man eigentlich anhand von Dyson-Sphären –gigantischen Solarpanelen, kugelförmig um bewohnte Sternsysteme gebaut– sehen müsste, wenn Intelligenz nicht sehr rar wäre oder aber technische Zivilisationen wie unsere zur Selbstvernichtung neigen würden. Einsamkeit oder Selbstzerstörung. Andromeda aus.
Zieloptik des Kampfhubschraubers aus „Collateral Murder“, es dröhnt der dazugehörige O-Ton: US-Soldaten belauern vermeintliche irakische Kämpfer, Rotorflattern, schnarrender Militärfunk; in der Zieloptik tauchen die elf Albinoaffen auf, stellen die Szene aus Bagdad nach, die durch Wikileaks 2010 um die Welt ging. Sie sterben im (nur akustischen) MG-Feuer, zugleich als Projektion und dramatisch auf der Bühne. Starke Bilder, bewegend, aber gebrochen mit einem kräftigen Schuss reflektierender Ironie –mit einem Schuss dramaturgischer Uranmunition.
Der Beamer projiziert –zunächst verwirrend– einen Tierfilm. Es geht um eine Meeresschildkröte, Schwarzweiß-Bilder, Kommentar im Grzimek-Stil der 70er: Das Tier quält sich, so erfährt man, durch den heißen Sand einer Insel, die für Atomwaffentests missbraucht wurde. Es hat wie gewohnt seine Eier abgelegt, aber die radioaktive Verseuchung hat sein Orientierungsvermögen zerstört. Die Schildkröte findet nicht zurück zum rettenden Ozean, strebt irrtümlich der tödlichen Trockenheit des Inselinneren zu, über ihr kreisen kreischende Raubmöwen, warten schon auf seinen qualvollen Tod. Ein Bild für unsere langsamen, verwirrten und nur unzureichend gepanzerten Hirne? Orientierungslos in der sensorischen Wüste der militärisch verseuchten digitalen Medienwelt? Kein schönes, aber ein kraftvolles und treffendes Bild, mit dem das unbedingt sehenswerte Stück beginnt –auch wenn es am Ende die geweckten Erwartungen nicht ganz einlösen kann.
Assange-Erlebnisse statt Wikileaks-Enthüllungen
Im Zentrum des Stücks steht die Person Julian Assange. Seine Figur wird von Angela Richter sorgsam, fast liebevoll gezeichnet. Am Ende weist sie gleichwohl daraufhin, dass es ganz falsch sei, zu psychologisieren. In die Tiefe geht sie bei der Frage nach der angeblichen Vergewaltigung zweier Schwedinnen und beim Report ihrer langen Gespräche mit Assange in dessen Londoner Asyl. Sie beschreibt die Situation in der Botschaft Ecuadors, die Gefängnisatmosphäre, den Geruch, die Britischen Polizeitruppen, die das Asyl umzingeln. Ihre Gespräche vor den Fenstern hat Angela Richter aufgezeichnet, sie werden im O-Ton angespielt, ihre banalen Inhalte berichtet –ein Beispiel für die unergiebige Leaks.
Über die Enthüllungen von Wikileaks erfährt man so viel oder so wenig wie ein durchschnittlicher gutbürgerlicher Theaterbesucher nach Lektüre deutscher Feuilletons vielleicht noch erinnern kann: „Collateral Murder“, Bradley Manning und dass bei den US-Depeschen nur Klatsch herauskam. Letzteres ist falsch, aber es ist die Version der Geschichte, die unsere Mainstream-Medien in den Köpfen durchgesetzt haben. Die frühen Leaks (Somalia, Giftmüll in Afrika, Bankskandal J.Baer, Toll Collect in Deutschland usw.) fallen weg, nur die Finanzkorruption in Island wird kurz erwähnt, neue Leaks wie Stratfor- oder Syria-Files vermisst man ebenso.
Angela Richter holt ihr Publikum da ab, wo es medial steht –und was Wikileaks angeht, lässt sie es da auch stehen. Für die Person Julian Assange jedoch dürfte das Stück ganz neue Einsichten liefern. Es formuliert die künstlerische Verteidigung eines politisch Verfolgten, der unter zweifelhaften Anschuldigungen, wenn nicht unter perfider Verleumdung von der westlichen Justiz drangsaliert wird. Dies ist eine mutige Sichtweise auf Assange, die im üblichen Journalismus zum Tabu geworden ist: In einem Journalismus, der sich in heuchlerischer Einseitigkeit der Anklage politischer Verfolgung vorzugsweise in Moskau und Kiew zuwendet („Pussy Riot“, „Femen“).
Penis, Condome und Sperma im Bett von Schwedinnen
Breiten Raum nehmen umfassende und gut recherchierte Beschreibungen der beiden Schwedinnen ein, die Assange sexueller Verfehlungen beschuldigt haben –woraus die Medien ihr verleumderisches „Vergewaltigung!“-Geschrei machten. Die Ich-Erzählerinnen werden mit Klarnamen und biographischen Details eingeführt, ihre Rolle bei der Assange-Veranstaltung in Stockholm genau beschrieben. In den monologischen Schilderungen zweier erotischer Begegnungen, emotional zwischen schmachtender Liebe und gekränkter Wut vorgetragen, erfährt man viel darüber, wo und wann Condom und Penis des Beschuldigten sich jeweils angeblich befunden haben sollen.
Dazwischen polizeiliche Befragungen des Verdächtigen. Assange beschreibt den Sex, leugnet aber den Vorwurf, ein Condom absichtlich zerrissen zu haben. Dieses Auswalzen der Sex-and-Crime-Thematik spiegelt und entlarvt das mediale Muster der Assange- und Wikileaks-Berichterstattung. Es befriedigt aber auch auf schlichte Art die dadurch geprägte voyeuristische Erwartungshaltung des Publikums. Letztlich werden die Anschuldigungen als höchstwahrscheinlich haltlos, auf jeden Fall überzogen und in ihren Konsequenzen unglaubhaft vorgeführt.
Assange darf sich monologisch beklagen, schwedische Frauen, trotz all seiner Bemühungen, „can‘t not get no satisfaction“. Gesangseinlage: „women become wicked, when a man is wanted“. Ironisiert wird am Ende auch die mediale und polizeiliche Jagd auf „Assange den Sexualstraftäter“ durch einen bei der US-Feministin entliehenen satirischen Brief an „Dear Interpol“, worin sich eine sexuell unbefriedigte bzw. belästigte Frau für Interpols neues Engagement für Frauenrechte bedankt und zur Verhaftung von 1,5 Millionen weiterer bad boys auffordert. Foto: Assange und eine Schwedin
Theater ist besser als Film
Konterkariert wird dieser Erzählstrang durch Dialoge von Angela Richter mit Assange bzw. dessen Monologe über Individuen, Politik und die Medien. Assange beklagt wortreich die Gleichschaltung der Menschen durch Massenmedien –wobei acht wie Schatten hinter ihm aufgereihte Affen seine Gestikulation nachmachen– und den besseren Ansatz von Wikileaks, wo jeder sich aus den geleakten Daten seine eigene Meldung heraus filtern könne.
Theater sei auch besser als Film, weil Filme von viel mehr Leuten gesehen würden, Theater aber von wenigen und jede Aufführung dabei noch ein Unikat sei. Medienkritisch ist auch eine kleine Szene, in der die Assange-Interviewerin Angela Richter ihrerseits von einem Journalisten Terry (vom Guardian?) interviewt wird, der sich hauptsächlich dafür interessiert, ob sie Sex mit Assange hatte. Ein kleiner Hinweis auf den Konflikt des ehemals mit Wikileaks verbündeten Guardian? So soll die Medienhype zwar kritisch reflektiert werden, aber letztlich kreist doch alles um Julian, wie in den Medien. Die Reflexion scheint im Ergebnis am Mythos Assange zu scheitern, wobei sie bei einigen Zuschauern auch die mediengemachten Ressentiments gegen Assange mobilisiert.
Auch die Netzkultur erweist sich als schwer darstellbar, die Laptops und Beamer-Bilder überzeugen nicht wirklich. Auch Anonymous taucht nur andeutungsweise auf dem Schirm von >Assassinate Assange< auf: Projizierte Satzschnipsel „we will not forget“, „expect us“. Doch alles bleibt sehr resigniert und pessimistisch –übrigens ganz im Gegensatz zur Stimmung auf dem Netzkultur-Kongress in der Kampnagelfabrik, in dessen Rahmen gespielt wurde. Dort wurden Websites und Blogger im Dienste politischer Proteste gezeigt und organisiert –zur Abwehr der Angriffe von Finanzmächten auf die Völker und ihre Sozialsysteme, von Athen bis Tunis.
Vielleicht sind die neuen „Netizen“ des Internet doch nicht so orientierungslos, wie die strahlenkranke Meeresschildkröte aus der Eingangssequenz des Theaterstückes. Und viele Menschen entwickeln heute neue Hoffnungen und Utopien: Wenn sich 10.000 Schildkröten genau zum richtigen Zeitpunkt in das Ruder eines Atom-U-Bootes verbeißen –vielleicht können sie es auf einen Eisberg laufen lassen. Später wurde das Stück (in variierter Version) in Wien aufgeführt. Angebliche „Feministinnen“ hatte die Medienhetze besinnungslos übernommen und „Vergewaltiger“ an die Theatertür gesprayt, der notorische Wiener Standard brachte eine maue WischiWaschi-Theaterkritik, immerhin kein völliger Verriss. N.A.
Premiere von „Assassinate Assange“ war am 27.09.2012 in Hamburg, Kampnagelfabrik, im Rahmen der Nerd-Tagung #vernetzt – Zukunftscamp 2012
Julian Assange und Wikileaks als Kulturphänomen des 21.Jahrhunderts
Orientierungslos: Theaterstück „Assassinate Assange“ gescheiter als der Mythos Assange
https://jasminrevolution.wordpress.com/2012/10/01/orientierungslos-theaterstuck-assassinate-assange-scheitert-am-mythos-assange/
Propaganda-Meisterwerk: WikiLeaks – Geheimnisse und Lügen
https://jasminrevolution.wordpress.com/2012/04/01/guardian-versus-wikileaks-wikileaks-geheimnisse-und-lugen/
Schlag ins Gesicht: Sherlock Holmes meets Wikileaks
https://jasminrevolution.wordpress.com/2013/05/09/schlag-ins-gesicht-sherlock-holmes-meets-wikileaks/
Anti-Piraten-Verschwörung? Wikileaks-Kinofilm „The 5th Estate“ verzögert
https://jasminrevolution.wordpress.com/2013/09/23/anti-piraten-verschworung-wikileaks-kinofilm-the-5th-estate-verzogert/
Wikileaks-Spielfilm: Bertelsmann hetzt weiter gegen Assange
https://jasminrevolution.wordpress.com/2013/02/03/wikileaks-spielfilm-bertelsmann-hetzt-weiter-gegen-assange/
Filmkritik: „WikiLeaks Geheimnisse und Lügen“
https://jasminrevolution.wordpress.com/2012/09/11/wikileaks-geheimnisse-und-lugen/
Tagessschau, Süddeutsche, Spiegel: Diskreditierung von Wikileaks
https://jasminrevolution.wordpress.com/2011/09/22/tagessschau-suddeutsche-spiegel-diskreditierung-von-wikileaks/
DLF und ARD: Qualitätslügen vom Lügenfunk?
https://jasminrevolution.wordpress.com/2016/02/06/dlf-und-ard-qualitatslugen-vom-lugenfunk/
Urheberrecht
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Grafikquellen :
Oben — Londres (Reino Unido), 18 de Agosto 2014, Canciller Ricardo Patiño y Julian Assange ofrecieron una rueda de prensa con presencia de medios internacionales. Foto: David G Silvers. Cancillería del Ecuador.
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Unten — Rassemblement en soutien à Julian Assange au siège du journal Le Monde (Paris – 80, boulevard Auguste-Blanqui).