Erstellt von Redaktion am 2. März 2020
— mental minderbemittelt?
Von Franz Witsch
Wird es denn immer schlimmer? Es ist nicht zu glauben, was uns Politiker an Grausamkeiten einmal mehr zumuten: Die Türkei ruft die Nato zu Hilfe gegen Syrien und russische Luftwaffe, die zum Leidwesen der türkischen Armee die Lufthoheit über Idlib hat; und unser Außenminister Heiko Maas, an Einfalt nicht mehr zu überbieten, hat nichts anderes zu tun, als zeitgleich verlauten zu lassen, Russen und Syrern in ihrem Bestreben, die Türkei aus Idlib zu vertreiben, Kriegsverbrechen vorzuwerfen. Spiegel Online zufolge habe Maas “die Angriffe der syrischen Regierungstruppen und Russlands auf die Zivilbevölkerung in der umkämpften Provinz Idlib als Kriegsverbrechen gebrandmarkt und Konsequenzen gefordert” (Sp01).
Wer ein bisschen Fantasie besitzt, der ergänzt Maas‘ Äußerungen im Hinblick auf Konsequenzen dahingehend, dass man dem Bösen schlechthin Einhalt gebieten müsse, indem man Konsequenzen ziehe. Was könnte er damit meinen? Dass ein Krieg gegen Assad gerechtfertigt sei, ggf. zu verlängern? Mit der Aussicht auf weitere Kriegsverbrechen, die er angeblich vermeiden will? Indem er Wiederaufbauhilfen für Syrien ausschließt, die vornehmlich der Zivilbevölkerung zugutekommen würden? Man weiß es nicht genau; weil er mit seinen Äußerungen im Allgemeinen verharrt.
Konkreter wird er, wenn es um Aufrüstung im Kontext einer sogenannten europäischen Sicherheitspartnerschaft geht, mit der er die USA im Bündnis halten möchte. Sicherheit vor wem? Vor den Russen? Die betreiben seit der Wende eine Politik mit dem Rücken zur Wand. Imperialismus im eigentlichen Sinne betreibt der Westen, indem er Regime, die nicht spuren, stürzt, vornehmlich die USA und die EU schmiegt sich dieser Politik an, wiewohl auf der Hand liegt, dass die USA die europäische Wirtschaft schwächen möchte, um die ihre zu stärken; indem sie die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen EU auf der einen und Russland (Stichwort: Nordstream 2) und China (Stichwort: Huawei, G5-Netz) auf der anderen Seite torpedieren; indem sie von der EU verlangen, Nordstream 2 zu stoppen; mal eben so 10 Milliarden Euro in den Sand zu setzen. Und die Grünen haben nichts anderes zu tun, mit dem Hinweis auf ökologische Unverträglichkeiten (Unsinns-Investitionen) den USA beizustehen. Noch dazu zusammen mit der geballten Macht der veröffentlichten Meinung.
Man will ganz offensichtlich die De-Industrialisierung vor allem Deutschlands. Das könnte man auch mir vorwerfen, wenn ich von Unsinns-Produktionen spreche, die uns alle und die Natur belasten. Man kann sie freilich nicht einstellen, ohne gleichzeitig den Kapitalismus abzuschaffen. Das zu machen, wäre unverantwortlich und würde obendrein den politischen Einfluss der AfD beflügeln. Will man das?
Langer Rede kurzer Sinn: es sind hier Gedanken formuliert, mit denen Maas seinen Geist nicht ankränkeln möchte. Lieber ergeht er sich in Gemeinplätzen, die er brav nachplappert. Und nennt das dann Politik. So, wenn er von Kriegsverbrechen der Russen und Syrer spricht. Eine Plattitüde, die sich aus dem Krieg ergibt und zu nichts führt, weil sie der Krieg mit sich bringt. Schon vergessen? Amerikaner begehen Kriegsverbrechen, indem sie ganz bewusst Zivilisten aus der Luft abknallen, nachgewiesenermaßen. Dass wir davon wissen, verdanken wir Julian Assange. Dass er jahrelang psychisch gefoltert wird, dazu fällt Heiko Maas nichts ein. Hier könnte er die Ebene der Allgemeinplätze verlassen und konkreter werden. Macht er nicht. So etwas könnte man als Begünstigung von Mord und Totschlag oder zumindest als unterlassende Hilfeleistung deuten.
Und in der Tat transportiert Maas wie die meisten Politiker, Grüne eingeschlossen, eine Mentalität der Gewalt. Zuletzt mit seinen Äußerungen zum Syrienkrieg. Sie laufen darauf hinaus, dass man das Böse in Gestalt von Assad nur mit Hilfe des weltweit stärksten Militärbündnisses, der Nato, loswerden könne. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. In Syrien würde man mittlerweile, sollte die Nato der Türkei in ihrem Kampf gegen Assad militärisch zu Hilfe eilen, einen unmittelbaren Konflikt zwischen Russland und Nato riskieren. Noch hält sich die Nato bedeckt, was militärische Hilfe betrifft. Doch wie lange noch? Zumindest steht der Ausdruck “Hilfe für die Türkei, ihr zur Seite stehen wollen” schon mal im Raum. Zu vergleichen mit der Situation vor dem Ersten Weltkrieg, als Deutschland, den Österreichern in Nibelungentreue ergeben, militärischen Beistand garantierte gegen Serbien und Russland; zur Freude allzeit gewaltbereiter Militärs vor allem in Frankreich und Russland; in England nicht weniger, wenn auch verhohlen.
So nahmen die Dinge damals, wie wir heute wissen, beinahe zwangsläufig ihren Lauf in die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts, wenn man bedenkt, dass der Zweite Weltkrieg auch mitverursacht wurde von traumatisierenden Erfahrungen der europäischen Bevölkerung, unfähig, Kriegserfahrungen sozialverträglich zu verarbeiten, weil es damals allgemein üblich war, in den Kategorien der Gewalt zu fühlen, durch sie hindurch sein Innenleben sowie äußere soziale Strukturen zu gestalten. Das gilt nicht nur für Deutsche, sondern für Engländer, Franzosen, Russen und Amis gleichermaßen. So etwas schließt “wirkliche” Verständigung aus.
Hinzu kam, sie alle waren nach der Machtergreifung der Nazis bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs unfähig, sich klar gegen die deutsche Aufrüstung und die wachsende Hetze gegen Juden und andere Minderheiten zu positionieren. Anlässe dazu gab es genug schon gleich nach der Machtergreifung: mit dem Ermächtigungsgesetz und dem Röhm-Putsch. Überdies war man die ganzen Jahre vor Beginn des Krieges außerstande, sich mit Russland gegen Hitler zu verständigen; was die Russen in den Nicht-Angriffs-Pakt mit Hitler trieb; um nicht zu sagen; der Westen politisierte die Welt geradezu in den Krieg hinein. Doch nicht etwa, weil man ihn klammheimlich wollte? Das ginge ja noch an; schließlich war das Kind in Deutschland in den Brunnen gefallen; spätestens nach den Nürnbergern Rassengesetzen gegen die Juden im Jahre 1935 war der Krieg sehr whrscheinlich nicht mehr zu vermeiden. Ab wann ist er heute nicht mehr zu vermeiden? Wie lange will der Westen islamistische Gotteskrieger noch gegen Assad instrumentalisieren? Er will sich nicht vorstellen, dass das vorhersehbar schief gehen muss, so wie das schon in Afghanistan gegen die Russen schief ging.
Nun, Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn als Farce (Marx). Dabei kommt noch etwas hinzu: Die Politik sagt Tag für Tag ganz konkret, was sie will: der Aufrüstung, angeblich zu unser aller Sicherheit, nicht in die Parade fahren, obwohl diese immer abstrusere Ideen umsetzt: Es ist unglaublich, dass heute, angesichts des atomaren Zerstörungspotentials, Militärs und Rüstungsindustrie vornehmlich in den USA immer noch bestrebt sind, militärtechnische Voraussetzungen zu schaffen, die es gestatten, einen Atomkrieg führbar zu machen; um ihn irgendwann auch tatsächlich einmal zu führen? Natürlich, wozu ihn sonst führbar machen wollen?
Nun, das ultimativ Böse legen sie sich dafür vorsorglich schon mal zurecht: den Russen-Feind und sein Eingreifen in Syrien. Wandel durch Annäherung, mithin Verständigung zwecklos; so will man den Russen haben, und die deutsche Außenpolitik tut alles, dass es mit kleinen Bausteinchen auf dem Weg zum Krieg zwischen Ost und West weitergeht. Syrien ist so ein lang angelegter Baustein; er muss gar nicht bewusst geplant sein; es reicht, wenn sich am Ende alles wie von selbst zusammenfügt zu einem Ganzen, sodass es scheinen mag, als läge diesem Ganzen tatsächlich ein menschlicher Wille zugrunde. Es bedarf keiner Verschwörung, damit sich einzelne Bausteine hin zu einem umfassenderen militärischen Konflikt zwischen Ost und West fügen; das mag immer nur im Nachhinein als wie geplant so scheinen. Es von vornherein zu planen – dazu ist Maas auch schlichtweg zu einfältig. Der kann sich nicht vorstellen, dass die türkische Syrien-Invasion sich schon seit Jahren ohne jede Verschwörung aufdrängt unter dem Deckmantel des Kampfes gegen angeblichen PKK-Terror und nunmehr auch gegen Assad.
Mit dieser Politik droht Erdogan nunmehr zu scheitern (vgl. ZOnl). Deshalb bittet er mit dem Rücken zur Wand die Nato, der Türkei in Syrien beizustehen – militärisch, versteht sich, wenigstens mit einer Flugverbotszone über Idlib, um die russische Luftwaffe auszuschalten, gegen die die türkischen Bodentruppen keine Chance haben.
Noch ziert man sich im Nato-Rat. Fragt sich, wie lange noch? Jedenfalls stehen Flugverbotszone und der Ruf nach dem Nato-Bündnisfall schon mal im Raum. Dass Erdogan der Angreifer ist, wen interessiert das in diesem Zusammenhang angesichts dessen, dass man gegen Assad, das Böse schlechthin, Krieg führen muss. Vielleicht ja ein Baustein mehr, auf den kriegslüsterne Nato-Militärs gewartet haben, klammheimlich. Dass Heiko Maas an diesen Bausteinen mitbastelt, indem er das Unvermeidliche der Amis nachplappert, kann und will er sich nicht vorstellen.
Maas will einfach nicht wissen, dass es skrupellose Militärs geben könnte. Schließlich sind sie für unsere Sicherheit zuständig. Es steht zu befürchten, dass er einfältig genug ist, um das für wahrscheinlich zu halten. Allein seine beim Sprechen beständig auf und zu blinzelnden Augen verraten Unsicherheit, lassen vermuten, dass er, ohne jede Menschenkenntnis, sich in seiner Haut nicht besonders wohl fühlt. Als fühlte er, dass Militärs gemeingefährlich ticken; des Weiteren dass viele von ihnen erpicht auf militärische Auseinandersetzungen sein könnten. Anzeichen dafür gäbe es zuhauf. Schließlich rüstet man seit Jahren auf mit dem Ziel, einen Atomkrieg führbar zu machen; dazu gehört es, diesen auch irgendwann mal zu erproben. Dafür eignete sich am besten ein Nato-Bündnisfall. Das alles mag in Maas unangenehme Gefühle auslösen, die er freilich, noch bevor sie richtig in sein Bewusstsein dringen, umwandelt in rührselige Gefühle, die sich prächtig in seine human motivierten Äußerungen gegen das Böse schlechthin projizieren lassen, ein kleiner, aber durchaus nachvollziehbarer Baustein auf dem Weg hin zum Krieg mit der Türkei gegen Russland auf syrischem Boden. Bislang ist der Weg noch etwas steinig, doch durchaus nicht unmöglich zu beschreiten dank solcher Typen wie Maas.
Nun darf man durchaus der Meinung sein, dass Russen und das syrische Regime Kriegsverbrechen verüben, wenn sie Idlib bombardieren. Allein ist es dennoch unverantwortlich, diese Meinung im Sinne der Militärs zu instrumentalisieren, indem man dazu beiträgt, einen Nato-Bündnisfall gegen Russland ein Stück wahrscheinlicher werden zu lassen. Exakt das ist für mich das eigentliche Verbrechen. Auch wenn Maas nicht kapieren muss, was er da eigentlich macht. Das tat aber auch Arthur Neville Chamberlain nicht, als er mit Hitler einen Frieden aushandeln wollte, während er den böse Russen als Bündnispartner gegen die Nazis ignorierte, geschweige denn Polen zu bewegen, dass sie im Falle eines Krieges russische Truppen durch polnisches Gebiet ziehen zu lassen. Die Polen wollten unter keinen Umständen, dass Russen polnisches Land betreten.
Worin genau besteht nun das eigentliche, tiefergehende Verbrechen? Vielleicht ja darin, den moralisch nachvollziehbaren Satz, Russland und Syrien begehen mit ihren militärischen Einsätzen zur Rückeroberung Idlibs ein Kriegsverbrechen, isoliert im öffentlichen Raum stehen zu lassen, um zu bedeuten (ohne es auszusprechen), dass der Satz schon für sich allein militärische Einsätze legitimiere. Nur dass man so die Kuh nicht vom Eis bekommt. Das gelänge nur, wenn Maas diesen Satz dergestalt ergänzen würde, dass er Erdogan unmissverständlich zu verstehen gibt, dass militärische Hilfe der Nato für die Türkei durch nichts zu begründen ist, geschweige denn, dass der Nato-Bündnisfall auch nur im Geringsten gerechtfertigt wäre.
Überdies hätte man Erdogan unmissverständlich zu verstehen geben müssen, dass man sich von ihm nicht unter Druck setzen zu lassen würde dadurch, dass er Flüchtlinge massenhaft nach Europa durch die Türkei ziehen lässt. Die werden ohnehin kommen, solange der Westen sich mit den Russen nicht konsequent auf ein Ende des Syrien-Krieges verständigt hat; es sieht nicht so aus, dass er das will, übrigens einmal mehr zur Freude der AfD. Vor allem die USA wollen sich ums Verrecken nicht verständigen, weil sie Europa wirtschaftlich schwächen wollen.
Dabei könnte der Konflikt ganz schnell beendet werden: Wenn man Erdogan nur endlich im Regen stehen ließe; mit dem zusätzlichen Satz, dass die Nato der Türkei keinesfalls militärisch helfen werde, hätte Maas – nicht gerade zur Freude der USA – Fakten schaffen können gegen die imperialen Anwandlungen der Türkei in Syrien. Das ist ganz besonders wichtig, wenn man bedenkt, wie leichtfertig der Bündnisfall zustande kommen kann und auch schon zustande gekommen ist nach den Anschlägen auf das World-Trade-Center am 11. Sept. 2001. Dieses Ereignis nahm man im Nato-Rat zum Anlass, den Bündnisfall gegen Taliban und al-Qaida auszurufen, weil diese die USA angegriffen hätten und weitere Angriffe den Geheimdiensten zufolge angeblich bevor stünden. Und alle Politiker machten paralysiert, geradezu wie traumatisiert mit; unfähig in der Öffentlichkeit im Vorfeld des Afghanistan-Kriegs gegen diesen Krieg Fakten zu schaffen. Indem man wie später im Falle des Irak-Krieges sagt: nicht mit uns.
Man merkt auch nicht, dass jene mentale Disposition, im Innenleben schlummernde Gewaltpotentiale immer wieder auszuleben, und sei es unter dem Deckmantel rührseliger Gefühle für mögliche und tatsächliche Opfer, mittlerweile zur Normalität geronnen ist (zur Normalisierung der Störung vgl. DPB). In dieser mentalen Disposition einer Normalisierung der Störung sprechen Politiker wie paralysiert aneinander vorbei, zur nachhaltige Verständigung vollkommen unfähig, wiewohl sie das Wort Verständigung unentwegt verwenden, als verstünden sie seine Bedeutung schon deswegen, weil sie es verwenden. Tatsächlich murmeln sie ohne Sinn und Verstand aneinander vorbei, und zwar weil sie vornehmlich in Kontradiktion zur eigentlichen Bedeutung des Wortes “Verständigung” in (imperialen) Kategorien der (militärischen) Gewalt denken.
Um es kurz zu sagen: die meisten Politiker merken nicht, dass sie mental ein Gewaltproblem mit (bzw. in sich) herumschleppen. Ohne diese psychische Disposition wäre es zu all den Kriegen in Afghanistan, Irak, Syrien etc. eher nicht gekommen. Sicher, Assad wäre sehr wahrscheinlich an der Macht geblieben, sicher auch mit äußerst unangemessener Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, aber eben sehr wahrscheinlich mit weit weniger grausamen Folgen als wir sie heute in Syrien, im Irak oder in Afghanistan sehen. Warum diese Zusammenhänge nicht öffentlich kommunizieren? Weil sie der Wahrheit vielleicht nahe kommen könnten. Das würde sich erst in einer Debatte erweisen. Die würde den Amis allerdings nicht besonders schmecken. Ganz schön feige, die veröffentlichte Meinung.
Dabei wäre mehr Mut angebracht, sind wir heute, so steht zu befürchten, doch noch lange nicht am Ende der Fahnenstange angelangt, was die grausamen Folgen einer feigen Politik betrifft. Das Problem: man ist einfach unfähig, sich gegen Gewalt zu positionieren, weil man das eigene Gewaltpotential in sich als nicht existent ge-wahrt, wiewohl es, um es zu bemerken, durchaus Anzeichen und mit diesen erste Ansätze geben könnte, die sich ausbauen ließen, wenn man jene Anzeichen nur gewahrte und nicht verleugnete/verdrängte: Schon vergessen? EU-Spitzenpolitiker warnten schon im Oktober 2019 vor den Gefahren einer türkischen Invasion (vgl. Ts01)? Weil sie die Ausrufung des Nato-Bündnisfalles gegen Syrien und Russland nach sich ziehen könnte – allerdings unter der Voraussetzung, dass die Türkei auf türkischem Gebiet angegriffen werde; was doch wohl immer sehr unwahrscheinlich war und auch heute noch ist.
Wie dem auch sei, heute, ein halbes Jahr später, dünnen diese Ansätze einer etwas realistischeren Betrachtung aus, als ginge es vor einem halben Jahr nur darum das Wort “Nato-Bündnis-Fall in den öffentlichen Raum zu werfen, damit ihn einfältige Journalisten aufschnappen, um sie für imperialen Zwecke zu verwenden. Heute reicht es denn schon, dass das syrische Regime die Türkei auf syrischem Hoheitsgebiet angreift; um Überlegungen anzustellen, wie man der Türkei am besten – wenn auch vorerst noch nicht militärisch –helfen könne. Laut Bild.de forderte der einflussreiche US-Senator Lindsey Graham “angesichts der Eskalation eine Flugverbotszone in Idlib.” Und richtete einen diesbezüglichen Appell an US-Präsident Donald Trump und die internationale Gemeinschaft, “um Tausende unschuldige Männer, Frauen und Kinder vor einem schrecklichen Tod zu retten.” Und siehe da – man prüft “Optionen, wie der Türkei geholfen werden kann”, so jedenfalls “ein Sprecher des US-Außenministeriums. Man stehe zum Nato-Verbündeten Türkei und fordere einen sofortigen Stopp der verabscheuungswürdigen Offensive des Assad-Regimes, Russlands und der vom Iran unterstützten Streitkräfte” (vgl. Bld01).
Dem will sich Maas ganz offensichtlich mit seinen Äußerungen nicht verweigern, die auf eine Achse des Bösen “Russland-Syrien-Iran” zielen, der man mit Hilfen für die Türkei entgegentreten müsse, und sei es vielleicht vorerst nur mit einer Flugverbotszone über Idlib, dazu angetan, den Krieg in die Länge zu ziehen. Das mit der Flugverbotszone sagt Maas nicht. Muss er auch nicht. Darauf hinauslaufen könnten seine Äußerungen aber schon. Zumal die sonstige Mainstreampresse sich nicht mehr klar gegen die imperialen Anwandlungen der Türkei positioniert, weil ihnen die Angst auf die Pelle rückt, Erdogan könnte Millionen von Flüchtlingen auf den Weg nach Europa schicken. Das wird er tun müssen, unabhängig davon, wie klar man sich ihm gegenüber äußert; denn dem Tagesspiegel zufolge stehe die Türkei in ihrem Syrien-Einsatz “vor einem Desaster” (vgl. TaS01), der Millionen von Flüchtlingen hervorbringen wird.
Die können in der Tat nicht alle in der Türkei bleiben. Das interessiert Erdogan nicht. Er will sie möglichst zahlreich, um im Syrien-Konflikt nicht als Verlierer dazustehen; deshalb will er zumindest die Flugverbotszone mit der Flüchtlingskeule erzwingen. Eine leere Drohung, weil die Flüchtlinge nach Europa kommen werden, solange der Krieg in Syrien – unter anderem mit Hilfe einer Flugverbotszone – zu keinem Ende kommt. Und er wird erst recht zu keinem Ende kommen, wenn es Erdogan mit seiner Drohung auch noch gelingt, den Westen zum Eingreifen über die Nato zu bewegen. Das wäre dann der Worst Case.
In der Tat düstere Aussichten, zu denen dem “Spiegel” auch viel einfällt. Angebracht wäre es, sich endlich klar gegen Erdogan zu äußern, v.a. jetzt gerade gegen die türkische Eroberungspolitik; anstatt von ihr abzulenken, indem man auf unmenschliche Luftangriffe der Russen verweist. Warum kapiert man nicht endlich, dass die Verurteilung der Russen und Syrer keine Hilfe für die Türkei rechtfertigt. Das muss man endlich mal klar sagen unabhängig davon, was man von Assad und Putin halten mag. Man muss sie wirklich nicht mögen, und ich mag sie mit Sicherheit auch nicht.
Statt klarer Aussagen windet sich die westliche Presse wie ein Wurm – wiewohl die islamistischen Gotteskrieger mit oder ohne Türkei ohnehin und Gott sei Dank keine Chance mehr haben, sich länger in Syrien zu halten. Zu befürchten ist, dass die Öffentlichkeit (ZDF, ARD, Tagespresse) das nicht wahrhaben will und damit das Leiden der Zivilbevölkerung unnötig verlängert, das sie dann Russen und Syrern einmal mehr anlasten können, bis sie früher oder später vielleicht bereit sind, den Nato-Bündnisfall gegen Syrien und Russland zu rechtfertigen; und damit, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, einen Weltkrieg riskieren. Zur Freude unserer Militärs.
Quellen:
Bld01: 33 Erdogan-Soldaten bei Luftangriff getötet. Türkei verlangt Nato-Hilfe im Syrien-Krieg. Bild.de vom 28.02.2020
https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/medienbericht-tuerkei-erlaubt-fluechtlingen-weiterreise-nach-europa-69088612.bild.html
DPB: Franz Witsch, Die Politisierung des Bürgers. Erster Teil: Zum Begriff der Teilhabe, Norderstedt 2015, erstmals erschienen 2009
Sp01: Syrienkrieg: Maas wirft Russland und Assad-Regime Kriegsverbrechen vor. Spiegel Online vom 27.02.2020
https://www.spiegel.de/politik/ausland/maas-wirft-russland-und-assad-regime-kriegsverbrechen-vor-a-864c19aa-b7ab-4d25-af33-dd3e5ea4f148
Ts01: Kämpfe in Nordsyrien: Die Sorge vor dem NATO-Bündnisfall
tagesschau.de vom 14.10.2019
https://www.tagesschau.de/ausland/tuerkei-syrien-nato-105.html
TaS01: Türkei lässt Syrer zur EU-Grenze reisen. Ziel Stuttgart – Flüchtlinge brechen Richtung Europa auf. TPs vom 29.02.2020. von Susanne Güsten
https://www.tagesspiegel.de/politik/tuerkei-laesst-syrer-zur-eu-grenze-reisen-ziel-stuttgart-fluechtlinge-brechen-richtung-europa-auf/25592528.html
ZOnl: Idlib: Der türkische Bluff ist aufgeflogen. Zeit Online vom 28.02.2020. Von Lea Frehse
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-02/idlib-syrien-tuerkei-recep-tayyip-erdogan-wladimir-putin-russland-fluechtlinge
ergänzende Quellen:
Syrien: Russland rechtfertigt tödlichen Luftangriff auf türkische Soldaten. Spiegel Online vom 28.02.2020.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-russland-rechtfertigt-toedlichen-luftangriff-auf-tuerkische-soldaten-a-3aacb352-c517-4c22-9312-14708a232896
Nato stellt sich hinter die Türkei. Telepolis vom 28.02.2020. Von Florian Rötzer. https://heise.de/-4671273
Idlib: Die Türkei eskaliert. Telepolis vom 28.02.2020. Von Thomas Pany.
https://heise.de/-4671226
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Grafikquellen :
Oben — Heiko Maas (SPD; Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz) beim Wahlabend zur Landtagswahl im Saarland