Tod im Dschungelheim
Erstellt von Redaktion am 4. August 2019
Eine Frau verschwindet spurlos.
Aus Berlin und Hohenleipisch Malene Gürgen
Eine Frau verschwindet spurlos. Ihr Skelett wird zwei Monate später im Wald gefunden. Haben die Behörden so lange gebraucht, weil sie Asylbewerberin und keine Weiße war?
s ist still in der Asylunterkunft Hohenleipisch. Nur wenige Menschen sind auf dem weitläufigen Gelände zwischen den ehemaligen Militärkasernen unterwegs. Kiefernkegel knacken unter den Füßen, es riecht nach Harz und warmem Boden. Zwei Männer sitzen auf einer Bank, ohne sich zu unterhalten. Obwohl es noch nicht Mittag ist, hat sich die Hitze schon ausgebreitet, die Hitze und die Stille. Und die Angst.
„Wir fürchten uns alle“, sagt eine junge Frau, die ihr kleines Kind auf dem Arm hält. Ihr Name solle nicht in der Zeitung stehen, sagt sie, so wie viele weitere Menschen, die in diesem Text vorkommen werden. „Wir wissen nicht, was passiert ist, und ob es wieder passieren wird. Es war hier vorher schon schlimm, aber es ist alles noch viel schlimmer geworden, seit Rita weg ist.“
Rita Awour Ojungé verschwand am 7. April aus der Asylunterkunft Hohenleipisch. Die Unterkunft liegt mitten im Wald an einer wenig befahrenen Landstraße. Weil die 32-Jährige weder ihre beiden kleinen Kinder noch eine Tasche, persönliche Gegenstände, Kleidung oder ihre Bankkarte mitgenommen hatte, befürchteten ihre Freunde und Angehörigen sofort ein Verbrechen. Als die Polizei zum ersten Mal den Wald um die Unterkunft herum durchsucht, findet sie Überreste eines menschlichen Skeletts. Es ist das von Ojungé. Ihr Verschwinden ist zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als zwei Monate her.
Es dauert zwei Wochen, bis die gefundenen Skelettreste identifiziert sind. Ein Schädel, Knochen, Brandspuren. „Warum hat man sie erst so spät gefunden?“, fragt die junge Frau mit dem Kind auf dem Arm.
Knapp drei Kilometer sind es von der Unterkunft bis zum Bahnhof Hohenleipisch, wo alle zwei Stunden ein Zug die 150 Kilometer nach Berlin fährt. Wir sind im südlichsten Teil von Brandenburg.
Ein Mann joggt hier in der Morgensonne die steile Bahnhofstreppe hoch und runter, der Schweiß läuft ihm über das Gesicht. Hoch, durchatmen, runter, durchatmen, hoch. Auch dieser Mann will nicht, dass sein Name öffentlich wird, nennen wir ihn Jules Ngeko. Ngeko, ein großer, sportlicher Mann, war Ojungés Lebensgefährte seit 2012. Kennengelernt haben sie sich in der Erstaufnahmestelle Eisenhüttenstadt. Sie kam aus Kenia, er aus Kamerun, beide wollten in Deutschland bleiben. Sie wurden ein Paar, bekamen zwei Kinder, führten eine Fernbeziehung: Ojungé, deren Asylantrag abgelehnt wurde, blieb mit den Kindern in Hohenleipisch. Ngeko, der Aufenthalt bekam und arbeiten gehen durfte, zog nach Berlin.
Ngeko sagt, er habe Rita am 7. April angerufen, ein Sonntag, doch sie sei kurz angebunden gewesen, habe gestresst geklungen. Er solle in zehn Minuten wieder anrufen. Als er das versucht, wird der Anruf weggedrückt. Beim nächsten Versuch ist das Handy aus.
Ngeko versucht immer wieder, sie zu erreichen, am Sonntag, den ganzen Montag. Am Montag ruft jemand aus der Unterkunft an: Rita sei verschwunden, die Kinder habe sie zurückgelassen. Dienstagmorgen nimmt Ngeko den ersten Zug nach Hohenleipisch. Dort habe er seine beiden Kinder in der Obhut eines Mannes getroffen, den er kennt: der Zimmernachbar von Ojungé, ein Mann aus Nigeria. Rita sei nach Berlin gefahren, habe der ihm gesagt. Sie habe ihn gebeten, auf die Kinder aufzupassen. Ngeko habe ihm kein Wort geglaubt. „Ich wusste, dass Rita niemals ohne ihre Kinder und ihre Sachen wegfahren würde.“ Sein 4-jähriger Sohn habe ihm erzählt, dass der Zimmernachbar Rita bedroht, geschlagen und weggeschleppt habe.
Es ist nicht geklärt, wie Rita Ojungé verschwunden ist und wie sie getötet wurde. Die Ermittlungen dauern an. Auch dieser Artikel kann nur Puzzleteile zusammensetzen und muss dabei auf Schilderungen von Menschen zurückgreifen, bei denen nicht immer klar ist, wie verwickelt sie sind.
Eins dieser Puzzleteile: Was war Ojungé für ein Mensch? Eine Dame sei sie gewesen, sagt ihre ältere Schwester, die seit Jahren in Berlin wohnt. Sie habe auf ihr Äußeres geachtet. Nie wäre sie ohne Handtasche rausgegangen. Ihre Kinder seien ihr das Wichtigste gewesen. „Rita war immer sehr gut organisiert“, sagt die Schwester. Dieselbe Formulierung verwendet die junge Mutter aus dem Heim, die Ojungé als beste Freundin bezeichnet. Alle, die Ojungé kannten und mit denen die taz spricht, sind sich einig: Rita Ojungé wäre niemals einfach so verschwunden.
Am 9. April gibt Jules Ngeko eine Vermisstenanzeige bei der Polizei auf. Er sagt den Beamten, dass er glaubt, dass die Geschichte, Rita sei nach Berlin gefahren, nicht stimmen kann. Er sagt ihnen auch, dass er glaubt, Ritas Zimmernachbar, dem sie angeblich die Kinder übergeben hatte, könne etwas mit ihrem Verschwinden zu tun haben.
Ojungé und der Zimmernachbar haben eine Vorgeschichte, auch das erzählen ihre Freunde und Angehörigen übereinstimmend. „Er hatte zwei Gesichter“, sagt die Freundin aus dem Heim, nennen wir sie Angelina Wakaba. „Er war oft aggressiv, hat getobt, und dann hat er wieder geweint, um Entschuldigung gebettelt.“ Er sei Ojungé gegenüber immer wieder ausfallend geworden. Einmal, im letzten Herbst, sei er völlig ausgerastet, habe ihre Sachen durch die Gegend geworfen. Rita habe daraufhin der Heimleitung gesagt, sie könne nicht mehr mit ihren Kindern neben diesem Mann leben, er bedrohe sie immer wieder, müsse verlegt werden. „Die Heimleitung hat nichts gemacht, gar nichts“, sagt Wakaba. Auf eine taz-Anfrage antwortet der Betreiber des Heims, „aus datenschutzrechtlichen Gründen und auch im Hinblick auf die Ermittlungsarbeit der Polizei“ werde man keine „Aussagen zu Personen und eventuellen Beziehungen treffen“.
Jules Ngeko kann die beiden Kinder nicht einfach mit nach Berlin nehmen. Zu diesem Zeitpunkt hat er nur für eines von beiden das Sorgerecht. Wochenlang muss er mit den Kindern in der Unterkunft wohnen, mitten im Wald, da, wo der Mann lebt, den er und die Kinder verdächtigen, Rita Ojungé verschleppt, vielleicht sogar ermordet zu haben.
Eine Woche nachdem Ngeko die Vermisstenanzeige aufgegeben hat, durchsucht die Polizei das Gelände der Unterkunft, befragt einige Bewohner. Auch Ngeko wird erneut vernommen. Danach hört er nichts mehr von der Polizei. Polizisten tauchen bei Ojungés Schwester in Berlin auf, wollen wissen, ob Ojungé dort ist. Die Tage vergehen, Rita Ojungé bleibt verschwunden.
Ende April wendet sich Ngeko an die Opferperspektive, einen Brandenburger Verein in Potsdam, der Opfer rechter und rassistischer Gewalt berät. Die Geschichte, die er erzählt, passt eigentlich nicht zum Aufgabenprofil des Vereins. Doch der Fall klingt so dramatisch, dass er den Fall trotzdem annimmt.
Am nächsten Tag telefoniert der Vereinsmitarbeiter Hannes Püschel mit der zuständigen Polizeiinspektion und gibt weiter, was Ngeko ihm erzählt hat, darunter auch eine neue Information: Der 4-Järige habe mittlerweile auch erzählt, dass der Mann, der seine Mutter geschlagen habe, ihr das Handy weggenommen habe. Der Berater bittet darum, dass der Junge erneut vernommen wird, von einem psychologisch geschulten Beamten. Der Polizist sagt, er werde das selbst machen, er habe auch Kinder und wisse, wie man mit denen reden müsse.
Bei einem erneuten Anruf wird Püschel an die übergeordnete Polizeidirektion in Cottbus verwiesen, wo niemand zuständig sein will. Am 8. Mai, Ojungé ist über einen Monat verschwunden, bittet die Opferperspektive die Brandenburger Polizeiführung, die Ermittlungen zu intensivieren. Am Tag darauf bekommt Püschel ein Fax der Polizeiinspektion Elbe-Elster. „Im Fall des Verschwindens der Rita Ojungé ergaben sich bisher keine Hinweise auf das Vorliegen einer Straftat, demzufolge wird derzeit nicht wegen des Verdachtes einer Straftat ermittelt“, steht darin. Das Verfahren werde als Vermisstenvorgang geführt.
Am 10. Mai stellt die Opferperspektive Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Cottbus. Am 17. Mai wird bestätigt, dass der Fall nun ein Aktenzeichen habe. Weitere Nachfragen von Püschel bleiben unbeantwortet.
Dass die Ermittlungsbehörden im südlichen Brandenburg überlastet sind, ist ein offenes Geheimnis. 2015 thematisiert eine kleine Anfrage der CDU-Fraktion im Landtag die Überforderung der Staatsanwaltschaft Cottbus sowie der Polizeidirektion Süd. Mitte Mai wurden bei einem Doppelmord in der östlich von Cottbus gelegenen Stadt Forst zwei Menschen erschossen, bei denen es sich um Mitglieder einer montenegrischen Mafia gehandelt haben soll, es gibt auch Spekulationen, dass einer der Männer Informant des Bundeskriminalamts war. Es ist vorstellbar, dass so ein Fall viele Ressourcen der Ermittlungsbehörden bindet.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Luftmunitionsanstalt Hohenleipisch / Muna Hohenleipisch…
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