Volles Rohr gegen TAP
Erstellt von Redaktion am 8. Dezember 2018
70 Bauern protestieren gegen den Rest der EU
Aus Kavala und Korca Lena von Holt
In Südeuropa baut die Europäische Union an ihrem größten Bauwerk: einer Pipeline. Sie will damit ein wenig unabhängiger von russischem Gas werden. Was sind dagegen schon ein paar Felder, auf denen der Mais nicht mehr richtig wächst? Wie 70 griechische Bauern gegen die Energiepolitik der EU rebellieren.
Es ist Donnerstag, der 6. Oktober 2016, als Spyros Prousaef sich seiner Ohnmacht bewusst wird. Kurz vor Mittag, die Sonne steht steil über dem Tenagi-Tal im nordgriechischen Kavala, klingelt das Handy des griechischen Bauern. Ein Freund berichtet, dass Arbeiter auf Prousaefs Feld stehen. Keine zehn Minuten später springt Prousaef aus seinem grünen Trecker. Mit rotem Kopf steht er vor etwa 15 Arbeitern in gelben Westen. Sie haben Spaten in der Hand, gerade haben sie damit den Boden umgegraben und das Feld mit gelben Pfählen markiert. Jetzt behaupten sie, sich verlaufen zu haben.
Was sie eigentlich wollen: gigantische Stahlrohre unter dem Feld verlegen, die in zwei Jahren Gas von Aserbaidschan über Griechenland nach Westeuropa bringen sollen. Wieder greift Prousaef zu seinem Handy, kurz darauf stehen fast 70 Bauern und Bewohner neben ihm auf dem Feld.
„Wir haben sie gestoppt“, erzählt Spyros Prousaef zwei Jahre später. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Es war der Beginn eines Widerstandskampfes, der auf Prousaefs Feld seinen Anfang nahm.
Wie eine unterirdische Schlange windet sich die Transadriatische Pipeline, kurz TAP, auf 870 Kilometern durch albanische Bergdörfer, dichte Wälder, vorbei an archäologischen Ausgrabungen. Die TAP ist mit voraussichtlich 4,5 Milliarden Euro das zurzeit teuerste Infrastrukturprojekt der EU. Mehr als zwei Drittel der Röhren sind bereits im Boden, die Bauarbeiten der Pipeline sind fast fertig. Für Europa bedeutet die Pipeline vor allem eines: etwas mehr Unabhängigkeit vom russischen Gas, das derzeit mehr als ein Drittel der europäischen Nachfrage befriedigt. Gas ist als Brückentechnologie auf dem Weg zu einer Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen wichtig. Doch russisches Gas ist umstritten, deshalb sind Alternativen so wichtig.
Auf ihrer Strecke von Ost nach West passiert die TAP insgesamt 19.060 Grundstücke und begegnet 45.000 Landbesitzern. Kurz vor Philippi, einer antiken römischen Stadt, die 2016 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde, bricht die Pipeline am Fuße des Lekani-Gebirges ab. Elf Kilometer groß ist die Lücke in der Pipeline hier, elf Kilometer, um die Prousaef seit zwei Jahren kämpft.
Vom Bau der Gasleitung hatte Prousaef damals nur im Internet gelesen. Dass sie durch sein Grundstück verlaufen soll, wusste er nicht. „Von der Firma selbst habe ich noch nie etwas gehört“, sagt Prousaef. TAP, so auch der Name des Konsortiums, das für den Bau der Pipeline verantwortlich ist, habe ihm nie einen Kauf- oder Mietvertrag vorgelegt, sagt Prousaef. Die TAP sagt, sie habe mehrere öffentliche und private Treffen mit betroffenen Bauern durchgeführt. Prousaef findet, die TAP habe kein Recht, sein Feld ohne seine Erlaubnis zu betreten, deshalb hat er sie angezeigt. Für Prousaef ist TAP ein Einbrecher.
Über eine halbe Stunde Autofahrt von der Hafenstadt Kavala entfernt verdienen die Menschen ihr Geld mit Landwirtschaft. Kleine Durchfahrtsdörfer reihen sich aneinander. Wie auf einem Schachbrett grenzt ein Feld an das andere: Soja, Mais und Sonnenblumen. Etwa 70 Prozent der Landbesitzer im Tal weigern sich, einen Miet- oder Kaufvertrag zu unterschreiben und ihre Felder für den Bau freizugeben. Was ab 2020 die EU unabhängiger von russischem Gas machen soll, wird für die Bauern zum zähen Kampf. Ihr ungleicher Gegner: die TAP-AG, an der europäische Energiekonzerne und die staatliche Energiegesellschaft Aserbaidschans Anteile hält, sowie die EU.
2.374 Grundstückeenteignet
August 2018, Prousaefs Sonnenblumen lassen bereits ihre Köpfe hängen. In 25 Tagen wird das Feld abgeerntet, samt Stängel werden sie dann zu Biodiesel verarbeitet. Bis zu zweimal am Tag kommt Prousaef, um auf sein Feld aufzupassen. Er will verhindern, dass so etwas wie vor zwei Jahren noch einmal passiert. Liegt das Feld erst einmal brach, so seine Angst, werde es für die TAP ein Leichtes sein, zu graben. Prousaef und die anderen Bauern sind zu ihren eigenen Sicherheitsmännern geworden.
Dabei haben die Bauern von Kavala nichts gegen die Pipeline an sich. Nur etwas gegen deren Route. Denn die verläuft direkt durch die Felder, die bekannt sind für ihre fruchtbare, moorige Erde. Deshalb fordern die Bauern, die Route über die Berge zu führen. Aber TAP weigert sich, die Route zu ändern. Eine Sprecherin der TAP-AG weist daraufhin, dass man beide Verläufe untersucht und sich für jene mit den geringsten Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft entschieden habe.
Die geotechnische Kammer Ostmakedoniens hat den griechischen Staat zu den potenziellen Auswirkungen der TAP auf Umwelt und Landwirtschaft beraten und die Studien, die TAP in Auftrag gegeben hat, bewertet. Laut Zafiris Mistakidis, Präsident der Kammer, gehe von der aktuellen Route eine Gefahr für Umwelt und Bewohner aus. Die Untersuchungsmethoden der TAP könne er nicht nachvollziehen.
„Aufgrund des hohen Gehalts an Nährstoffen ist der Boden im Tenagi-Tal sehr fruchtbar. Außerdem ist der Wassergehalt im Boden an sich sehr hoch, sodass man ihn nicht künstlich bewässern muss“, erklärt Mistakidis per E-Mail. Durch den Bau der Pipeline werde das natürliche Bewässerungssystem gestört. Die Ängste der Bauern seien nachvollziehbar. Außerdem bestehe langfristig die Gefahr einer Bodenverdichtung, durch die das Niveau des Bodens bis zu sieben Meter absinken und die Pipeline, die nur wenige Meter unter dem Boden liegt, an der Oberfläche auftauchen würde.
Mistakidis weist darauf hin, dass die Produktivität von Feldern, die durch ähnliche Pipelineprojekte betroffen sind, zum Beispiel im benachbarten Serres, nicht vollständig wiederhergestellt worden sei. Er glaubt nicht, dass Ausgleichszahlungen die Schäden der Bauern in Zukunft wiedergutmachen könnten. Zuletzt: Auch für archäologische Ausgrabungen bestehe Gefahr.
TAP, das ist ein riesiges Energieprojekt, das für sich reklamiert, im Sinne aller europäischen Bürger zu sein, und dabei die Not einer Gruppe von Bauern in Kauf nimmt. Es ist die Geschichte eines ungleichen Kampfes.
Hat eine Gruppe von 70 griechischen Bauern und Dorfbewohnern eine Chance, die Energiepolitik der Europäischen Union zu verändern?
„Wir stehen hinter den Bauern und Einwohnern unserer Region. Wenn sie eine andere Route wollen, unterstützen wir das. Wir sind vor Gericht gegangen, um unsere Forderungen und Rechte einzuklagen“, sagt Ilias Kalantarides, Vizebürgermeister von Kavala. Er sitzt in einem bescheidenen Büro im Rathaus, eine halbe Stunde Autofahrt von den Feldern der Bauern entfernt. Gemeinsam mit den Bauern hatte die Gemeinde beim Staatsrat in Athen einen Antrag gegen die Route gestellt und geltend gemacht, dass die Landwirtschaft dadurch erheblich beeinträchtigt wird.
Daraufhin wurde der Bau vorläufig eingestellt, um zusätzliche Untersuchungen durchzuführen. Seit Oktober 2016 standen die Maschinen still. Ende Juni dieses Jahres folgte dann das Urteil, das Gericht wies den Antrag ab. Der Bau der TAP hat wieder begonnen und damit auch der Widerstand der Bauern. Jetzt sagt Kalantarides: „Ich weiß nicht, wie es weitergeht.“
Ilias Kalantarides, Mitte 40, blickt nachdenklich durch die dicken schwarzen Ränder seiner Brille durch das Fenster auf die Altstadt von Kavala. Persönlich stehe er noch immer hinter den Bauern, aber jetzt, wo sich auch das Gericht auf die Seite von TAP gestellt hat, habe TAP das Recht auf ihrer Seite. Mit dieser Entscheidung sei die Stadt Kavala machtlos. „Die Regierung hatte vor über drei Jahren die Möglichkeit, sich für oder gegen die Route zu entscheiden. Wir als Region hatten dieses Recht nicht, obwohl die Route uns direkt betrifft. Die Regierung hat zugestimmt, obwohl die Leute hier dagegen waren. Das ist undemokratisch“, findet Kalantarides. Er macht aber nicht nur die Regierung verantwortlich, sondern politische Mächte wie Russland oder die EU. Um ein Projekt wie TAP in dieser Größenordnung zu verwirklichen, würden sie keine Rücksicht auf hundert Personen nehmen.
Für Europa ist TAP geopolitisch bedeutsam. Mit dem kaspischen Raum erschließt die Pipeline eine Region, in der große Gasreserven liegen. Nicht zuletzt seit der Ukrainekrise, in der es kurzzeitig zu Engpässen gekommen war, wird die Forderung nach mehr Unabhängigkeit von russischem Gas in Europa immer lauter.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
———————————————————————–
Grafikquellen :
Oben — Pipeline im Bau
Author | btr — Own work |
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license.
————————–
2.) von Oben — Lagekarte des Schah-Denis-Gasfeldes, der Trasse der Südkaukasus-Pipeline (SCP), der im Bau befindlichen Transanatolischen Pipeline (TANAP) und der geplanten Trans-Adria-Pipeline (TAP), sowie eines Teils der nicht realisierten Nabucco-Pipeline.
Autor — Pechristener
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license. |
————————–
Unten — castle and beach of Nea Peramos, Kavala, Greece
Urheber | DocWoKav — Eigenes Werk |
Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“.
Abgelegt unter Europa, Medien, Schicksale, Umwelt | Keine Kommentare »