Erstellt von Redaktion am 13. Oktober 2018
Warum steht meine Wohnung leer?
Autor Sebastian Erb
Vor anderthalb Jahren musste unser Autor aus seiner Wohnung in einem beliebten Berliner Stadtteil ausziehen. Seitdem steht sie leer. Wie kann das sein?
Sie suchen eine Wohnung in Berlin oder kennen jemanden, der das tut? Dann wüsste ich was. Fünf Zimmer, Küche, Bad, 142,59 Quadratmeter im zweiten Obergeschoss. Eine hübsche Altbauwohnung, Parkettboden, Stuck, Balkon. Ich kenne die Wohnung ziemlich gut, ich habe darin einige Jahre gewohnt.
Doch das Problem ist: Die Wohnung ist gar nicht zu mieten, obwohl sie seit anderthalb Jahren leer steht. Damals mussten wir mit der WG ausziehen.
Und es ist nicht die einzige Wohnung, die in diesem Haus in Nordneukölln leer steht, es sind mindestens sechs. Eine davon schon mehr als zweieinhalb Jahre. Wie kann das sein, wo doch derzeit in Berlin so viel über fehlenden Wohnraum geklagt wird? Ist das nicht sogar illegal, weil Leerstand Zweckentfremdung ist, wie das Gesetz sagt?
Kottbusser Damm, Ecke Sanderstraße, in Wohnungsanzeigen wird die Gegend gern „Kreuzkölln“ genannt, weil das nicht nach dem Problembezirk klingt, der noch in manchen Köpfen herumspukt. Den Namen mögen nicht alle, weil sich das reichere Kreuzberg sprachlich in das ärmere Neukölln hineinfrisst. Gentrifizierung.
Aber am Anfang ist Gentrifizierung ja toll. Altbauwohnungen, die groß sind, und trotzdem bezahlbar; Cafés, in denen man auch mal einen Tag rumhängen kann, weil es WLAN gibt zum Arbeiten; der Imbiss mit Burritos, die schmecken wie in Mexiko, nur vegetarisch. Und trotzdem können auch die noch hier leben, die hier schon immer lebten, mit ihren Schneidereien, Bäckereien und Sportbars.
Hier zu wohnen war ziemlich großartig. Der Edeka war gleich nebenan, wenn man eine Kneipe brauchte, hatte im Zweifel gerade eine neue aufgemacht. Bei den WG-Partys vibrierte der Boden, und es beschwerte sich niemand. Dass wir dann ausziehen mussten, war schade, aber immerhin noch formal korrekt.
Die beiden Hauptmieter zogen aus, und eigentlich sollten wir einen neuen Mietvertrag bekommen. Aber der neue Eigentümer ließ ausrichten: Nein und tschüss. Schnell war klar: Umziehen ist in Berlin ziemlich schwierig geworden. Es gibt wenige Wohnungen auf dem Markt, und wenn es sie gibt, sind sie angeblich immer „umfassend modernisiert“ und damit teuer, weil eine umfassende Modernisierung die Mietpreisbremse außer Kraft setzt. In München, Frankfurt oder Düsseldorf mögen die Mieten noch höher sein, aber nirgendwo steigen sie so rasant wie in Berlin, wo die Menschen zudem im Schnitt weniger verdienen. Die Wohnungsfrage stellt sich wohl nirgendwo so dringend wie hier.
Frühjahr 2017. Beim Übergabetermin treffe ich die Frau von der Hausverwaltung, nennen wir sie Frau Müller, zum ersten Mal persönlich. Kurze Haare, forsch, aber freundlich, an ihrem Block klemmt ein goldener Kugelschreiber.
Warum wir jetzt doch keinen neuen Vertrag bekommen? Der neue Eigentümer wolle die Wohnung leer haben, sagt sie, was dann passiere, wisse sie nicht. Und warum steht die Wohnung unter uns schon seit einem Jahr leer, obwohl sie frisch renoviert wurde? „Wir hatten mehrere Interessenten da, aber der Eigentümer hat da andere Vorstellungen“, sagt sie. „Das waren oft WGs. WGs sind eher schwierig, da gibt es viele Umzüge.“ Es geht also um die Aufwertung des Hauses? Sie lächelt.
„Die Fenster werden auf jeden Fall gemacht“, sagt sie, „da haben wir schon Angebote eingeholt.“ Es dauere dann so zwei Monate, bis bei der Renovierung die Gewerke durch seien. Sanitär, Wände, Boden. Den Boden mache man immer am Schluss.
In den Monaten danach bin ich ab und an mit dem Fahrrad am Haus vorbeigefahren. Ein bisschen wehmütig und zunehmend wütend. Die Fenster der Wohnung wurden nicht gemacht. Auch sonst: nichts. Wurde unsere Wohnung zu einem Spekulationsobjekt?
Dass sie leer steht, ist auch den Nachbarn aufgefallen. Es sei nicht die einzige im Haus, erzählt mir einer, es würden immer mehr. Sie haben das dem Bezirksamt gemeldet, Zweckentfremdung. Passiert ist erst mal: nichts.
Zwei aus einer der WGs im Haus werfen Zettel in alle Briefkästen. „Wir befürchten Schlechtes“, steht darauf. “ Die Briefkastenfirma „Berlin Project-4 Property III S.à.r.l.“ dürfte eher nicht als freundlicher Hauswart auftreten. Wir müssen wohl damit rechnen, dass die neuen Eigentümer möglichst hohen Profit aus der Immobilie ziehen wollen.“
Über den Mailverteiler, den sie einrichten, schreibt jemand von seiner Angst, die Wohnung zu verlieren: „Wo soll man sich in diesem Kiez auch sonst noch was leisten können!??“ Eine andere berichtet von einer sechsköpfigen Familie, die auf die Frage, ob sie nicht in eine der größeren, leerstehenden Wohnungen umziehen könnte, nur gehört habe: Nein. „Wir müssen zusammenstehen“, schreibt einer der Bewohner.
Zusammenstehen, aber gegen wen? Über den neuen Eigentümer wissen sie nicht viel mehr, als dass er einen seltsamen Namen hat und eine Adresse in Luxemburg.
Ich muss mich eine Weile durch das Luxemburger Handelsregister klicken, bis die Firmenkonstruktion klar wird. Es sind mehrere Unternehmen registriert, die fast so heißen wie der neue Eigentümer, nur mit einer anderen Nummer, 1 bis 5, und jede hat eines oder mehrere Mietshäuser gekauft. Alle fünf Firmen gehören einer Holding, die wiederum – neben anderen Gesellschaften – einem Immobilienfonds gehört, der von einer Firma gemanagt wird, die ihren Sitz ebenso in Luxemburg hat und Büros in mehreren Städten. Eines befindet sich am Berliner Kurfürstendamm.
Dass Firmen gegründet werden, um Immobilien zu kaufen, ist ein beliebtes Vorgehen, um bei einem späteren Verkauf die Grundsteuer sparen zu können, finde ich heraus. In Luxemburg sitzen die Firmen gern, weil dort Fonds nicht so streng reguliert werden und es zudem viele Möglichkeiten gibt, weniger Steuern zu zahlen als in anderen Ländern der EU.
Der Immobilienfonds, dem unser Haus nun gehört, heißt „Optimum Evolution Fund SIF – Property III“, so steht es in den Unterlagen. Es handelt sich um einen geschlossenen Fonds: Die Kapitalgeber zeichnen einmalig Anteile, er wird dann einige Jahre bewirtschaftet, bevor die Häuser wieder verkauft werden. Er richtet sich an Großanleger, an Pensionsfonds, Versicherungskonzerne, Banken. 173 Millionen Euro Kapital hat Optimum von den Anlegern eingesammelt und etwa dieselbe Summe noch mal als Bankkredit aufgenommen. Und mit diesem Geld gingen sie dann einkaufen.
Es reichte für 30 Gebäude, die meisten in Berlin, ein bisschen Gewerbe, viele Wohnungen, 1.904 Einheiten insgesamt, gut 137.000 Quadratmeter. Optimum wolle „Vermögenswerte erwerben, bei denen wir die Kapitalrendite maximieren können“ – so heißt es auf der Webseite. Aha. Aber wie?
Dazu steht etwas in einem Geschäftsbericht: Die Miete der bestehenden Verträge soll erhöht werden und neue Mietverträge würden dazu beitragen, „den gegenwärtigen Netto-Mieteinnahmen einen Auftrieb zu verpassen und das Risiko möglicher Mietausstände zu reduzieren“.
Die Miete erhöhen, möglichst neue Mieter, den Wert der Gebäude steigern – und natürlich den Gewinn. Kapitalgeber des Fonds können eine Rendite von 10 Prozent im Jahr erwarten. Eine solche hat die Firma erreicht, als sie vor einiger Zeit den ersten Subfonds verkaufte. Optimum will auch für die eigenen Leute das Optimum herausholen: Die Fondsmanager dürfen sich auf eine Gewinnbeteiligung von 20 Prozent freuen.
„10 Prozent Rendite im Jahr sind für einen geschlossenen Immobilienfonds eine sehr hohe Erwartung“, erklärt mir der Fondsexperte Stephan Lopfinger am Telefon. „Um eine solche Wertsteigerung zu schaffen, muss ich aggressiv rangehen“, sagt er. „Wenn Sie jemanden rausekeln, der 20 Jahre dort gewohnt hat, dann haben Sie eine deutliche Wertsteigerung.“ Und aus Investorensicht mache es durchaus Sinn, ein Gebäude ganz leer zu bekommen. Dann lässt es sich komplett neu entwickeln, fast wie ein Neubau. Ist das also der Plan?
Einer der Manager der Luxemburger S.à.r.l., der nun meine alte Wohnung gehört, ist gleichzeitig der Gründer und CEO der Optimum Asset Management S.A., die den Fonds managt. Ihr Gesamtportfolio hat einen Wert von rund 1,4 Milliarden Euro. Alberto Matta heißt er, gebürtiger Italiener, wohnhaft in London. Wenn man ihn googelt, blickt einem ein freundlich wirkender Mann entgegen, mal mit gräulichem Vollbart, mal ohne.
Die Vollposten – welche sich Regierung nennt und gegenseitig auf die Schultern klopft.
Ich schreibe ihm eine E-Mail, in der ich die leerstehenden Wohnungen erwähne und mich erkundige, was seine Firma mit dem Haus vorhat. Ich will wissen, wie sie solch eine hohe Rendite erwirtschaften wollen, und ich frage ihn: Kümmert es Sie, was den Menschen geschieht, die in den Gebäuden im Eigentum Ihres Fonds wohnen? Oder kümmern Sie nur die Zahlen und Profit?
Nach ein paar Tagen antwortet er: „Ich bin sehr traurig von Ihren negativen Erfahrungen zu hören.“ Er verspricht, sich den Fall anzuschauen und weist darauf hin, dass das Alltagsgeschäft von einer Hausverwaltung erledigt werde, die dies „in Übereinstimmung mit den lokalen Gesetzen und Vorschriften“ tue.
Ich verabrede mich mit Frau Beck, sie wohnte genau ein Stockwerk über uns, und sie wohnt da immer noch. „Ach, damit muss ich mich gerade viel zu viel beschäftigen“, sagt sie schon am Telefon. „Ich dachte, ich habe einen gemütlichen Ruhestand. Aber klar, kommen Sie gerne vorbei.“
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
—————————————————————————————
Grafikquellen :
Oben — Tag der Städtebauförderung 2016 in Frankfurt (Oder)
————————————————-
2.) von Oben — Demonstration, Berliner Häuserkampf / Transparent Kurt Jotter/FDGÖ/Büro für ungewöhnliche Maßnahmen, Berlin
Quelle |
Kurt Jotter |
Urheber |
Kurt Jotter |
Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.
—————————————–
Unten — Unterzeichnung des Koalitionsvertrages der 19. Wahlperiode des Bundestages am 12. März 2018 in Berlin. Im Foto: Lars Klingbeil; Andrea Nahles; Olaf Scholz; Angela Merkel; Horst Seehofer; Alexander Dobrindt; Volker Kauder; Annegret Kramp-Karrenbauer; Andreas Scheuer
Namensnennung: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0