Weissband ganz in Grün
Erstellt von Redaktion am 11. Oktober 2018
„Ich habe Schiss vor Chemnitz“
Das Grün im Hintergrund steht ihr gut
Ein Interview mit Ulrich Schulte
Sie war Geschäftsführerin der Piratenpartei. Vielen galt Marina Weisband als großes politisches Talent. Nun ist sie bei den Grünen eingetreten.
taz: Frau Weisband, Sie waren mal die prominenteste Piratin Deutschlands. Jetzt sind Sie vor zwei Wochen bei den Grünen eingetreten. Wie ist es dazu gekommen?
Marina Weisband: Die Grünen sind die Partei, die mir politisch am nächsten steht. Sie haben sich jung und offen aufgestellt, sie vertreten progressive Positionen, und sie sind der Gegenpol zur AfD. Die Diskussion über das neue Grundsatzprogramm, die im Moment läuft, öffnet außerdem Raum für Visionen. Da ist was im Werden.
Also wahre Liebe?
Das wäre zu viel. Ich passe am besten in diese Nische aus sozial und liberal, die in Deutschland nicht wirklich besetzt ist. Die Grünen tendieren am ehesten in diese Richtung. Und ja: Ich möchte dem Aufstieg der Rechten und dem allgemeinen Irrsinn nicht tatenlos zusehen und mich wieder einmischen.
Sind die Grünen auf Sie zugekommen – oder war es umgekehrt?
Ich hänge einfach sehr viel mit politisch denkenden Menschen herum. Viele Piraten sind ja in andere Parteien gewechselt.
Es war also ein Prozess. Man redete unter Freunden, war sich sympathisch …
… und es gab einen sehr penetranten Bundesgeschäftsführer namens Michael Kellner.
Ihr Eintritt ist für die Grünen ein gelungener PR-Coup. Streben Sie ein Amt oder Mandat an?
Nö. Ich bin einfaches Mitglied und glücklich damit. Ich schließe das natürlich nicht prinzipiell aus.
Sie sagen, Liberalismus sei Ihnen wichtig. Für wie liberal halten Sie die Grünen?
Die Grünen haben keine ganz eindeutige Linie. Wenn es um die Pluralität von Lebensentwürfen geht, also um gesellschaftspolitische Liberalität, sind sie ganz weit vorn. Bei der Abwägung von Sicherheit versus Freiheit wird es ambivalenter. Da nehme ich bei manchen Grünen schon die Sehnsucht nach einem starken Sicherheitsapparat wahr. Jene ist mir eher fremd.
Die Forderungen nach mehr Polizei gehören bei den Grünen doch inzwischen längst schon zum guten Ton dazu.
Sagen wir es so: Mir ist ein Konstantin von Notz in digitalen und Sicherheitsfragen näher als ein Winfried Kretschmann, um mich hier mal total radikal zu positionieren. Eine strikte, demokratische Kontrolle des Sicherheitsapparats ist mir sehr wichtig. Ich möchte nicht eines Tages in einem Staat leben, den die AfD regiert und der den Staatstrojaner nutzt, um seine BürgerInnen auszuspähen.
Sie denken bei Gesetzen darüber nach, wie Rechtsextreme sie missbrauchen könnten?
Na klar. Diese Option habe ich immer im Hinterkopf. Wir müssen uns bei allen staatlichen Mechanismen, die wir aufbauen, eines vergegenwärtigen: Was passiert, wenn sie nicht in der Hand unserer zivilisierten Bundeskanzlerin liegen – sondern in der Hand von Rechtsradikalen?
Ist Liberalismus für Sie ein taugliches Fundament für Politik?
Freiheit ist erst mal ein völlig leerer Begriff. Jeder, der Freiheit sagt, muss dazu sagen: Wessen Freiheit ist gemeint, Freiheit wovon und wofür? Freiheit braucht Begrenzung. Sonst überrollt die Freiheit des einen die des anderen. Ein radikal marktliberales System würde Menschen ebenso an ihrer freien Entfaltung hindern wie ein autoritäres System.
Hui, das klingt jetzt fast zu kapitalismuskritisch für eine Grüne.
Echt? Eine Gesellschaft, die sich vollkommen den Gesetzen des Kapitalismus fügt, gedacht mit den heutigen technischen Möglichkeiten, wäre eine dystopische und schreckliche. Davon bin ich überzeugt. Wir müssen eine gute Balance finden. Zu meiner Vorstellung einer guten Gesellschaft gehört, das Kapital zu kontrollieren, mächtige Menschen in Verantwortung zu nehmen und allen die Möglichkeit zu geben, sich frei zu entfalten.
Haben die Grünen eine gute Balance gefunden?
Sie führen zumindest einen Diskurs, in dessen Rahmen der für mich richtige Standpunkt zu finden ist.
Das haben Sie schön gesagt.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Marina Weisband, Aufgenommen am 03.04.2011 im Nordpark von Münster in Westfalen
Source | Own work |
Author | Philip Brechler |
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Unten — Marina Weisband (2012)
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