Linke in der Diskursfalle
Erstellt von Redaktion am 24. September 2018
Essay Diskussion um Integration
Von Ahmad Mansour
Viele Linke scheuen die Debatte über Probleme mit der Integration. Sie schaden damit der Demokratie und dem Kampf gegen Rechtsextremismus.
Opfer und Täter, moralisch und unmoralisch, christlich und nichtchristlich, gut und böse – entlang dieser Dichotomie verläuft die aktuelle Debatte über Rechtsruck, Migration und Integration. Die Emotionen kochen hoch, Vernunft steht im Abseits. Die polarisierten Positionen entwerfen entweder ein Land, das kurz vor der Übernahme durch Muslime steht, die per se als böse anzusehen seien.
Oder eines, das sich kurz vor dem Versinken in den braunen Schlamm der Vergangenheit befindet. Beide Positionen sind falsch bis absurd. Und sie sind nicht produktiv. Wo ist die demokratische Streitkultur, die differenzierte, die ergebnisorientierte Debatte geblieben?
Der polarisierte Streit tappt in eine Falle. Die einen wollen beweisen, dass sie aus der Geschichte gelernt haben, dass sie definitiv keine Rassisten sind, keine Nazis mehr und moralisch auf der richtigen Seite. Sie wollen sich reinwaschen von der NS-Vergangenheit, die fast alle deutschen Familien belastet.
Ihre Botschaft: Stünden wir heute vor den gleichen Entscheidungen wie unsere Vorfahren – mitmachen, wegducken oder Widerstand leisten –, würden wir uns für die richtige Option entscheiden, quasi als „Deutsche 2.0“. Die anderen wiederum wollen so tun, als hätte es die Vergangenheit nicht gegeben oder als wäre sie nicht so schlimm gewesen, „nur ein Vogelschiss“.
Die Diskursfalle schnappt zu
In Chemnitz ist Schreckliches passiert. Zuerst die Tötung eines Menschen, mutmaßlich durch Asylbewerber. Und danach haben sich rechte Kräfte solidarisiert, sie sind mit offenem Visier marschiert, ungehemmt: AfD, Pegida und andere rechtsradikale Gruppen im Schulterschluss. Da waren sie nicht nur virtuell im Netz aktiv, sondern analog und real, lautstark und zu Tausenden. Zum Glück hatten viele den Impuls, sich dagegenzustellen!
Doch zugleich schnappt hier schnell die Diskursfalle zu. Zweifellos ist es richtig, sich schützend vor die Ziele rechter Angriffe zu stellen: vor Asylbewerber, Migranten, Muslime. Unschuldige müssen mit allen Mitteln verteidigt werden, auch und gerade von der Zivilgesellschaft. Doch Demokraten sollten auch nicht blind, taub und stumm sein im Angesicht veritabler Herausforderungen, Konflikte und Probleme, die mit Einwanderung und Integration einhergehen – und die ja keineswegs neu sind.
Muslim zu sein, Flüchtling zu sein ist weder irgendein Makel noch ein Grund dafür, besonders unter Schutz gestellt und von rechtlichen Regelungen ausgenommen zu werden.
Die Communitys der Muslime in Deutschland und Europa bestehen aus vielen Gruppen und Untergruppen, moderaten, extremen religiösen Strömungen oder auch areligiösen und agnostischen Gruppen. Dort, wo religiöser Fanatismus existiert und sich seit Jahren ausbreitet, sind diese Gruppen nicht freundlich, friedlich und kompatibel mit der Demokratie.
Demokratie muss hellwach sein
Daran ändert leider das Ausblenden der Fakten gar nichts – und erst recht nicht das Hetzen der Rechtsextremen, das Fundamentalismus nur bestärkt. Diesen Tatsachen muss eine demokratische Gesellschaft hellwach begegnen.
Dabei sollte uns klar sein, dass es kein Zeichen von gelungener Integration ist, wenn Frauen dafür kämpfen, auch mit Kopftuch als Lehrerin, Richterin oder Polizistin arbeiten zu dürfen. Für die Neutralität unseres Staates zu sein ist nicht islamfeindlich, nicht rechts, sondern demokratisch legitim.
Ebenso ist es absolut in Ordnung, die Flüchtlingspolitik der aktuellen Regierung, die Nichtabschiebung Ausreisepflichtiger zu kritisieren oder für stärkere rechtsstaatliche Konsequenz einzustehen – sachlich und differenziert. Damit stellt man sich nicht automatisch auf eine Ebene mit AfD und Pegida. Auch auf die Bringschuld der Migranten bei der Integration zu pochen ist nicht rassistisch, sondern realistisch.
Es ist für Demokratien wichtig – sogar überlebenswichtig! –, sich so direkt wie irgend möglich gegen Rechtsextremismus zu positionieren. Doch das darf nicht bedeuten, sich in Relativierungen zu verlieren. Besonders jene, die sich in der Mitte der Gesellschaft sozialdemokratisch bis links einordnen, tun sich allerdings schwer, sich mit der zum Schutz der Demokratie gebotenen Deutlichkeit ganz genauso gegen Islamismus und gewalttätige, patriarchale Strukturen zu positionieren wie gegen Rechtsextremismus.
Das Grundgesetz gilt für alle
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquelle :
Oben — [1] jüdische Flüchtlinge (Kinder polnischer Juden aus dem Gebiet zwischen Deutschland und Polen) bei ihrer Ankunft mit der „Warschau“ in London; Aufnahme vom Februar 1939
Abgelegt unter Flucht und Zuwanderung, Friedenspolitik, P. DIE LINKE, Positionen | Keine Kommentare »