Ein rotes Tuch
Erstellt von Redaktion am 16. Juli 2018
Ein Tuch, das fremd macht
Die Stoppschilder werden bald Scharz gefärbt !
Nur auf DL bleiben die Überschrifte rot !
Von Heide Oestreich
Vor 20 Jahren begann der Kopftuchstreitin Deutschland. Und noch immer gilt das ein Quadratmeter große Stück Stoff als Integrationsbremse. Aber liegt das an den Trägerinnen? DerFall der Sudentin Hawa Öruc. Hawa Öruc spricht fünf Sprachen. Sie erhielt ein Stipendium in den USA, begann ein Studium und galt als eine Vorzeigemigrantin. Bis sie sich dazu entschied, ein Kopftuch zu tragen. Seitdem ist alles anders.
Zum Beispiel Hawa Öruc. Kind kurdischer Flüchtlinge aus der Türkei, aufgewachsen in Norddeutschland. Das aufgeweckte Mädchen „mit Migrationshintergrund“, wie es so schön heißt, fiel der SPD-Abgeordneten Bettina Hagedorn auf, bei ihr im Bundestag machte Hawa ab 2007 eine Ausbildung. Sie wurde so etwas wie die Vorzeigemigrantin: Auf einem Foto in der Heimatzeitung sieht man Öruc lächelnd mit Frank-Walter Steinmeier im Bundestag stehen. Die Zeitung berichtete damals, dass Öruc eines der begehrten Stipendien für das Partnerschaftsprogramm mit dem US-Kongress bekam. Sie lebte also ein Jahr in den USA, machte ein Praktikum beim Kongress. Und schließlich ging sie für ein Jahr nach Kolumbien, unterrichtete dort an der Uni Deutsch und Englisch. Kam zurück, studierte. Sie spricht mehrere Sprachen. So sollen Erfolgsgeschichten von Einwandererkindern doch aussehen, oder?
Und doch ist heute, sechs Jahre nach ihrer Rückkehr aus den USA, alles anders. Hawa Öruc erzählt, wie im voll besetzten Zug der Platz neben ihr leer bleibe. An der Supermarktkasse passiere es, dass alle freundlich begrüßt, ihr Gruß dagegen nicht erwidert werde. Drei Jahre lang hat sie gesucht, bis sie endlich einen Job fand, um ihr Studium zu finanzieren. Das alles, erzählt sie, erzeuge eine Art Druck, der sie manchmal ans Auswandern denken lasse. Und die gesamte Veränderung hat offenbar nur einen Grund: Hawa Öruc trägt jetzt ein Kopftuch.
Den deutschen Kopftuchstreit gibt es nun seit 20 Jahren. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Argumente auf beiden Seiten gut sind. Und doch hat sich in jüngster Zeit etwas verändert. Seit letztem Jahr sitzt die AfD im Bundestag, in dem Hawa Öruc vor Kurzem noch arbeitete. Dort fallen nun Sätze wie der von AfD-Chefin Alice Weidel während der Haushaltsdebatte im Bundestag: „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.“
Seitdem diese Partei gehört wird, hat der Kopftuchstreit eine neue Dimension erhalten. Er ist auf die Straße gewandert – und es wird gewalttätig. In Kiel schreit ein Mann eine Frau mit Kopftuch an: „Scheißmuslime“, und schlägt ihr mit der Faust so brutal ins Gesicht, dass sie zu Boden geht. In Nordrhein-Westfalen erkundigen sich die beiden Angreifer erst, ob die Frau an der Bushaltestelle Muslimin sei, bevor sie sie zu Boden bringen. In Pforzheim löst eine Frau mit Kopftuch einen Parkschein. Ein Mann rammt ihr von hinten den Ellbogen in die Rippen und ruft: „Dies ist eine deutsche Straße!“ An einer Bushaltestelle in Berlin schlägt ein Mann einer Frau mit Kopftuch ins Gesicht, nachdem sie ihm auf seine Frage hin mitgeteilt hat, dass sie Muslimin sei und das Kopftuch gern trage. Das sind Fälle, die es in die Presse schafften.
Eines ist klar: Das Kopftuch hat alles verändert im Leben von Hawa Öruc. Sie ist religiös konservativ geworden. Für sie ist das Kopftuch eine islamische Pflicht. Doch dieses Stück Stoff symbolisiert eben nicht nur Frömmigkeit. Für die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland symbolisiert es das Bild einer gehorsamen Frau, die sich zurückhält und unterordnet – nicht frei leben kann. Tatsache ist: Es gibt Familien, in denen Frauen und Mädchen dazu gezwungen werden, das Tuch zu tragen. Und es ist auch ein Symbol des militanten antidemokratischen Islamismus. Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer beschwört immer wieder, dass dieses Stück Stoff blutgetränkt sei, weil es damals im Iran Frauen mit Hämmern an die Schläfe genagelt wurde. Kurz: Ein Symbol ist eben nicht nur das, was die Sendende dieses Zeichens gern senden möchte. Es ist auch das, was andere schon gesendet haben.
Warum, um alles in der Welt, setzt sich eine weltoffene junge Frau so ein problematisches Ding auf den Kopf, das nur Abwehr hervorruft? An den Eltern lag es nicht. Die sind kaum religiös. Als Hawa mit dem Tuch auftauchte, bat der Vater besorgt: „Nimm das ab.“ Alle wissen, mit dem Kopftuch gibt es nur Ärger und nichts zu gewinnen. Sie aber will nicht. Warum? „Ich will zuerst meinem Herrn dienen und dann der Gesellschaft“, sagt Öruc. „Ich will meine Religion als Teil von mir ausleben, genauso wie meine beruflichen Wünsche.“
In den USA hatte Öruc Musliminnen mit Kopftuch kennengelernt, die integriert sind, weltoffen, anerkannt. Ermutigt entscheidet auch sie sich, das Kopftuch zu tragen. Aber in Deutschland ist das etwas anderes. Dieses Land begreift sich nicht als salad bowl, als Salatschüssel der Identitäten. Deutschland ist eher Schnitzel mit Beilage. Gerade hängt ein ganzes Bundesland Kreuze in Amtsstuben auf. Die einen finden, ein Kopftuch passe nicht zum christlichen Abendland. Die anderen, es passe nicht in eine säkulare Gesellschaft. Einig sind sie sich in einem: Es passt nicht.
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Das Kopftuch vor Gericht
Von Heide Oestreich
Fereshta Ludin wollte Englisch, Deutsch und Geschichte unterrichten – mit Kopftuch. Doch trotz guter Noten durfte sie nach ihrem Referendariat nicht als Lehrerin arbeiten. Vor 20 Jahren, am 13. Juli 1998, lehnte das Oberschulamt ihre Übernahme in den baden-württembergischen Schuldienst ab. Ludin klagte gegen diese Entscheidung, die gemeinhin als Beginn des deutschen Kopftuchstreits gilt.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte im September 2003, dass Ludin der Eintritt in den Schuldienst nicht verwehrt werden dürfe. Allerdings heißt es auch: „Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesellschaftliche Wandel kann für den Gesetzgeber Anlass zu einer Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule sein.“ Die Folge: Mehrere Bundesländer nahmen diese „Neubestimmung“ vor: Sie verboten in ihren Schulgesetzen „äußere religiöse Bekundungen“ von Lehrkräften, die geeignet sind, „die Neutralität des Landes“ oder „den Schulfrieden“ zu stören, so etwa das baden-württembergische Schulgesetz. (2 BvR 1436/02)
Auch Nordrhein-Westfalen hatte sein Schulgesetz entsprechend dem Urteil geändert. Dagegen klagten zwei Lehrerinnen. Eine hatte angeboten, das Kopftuch auch gegen eine Wollmütze auszutauschen, was das Land ebenfalls abgelehnt hatte. Das Bundesverfassungsgericht entschied Anfang 2015, dass ein „pauschales Verbot“ religiöser Bekundungen nicht gerechtfertigt sei. Von einer solchen Bekundung müsse „nicht nur eine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausgehen“, um ein Verbot zu rechtfertigen, heißt es. (1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10)
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