Der Wolf und 21 Ziegen
Erstellt von Redaktion am 15. Juli 2018
Grüne gegen Jäger, Naturschützer gegen Bauern
Vom Schluchsee Paul Hildebrandt
Vor einem Jahr trieb in einem Badesee im Schwarzwald ein toter Wolf – er wurde erschossen. Wer hat ihn getötet? Der Konflikt spaltet die Bevölkerung.
Es ist ein heißer Tag im Juli vor einem Jahr, als Badegäste die Leiche im See entdecken. Der tote Körper ist aufgedunsen wie ein Ballon, die Leiche riecht nach Verwesung. Ihr aufgeblähter Bauch ragt weiß aus dem Wasser, sanfte Wellen treiben sie gegen die Staumauer des Schluchsees im südlichen Schwarzwald. Touristen rufen die Feuerwehr.
Das tote Tier erinnert die Feuerwehrleute an einen Schäferhund, groß wie ein neugeborenes Kalb, deshalb bringen sie es zum Abdecker, er soll den Körper entsorgen. Am nächsten Morgen bemerkt eine Nachbarin das Tier auf dem Hof des Abdeckers. Sie sieht die großen Zähne, die langen Ohren, den massigen Körper. Das ist kein Hund, denkt sie, und ruft im 60 Kilometer entfernten Freiburg an. Dort gibt es eine Meldestelle für Wildtiere.
Ohne diesen Anruf wäre der Streit im Schwarzwald vielleicht nicht so heftig geworden. Niemand hätte ein Kopfgeld ausgesetzt, niemand gedroht, vielleicht hätten die Menschen im Tal und die in den Bergen nicht aufgehört, miteinander zu reden. Aber das vergangene Jahr hat einen Spalt in die Region getrieben.
Denn noch am selben Juliabend stellen Wissenschaftler in Freiburg fest: Das tote Tier ist ein Wolf. Und einen Wolf zu töten ist eine Straftat. So steht es im Bundesnaturschutzgesetz Paragraf 7, in der EG Verordnung 338 und in der Berner Konvention. Deshalb schicken die Forscher den toten Körper nach Berlin. Im Leibniz-Institut für Wildtierforschung wird jeder Wolf obduziert, der in Deutschland in Freiheit umkommt. Die Pathologen scannen die Leiche mit einem Computer. Ihr Ergebnis: Der Wolf wurde geschossen. Und: Als er im Schluchsee trieb, war er längst tot.
Im Sommer 2017 nennt sich Baden-Württemberg „Wolfserwartungsland“, also eine Region, die in Zukunft mit Wölfen zu rechnen hat. Der letzte dort lebende Wolf wurde vor 150 Jahren erschossen. Die Rückkehr der Wölfe, glaubt man in der Landesregierung, steht kurz bevor. Ende Juni ist der Wolf das erste Mal im Schwarzwald gesichtet worden, er überlebte dort immerhin drei Wochen.
Als die Polizei im August zu ermitteln beginnt, bricht ein Streit aus. Zwischen Wolfsfreunden und -gegnern, Naturschützern und Naturnutzern, zwischen Stadt und Land.
Auch nach seinem Tod, eingefroren in einer Kühltruhe in Berlin, zieht das Tier noch eine Schneise durch den Schwarzwald.
Denn wer eine Leiche loswerden will, wirft sie nicht in den beliebtesten Badesee der Region. Es sei denn, er möchte, dass sie gefunden wird.
Anfang Oktober wenden sich sieben Naturschutzverbände wegen des Schluchsee-Wolfs an die Öffentlichkeit, darunter Nabu und BUND. Für die Naturschützer ist klar: Der Täter ist ein Krimineller. 2.500 Euro bieten sie gemeinsam für Hinweise zur Ergreifung des Täters. Sie hoffen auf die Hilfe der Bevölkerung. Nur fühlt sich manch einer im Schwarzwald nun selbst verdächtigt. Damit beginnt der Konflikt.
Ende November ist es, als der Grünen-Politiker Reinhold Pix in ein Gasthaus nahe dem Schluchsee lädt. Er will in Ruhe mit allen Beteiligten über die Rückkehr des Wolfs sprechen. An Dialog – davon ist Pix überzeugt – fehlt es im Moment in Deutschland.
Pix schreibt eine freundliche Einladung und bittet Bauern, Jäger und Naturschützer zum Gespräch. Es solle ein gemütlicher Abend werden, mit Erdnüssen und Bier. Ein Austausch zwischen Nachbarn. 50 Stühle passen in den Raum, am Kopfende sitzen hinter schmalen Holztischen die Podiumsteilnehmer.
Als die Veranstaltung beginnt, pressen sich mehr als hundert Menschen in den engen Raum, mehr Interessierte warten vor der Tür. Viele von ihnen sind wütend: auf die Grünen, auf die Landesregierung, auf die Naturschützer. Der Abend bietet ihnen die Chance, endlich gehört zu werden. Das nutzen sie aus. Sie lachen höhnisch, wenn jemand den Wolf verteidigt – und stöhnen, wenn sich ein Naturschützer zu Wort meldet.
Irgendwann steht ein Bauer auf und sagt zu dem Politiker: „Wenn unsere Vorfahren noch hier wären, wären Sie nicht mehr da.“ Die Menge applaudiert.
Reinhold Pix Grüne BW
Am Rand des Podiums sitzt ein Mann, der den Streit aufmerksam verfolgt. Ewald Klingele, 45, ist Vorsitzender des Ziegenzuchtvereins Südschwarzwald, er trägt eine Brille und ein Karohemd. Während das Publikum immer lauter wird, sagt Klingele mit ruhiger Stimme: „Wenn der Wolf kommt, müssen wir gehen.“
Die Familie des Ziegenzüchters Klingele wohnt seit Generationen im Schwarzwald, weit draußen hinter schroffen Bergen und kahlen Fichten, die oft im Nebel verschwinden – wo die Orte Todtnau heißen und Schlechtnau und sich die Straße am Höllsteig vorbei ins nächste Tal schlängelt.
Es ist kein schlechter Ort zum Leben, aber auch kein einfacher. Seit Jahrhunderten trotzen die Menschen dem Schwarzwald Land ab, indem sie darauf ihre Kühe, Ziegen und Schafe weiden lassen. Wie grüne Flicken kleben die Weiden heute zwischen den dunklen Wäldern und locken Touristen an, die zum Wandern kommen. Von der Landwirtschaft allein kann hier allerdings kaum einer mehr leben – aber sie aufgeben wollen sie auch nicht. Ewald Klingele treibt deshalb jedes Jahr im Frühling seine Ziegen die Hügel hinauf.
Drei Monate nach dem Wirtshausstreit steht Klingele in einem Stall neben seinem Haus in Tunau und schmeißt Heu in Futtertröge. 21 Ziegen besitzt er, zwei heißen Lore und Smarty. Eigentlich arbeitet Klingele in einer Zahnbürstenfirma, abends geht er aber noch für ein paar Stunden in den Stall. Das ist für ihn kein Hobby, er sieht das als Kulturpflege.
Kein Hobby, sondern Kulturpflege
Danach setzt er sich an den Laptop: Auf dem Bildschirm erscheint eine Satellitenaufnahme von der Region. Klingele zieht rote Striche über die Landschaft und verbindet sie zu großen Rechtecken – dort wird er später die Zäune für seine Weideflächen aufstellen. Er macht das gewissenhaft, denn ein verruckelter Strich kann ihn viel Geld kosten. Klingele bekommt von der Europäischen Union Zuschüsse für seine Felder. Zeichnet er ein Feld zu groß, muss er eine Strafe zahlen. Bemalt er geschützte Flächen, gibt es Ärger mit den Naturschutzbehörden. Er fühlt sich bevormundet von Bürokraten und Beamten. Diese Leute, glaubt er, wollten ihm jetzt auch noch den Wolf aufdrücken.
Klingele sagt: „Wenn eine meiner Ziegen gerissen wird, dann höre ich endgültig auf. Dann soll sich der Staat um die Weiden kümmern.“
Einer der Menschen, die Klingele für den Ärger verantwortlich macht, heißt Axel Mayer. Er hat ein rundes Gesicht mit einem weißen Stoppelbart und lässt an einem Freitagmorgen Minztee durch die Kaffeemaschine in seinem Freiburger Büro laufen. Mayer, 62 Jahre alt, ist Geschäftsführer der BUND-Zweigstelle Südlicher Oberrhein.
Er erzählt gerne von seinen Kämpfen: Vom AKW in Wyhl und von den Besetzungen gegen das Chemiewerk in Marckolsheim. Mayer versucht seit vierzig Jahren, den Planeten zu retten. Er sagt: „Der Wolf ist das badische Nashorn.“ Er meint: Weltweit stirbt die Natur. Wer das Nashorn retten möchte, muss auch den Wolf retten wollen.
Ziegenzüchter Klingele wohnt gerade 43 Kilometer von Freiburg entfernt – doch die beiden Männer trennt mehr als ein Gebirgspass. Für Ewald Klingele bedeutet die Rückkehr des Wolfs das Ende seines Lebensgefühls, einen schmerzlichen Verlust. Für Axel Mayer ist es eine der schönsten Entwicklungen der letzten Jahre. Eine Kostbarkeit.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Schluchsee mit der Ortschaft Schluchsee
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Autor : w:de:Benutzer:Filzstift
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2.) von Oben — A Glade
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3.) von Oben — Reinhold Pix (2012)
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