Der Vormieter
Erstellt von Redaktion am 7. Juni 2018
Ludwig Katzenellenbogen musste zusammen…
Aus Berlin Hugh Williamson
….. mit seiner jüdischen Familie vor 79 Jahren seine Wohnung in Berlin-Schöneberg verlassen. In diesem Mai ist er zurückgekehrt – in meine Wohnung.
Ludwigs Bett stand da, wo heute das Bett meines Sohnes steht; seine Eltern schliefen, wo nun meine Tochter schläft. Ludwig ist 92 Jahre alt und war seit 79 Jahren nicht mehr in seiner – heute meiner – Wohnung in Berlin. Damals, im April 1939, gaben er und seine Familie sie auf, weil sie vor den Nazis fliehen mussten.
Vor einigen Wochen ist er zurückgekommen. Er schien erleichtert, dass er sich noch daran erinnern konnte, wie die Wohnung früher ausgesehen hatte. Auch für mich war es eine Erleichterung.
Ludwig Katzenellenbogen ist ein kräftiger Mann mit schwindendem Haar und einem entschlossenen Händedruck, der zum Gehen einen Stock braucht. Seinen Gesprächspartnern schaut er gern in die Augen. Er ist noch fit, aber die Reise bis zu unserer Wohnung war anstrengend, wegen der Flughäfen, Taxis und vielen Stufen zwischen seinem Seniorenheim im israelischen Netanja und dem Haus in Berlin-Schöneberg.
Seine Eltern, die einmal Mieter dieser Wohnung waren, sind in Israel gestorben. Zuvor hatten sie mit Ludwig auf drei Kontinenten gelebt. Wer mit der jüdischen Geschichte vertraut ist, weiß, dass solche Biografien typisch für deutsche Juden sind, die vor den Konzentrationslagern zu fliehen vermochten. Aber mir erscheinen solche Lebensläufe bemerkenswert.
Bemerkenswert ist auch, auf welche Weise Ludwig den Weg zurück zu seiner früheren Wohnung fand – wie aus jemandem, der für mich jahrelang nur als Name auf ausgeblichenen deutschen Dokumenten existierte, plötzlich ein lebendiger Mensch wurde. (Dafür waren mehrere gescheiterte Anläufe und die Beihilfe des – mal gehassten, mal geschätzten – Mark Zuckerberg nötig).
Hans Katzenellenbogen, Ludwigs Vater, stammte aus Krotoschin (Krotoszyn) im heutigen Polen. Sein Großvater und sein Vater hatten dort ein Geschäft, wie auch Ludwig Generationen später in Israel. Die Eltern von Hans, Hans selbst und seine Schwester Else zogen 1922, nach dem Ersten Weltkrieg, nach Berlin.
Dort heiratete Hans seine Frieda, und 1926 brachte sie Ludwig zur Welt. Eine seiner frühesten Erinnerungen ist der Umzug im Jahr 1933 von einer nicht weit entfernten Straße in seine-meine Wohnung in der Rosenheimer Straße 40. „Ich verstand nicht, warum wir denn ausgerechnet an meinem Geburtstag umziehen mussten“, erinnert er sich. „Als Trost hob mich der Mann, der uns mit seinem Fuhrwerk beim Transport der Möbel half, auf sein Pferd und ritt mit mir durch die Straße unseres Viertels. Was für ein Tag!“
Seit 2011 lebe ich mit meiner Familie in seiner-meiner Wohnung im 2. Stock. Ein Altbau mit hohen Decken, Stuck. Zwei große repräsentative Räume zur Straße und die Dienstbotentreppe am Hinterausgang belegen, dass das Haus für bessergestellte Leute gebaut worden war.
Wir wollten mehr über die Geschichte des Hauses erfahren. In der Dauerausstellung im Rathaus Schöneberg über die jüdische Vorkriegsbevölkerung suchten wir nach Informationen. 2016 dann erzählten uns einige Hausnachbarn, was sie über die früheren jüdischen Bewohner unserer heutigen Wohnungen wussten.
Seitdem zeigen meine Frau Anke Hassel und ich jedes Jahr Anfang Mai auf unserem Wohnzimmertisch ausgebreitet die Dokumente, die unsere Nachbarn und wir über die Katzenellenbogens gefunden haben. In den Berliner Archiven gab es noch die Entschädigungsanträge an die deutschen Behörden, die der Vater Hans, die Mutter Frieda und Hans’ Schwester Else in den fünfziger Jahren gestellt haben, weil sie bei der Flucht aus Deutschland ihr Hab und Gut zurücklassen mussten.
Wir beteiligen uns damit am Projekt Denk mal am Ort. Wir haben dort Freunde gefunden, die wie wir ihre Wohnungen für Dutzende Besucher öffnen, die mehr über frühere, von den Nazis verfolgte Nachbarn erfahren wollen.
Vergilbte Papiere über eine vergessene Familie
Die vergilbten Papiere in altertümlichem Deutsch drehen sich um Entschädigung, aber eigentlich erzählen sie die Geschichte – einen Teil der Geschichte – der Familie Katzenellenbogen. Es ging ihnen gut, sie führten drei Geschäfte „für Porzellan, Haushaltswaren und Kristall“ in Berlin. Hans war Vorsitzender der Ortsgruppe Berlin im Reichsverband Deutscher Spezialgeschäfte. In seiner Umgebung genoss er Respekt.
Sie hatten eine Wirtschafterin und ein Kinderfräulein und lebten mit vielen Annehmlichkeiten. In einem Dokument beschreibt Hans dies: „Wir lebten in einer komfortablen Privatwohnung (in der Rosenheimer Straße) bestehend aus fünf Zimmern mit viel Nebengelass. Meine Wohnungseinrichtung war luxuriös mit modernen Möbeln, Perserteppichen, feinen Porzellanen, Kristall etc.“
Die Katzenellenbogens waren sich bewusst, dass ihnen durch Hitler Gefahr drohte. Im Herbst 1938 wurde es ernst. Die Deutsche Arbeitsfront zwang Hans, eines seiner Geschäfte zu schließen. „Hans Katzenellenbogen konnte sich einer sofortigen Festnahme nur dadurch entziehen, dass er mit der Kasse durch die Hintertür flüchtete“, notierte einer seiner Angestellten in einem anderen Dokument.
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Niemand wollte sie aufnehmen
Von Klaus Hillenbrand
300.000 deutsche Juden emigrierten.
Im Jahr 1933 lebten etwa 500.000 Juden in Deutschland. Die allermeisten von ihnen waren deutsche Staatsbürger, empfanden sich als Deutsche und sahen in ihrer Religion eine Privatsache. Nur eine kleine Minderheit unterstützte damals die Vorstellung einer Auswanderung nach Erez Israel (dem Lande Israel) im britischen Mandatsgebiet Palästina.
Der Boykott jüdischer Geschäfte und der Ausschluss von Juden aus vielen Berufssparten vom Richter bis zum Mediziner bewirkte bei vielen deutschen Juden ein Umdenken. Schon im ersten Jahr der NS-Herrschaft emigrierten rund 37.000 Menschen, 1934 waren es 23.000. Allerdings glaubten damals noch viele Deutsche – und nicht nur Juden –, die NS-Herrschaft werde schon bald in sich zusammenbrechen. Gar nicht vorstellbar war ihnen der Holocaust, wie er schließlich ab 1941 in Gang gesetzt wurde.
In den 1930er Jahren bestand das Ziel der antisemitischen Politik der Nazis noch darin, die Juden zur Emigration ins Ausland zu drängen. Dennoch mussten die Emigranten vor ihrer Auswanderung einen bürokratischen Hürdenlauf durchstehen – und sie verloren einen Großteil ihres Vermögens und ihres Haushalts. Diese Ausplünderung steigerte sich von Jahr zu Jahr. Besonders Arme und Ältere fanden keine Möglichkeit zur Emigration. Zudem wurde es immer schwieriger, überhaupt noch ein Auswanderungsziel zu finden, denn die klassischen Einwanderungsländer wie die USA bestanden auf einem Quotensystem und in Palästina kürzten die Briten die Zahl der ausgegebenen Einwanderungszertifikate drastisch.
Quelle4 : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Mietshaus Goltzstraße 24, Ecke Winterfeldtstraße 45 (rechts), am Winterfeldtplatz in Berlin-Schöneberg. Das Haus wurde 1887 von Otto Sohre erbaut. Es ist als Baudenkmal gelistet.
This is a picture of the Berliner Kulturdenkmal (cultural monument) with the ID
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Author | Jörg Zägel |
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2.) von Oben — Übersichtskarte von Berlin-Schöneberg
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Unten —
Gefangennahme von Juden in Paris (August 1941)
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