Frische Luft für die Städte
Erstellt von Redaktion am 20. Februar 2018
Justiz entscheidet über Fahrverbote
Von Benno Stieber
Ein Tag am sechsspurigen Stuttgarter Neckartor – zwischen Diesel, Lärm, einem Studentenwohnheim und der „Schwabengarage“.
Bevor die Stadt zum Leben erwacht, müssen viele der Menschen erst einmal hineinkommen. Morgens um sieben liegt noch Dunkelheit über dem Stuttgarter Kessel, aber die Kreuzung „Am Neckartor“ ist von den Scheinwerfern der Autos hell erleuchtet. Tausende rollen hier jeden Morgen in die Stadt und jeden Abend wieder hinaus. Meistens sitzen die Fahrer alleine in ihren Autos. Im Puls der Ampelschaltungen passieren sie die Mooswände in der Cannstatter Straße, rechts der Stadtpark, links das gigantische Autohaus mit dem schönen Namen „Schwabengarage“, vorbei am orangefarben gestrichenen Studentenwohnheim, vor dem Deutschlands wohl berühmteste Messstation die Luftqualität misst.
Sie passieren das Amtsgericht, den ADAC, der ausgerechnet hier seine Zentrale hat, und das Innenministerium rechts, das die Atemluft für seine Beamte möglichst hoch über dem Verkehr ansaugt und sorgfältig filtert. Dann geht es weiter im Verkehrskanal auf der Museumsmeile. Dort gähnt der Krater der Baustelle von Stuttgart 21. Von da an verteilt sich die Autoschlange überallhin in die große Stadt.
Das Neckartor gilt als Deutschlands schmutzigste Kreuzung. 60.000 Autos passieren sie im Durchschnitt jeden Tag. Hier führt die Bundesstraße 14 führt sie in die Landeshauptstadt, und vorher sammelt sie all jene ein, die es von den drei Autobahnen in die Schwabenmetropole zieht. Es ist das Einfallstor für die Pendler aus dem Norden, Osten und Westen.
Wenn am Neckartor die Grenzwerte nach oben klettern, ist Feinstaubalarm. Andere Städte hängen ein Banner auf, wenn der Karnevalsumzug ansteht oder Helene Fischer sich zum Open-Air-Konzert angekündigt hat. In Stuttgart hängen sie ein quietsch-orangenes Stück Kunststoff an die Fußgängerbrücke über der Neckarstraße, wenn dicke Luft droht: „Feinstaubalarm in Stuttgart ab Montag, den 05. 02.“
Grenzwerte immer wieder gerissen
Die Werte sind über das Wochenende zurückgegangen. In der Woche davor lagen die Messergebnisse noch satt über dem Grenzwert von 50 Mikrogramm. Seit Jahren klagen die Anwohner gegen Stadt und Land, die EU-Grenzwerte endlich einzuhalten. Die Stadt versucht es mit speziellen Reinigungsmaschinen und der Mooswand, die den Feinstaub binden soll. Es hilft ein wenig. Aber die Grenzwerte werden trotzdem an viel zu vielen Tagen gerissen. Dann gilt Feinstaubalarm und damit der Appell, das Auto stehen zu lassen. Wie viele das befolgen und was es bringt, weiß niemand so genau.
Damals, als der Ärger mit dem Dieseldreck begann, regierte noch die CDU in Stadt und Land. Inzwischen stellen die Grünen den Ministerpräsidenten und den Oberbürgermeister. Geändert hat das wenig. Gemeinsam haben die Politiker aller Parteien in der Autostadt, dass sie sich vor nichts so sehr scheuen wie vor Fahrverboten. Immerhin haben Daimler und Porsche in der Schwabenmetropole ihre Zentralen. Und wenn die husten, so heißt es, dann habe das ganze Land Schnupfen.
„Pfff, die Politik“. Carsten Bruhn steht mit einem mitleidigen Blick im Eingang des Studentenwohnheims, keine 30 Schritte entfernt von der Messstation. Auf den Briefkästen der Studierenden liegen dutzendfach Benachrichtigungen der Paketdienste. Die Lieferungen werden wohl erst nach den Semesterferien abgeholt. Bruhn ist hier der Hausmeister. Auf das Flachdach des Zweckbaus hat er schon viele Wissenschaftler und Politiker geführt. Von den Messungen hält der Hausmeister nicht viel. Es sei doch absurd, sagt Bruhn, da stelle man die Messstation in eine Ecke, wo die Luftverwirbelungen mit Sicherheit für falsche Ergebnisse sorgten, sagt er.
Die schwarzen Filter im Studentenwohnheim
Damit will Bruhn nichts beschönigen. Dass die Luft hier schlecht ist, wisse man ja. Der Hausmeister sieht den Schmutz jeden Tag bei seiner Arbeit. Alle drei Monate muss er die Filter in den Studentenapartments austauschen, weil sie mit schwarzem Staub verklebt sind. Zum Beweis schraubt er einen Filter aus der Decke einer Toilette und zeigt die schwarz-pelzige Schicht in dem Filtergewebe. Das gleiche Bild gäbe es wohl, wenn man die Filter in den Fensterrahmen jedes Apartments ausbauen würde. Aber da hat sich seit der Einweihung des Gebäudes vor elf Jahren keiner mehr herangewagt. Bruhns lächelt sarkastisch. Er habe vorgeschlagen, die einfach mit einem Dampfstrahler durchzupusten. Aber dann müsste man ja die ganze Wohnung dahinter anschließend renovieren.
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Diesel-Fahrer müssen diese Woche bangen
Von Christian Rath
An diesem Donnerstag wird das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheiden, ob alte Diesel-Pkws aus den Städten ausgesperrt werden können.
An diesem Donnerstag fällt eine wichtige Vorentscheidung im Streit um Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in Innenstädten. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig entscheidet, ob solche Fahrverbote schon jetzt – ohne ausdrückliche Gesetzesänderung – angeordnet werden können. Verhandelt werden Fälle aus Düsseldorf und Stuttgart. Wie die Verfahren ausgehen, ist völlig offen.
Ausgangspunkt des Streits sind die schlechten Luftwerte in vielen deutschen Städten. Schon seit 2010 werden die damals neu eingeführten Grenzwerte für Stickoxide (NOx) weithin überschritten. Die jeweiligen Bundesländer mussten Luftreinhaltepläne aufstellen. Doch obwohl klar ist, dass alte Dieselfahrzeuge einen großen Anteil an der Stickoxidbelastung haben, sieht keiner dieser Pläne entsprechende Fahrverbote vor. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) führt deshalb 19 Prozesse, um eine Verschärfung der jeweiligen Luftreinhaltepläne zu erreichen.
Noch mehr Aufmerksamkeit gab es für das Urteil in Stuttgart im Juli 2017, denn dort hatte die Umwelthilfe das grün-regierte Baden-Württemberg verklagt. Die Richter entschieden: Nur ein generelles Fahrverbot für Dieselfahrzeuge unterhalb der Schadstoffklasse 6 sei geeignet, im Stuttgarter Stadtgebiet für ausreichend gesunde Luft zu sorgen.
Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig, denn die Landesregierungen gingen jeweils in die Sprungrevision. Das heißt: sie verzichteten auf eine zweite Beweisaufnahme. Die zentrale Rechtsfrage lautet sowohl im Düsseldorfer Fall als auch im Stuttgarter Pendant: Dürfen Verwaltungsgerichte Diesel-Fahrverbote fordern – obwohl es hierfür keine gesetzliche Grundlage, keine entsprechenden Verkehrszeichen und keine passenden Plaketten gibt? Für die Zulassung von Fahrverboten sprechen allerdings die Grundrechte der von den Schadstoffen betroffenen Stadtbewohner.
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Grafikquellen :
Oben — „Feinstaubalarm in Stuttgart“ Am 28. Januar 2017 auf der A 81 ausgeschildert.
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