DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Archiv für Oktober, 2017

Lügen die Medien

Erstellt von Redaktion am 10. Oktober 2017

Im Kampf gegen den Manipulations-Journalismus
Das NEUE DEUTSCHLAND macht sich zum Affen

File:Bücherwand.JPG

Autor: U. Gellermann

Rationalgalerie

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Buchtitel: Lügen die Medien?
Buchautor: Jens Wernicke
Verlag: WESTEND

Besser schlechte Rezensionen als keine Rezensionen, das kann man in Marketing-Handbüchern lesen. Jüngst fiel mir eine grottenschlechte Rezension des Titels „Lügen die Medien?“ im NEUEN DEUTSCHLAND so unangenehm auf, dass sich meine Unlust zu einer Buchbesprechung, die der Verlag von mir wünschte, in heftiges Interesse wandelte. Vom NEUEN DEUTSCHLAND, das der Linkspartei nahesteht, erwartet und erhofft man sich eine kritische Haltung zum Medienmainstream. Denn Linkspartei und ND wurden oft genug von diesem Stream unter der gewöhnlichen Lügen-Überschrift „SED-Nachfolger“ abgehandelt. Aber der ND-Rezensent begibt sich, nach einer kurzen, halbwegs wohlwollenden Einleitung seines Textes, in den Querfront-Mainstream. In jene antideutsche Strömung in der Linken, die gern mit dem Rechts-Verdacht operiert, um missliebige Konkurrenten zu denunzieren. Zumeist ohne jeden ordentlichen Beleg. Und so rührt der ND-Autor ein Verdächtigungs-Gebräu zusammen, in dem der „umstrittene“ Ken Jebsen und andere Akteure im Internet die Rolle der rechten Bösen spielen, während der Mainstream durch die vorgeblich linke Waschanlage gesteuert wird.

Die Methode ist höchst simpel: „Kopfschütteln lässt, dass etliche Autoren die Leserinnen und Leser des Buches auffordern sich bei ‚Alternativmedien’ im Internet zu informieren – ohne zu warnen, dass diese oftmals Schauermärchen, Halbwahrheiten und Propaganda verbreiten.“ Das schreibt ein ND-Autor allen Ernstes. Als ob man den gewöhnlichen Mainstream-Medien nicht seit Jahr und Tag genau diese Warnung aufkleben müsste. Und so wird das gute alte ND zum miesen Handlanger einer seit Monaten laufenden Kampagne der Kommerz-Verleger und ihrer öffentlich-rechtlichen Kollegen zur Verleumdung ihrer Konkurrenz im Netz.

Ein Klassiker der ND-Diffamierung ist dieser Absatz des Artikels: Da der Berliner Psychologe Klaus-Jürgen Bruder die Asylsuchenden auch als Folge von Kriegen erkennt, begreift er den Kampf gegen Asylsuchende auch als „ . . . rechte ‚Kritik‘ an der Kriegspolitik der Bundesregierung“. Das kommentiert der ND-Autor dann so: „Wer so denkt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er sich dem Verdacht aussetzt, beim nächsten AfD-Marsch mitzulaufen.“ Diese Sorte des Diffamierungs-Journalismus ist auch an ihrem gewundenen Deutsch zu erkennen. Doch wer den kompletten Text des Psychologen gelesen hat und die scharfe Kritik Bruders am Nationalismus im selben Interview, der weiß, dass der Rezensent eine echte Unterstellung fabriziert hat. Zumindest den beliebten Begriff „umstritten“ aus der Tagesschau-Meinungsmottenkiste hätte der zuständige ND-Redakteur seinem wildgewordenen antideutschen Autor aus Gründen der journalistischen Hygiene streichen müssen.

So, durch das Neue Deutschland eher versehentlich angeregt, das Buch zu lesen, kann man feststellen: Der Band vereint jede Menge Intellektuelle, die sich in die Auseinandersetzung um die Medien-und Manipulations-Macht begeben haben: Mit Beiträgen von Daniela Dahn über Noam Chomsky bis Rainer Mausfeld finden sich eine Fülle von Artikeln und Interviews zum Thema. Höchst praktisch untersucht zum Beispiel Sabine Schiffer vom Institut für Medienverantwortung, wie man durch geschicktes Wording mit „Fakten lügt“ und aus der Praxis seiner Programmbeschwerden kann der ehemalige NDR-Redakteur Volker Bräutigam berichten, wie Gesinnungsjournalismus die Programmgrundsätze des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks unterminiert. Und der Wahrnehmungsforscher Rainer Mausfeld untersucht die Entpolitisierung und Fragmentierung der Gesellschaft an der die herrschenden Medien erfolgreich mitgearbeitet haben.

So wie die Fülle der Themen und der Autoren eine Stärke des Buches ist, ist sie zugleich eine Schwäche. Nach der alten Apotheker-Regel „viel hilft viel“ ist im vorliegenden Band zwar eine ordentliche Breite zusammengekommen, deren politische Spitze und Stoßrichtung aber nur schwer herauszulesen ist. Eins aber ist sicher: Das Buch bereichert die Front jener, die begriffen haben, dass in unserem Land keine Änderung möglich ist, wenn man nicht die Medien ändert, wenn man nicht den Kampf gegen den Manipulations-Journalismus führt. Aus dieser Front hat sich das NEUE DEUTSCHLAND mit seiner Rezension leider selbst entfernt und macht sich so zum Affen des bürgerlichen Medienzirkus.


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Der deutsche Heilsbringer

Erstellt von Redaktion am 10. Oktober 2017

Manuel Makrone, übernehmen Sie!

File:Christian Lindner auf dem Bundesparteitag in Berlin, 2016.jpg

17 cm fehlen ihm zum deutschen Macron – er bleibt also nur Macaroni

von Ella Carina Werner

Zum Auftakt der französischen Woche: Wo bleibt er bloß, der hiesige Heilsbringer? Morgen: Corinna Stegemann über die französische Revolution.

Deutschland, just nach der Bundestagswahl. Die Sozialdemokraten sind am Boden, die Christdemokraten so unsexy wie eh und je, die Freien Demokraten komplett unzurechnungsfähig, während Linke und Grüne wieder mal lustlos vor sich hin wurschteln. Die Angst geht um: dass die AfD noch größer wird, in den nächsten vier Jahren sämtliche demokratische Parteien überflügelt und 2021 stärkste Kraft im Land wird.

Nur einer könnte das verhindern: eine Lichtgestalt wie Emmanuel Macron, einer, der die Menschen mitreißt, der sie da abholt, wo sie sind, ob in „Udo’s Saufeck“ unter der Kneipentheke, angekettet in der Küche oder in einem der 2.000.000 trostlosen Großraumbüros dieses Landes.

Man erinnere sich nur an den französischen Frühling 2017. Da kam dieser einzelne, blendend aussehende Typ und katapultierte die ganze Grande Nation in kollektive Euphorie. Boulanger buken plötzlich die tollsten Baguettes, die Kühe auf den Schmelzkäseecken lachten noch irrer, die dicksten Citroëns rollten vom Fließband, der Speichel alleinstehender bretonischer Witwen schäumte über wie die Wellen des Atlantiks, ja ein ganzes Land erwachte aus der Lethargie wie Frère Jacques aus dem großen Bordeaux-Suff. Wenn auch nicht mehr ganz so beliebt wie in jenen Frühjahrstagen, ist Macron noch immer für Frankreich „ein Glücksfall“ (Christian Lindner über sein größtes Idol), geliebt, vergöttert, von der Front National gehasst.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/0f/Yann_Wehrling_%28%22transfrontalier2%22%29-01.jpg

Auch wir Deutschen könnten so einen Heilsbringer und Motivator mal wieder gut gebrauchen. Willy Brandt ist tot, Rudi Dutschke ist tot, Franz Beckenbauer ist tot (fast), Michael Fassbender im Kindesalter nach Irland emigriert und Elyas M’Barek weigert sich stoisch, sich zu blondieren und blaue Kontaktlinsen zu tragen.

Für Momente war Martin Schulz im Gespräch, doch seine schlaffen Argumente und Pomuskeln konnten sich nicht recht durchsetzen. KT zu Guttenberg hatte alles, außer irgendwas Mitreißendes. Markus Lanz hätte vom Aussehen her durchaus das Zeug dazu, aber nicht vom Intellekt. Tagesschau-Sprecher Jens Riewa hat offensichtlich keine Beine, und der zauberhaften Katarina Barley fehlt die nötige Distanz zu den Volks­parteien und außerdem der Penis.

Quelle   :   TAZ   >>>>> weiterlesen

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Source FDP-Bundesgeschäftsstelle – Roland Kowalke
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Unren   —   Yann Wehrling: transfrontalier2 (2010), Illustration zum Thema „deutsch-französische Beziehungen“

 

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DL – Tagesticker 10.10.17

Erstellt von Redaktion am 10. Oktober 2017

Direkt eingeflogen mit unseren  Hubschrappschrap

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Wer sich zum politischen Affen machen lässt, braucht sich später nicht wundern, als solcher angesehen zu werden.

1.) Technokratisch und voraussetzungsreich

Angela Merkel war sauer. Sauer, weil wieder nichts dicht hielt. Das Konrad-Adenauer-Haus war vielmehr leck wie ein Tanker nach einem Hurrikan. Das Bild passt ganz gut auf die Union, die nach ihrem Sieg bei der Bundestagswahl, der sich in Anbetracht des Wahlergebnisses wie eine Niederlage anfühlt, nun versucht, das Absaufen zu verhindern. Die CDU-Chefin registrierte also nach 19 Uhr am Sonntagabend, dass bereits einige der besprochenen Details zum Themenkomplex Zuwanderung und Asyl, über den CSU und CDU seit knapp sieben Stunden berieten, nach draußen gedrungen waren. Die ersten Medien berichteten darüber. Doch auf den Ärger, den Merkel daraufhin in der Runde äußerte, folgte nicht die Einstellung der Durchstechereien. Im Gegenteil. In steter Folge sickerten weitere Kleinigkeiten nach draußen.

Die Welt

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Eine typisch, deutsche Pressemanipulation in Form einer Gehirnwäschen ! In dieser geballten Form lesen wir nicht wieviel Geld die eigentluchen Verlierer der Wahl kassieren ? Diese haben politisch versagt und streichen horrende Summen für ihren Dilettantismus ein. Und das schon über viele Jahre :  „Pleiten Pech und Pannen“!

Alternative für Deutschland:

2.) AfD erhält bis zu 400 Millionen Euro vom Staat

Allein die 92 AfD-Parlamentarier des Bundestags erhalten demnach jährlich mehr als 38 Millionen Euro, um ihre Mitarbeiter, Diäten und Kostenpauschalen zu finanzieren. Hinzu kommen mehr als 18 Millionen Euro für die Arbeit der Fraktion und deren Beschäftigte. Alle AfD-Abgeordneten und -Fraktionen in den Landtagen kommen derzeit auf gut 36 Millionen Euro jährlich. Zieht die AfD den aktuellen Umfragen entsprechend auch in Niedersachsen, Bayern und Hessen in die Landtage ein, ergibt sich laut dem Bericht eine Gesamtsumme von etwa 400 Millionen Euro bis 2021.

Zeit-Online

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Martenstein zur Bundestagswahl

3.) Gottesanbeterin Merkel müsste mit der AfD koalieren

Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre steht fest, dass es eine nahezu sichere Methode gibt, um die AfD wieder unter fünf Prozent zu bringen. Angela Merkel müsste mit der AfD koalieren. Alle Parteien, die mit Merkel koalieren, haben anschließend nämlich eine Nahtod-Erfahrung. Ein ähnliches Phänomen ist auch im Tierreich zu beobachten, bei der Gottesanbeterin, einer Heuschrecke, die ihren Partner nach der Paarung verspeist. Insofern gibt es in der CDU also doch noch einen christlichen Kern, die Chefin ist Gottesanbeterin. Das nächste Opfer von Merkel dürfte die CSU sein, bei der kommenden Landtagswahl.

Der Tagesspiegel

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Die Beiden größten Wahlverlierer kungeln einen Sieger aus. Der politische Merkel – Dilettantisums schlägt Blüten. Beispiel Erdogan !

Kommentar Krisengipfel CDU und CSU

4.) Wildes Ringen, große Not

Die Absurdität des Krisengipfels von CDU und CSU war beeindruckend. Da treffen sich zwei Verbündete, die früher den Machterhalt über alles stellten, zu einem Therapiegespräch. Sie prüfen zwei Wochen nach einer Wahl, ob sie überhaupt in der Lage sind, gemeinsam zu regieren. Und einigen sich mühsam bei einem Megathema, das seit zwei Jahren alles dominiert. So etwas hat es noch nie gegeben. Schöner hätten Merkel und Seehofer den BürgerInnen nicht vor Augen führen können, dass die Einigkeit im Wahlkampf billiges Theater war. Sie steigen aus dem Ring wie zwei Boxer, die sich zwölf Runden lang verprügelt haben. Taumelnd, geschwächt und derangiert. Die eine bekam beigebogen, dass ihre Union die Nase voll hat von zu viel Liberalität. Der andere kämpft um seine politische Zukunft, vielleicht auch nur noch um einen würdigen Abgang.

TAZ

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Merkel kann das besser, auch ohne Schlamm. Den Seehofer hält sie schon lange im Würgegriff

Nationalratswahl in Österreich

5. Schlamm-Catchen nach Wiener Art

Am nächsten Sonntag wählen Österreichs Bürger ein neues Parlament, doch eine Entscheidung ist bereits gefallen: Dies war definitiv der schmutzigste Wahlkampf, den das Land je gesehen hat. Abgründe tun sich auf an allen Ecken. Es geht um Lügen und Intrigen, um Bespitzelung und um gezielt gestreute Fake News. Statt über Sozialsysteme oder Steuerkonzepte streiten die Spitzenpolitiker darüber, wer wem wie viel Geld für den Verrat geboten hat. Das ist Schlamm-Catchen nach Wiener Art.

Sueddeutsche-Zeitung

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Türkei-Beziehungen

6.) „Absurde“ Vorwürfe gegen Steudtner

Einer war am Montag rundum zufrieden damit, dass tags zuvor eine Anklageschrift gegen in der Türkei inhaftierte deutsche und andere Menschenrechtsaktivisten vorgelegt wurde: der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments. Mustafa Yeneroglu, Abgeordneter eben jener Regierungspartei AKP, die im Wirken von Menschenrechtsinitiativen wie beispielsweise Amnesty International Angriffe auf ihre Machtstellung sieht.

FR

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7.) So will Merkel FDP und Grüne vom Jamaika-Bündnisse überzeugen

 

  • Einführung des volldigitalisierten Abschiebungsverfahrens
  • Aufnahme neuer, sicherer Drittstaaten (Bioland, Naturland)
  • Obergrenze für Obertrottel (weniger Ministerposten an die CSU)
  • Einführung des Amtes eines Insektenbeauftragten

Titanic

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Hinweise und Anregungen nehmen wir gerne entgegen

Treu unserem Motto: Es gibt keine schlechte Presse, sondern nur unkritische Leser

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Grafikquelle: DL / privat – Wikimedia Commons – cc-by-sa-3.0

 

 

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Merkel zum Vierten

Erstellt von Redaktion am 9. Oktober 2017

Die Republik am Scheideweg

von Albrecht von Lucke

Das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 ist ein historisches – in einem historischen Jahr. Der 50. Todestag Konrad Adenauers am 19. April, der Tod Helmut Kohls am 16. Juni und am kommenden 8. Oktober der 25. Todestag Willy Brandts: In diesem Jahr verdichtete sich noch einmal die Geschichte der Bonner Republik. Gleichzeitig schreibt dieses Jahr nun seinerseits Geschichte, denn es steht für das Ende der Republik, wie wir sie kennen. Der alte Satz, Bonn (oder Berlin) ist nicht Weimar, klingt heute nicht mehr so überzeugend wie zuvor. Seit diesem 24. September sind wir Weimarer Verhältnissen ein Stück nähergerückt.

Mit ihrem vierten Wahlsieg ist Angela Merkel, die „geschiedene Frau aus dem Osten“ (Edmund Stoiber), endgültig in der Adenauer- und Kohl-Liga angekommen – und das, so das Einzigartige dieser Karriere, alles ohne westliche Hausmacht. Für die zwölf Jahre unter wechselnden Merkel-Regierungen zahlt die Republik allerdings einen hohen Preis.

Dafür steht vor allem eine Zahl: 53,5 Prozent – das Wahlergebnis der gesamten Großen Koalition. Es ist Ausdruck eines fundamentalen Niedergangs der Volkspartei als Modell. Zur Erinnerung: Adenauer, aber auch Kohl erzielten annähernd gleiche Ergebnisse, allerdings alleine für die Union. Gestartet 2005 bei gut 70 Prozent ist Schwarz-Rot nach zwei Legislaturperioden unter Angela Merkel (unterbrochen von Schwarz-Gelb) keine „GroKo“ mehr, sondern nur noch die letzte verbliebene Zweier-Koalition der Republik. Merkel hat in ganz erstaunlicher Weise ihre bisherigen Koalitionspartner kannibalisiert, bei allerdings jeweils immensem eigenen Zutun von FDP und SPD. Das fundamental Neue dieser Wahl: Nun ist auch die Union im Kern angegriffen, ihre 33 Prozent stehen für das schwächste Unions-Ergebnis seit 1953. Beide Volksparteien sind somit massiv angeschlagen. Gerade auf deren Stärke aber basierte die erstaunliche Stabilität der Bundesrepublik.

Von Beginn an machten die Parteien der rechten und der linken Mitte, Union und SPD, die Regierungen unter sich aus. Und im Zentrum des Parlaments, als Funktionspartei für die jeweilige Mehrheitsbildung, saßen erst die Liberalen und ab 1983 auch die Grünen. Doch wie die klassische Lagerkonstellation, hier das bürgerliche, dort das linke Lager, sind nun auch die kleinen Koalitionen Geschichte. Wie über Schwarz-Gelb ist die Zeit auch über Schwarz-Grün hinweggegangen, ohne dass dieses Bündnis je im Bund erprobt worden wäre. Heute ist die SPD die letzte verbliebene Funktionspartei. Doch mit ihrem angekündigten Rückzug aus der „Großen Koalition“ scheidet auch diese Option aus. Damit aber ist die Republik, wie bereits jetzt die heillosen Jamaika-Debatten zeigen, zwar nicht gleich unregierbar geworden (um einen Kampfbegriff aus den im Nachhinein fast idyllischen 1970er Jahre aufzunehmen),[1] aber doch erheblich schwerer regierbar. Erstmalig verfügt die Republik über ein Sieben-Parteien-Parlament (in sechs Fraktionen), das ob der Absage der SPD keine Zweier-Koalition mehr möglich macht. Das aber heißt, so die Ironie der Geschichte, dass die „Keine Experimente“-Kanzlerin Angela Merkel jetzt mit dem Gegenteil konfrontiert ist: „Mehr Experimente“ sind zwingend geboten.

Die Geburtshelferin der AfD

Merkels „Sieg“ trägt zudem einen schweren Makel: Mit der AfD ist eine neue, starke Rechtspartei in den Bundestag eingezogen. Damit geht die rechte Volkspartei den Weg der linken: Seit der Entstehung der WASG und der Gründung der Linkspartei 2005 ist die alte bundesrepublikanische Linke gespalten und faktisch regierungsunfähig. Merkels Fundamentalliberalisierung der Union hat den Platz auf der Rechten weit geöffnet. Auf diese Weise hat die Kanzlerin zugelassen, was alle ihre Vorgänger zu verhindern wussten. Konrad Adenauer gelang es schon in seinen ersten Amtszeiten, die rechten Splitterparteien in die Union zu überführen und damit erst die Voraussetzung für seine absolute Mehrheit 1957 zu schaffen. Adenauers Nachfolger, von Ludwig Erhard bis Helmut Kohl, hielten die nationalistische Rechte ebenfalls klein, obwohl die NPD 1969, nach der ersten großen Koalition unter Kurt-Georg Kiesinger und Willy Brandt, den Bundestagseinzug beinahe geschafft hätte.

Erst mit Angela Merkel ist die Alleinvertretung des rechten Parteispektrums durch die Union zu Ende. Mit der AfD zieht erstmals eine in Teilen offen rechtsradikale Partei in den Bundestag ein – allen Provokationen der Höckes und Gaulands zum Trotz. Oder vielleicht schlimmer noch: vielleicht gerade wegen ihnen. Da die Wählerinnen und, weit überwiegend, Wähler sich auch diesmal nicht haben abschrecken lassen, hat die AfD den Beweis erbracht, dass eine in Teilen antisemitische Partei heute wieder salonfähig ist.

Wie sehr dies den Diskurs radikalisieren wird, haben die letzten Jahre gezeigt. Die bloße Angst vor einer künftigen AfD-Fraktion hat die CSU zu einer Imitation der AfD-Rhetorik („Herrschaft des Unrechts“) wie der AfD-Politik (Obergrenze) veranlasst. Mit fatalen Konsequenzen, wie vor allem im Osten, aber auch in Bayern zu besichtigen ist, wo die AfD ihr bestes Ergebnis in einem West-Bundesland erreicht hat. Dennoch steht zu befürchten, dass die CSU mit Blick auf die bayerischen Landtagswahlen 2018 die Dosis ihrer grundfalschen Medizin eher noch erhöhen wird, anstatt diese endlich abzusetzen.

Mit der AfD, die aus Prinzip nicht koalitionswillig ist, zieht zugleich eine radikale Systemkritik in ein hochgradig destabilisiertes Parlament ein. Ihr erklärtes Ziel: die absolute Macht zu erlangen, um dann, ganz im Jargon der konservativen Revolution, die Quatschbude „auszumisten“ (Markus Frohnmaier, AfD-MdB). Hier aber liegt auch der kategoriale Unterschied zwischen AfD und Linkspartei: Die AfD setzt auf die radikale Verunglimpfung aller Eliten und „des Systems“. Die Linkspartei ist durchaus systemkritisch, aber grundsätzlich koalitionsbereit.

Im Bundestag dürfte die AfD zukünftig eine Doppelstrategie fahren: Speziell der Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland wird sich staatstragend geben, aber gleichzeitig den Tabubruch weiter perfektionieren, um die radikalen Kräfte zu befriedigen. Mit dem Abgang von Frauke Petry aus Fraktion und Partei ist es bereits zu einem ersten „Reinigungsprozess“ gekommen, weitere Abspaltungen dürften in diesem „gärigen Haufen“ (Gauland) zwangsläufig folgen.

Diese neue Rechte steht für eine gewaltige Polarisierung der Gesellschaft. Hingegen ist es die zentrale Aufgabe der Politik, eine handlungsfähige Regierung zu schmieden. Wer damit fatalerweise überhaupt „nichts zu tun“ hat, ist die deutsche Linke. Fundamental geschwächt, ist sie – als Formation mehr noch als Partei – der vielleicht größte Verlierer dieser Bundestagswahl. Mit dem 24. September hat sich die von Willy Brandt beschworene „Mehrheit jenseits der Union“ bis auf Weiteres erledigt. Durch den Einzug von AfD und FDP in den Bundestag ist die gesamte Republik massiv nach rechts gerutscht; die rechnerische Chance für rot-rot-grüne Bündnisse ist damit auf unabsehbare Zeit perdu.

Die Linke im Aus

Quelle   :    Blätter      >>>>>     weiterlesen

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Grafikquelle    :   https://twitter.com/Smiley007de

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte

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Was ist los in Katalonien?

Erstellt von Redaktion am 9. Oktober 2017

Die September-Ereignisse von Barcelona – oder Spanien-Katalonien im Herbst

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Von Außen drängen sich die Allegorien nahezu auf. 80 Jahre nach den Mai-Ereignissen 1937 in Barcelona schickt sich erneut eine ungeheuerliche Koalition aus unverbesserlichen und verkappten Faschisten, Pseudo-Liberalen und feig-verräterischen Sozialdemokraten an, mit harter Repression eine überfällige gesellschaftliche Erneuerung zu verhindern und die spanisch-katalanische Gesellschaft mindestens um Jahrzehnte zurückzuwerfen.

Katalonien wird in diesen Tagen von Szenen heimgesucht, die die Erinnerung an die dunklen Zeiten des Frankismus erschreckend wiederbeleben. Oder in aktuellem Bezug vermuten lassen, dass der spanische Ministerpräsident Rajoy mit seinem türkischen Amtskollegen Erdogan gleichziehen möchte. Wobei Erdogan sich wenigstens mit dem Nichteintritt in die EU konfrontiert sieht, während Rajoy sich des Rückhalts sicher und ohne die geringste Ansage seitens der EU, weiter antidemokratisch wüten kann. Sein Repertoire ist mannigfaltig. Es begann mit Drohungen aller Art, setzte sich fort in Gerichtsverfahren gegen Verantwortliche, in zahlreichen Aktionen der Unterdrückung von Meinungsfreiheit und schlug diese Woche um in offene Repression. Durchsuchungen und Razzien unter SEK-Einsatz von Orten, wo angeblich verfassungswidriges Propaganda-Material gelagert sein soll, gegen Druckereien, Festnahme von Geschäftsführern und Angestellten.

Schwer ausgerüstete und bewaffnete Nationalpolizisten schleifen wehrlose Demonstranten über den Asphalt und stürmen Wohnungen, an deren Balkone Unabhängigkeitsfahnen zu sehen sind. Terrorismus vorgaukelnde Festnahme-Szenen auf offener Straße: z.B. des katalanischen Finanzsekretärs auf dem Weg ins Büro mitten auf der Stadtautobahn; oder einer katalanischen Funktionärin in der Tiefgarage mit ihren total verängstigten Kindern auf dem Weg in die Schule, danach filmreife Durchsuchung der Familienwohnung unter heftigster Einschüchterung des Ehemanns. Martialische Patrouillen von Guardia Civil-Fahrzeugen, ausgerüstet mit riesigen spanischen Nationalfahnen, auf den Prachtboulevards Barcelonas – es geht nicht (mehr) um Politik, es geht nur (noch) um Demütigung.

Stefan Loibl, September 2017

Was ist los in Katalonien?

File:01.10.2017 Referendum 1-OCT (4).jpg

Viele Worte sind mittlerweile so abgedroschen, dass uns gar nicht mehr klar ist, was sie eigentlich ausdrücken wollen. In Katalonien stehen sich heute zwei Lager gegenüber, die sich beide als Hauptargument das Wort Demokratie um die Ohren hauen. Ein unmöglicher Dialog und gleichzeitig eine ziemlich lächerliche Tatsache, aber so ist die Realität: Jeder versteht, was er verstehen möchte, selbst wenn die jeweiligen Bedeutungen gegensätzlich sind – und deshalb funktioniert die Welt wahrscheinlich so, wie sie funktioniert.

Ein weiteres Wort, das jeder verwendet, wie es gerade passt, ist der Begriff Nationalismus. In Europa jedoch mit Nationalismus hausieren zu gehen, ist riskant, wo doch sofort allen, die unter Faschismus oder Nazismus gelitten haben, die Haare zu Berge stehen. Das ist natürlich: sowohl Mussolini als auch Hitler verwendeten das verfluchte Wort, um ihre jeweiligen Parteien zu definieren. So ist es verständlich, dass die Europäer Nationalismus mit Diktatur gleichsetzen und wie ein Synonym verwenden (also Gefängnis, Folter, Hinrichtungen, Konzentrationslager und all die weiteren Abartigkeiten). In ihren Ohren verwandelt sich jegliche nationale Forderung in ein Tabu-Thema. Folglich stellt es sich als äußerst kompliziert dar, mit etwas Vergleichbarem zu argumentieren, weil sofort irrationale Hebel in Bewegung gesetzt, Geister der Vergangenheit und fürchterliche Erinnerungen geweckt werden, welche der auf die Spitze getriebene autoritäre Fanatismus provozierte.

Trotzdem und zum Glück ändern sich die Zeiten, die Geschichte steht niemals still. Fast ein dreiviertel Jahrhundert nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs setzen wir auf die Hoffnung und vertrauen darauf, dass neue Generationen nicht wie der Pawlowsche Hund reagieren mögen, wenn sie hören, dass im Süden Europas, auf einem Territorium der Größe und der Bevölkerung nach vergleichbar dem Dänemarks, die Katalanen sich von Spanien loslösen wollen.

Warum? Hauptsächlich weil wir an unser Entscheidungsrecht glauben, weil wir selbständig sein möchten, weil wir uns gar nicht auf den uns bevormundenden Staat verlassen wollen, ein anachronistisches Spanien, das keinerlei Beispiel hergibt. Und schließlich, weil wir, einmal unabhängig, keine Nationalisten mehr sein brauchen.

Als Versuch, es ganz einfach zu machen, fassen wir unser Vorhaben in sieben unverzichtbaren Klarstellungen zusammen:

Erstens: In der überwiegenden Mehrheit fühlen wir Katalanen uns niemanden überlegen. Wir sind allzu skeptisch und betrachten die Dinge mit einer ziemlichen Distanz, so dass wir gegen jegliche Versuchung geimpft sind, unsere Sichtweise anderen aufzudrängen. Wir haben genug Mühe mit uns selber, um in absurder Form mit dem Spiel Zeit zu verplempern, wer den Längeren hat.

Zweitens: Die kolossale Bewegung von gut zwei Millionen Personen, die die Unabhängigkeit fordern, verläuft von unten nach oben, niemand hat irgendetwas auferlegt. Die Unabhängigkeitsführer selber, bis dahin ohne eigene Pläne, entschieden sich, auf die Forderungen der Massen zu hören, die sich in sechs Jahren in Folge in solch riesigen Mobilisierungen Ausdruck verschafften, vergleichbar nur mit der in Europa ausbrechenden Euphorie aufgrund der Beendigung des Zweiten Weltkrieges.

Drittens: Die Form, mit der wir Katalanen fordern, die Verbindungen mit Spanien zu brechen, ist per Definition friedfertig, sowohl was die Überzeugung betrifft als auch die Strategie. Wir wissen, dass es nicht möglich ist, einen neuen Staat mit Gewalt hervorzubringen, denn die Kräfteverhältnisse sind vollkommen gegen uns, aber auch, und das ist das Wesentliche, weil Gewalt, wie allzu bekannt, immer nur mehr Gewalt erzeugt. Es ist endlich an der Zeit, den antiquierten Hammurabi-Codex in den Papierkorb der Geschichte zu entsorgen, jenen des „Auge um Auge und Zahn um Zahn“, und den Schritt in eine zivilisiertere Phase zu machen. Und in Katalonien besteht gerade jetzt der von allen getragene Kompromiss, egal wie das Resultat eines von Tag zu Tag mehr bedrohten Referendums aussähe, das Ergebnis der Befragung gewissenhaft zu respektieren.

Viertens: Der Diskurs des Spanischen Staats, um den katalanischen Nationalanspruch in Abrede zu stellen, beruht auf vielerlei Trugschlüssen. Darin der vielleicht schwerwiegendste ist jedoch, dass sich auf eine Verfassung gestützt wird, nämlich auf die von 1978, über die Personen abgestimmt haben, die heute alle mindestens 60 Jahre alt sind. Das bedeutet, dass die überwiegende Mehrheit der aktuellen spanischen und katalanischen Bevölkerung nie die Gelegenheit gehabt hat, diese Verfassung anzuerkennen oder sie zu verbessern.

Fünftens: Es ist nicht möglich mit dem Spanischen Staat ein Referendum zu vereinbaren, abzuhalten mit allen Garantien der internationalen Gesetzmäßigkeit, weil Spanien Katalonien als einen Besitz ansieht, ein durch Eroberungsrecht – manu militari – 1714 erworbenes Gebiet. Das wird natürlich nicht laut ausgesprochen, aber auf diesem Hintergrund können die Regierenden beider Nationen nicht auf Augenhöhe zueinander in Beziehung treten. Noch deutlicher ausgedrückt: So wie wir Katalanen nicht meinen, die Spanier seien unser, haben diese in ihrer DNA hinterlegt, dass wir ein Teil von ihnen seien, und jetzt denken sie, ihr rechter Arm oder ihr linkes Bein oder ihre beiden Ohren wollten den eigenen Körper verlassen.

Sechstens: Die katalanische Seele, so wie wir sind und die Welt sehen, vermeidet Maximalismen, das Alles oder Nichts. Das Vermögen der Katalanen zu verhandeln, das Wissen darüber, dass es sehr häufig notwendig ist, Zugeständnisse einzugehen, ist sprichwörtlich und historisch. Sicherlich wäre es nicht so weit gekommen, wenn der Spanische Staat das nur ein wenig anerkannt, wenn er ein wenig verstanden hätte, auf der anderen Seite einen Verhandlungspartner mit gleichen Rechten zu sehen. Aber da wir Katalanen genügsam sind, vielleicht sogar zu sehr, ergibt es sich, dass die Unnachgiebigkeit der spanischen Regierenden unermüdlich, Tag für Tag, die Zahl der Unabhängigkeitsbefürworter ansteigen läßt. So könnte es durchaus sein, dass wir in der Summe der Widersprüchlichkeiten schließlich die Unabhängigkeit erlangen, dank jenes ewigen Spanien, das seit uralten Zeiten all das verachtet, was es ignoriert.

Siebtens: Vielleicht ist es die Ironie, die sich aus diesem letzten Umstand ergibt, welche eine katalanische Revolte provoziert, die außerdem mit einer tadellosen Friedfertigkeit beweist, dass mit Humor, mit gutem Humor die Wirklichkeit grundlegend umgewandelt werden kann. «Clavells contra fusells, cançons contra canons, humor contra la por» – Nelken gegen Gewehre, Lieder gegen Kanonen, Humor gegen Angst – das beste Werkzeug, um den Gegner zu verwirren, und welches uns folglich das Ziel erreichen lassen wird.

Jaume Sesé Sabartés
Übersetzung: Stefan Loibl

JAUME SESÉ SABARTÉS, 65, Argentona/Barcelona, katalanischer Historiker, Sympathisant der CUP – Candidatura d’Unitat Popular (Kandidatur der Volkseinheit, eine linksradikale Bewegungs- und Oppositionspartei, vertreten im Katalanischen Parlament und in zahlreichen Rathäusern)

Quelle     :        Artikel vom Untergrundblättle

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Oben    —     Karte Katalonien

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Unten —  Referendum Katalomiem

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Steinmeiers Neue Heimat

Erstellt von Redaktion am 9. Oktober 2017

Die Innere Einheit geht nur an Feiertagen

  …..  wenn diese Gruppe  sich selber hochleben lässt

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Autor: U. Gellermann

Rationalgalerie

Steinmeier? Steinmeier? Kennen Sie nicht? Verständlich. Man hatte den Eindruck gewonnen, dass der Mann nach dem 12. Februar 2017 verschwunden war. Denn da wurde er von einer scheinbar bunten Mischung aus CDU, SPD, GRÜNEN und FDP zum Bundespräsidenten gewählt. Und dann war er weg. Jedenfalls aus der Öffentlichkeit. Spielte er hinter den Mauern des Schlosses Bellevue Skat? Arbeitete er an Putschplänen zum Sturz Angela Merkels? Oder schrieb er Tipps für Martin Schulz, so von Sozialdemokrat zu Sozialdemokrat, denn auch Steinmeier hatte mal für den Kanzler-Job kandidiert, er wusste wie man verliert. Falsch. Alles falsch. Steinmeier saß schon seit Monaten an seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit. Und als man sie dann hörte oder las, die Rede, wünschte man ihm doch ein paar nette Skatrunden auf Staatskosten.

Um die innere Einheit unseres Landes macht sich der Bundespräsident Sorgen. Um die Einheit der Kinder ohne Pausenbrot mit den Kindern, die ihren ersten Brillanten für´s Ohr schon zum Schulstart bekommen? Um die Einheit der Kunden bei der Kaviar-Verkostung mit den Kunden, die an den Märkten nach abgelaufenen Lebensmittel-Packungen für umsonst fragen? Um die Einheit der Rolex-Sammler und der Pfandflaschen-Sammler? Was verdammt soll die verbinden? „Das freie und gleiche Wahlrecht verbindet uns – und das spüren wir jedes Mal, wenn wir mit unseren Nachbarn in der Schlange vor der Wahlkabine stehen“, antwortet Steinmeier. Er, der von einer übergroßen Koalition aus Dienstwagen-Fahrern ins Amt gehievt wurde, spürt eine Verbindung zu denen, deren Recht der Wahl immer aufs Neue durch beliebige Koalitionen entwertet wird? Da muss er aber feine Sinne haben. So feine Sinne, dass sie sogar ins Internet reichen. Denn er erspürt selbst „Mauern rund um die Echokammern im Internet“. Die gepolsterten Mauern rund um die Chefetagen der Medien, die immer nur nur das gleiche Echo auf den Regierungssprecher herstellen, können ihm nicht auffallen. Denn was er dort sieht, liest oder hört, das könnte auch von ihm formuliert sein.

Und weil ihm die hundertfache Wiederholung des Wortes „alternativlos“ einfach nicht auffallen will, weil ihn das nicht wütend macht, da fällt ihm lieber ein, „dass Wut am Ende die Übernahme von Verantwortung nicht ersetzt.“ Gerade in diesen Tagen wird wieder viel Verantwortung übernommen: Immer gern und auch in Jamaika: Regierungsverantwortung. Das ist die Verantwortung, die sich in Posten und Pöstchen auszahlt. In Diäten und Pensionen. Die Verantwortung für eine Mörderbande namens NSU, eine Bande die durch unsere Heimat tobte, um unsere Erde mit Blut zu besudeln. Feige, hinterhältig, noch bis in den Gerichts-Saal eine Mischung aus blöd und auch noch stolz darauf. Verantwortung? Unmittelbar nach Steinmeiers Rede tagten jene Geheimdienste, die rund um die NSU-Mörder 40 V-Männer und V-Frauen platziert hatten. Hat jemand von diesen Dienstgesichtern, diesen Fleisch gewordenen Sicherheits-Risiken, auch nur einer irgendeine Verantwortung übernommen? Nein. Wie ihr Hätschelkind Tschäpe, ihre mit der Steuergeld-Flasche groß gezogene Freizeit-Agentin, plädieren sie schon jetzt auf nicht schuldig.

„Diesem Land anzugehören, bedeutet Anteil an seinen großen Vorzügen, aber eben auch an seiner einzigartigen historischen Verantwortung.“ Da ist sie wieder, die Verantwortung. Millionen und Abermillionen Tote sind im Ergebnis des von Deutschland losgetretenen Weltkrieges zu betrauern. Wer diese Verantwortung als Erbe bekommen und begriffen hat, der müsste jene deutschen Soldaten, die sich in fremden Ländern herumtreiben, schnellstens Hause holen, müsste die Rüstungsindustrie in Acht und Bann tun, statt ihren Vertretern auf Empfängen des Präsidialamtes freundlich die Hände zu schütteln. Einmal, fasst unversehens, nähert sich Steinmeier der Wirklichkeit, da hat er einen aus dem Osten getroffen und der sagt ihm: „Mein Betrieb ist pleite, mein Dorf ist leer. Es ist ja gut, dass Ihr Euch um Europa kümmert – aber wer kümmert sich um uns?“ Doch dieser kurze Blick auf eine unliebsame Realität wird sogleich in die Belanglosigkeit versendet: „Das hören wir nicht gern an einem Feiertag.“ Als ob die Sorte Steinmeier das an Werktagen gern hören wollten.

„Wo Heimat ist, da gibt es viel zu erzählen“, erzählt uns Steinmeier in der Feiertags-Rede und erzählt und erzählt. Das Wort Heimat kommt allein 19 Mal in seinem Manuskript vor. Flugs will die CDU daraufhin ein Heimat-Ministerium einrichten. Warum nicht gleich ein Heimatschutz-Ministerium wie die USA. Diesen von George W. Bush gegründeten Staatssicherheitsdienst, dessen Kraken-Arme bis heute in jeden privaten Computer langen. Die grausige verbale Nähe zum „Thüringer Heimatschutz“, dem Geburtshelfer des NSU, muss den USA-Schützern nicht auffallen, bei Steinmeier ist der Blick auf solche Ähnlichkeiten durch eine stattliche Apanage und durch einen luxuriösen Dienstsitz verstellt.

Wer ein Ministerium für die Heimat braucht, der hat keine. Das gilt auch für Frank-Walter Steinmeier, den Architekten der Agenda 20/10, der den Arbeitslosen im Land eine neue Heimat in den Job-Centern verheißen hat. Da sitzen sie nun in den Wartesälen und warten auf eine Heimat, die ihnen Arbeit gibt. Nicht Almosen und auch nicht Geschwätz.

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Grafikquelle    :    Gruppenfoto mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Mitte.

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Die – Woche

Erstellt von Redaktion am 9. Oktober 2017

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Auch die Grünen haben ein Heimatbedürfnis, die Amateure der FDP machen einen Stuhltanz und die SPD zerfleischt sich selbst.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht in der vergangenen Woche?

Friedrich Küppersbusch: Der Spiegel hat herausgefunden, dass bei ARD und ZDF einiges im Argen liege.

Und was wird besser in dieser?

Die AfD verteilt den Spiegel-Titel gratis als Beleg für ihre Thesen und erhöht damit die Auflage des Blattes.

Den „Heimat“-Begriff nicht den Rechten überlassen – ist das eine gute Idee?

Steinmeiers „Heimat liegt in der Zukunft“ kann ein Befreiungsschlag werden. Wenn er auch schwer zu verstehen ist. Denn Heimat liegt in der Zukunft, weil sie Vergangenheit voraussetzt. Heimat ist die persönliche Summe von Erlebtem und braucht seine Zeit. Folglich wächst das Bedürfnis nach Heimat mit dem Alter. Regionalzeitungen und dritte TV-Programme stöhnen unter alter Kundschaft – junge Menschen erleben Region als Durchgangsstadium. Kurz: Heimat ist ein menschliches Bedürfnis. Dem ein Ziel zu geben ist klug. Es zu unterdrücken nährt Übersprungshandlungen und bulimischen Hunger. Man darf die Anbieter von Instant-Heimat getrost als politische Pornohändler aussortieren. Da tun sich Florian Silbereisen und Alexander Gauland nichts. Klug also, dass die Grüne Göring-Eckardt dem Bundespräsidenten beipflichtet. Der Begriff „Heimat“ zieht sich als roter Faden durch die Geschichte der Bundesrepublik; als vaterländischer Taumel verleidet war, erblühte der „Heimatfilm“. Die „Umweltbewegung“ bediente modern gekleidet die Sehnsucht, etwas Bewahrenswertes zu erhalten. Und um die Komplexität auf den Höhepunkt zu wuchten: Wenn du kein Zuhause hast, ist Zukunft eine Heimat.

Es wird über die neue Sitzordnung im Bundestag gestritten. Was halten Sie von diesem Stuhltanz?

Quelle   :     TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle  :    Bearbeitung durch User:Denis_Apel – Lizenz “Creative Commons“ „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen“

Urheber Unbekanntwikidata:Q4233718

 

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DL – Tagesticker 09.10.17

Erstellt von Redaktion am 9. Oktober 2017

Direkt eingeflogen mit unseren  Hubschrappschrap

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Beide sollten sich anschließend einen Ganzkörperkondom überziehen. Vorsicht nicht berühren : „Ansteckungsgefahr“

Hintergruende

1.) Merkels Herbst und Seehofers letzte Chance

Berlin – Mit einem solchen Herbst hat wohl selbst Angela Merkel nicht gerechnet. Erst die offenen Anfeindungen im Wahlkampf, dann das historische Debakel für die Union bei der Bundestagswahl. Und als reiche das nicht aus, wird auch parteiintern der Ton gegenüber der Kanzlerin und CDU-Chefin rauer. Nachdem sich Merkel am Samstag dem Unmut vor allem aus den bayerischen Reihen der Parteijugend gestellt hat, zieht sie am Sonntagabend nach stundenlangen Verhandlungen mit CSU-Chef Horst Seehofer erste Konsequenzen: Die Union rückt wieder im Kampf gegen die rechtsnationale AfD ein Stück weit nach rechts und will sich mit einem neuen Regelwerk zur Zuwanderung in die Jamaika-Koalitionsgespräche mit FDP und Grünen begeben.

Die Welt

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Radioaktives Ruthenium-106 in Europa gemessen:

2.) Experten rätseln über Ursache

Die exakte Ursache der erhöhten Messwerte des radioaktiven Ruthenium-106 sei jedoch weiterhin unklar, teilten das Bundesamt für Strahlenschutz in Oberschleißheim bei München und das Bundesumweltministerium am Sonntag in einer gemeinsamen Presseerklärung mit. Ein Unfall in einem Atomkraftwerk könne als Ursache ausgeschlossen werden, da ausschließlich Ruthenium-106 nachgewiesen wurde. Es bestehe in Deutschland keinerlei Gesundheitsgefährdung für die Bevölkerung.

Focus

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Es erscheinen doch nur die Marionetten vor Gericht. Die Verantwortlichen sitzen nicht im Dunkeln und werden trotzdem nicht angeklagt. Für die Macht ist ehe alles Banane.

Bilanz der G20-Prozesse in Hamburg

3.) G20-Gipfel vor Gericht

HAMBURG taz | Als die Öffentlichkeit schon fast das Interesse verloren hat, wird es plötzlich interessant. Es ist der 12. G20-Prozess am Hamburger Amtsgericht und die Verteidiger setzen auf Konfrontation. Sie fordern einen Freispruch für ihren Mandanten, der eine Flasche auf einen Polizisten geworfen haben soll, stellen Anträge, beklagen, dass ihnen Akten vorenthalten worden seien und werfen der Richterin Befangenheit vor. Ein Urteil fällt an diesem Tag nicht, der Prozess wird vertagt. Aber es ist das erste Mal seit dem ersten G20-Prozess am 28. August, dass ein Angeklagter nicht vor dem Gericht um Entschuldigung bittet, ein Geständnis ablegt, Reue zeigt und Besserung gelobt.

TAZ

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Es liegt nur an den Grünen. Lasst den Spuk doch auffliegen wenn euch die Geiter nicht gefallen

Streit um Obergrenze bei Einwanderung

4.) Grünen kritisieren „Formelkompromiss“ von CDU und CSU bei Zuwanderung

Die Grünen lehnen den Kompromiss im internen Streit der Union über eine Obergrenze für Flüchtlinge ab. „Das ist eine Einigung zwischen CDU und CSU und noch lange nicht das Ergebnis der Jamaika-Sondierung“, sagte Grünen-Chefin Simone Peter der Nachrichtenagentur Reuters. „Die Zahl 200.000 als Höchstgrenze humanitärer Hilfe kommt einer Obergrenze gleich, weil sie die einzelnen Flüchtlingsgruppen wahllos summiert und bei Erreichen der Grenze offenbar sachgrundlos gegeneinander ausspielt“, erklärte sie mit Blick auf die am Sonntag nach stundenlangen Verhandlungen gefundene Einigung.

Der Tagesspiegel

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Menschenrechte sind nicht Verhandelbar – auch nicht in einer Zockerbude des politischen Jahrmarkt !

Krisengipfel

5.) Union findet Kompromiss bei Streit über Zuwanderung

Der Kompromiss wird nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur eine Zahl von 200.000 Menschen als Obergrenze enthalten. Diese werde sich auf den humanitären Zuzug beziehen, also auf Asylbewerber und Flüchtlinge. Arbeitsmigration oder die europäische Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt seien von der Regelung nicht betroffen.

Spiegel-Online

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Endlich bekommt er eine Auszeichnung: Nun darf er sich Windbeutel des Jahres nennen !

Thomas de Maizière

6.) Der vier Jahre im Sturm stand

Er muss das jetzt aushalten, es führt kein Weg daran vorbei. Nur einen Meter vor ihm steht der Mann, der sein Nachfolger werden soll. Und keinen interessiert, ob Thomas de Maizière das passt oder wehtut. Also macht er gute Miene zu einem ziemlich gnadenlosen Schauspiel, so wie er es in mehr als dreißig Jahren Politikerleben immer wieder getan hat. Er klatscht wie die anderen, obwohl das Wahlergebnis schlecht ist. Und er lächelt mit, obwohl Joachim Herrmann schon jetzt in der ersten Reihe steht, wenngleich auch der Bayer aus diesem Abend nicht wie ein Sieger herauskommt. Thomas de Maizière, Doktor der Disziplin, zeigt mal wieder, warum er diesen Ehrentitel verdient hat.

Sueddeutsche-Zeitung

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Idee für Bundestag „Hat sich bewährt“ –

7.) AfD schlägt Reichstagsbrand vor

Wer sitzt wo im neuen Bundestag? Gibt es dort genügend Platz für das deutlich größer gewordene Parlament? Welche Koalition soll dort künftig überhaupt regieren? Fragen über Fragen, auf die die etablierten Parteien mal wieder keine vernünftige Antwort finden. Hilfe kommt aus einer Ecke, von der man es nicht erwartet hätte: Um zu beweisen, dass sie auch zu durchaus konstruktiver parlamentarischer Arbeit fähig ist, präsentiert ausgerechnet die frisch in den Bundestag eingezogene AfD eine schnelle Lösung für alle Probleme.

Die Welt

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Hinweise und Anregungen nehmen wir gerne entgegen

Treu unserem Motto: Es gibt keine schlechte Presse, sondern nur unkritische Leser

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Grafikquelle: DL / privat – Wikimedia Commons – cc-by-sa-3.0

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Der gefühlte Feind

Erstellt von Redaktion am 8. Oktober 2017

Über die Russophobie in Washington

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Über die Russophobie in Washington

von Serge Halimi

Innerhalb weniger Monate haben die USA das Pariser Klimaabkommen aufgekündigt, neue Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt, die begonnene Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zu Kuba rückgängig gemacht, das Atomabkommen mit Iran infrage gestellt, Pakistan verbal angegriffen, Venezuela mit einer Militärintervention gedroht und angekündigt, auf Nordkoreas Provokationen gegebenenfalls mit „Feuer und Wut“ zu antworten, „wie die Welt es so noch nicht gesehen hat“. Seit dem Mieterwechsel im Weißen Haus am 20. Januar haben sich Washingtons Beziehungen lediglich zu den Philippinen, Saudi-Arabien und Israel verbessert.

Die Verantwortung für diese Eskalation trägt indes nicht Donald Trump allein. Denn sowohl die neokonservativen Abgeordneten seiner Partei als auch die Demokraten und die Me­dien klatschten Beifall, als er im Frühjahr Militärmanöver in Asien anordnete und 59 Raketen auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt abfeuern ließ.  Als er hingegen die Möglichkeiten einer Annäherung an Moskau sondierte, wurde er nicht nur gebremst, sondern sogar zu neuen Sanktionen gegen Russland genötigt.

Bestimmend für die aktuelle US-Außenpolitik sind mehr und mehr die Ängste der Republikaner (vor Iran, Kuba und Venezuela), die etliche Demokraten teilen, und die Verachtung der Demokratischen Partei für Russland und Syrien, die die meisten Republikaner teilen. Eine Partei, die sich für den Frieden einsetzt, sucht man in Washington derzeit jedenfalls vergebens.

Dabei hatten die Debatten im vergangenen Jahr den Anschein erweckt, die US-Wähler hätten genug von den imperialistischen Reflexen ihres Landes. Trump hat in seinem Wahlkampf nicht viel zur Außenpolitik gesagt. Doch wenn er außenpolitische Vorschläge machte, widersprachen sie der Linie des Washingtoner Establishments (Militär, Experten, Thinktanks, Fachzeitschriften) – und auch dem Kurs, den er heute selbst einschlägt.

Als Kandidat hatte Trump versprochen, die Wirtschaftsinteressen der USA über geopolitische Erwägungen zu stellen. Damit brachte er die Anhänger eines – in den heruntergekommenen, industriell geprägten Bundesstaaten besonders ausgeprägten – Wirtschaftsnationalismus („America First“) auf seine Seite.

Mit dieser Rhetorik sprach Trump allerdings auch die Wähler an, die nach 15 Jahren Krieg – und dem dadurch angerichteten Chaos in Afghanistan, Irak oder Libyen – die Vorzüge eines gewissen Realismus erkannt haben. „Wir würden heute besser dastehen, wenn wir uns die letzten 15 Jahre nicht für den Nahen Osten interessiert hätten“, sagte Trump im April 2016. Die „Arroganz“ der USA hätte „ein Desaster nach dem anderen“ produziert und „tausende amerikanische Leben und tausende Milliarden Dollar gekostet.“

Das sind überraschende Töne aus dem Mund eines republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Mit dieser Diagnose näherte sich Trump dem progressivsten Flügel der Demokraten an. Peggy Noonan, seinerzeit Redenschreiberin für Ronald Reagan und dessen Nachfolger George Bush, betonte damals, Trump habe sich „außenpolitisch links von Hillary Clinton positioniert. Sie ist eine Kriegstreiberin, die allzu gern militärische Mittel einsetzt und ein schlechtes Urteilsvermögen besitzt. Es ist das erste Mal in der jüngeren Geschichte, dass ein republikanischer Präsidentschaftskandidat weiter links steht als sein demokratischer Kontrahent. Das macht die Sache interessant.“

File:Trump Putin (32329816521).jpg

Interessant ist die Entwicklung seitdem in der Tat, wenn auch anders als von Noonan vorhergesagt. Denn während „die Linke“ einen Frieden postuliert, der nicht aus der Einschüchterung anderer Länder, sondern aus gerechteren internationalen Beziehungen hervorgeht, verhält sich Trump, der auf die Meinung der Weltöffentlichkeit pfeift, wie ein Viehhändler auf der Suche nach dem besten Deal für sich und seine Wähler.

Das Problem von Militärbündnissen ist in seinen Augen weniger der Umstand, dass sie Konflikte eher verstärken als mögliche Angreifer abschrecken, sondern dass sie die US-Amerikaner zu viel kosten. Da diese am Ende die Rechnung zu bezahlen hätten, müssten sie mitansehen, wie sich die USA zu einem „Dritte-Welt-Land“ entwickelten. „Die Nato ist obsolet“, wetterte Trump schon am 2. April 2016. „Wir verteidigen Japan, wir verteidigen Deutschland, und sie zahlen dafür nur einen Bruchteil dessen, was wir ausgeben. Saudi-Arabien würde zusammenbrechen, wenn wir uns zurückziehen. Man muss bereit sein, den Tisch zu verlassen, sonst macht man nie einen guten Deal.“

Einen „guten Deal“ erhoffte sich der US-Präsident mit Moskau. Eine neue Partnerschaft hätte die schlechten Beziehungen zwischen den beiden Großmächten verbessern können – insbesondere durch ein Bündnis gegen den IS und eine Anerkennung der Bedeutung der Ukraine für die äußere Sicherheit Russlands. Bei der derzeitigen Paranoia der US-Amerikaner in puncto Kreml ist ganz in Vergessenheit geraten, dass Barack Obama 2016 – nach der Krim-Annexion und der direkten Intervention Moskaus in Syrien – die Gefährlichkeit Wladimir Putins ebenfalls relativiert hatte. Die Einmischungen Russlands in der Ukraine und im Nahen Osten bezeichnete er als ein „Zeichen der Schwäche gegenüber einem Satellitenstaat, der dabei war, sich seinem Zugriff zu entziehen“.

Obama ging noch weiter: „Die Russen können uns nicht verändern oder ernsthaft schwächen. Russland ist ein kleineres, schwächeres Land. Die russische Wirtschaft produziert nichts, was irgendjemand kaufen möchte – außer Öl, Gas und Waffen.“ Beunruhigend fand Obama jedoch, dass Donald Trump und seine Anhänger Sympa­thien für den russischen Präsidenten hegten: „37 Prozent der republikanischen Wähler schätzen Wladimir Putin, den Ex-KGB-Chef. Ronald Reagan muss sich im Grabe umdrehen.“

Seit Anfang dieses Jahres kann der republikanische Expräsident wieder in Frieden ruhen, denn, so Putin Ende Mai mit Blick auf die USA: „Die Präsidenten kommen und gehen, aber die Politik ändert sich nicht.“ Eines Tages werden Historiker jene Wochen untersuchen, in denen die US-Geheimdienste, die Wortführer des Clinton-Flügels in der demokratischen Partei, die Mehrheit der republikanischen Abgeordneten sowie die Trump feindlich gesonnenen Medien alle am selben Strang zogen. Ihr gemeinsames Ziel: jegliches Einvernehmen zwischen Washington und Moskau unterbinden.

Ihre Beweggründe waren jedoch unterschiedlich. Die Nachrichtendienste und Teile des Pentagons befürchteten, durch eine Annäherung zwischen Trump und Putin könnte ihnen – nach dem militärischen Sieg über den IS – ein präsentables Feindbild fehlen. Die Clinton-Anhänger wiederum waren froh, nicht länger über ihre Kandidatin und deren überraschende Wahlniederlage nachdenken zu müssen. Da kamen ihnen die Moskau angelasteten Cyberangriffe auf die Demokratische Partei gerade recht. Und die Neokonservativen, „die den Irakkrieg befürwortet haben, Putin hassen und die Sicherheit Israels für nicht verhandelbar halten“,7 waren angewidert von Trumps neuem isolationistischen Kurs.

Die bürgerliche Presse hat sich auf Trump eingeschossen

Quelle   :   Le Monde diplomatique >>>>> weiterlesen

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Grafikquellen    :

Oben   —   „Impeach Putin’s Puppet“

Date
Source 2017.04.15 #TaxMarch Washington, DC USA 02431
Author Ted Eytan from Washington, DC, USA

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Unten   —    Women’s March on Washington.

Date
Source Tiny Hands
Author Mike Maguire

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Das Nessos-Gewand

Erstellt von Redaktion am 8. Oktober 2017

Das Nessos-Gewand

Autor Uri Avnery

IN EIN paar Wochen wird Israel den 50. Jahrestag des Sechstagekrieges feiern. Millionen von Wörtern, die meisten von ihnen ohne Bedeutung, werden, wie gewöhnlich, ausgeschüttet.

Aber das Ereignis verdient mehr. Es ist ein einzigartiges Drama in der menschlichen Geschichte. Nur ein biblischer Schreiber könnte ihm gerecht werden. William Shakespeare könnt es versucht haben.

Ich vermute, dass die meisten der gegenwärtigen Einwohner Israels damals noch nicht lebten und sicherlich nicht fähig sind, das zu verstehen, was sich (damals) ereignete.

Lasst mich deshalb versuchen, das Drama zu erzählen, wie ich es sah.

ES BEGANN am Unabhängigkeitstag, 1967, dem jährlichen Fest der offiziellen Gründung des Staates Israel. Es war erst der 19. Jahrestag.

Der Ministerpräsident Levy Eshkol stand auf der Tribüne und salutierte die Parade der Armee. Eshkol war so weit entfernt wie möglich von militärischen Feierlichkeiten. Er war durch und durch eine Zivilperson, der Führer einer Gruppe von Partei-Ältesten, die den autoritären David Ben-Gurion aus der herrschenden Labor-Partei vier Jahre früher aus der Arbeiter-Partei herausgeworfen hatte.

Mitten in den Feierlichkeiten gab jemand Eshkol ein Blatt Papier. Eshkol warf einen Blick darauf und verhielt sich, als wäre nichts geschehen.

Es war eine kurze Botschaft. Die ägyptische Armee war auf die Sinai-Halbinsel einmarschiert.

DIE ERSTE öffentliche Reaktion war Unglauben. Was? Die ägyptische Armee? Jeder wusste, dass die ägyptische Armee im entfernten Jemen zu tun hatte. Dort wütete ein Bürgerkrieg und die Ägypter hatten nicht sehr erfolgreich interveniert.

Aber die nächsten Tage bestätigten das Unglaubliche. Gamal Abd-al –Nasser, der ägyptische Präsident, sandte tatsächlich Teile seiner Armee in die Sinai-Wüste. Es war eine klare Provokation gegenüber Israel.

Die Sinai –Halbinsel ist ein Teil von Ägypten. 1956 hatte Israel sie besetzt in geheimer Absprache mit zwei überholten Kolonialmächten, Frankreich und Großbritannien. Ben Gurion, damals Ministerpräsident hatte das Dritte Israelische Reich erklärt (nach dem Davidischen und dem Hasmonäischen , vor mehr als zwei Tausend Jahren) musste sich aber traurig zurückziehen.

Der US-Präsident Dwight Eisenhower und der sowjetische Präsident Nicolai Bulgarin hatten beide ein Ultimatum gesandt und Israel hatte keine Wahl, als zu gehorchen. Israel gab also alles zurück, das es erobert hat, bekam aber zwei Trostpreise: der Sinai war demilitarisiert. UN-Truppen besetzten Schlüsselpositionen. Die Ägypter mussten die Straße von Tiran öffnen, der Ausgang des Golfes von Aqaba, von dem Israels kleine Exporte in den Osten abhing.

Was hat Nasser, ein großer Redner, aber auch besonnener Staatsmann, veranlasst, solch ein Abenteuer zu beginnen?

ES BEGANN in Syrien, ein Konkurrent von Ägypten, was die Führung der arabischen Welt betraf. Yasser Arafats Guerillas hatten Israel einige Male von der syrischen Grenze überfallen und der israelische Stabschef hatte erklärt, dass die israelische Armee nach Damaskus marschieren würden, falls dieser Unfug nicht aufhört.

Nasser sah eine Möglichkeit, seiner Führung in der arabischen Welt wieder Geltung zu verschaffen. Er warnte Israel, Syrien nicht anzugreifen und um seine Ernsthaftigkeit zu betonen, sandte er seine Armee in den Sinai. Er sagte auch den UN-Truppen, dass sie mehrere ihrer Positionen evakuieren sollen.

Dies erzürnte den UN-General-Sekretär, den Birmeser U Thant, der auch kein sehr weiser Führer war. Er antwortete, dass wenn Nasser darauf besteht, würden die UN-Truppen ganz Sinai verlassen. Da Nasser seine Forderung nicht ohne Prestigeverlust zurückziehen konnte, verließen alle UN-Truppen den Sinai.

Dies schuf in Israel eine Panikstimmung. Alle Reservisten der Armee wurden gerufen. Die Männer verschwanden von den Straßen. Israels Männerwelt wurde an der ägyptischen Grenze konzentriert, taten nichts und wurden von Tag zu Tag ungeduldiger. Die Angst in Israel von Tag zu Tag schlimmer. Der Zivilist Eshkol erweckte kein Vertrauen als militärischer Führer. Um die Dinge noch schlimmer zu machen, geschah etwas Kurioses. Um die Panik zu beruhigen, entschied Eshkol, sich an die Nation zu wenden. Er hielt eine Rede im Radio (TV gab es noch nicht), die er im Voraus geschrieben hatte. Bevor er sie verlas, gab er sie seinem Hauptberater, der ein paar kleine Korrekturen machte, aber an einer Stelle vergaß er das korrigierte Wort zu streichen.

Als Eshkol diese Stelle erreichte, zögerte er. Welche Version war nun die Richtige? Es war, als ob der Minister Präsident (der auch Verteidigungsminister war) stotterte, während das Schicksal der Nation an einem Faden hing.

ABER WAR das so? Während die Panik um mich herum wuchs, ging ich herum wie ein Bräutigam bei einer Beerdigung. Selbst meine Frau dachte, ich wäre ein bisschen verrückt.

Aber ich hatte allen Grund. Einige Monate vor dem Start der Krise, war ich in einen Kibbuz eingeladen, um eine Rede zu halten. Wie gewöhnlich wurde ich danach zu einem Kaffee mit einigen älteren Kibbuz Mitgliedern eingeladen. Dort sagte mir ein Mitglied im Vertrauen, dass eine Woche vorher der Armee-Kommandeur der Nordfront nach seiner Rede auch zum Kaffee eingeladen war und den Veteranen anvertraute: „Jede Nacht, bevor ich ins Bett gehe, bete ich zu Gott, dass Nasser seine Armee in den Sinai schickt. Dort werden wir sie vernichten.“

Zu dieser Zeit war ich der Herausgeber eines Massen-Magazins, und auch ein Mitglied der Knesset und der Vorsitzende der Partei, die mich ins Parlament gesandt hatte. Ich schrieb einen Artikel „Nasser ist in eine Falle geraten“, die nur den Eindruck stärkte, dass mit mir etwas nicht in Ordnung sei.

Aber Nasser realisierte bald , dass er tatsächlich in eine Falle geraten war. Verzweifelt versuchte er heraus zu kommen – aber es war der falsche Weg. Er äußerte blutrünstige Drohungen, erklärte die Schließung der Straße von Tiran (Er schickte aber gleichzeitig im Geheimen einen zuverlässigen Kollegen nach Washington, der den Präsident drängte, Israel zu stoppen. Wie alle arabischen Führer in jener Zeit glaubte er ernsthaft, dass Israel nur gerade eine amerikanische Marionette sei.)

Tatsächlich waren die Meeresstraßen nie wirklich geschlossen. Aber die Ankündigung machte den Krieg unvermeidbar. Unter immensem öffentlichem Druck hat Eshkol das Verteidigungsministerium aufgegeben und es an Mosche Dayan gegeben. Mehrere der geachtetsten Generäle verlangten Eshkol zu treffen und drohten abzutreten, wenn der Armee nicht sofort ein Angriff befohlen wurde. Der Befehl wurde gegeben.

AM ZWEITEN Tag des Krieges wurde ich in die Knesset gerufen. Ich war an einer Grippe erkrankt, aber stand auf und fuhr nach Jerusalem. Mein leuchtend weißer Wagen schien wie ein Meteor in der Masse der Panzer, die auch nach Jerusalem eilten. Aber die Soldaten ließen mich durch und überschütteten mich mit scherzhaften Kommentaren.

Die Knesset war unter Beschuss von der nahen jordanischen Artillerie. Wir stimmten hastig für das Kriegs-Budget (Ich stimmte dafür und bereute es nicht, wie zwei andere Abstimmungen – doch das ist eine andere Geschichte.) Dann eilten wir schnell in den Schutzraum.

Dort flüsterte mir ein hochrangiger Freund ins Ohr „ Alles ist fertig. Wir haben die ägyptische Luftwaffe am Boden zerstört.“ Und so war es auch. Der wirkliche Gründer der israelischen Luftwaffe, Ezer Weitzman, hatte seit Jahren für diesen Tag geplant und die Luftwaffe für diesen einen Job gestaltet.

Das Folgende ist Geschichte. In sechs unglaublichen Tagen zerstörte die israelische Armee leicht drei arabische Armeen und Teile von einigen mehr, die ohne Luftdecke blieben. Das Land war in einem Freudentaumel. Siegeslieder und Sieges-parties wurden überall gefeiert. Alle Vernunft wurde zum Teufel gejagt.

AM FÜNFTEN Tag des Krieges veröffentlichte ich einen „offenen Brief“ an den Minister Präsidenten und bat ihn, sofort eine Volksabstimmung unter den Palästinensern in den Gebieten anzuordnen, die wir gerade erobert hatten. Es solte ihnen die Gelegenheit gegeben werden zu wählen, ob sie in das jordanische Königreich zurück wollten, oder von Israel annektiert werden oder einen palästinensischen nationalen Staat errichten wollten.

Ein paar Tage nach dem Kriegsende lud mich Eshkol zu einem privaten Treffen ein und nachdem er meine Ideen über einen palästinensischen Staat, Seite an Seite mit Israel, zugehört hatte, fragte er mich freundlich: „Uri, was für eine Art von Kaufmann bist du? Wenn jemand ein Geschäft machen will, fängt er damit an, das Maximum zu verlangen und das Minimum anzubieten, und langsam nähert man sich einem Kompromiss Du willst, dass wir alles im Voraus anbieten?“

Also wurde den Palästinensern nichts angeboten. 50 Jahre später sitzen wir mit der Besatzung fest. Israel hat sich vollkommen verändert; der verachtete Rechte Flügel hat fast die absolute Macht übernommen, Siedler wandern in der Westbank herum und Gaza ist in ein isoliertes Ghetto verwandelt worden. Israel ist in einen kolonialen Apartheid-Staat verwandelt worden.

FALLS ICH religiös wäre, würde ich es in dieser Weise erklären: vor vielen Jahren hat Gott sein erwähltes Volk, Israel, aus dem Heiligen Land ins Exil gesandt, als Strafe für seine Sünden. Vor 130 Jahren entschied sich ein Teil des Volkes von Israel ohne Gottes Erlaubnis ins Heilige Land zurückzukehren. Jetzt hat Gott das Volk von Israel wieder gestraft, indem er ihm einen wunderbaren Sieg schenkte und diesen Sieg in einen Fluch verwandelte, der in eine Katastrophe führt.

Zu diesem Zweck lieh sich Gott eine Idee von seinen griechischen Kollegen. Er verwandelte die besetzten Gebiete in ein Nessosgewand.

Nessos, der Centauros, wurde vom Held Herkules getötet. Doch bevor er starb, bedeckte er sein Gewand mit einem tödlichen Gift. Als Herkules es anzog, klebte es an seiner Haut und er konnte es nicht mehr ausziehen. Als er dies versuchte, tötete es ihn.

(dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)

 

 

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Geheimfriedhof in Mexiko

Erstellt von Redaktion am 8. Oktober 2017

Zuerst eineRippe, dann eineKniescheibe

File:Plano de Veracruz en 1878 - Veracruz, Veracruz. México.jpg

Aus Veracruz Anne Huffschmid

Über 32.000 Menschen sind in Mexiko verschwunden, oft sind Beamte und Polizisten in die Verbrechen verstrickt. Deshalb suchen diese Mütter nun selbst nach den Leichen ihrer Söhne

Am Metallzaun ist ein Schild befestigt: „Durchfahrt verboten“. Genau dort fahren wir jetzt durch, mit dem Kleinbus, nach längerem Verhandeln mit dem Wachposten der Polizei. Vor dem Geruch hatte man uns gewarnt. Die Augen kann man notfalls zumachen, wenn der Anblick unerträglich wird. Aber die „Erinnerung der Nasenschleimhäute“, wie einer der Hilfsgräber auf der Fahrt erklärt, sei noch nach Wochen nicht ausgelöscht.

Hinter uns liegt eine Neubausiedlung mit blassbunten Fassaden am Nordrand der Stadt Veracruz, vor uns ein Schotterweg, gesäumt von Gebüsch und Zäunen. Nach wenigen Minuten erstreckt sich eine sandige Lichtung vor unseren Augen, ringsherum gerahmt von einer Anhöhe mit struppigem Wildwuchs, Wurzelgeflecht. Hier und da ragt ein kahler Baum in den Himmel. Ein idealer Ort.

Still ist es, Vögel zwitschern aus dem Unterholz, ein Geier krächzt von einer Baumkrone. Zu hören ist nur der Wind, mal als sanftes, mal als anschwellendes Rauschen. An den Rändern des sandigen Halbrunds schlängeln sich gelbe Absperrbänder am Boden, mal auch zwischen zwei Stäbe gespannt, escena del crimen steht darauf. Und erst ganz allmählich, als die Augen sich an das sirrende Licht gewöhnen, zeichnen sich die hellen Linien auf dem Grund ab, mit weißen Kordeln abgesteckte Rechtecke.

Sie markieren die Stellen, an denen Leichname und Körperteile aus der Erde geholt wurden: Manche aus über zwei Metern Tiefe, andere gerade einen halben Meter tief. „Wenn sie schneller fertig werden wollten“, wie Celia García, eine kräftige kleine Frau, beim Rundgang erklärt. In der größten Grube haben sie sechzehn Körper gefunden, in den meisten ein oder zwei. Mehr als 270 Tote wurden bis jetzt geborgen, fast alle in schwarze Müllsäcke gesteckt, auf einem Gelände, nicht größer als zwei Fußballfelder. „Ja, das ist wie Kino“, sagt García und breitet die Arme aus. „Aber es ist alles real.“

Diese Realität beginnt im Mai letzten Jahres, am Muttertag, den Frauen in Mexiko schon lange für Proteste nutzen. So auch in Veracruz, der Hafenstadt an der mexikanischen Golfküste: Ein paar Dutzend Frauen haben sich versammelt, fast alle sind Mütter von „Verschwundenen“. Zwei Männer, die keiner kennt, steigen aus einem Van und verteilen kopierte Zettel mit einer krakeligen Karte, wie von Kinderhand gezeichnet: ein paar Straßen, eine Abfahrt, rechts oben ein Fleck mit lauter kleinen Kreuzen. Daneben ein Pfeil: Cuerpos, Körper. „Ich sah das und wusste sofort, was das war“, sagt Lucia de los Ángeles.

Was es war: der Horror – und eine Hoffnung. Vor der schlanken Frau, die von allen Lucy genannt wird, hat sich damals ein schwarzer Schlund aufgetan. So muss es sich anfühlen, wenn einer verschwindet, vom Erdboden verschluckt.

 

Altotonga, Ver., Mexico - panoramio.jpg

An einem Julitag 2013 wurde ihr Sohn, ein bekannter DJ in Veracruz, aus seiner Wohnung entführt. „Du reagierst, als ob man einem Mann sagen würde, dass er schwanger ist: Das kann gar nicht sein.“ Es folgt die übliche Odyssee durch Krankenhäuser, Gefängnisse und Leichenschauhäuser. Endloses Warten. De los Ángeles wird klar, dass es den staatlichen Ermittlern „an allem“ fehlt, wie sie sagt: an Können und Personal, an Interesse und Entschlossenheit. „Ich wusste, sie würden meinen Sohn nicht suchen.“ Sie trifft auf andere Verzweifelte, eine Gruppe wird gegründet, das Colectivo Solecito, kleine Sonne. Unerträglich am Verschwinden ist nicht nur die Lücke. Es ist die Ungewissheit, der Schwebezustand. Die Liebsten nicht mal tot zu wissen und begraben zu können: kein Körper, kein Abschied.

Der Anstoß zum selber suchen kam vom anderen Ende des Landes. Im südmexikanischen Guerrero zogen nach dem Verschwinden der 43 Studenten aus Ayotzinapa die ersten selbstorganisierten Suchbrigaden los und stießen tatsächlich auf Grabstellen. „Das müssen wir auch machen“, sagten die Frauen in Veracruz. Mundschutz und Schaufeln hatte man besorgt. Dann kam die Karte mit den Kreuzen.

Das Fleckchen Erde bei Colinas de Santa Fe, so heißt die Siedlung am Nordrand der Hafenstadt, ist das wohl größte geheime Massengrab in Mexiko, womöglich sogar in Lateinamerika. Die Mütter von Solecito haben die Grabungen nicht nur gefordert oder angestoßen – sie graben selbst. Am Anfang mit bloßen Händen. Am ersten Tag, im August letzten Jahres, kneteten sie an einer Stelle, wo vor Jahren schon etwas gefunden wurde, die Erde durch – und fanden sofort menschliche Knochen. Zuerst eine Rippe. Dann eine Kniescheibe. „Das war unbeschreiblich“, sagt de los Ángeles, die selten um Worte verlegen ist.

Seither kommen ein paar Frauen von Solecito jeden Tag her, immer von acht bis vier. Wenn brütende Hitze oder Regenfälle ihnen zusetzen, ist um zwei schon Schicht. Sie wechseln sich ab, „sonst wird man verrückt“, sagt sie. Ein paar Helfer wurden für die körperliche Schwerarbeit angeheuert, aus eigener Tasche. Zum Einsatz kommt eine von ersten Suchbrigaden entwickelte Technik, die García vorführt: An auffälligen Stellen, wo die Vegetation anders ist, rammen sie einen bis zu zwei Meter langen Metallstab, die varilla, in die Erde. Wenn der Stab beim Rausziehen nach Fäulnis riecht, wird ein Schacht gegraben. Erst wenn man definitiv fündig geworden ist, treten die Männer von der polícia científica,die Wissenschaftspolizei, auf den Plan. Die kümmern sich dann um die fachgerechte Exhumierung der Körperteile.

File:Typische Straßenszene in Veracruz Mexiko fcm.JPG

Ein paar Uniformierte stiefeln über den weichen Sandboden. Polizisten waren von Anfang an dabei, als Geleitschutz und auch, um den Grabenden auf die Finger zu schauen. Inzwischen packen sie auch mal mit an. Meist warten sie jedoch in ihren Polizeiwagen oder flüchten vor der Sonne unter die Plastikplane mitten auf dem Feld.

Hier sitzen alle, matt von der Hitze, die gerade nicht mit Hacke und Machete zum Einsatz ins Unterholz gezogen sind. Aus dem Gebüsch ist das Rascheln der abgeschlagenen Zweige, das Klacken der Varilla zu hören. Gegen Mittag bringt ein Catering, so heißt es tatsächlich, Eintopf mit Reis und scharfer Soße. Polizisten, Gräber und Mütter setzen sich mit Plastiktellern an einen wackeligen Tisch. Man reißt Witze, die Frauen lachen, aus einem kleinen Lautsprecher scheppert Mariachi, mexikanische Volksmusik.

Warum bestehen sie nur darauf, selbst Hand anzulegen? Ist das nicht Sache des Staates? De los Ángeles Stimme wird scharf: „Weil es sonst niemand tut.“ Sie versteht nicht, was daran so schwer zu verstehen ist. „Glaubst du, einer Mutter machst so etwas Spaß? Wenn wir vertrauen könnten oder genug Geld hätten, jemanden zu beauftragen, würden wir das nicht selber machen“.

Quelle   :    TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquellen    :

Oben    —    Old photos of Veracruz City. State of Veracruz. Mexico.

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2.) von Oben   —

Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 3.0 nicht portiert“ lizenziert.
Namensnennung: Joaquín Andrade Rodr…

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Unten   —  Bildinhalt: Straßenszene in Veracruz, Mexiko

  • Fotograf: Frank C. Müller
  • Aufnahmedatum: 16. Juli 2005
  • Aufnahmeort: Veracruz, Mexiko
Public domain I, the copyright holder of this work, release this work into the public domain. This applies worldwide.

 

 

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DL – Tagesticker 08.10.17

Erstellt von Redaktion am 8. Oktober 2017

Direkt eingeflogen mit unseren  Hubschrappschrap

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Vor der AfD scheint die Vereinigung der politisch Voll versorgten  Dilettanten noch etwas Respekt zu haben, also muss man Ihnen damit Beine machen. Ein Reifen welcher kein Profil mehr aufweist, kann Runderneuert werden – wenn die Karkasse noch bedingt tauglich ist.

Vor Spitzentreffen mit CDU

1.) CSU will um AfD-Wähler kämpfen

Der Plan ist eine Reaktion auf die herben Verluste der Union bei der Bundestagswahl 2017: CDU und CSU hatten bei der Wahl 32,9 Prozent erreicht – ein Verlust von 8,6 Prozent gegenüber den Ergebnissen von 2013. „Die Bundestagswahl 2017 war eine Zäsur“, heißt es den Berichten zufolge in dem Papier. „Für unser Land und für die Union. Wer jetzt ‚weiter so‘ ruft, hat nicht verstanden und riskiert die Mehrheitsfähigkeit von CDU und CSU.“ Seehofer hatte der Union bereits eine „offene rechte Flanke“ attestiert, die nun geschlossen werden müsse.

Spiegel-Online

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Die Macht eines Gewalt  Staates. Ähnlich wie beim Merkel-Panoptikum, – dem Treffen der 20 Gangster hier im Land. Die Täter durften frei nach Hause ziehen, während die Proteste untersagt wurden. „Wir Schaffen das“ bringt keine Menschlichkeit – Dafür braucht es harte Arbeit  !!

2.) Zahlreiche Festnahmen bei Protesten in Russland

In Putins Heimatstadt St. Petersburg griffen die Sicherheitskräfte bei der nicht genehmigten Kundgebung hart durch, wie die Zeitung «Nowaja Gaseta» berichtete.Demnach wurden dort am Samstag mindestens 100 Menschen in Gewahrsam genommen. Das Portal OVD-Info zählte landesweit mehr als 260 Festnahmen. In Moskau blieb der Protest indes weitgehend friedlich. Bereits im Vorfeld gab es landesweit Dutzende Festnahmen.

Die Welt

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Die alte Tante wird in den nächsten Wochen den Nachweis führen müssen, ob sie auch auf dem Drahtseil balancieren kann.

Merkel beim Deutschland-Tag der JU

3.) Keine Spur von Rücktritt

DRESDEN taz | Vor dem Kongresszentrum in Dresden bleibt der erwartete Protest gegen Kanzlerin Angela Merkel aus, von einer Handvoll Menschen abgesehen. Drinnen, beim „Deutschland-Tag“ der Jungen Union (JU), sieht es anders aus. Die Nachwuchskräfte von CDU, insbesondere aber der CSU, saßen zum Protest bereit, um ihrer Parteichefin Dampf zu machen. Für Unionsverhältnisse ungewohnt scharf gingen Einzelne die Kanzlerin an. Ein Delegierter des Rheinisch-Bergischen Kreises wollte wissen, ob Merkel selbst für einen „inhaltlichen und personellen Neuanfang“ Platz mache. Aus der Ruhe ließ Merkel sich dadurch nicht bringen, die Angriffe vom rechten Flügel konterte sie kompetent und charmant – und empfahl ihrer Partei als mit Abstand stärkster politischer Kraft im Land mehr Selbstbewusstsein.

TAZ

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Raed Saleh

4.) Berliner Fraktionschef rechnet mit SPD ab

In einem Essay für den Tagesspiegel rechnet der Fraktionsvorsitzende der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, mit seiner Partei ab. Saleh sieht die SPD in einer „existenzgefährdenden Krise“, gibt der Partei Mitschuld am Vertrauensverlust der Bürger in die Politik und am Aufstieg der AfD. Er fordert einen „vollständigen personellen Neuanfang“, besonders unter den „Funktionären“ in der SPD-Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus. „Die Spitze der SPD hat sich in den vergangenen Jahren ständig vergaloppiert“, so Saleh.

Der Tagesspiegel

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Sagt sie zu ihn : „Du warst schon ein härterer Stecher“

CDU und CSU im Sondierungsgespräch

5.) Wenn sich Stachelschweine lieben

Nun weiß man über das Liebesleben der Stachelschweine aus erster Hand nicht sehr viel, aber man hat ein Bild vor Augen, wie die Koalitionäre miteinander umgegangen sind. Jetzt sollen CDU und CSU (in einem Jamaika-Bündnis mit FDP und Grünen) zusammenfinden. Und wer in diesen Tagen mit Vertretern der Schwesterparteien spricht, fühlt sich stark an die Stachelschweine von damals erinnert. CDU und CSU sind zwar um eine Einigung bemüht, dabei aber noch arg widerborstig.

Sueddeutsche-Zeitung

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6.) Geheimniskrämerei um Panzer-Transportzug

Reichenbach. Ein mit Panzern beladener Zug ist am Donnerstag zwischen 9 und 10 Uhr durchs Vogtland in Richtung Dresden oder Leipzig gerollt. Während sich üblicherweise unter Bahnfans auffällige Zugbewegungen herumsprechen und Hobby-Fotografen an der Strecke lauern, war es diesmal anders. Der Heimatforscher und Autor Gero Fehlhauer wurde auf einem seiner Streifzüge zufällig Zeuge der Einfahrt in Reichenbach und schoss mit seiner Handy-Kamera Fotos. Fehlhauer wunderte sich, dass er keinen Eisenbahnfotografen antraf. „Vielleicht war der Panzerzug diesmal gar nicht bekannt“, sagt er.

Freie-Presse

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Wegen Orkan:

7.) BER-Bauleitung schickte beide Arbeiter nach Hause

Berlin (dpo) – Sturmtief Xavier hat Nord- und Ostdeutschland noch immer im Griff. Das wirkt sich auch auf den Berliner Großsstadtflughafen BER aus: Dort haben beide Arbeiter der Großbaustelle ihre Tätigkeiten vorübergehend eingestellt. Der Brandschutzexperte Norbert Arzberger (35) und der Maurergeselle Milan Pleiner (31), die den Flughafen seit 2006 gemeinsam errichten, mussten das Baugelände bereits am Dienstag aus Sicherheitsgründen verlassen

Der Postillon

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Hinweise und Anregungen nehmen wir gerne entgegen

Treu unserem Motto: Es gibt keine schlechte Presse, sondern nur unkritische Leser

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Grafikquelle: DL / privat – Wikimedia Commons – cc-by-sa-3.0

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Es wurde Rechts gewählt

Erstellt von Redaktion am 7. Oktober 2017

Wir hatten Runen aus Salzteig an der Wand

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b7/Kohten-Dorf_auf_Zeltlager.jpg

Gespräch Konrad Litschko und Sabine am Orde

Heidi Benneckenstein war überzeugte Rechtsextremistin. Sie wuchs in einer Nazi-Familie auf, besuchte Neonazi-Zeltlager, verprügelte einen linken Fotografen – dann stieg sie aus. Nun sorgt sie sich über den Rechtsruck in Deutschland

taz am wochenende: Frau Benneckenstein, wann haben Sie zuletzt mit Ihrem Vater gesprochen?

Heidi Benneckenstein: Lange her, zum Glück. Da war ich 15.

Vor neun Jahren also. Seitdem sind Sie ihm nicht mehr über Weg den gelaufen?

Nein. Ich bin damals, nach einem Streit, aus dem Haus gegangen und war weg. Mir war klar, dass ich ihn nicht mehr sehen würde. Ich hatte lange Angst, dass es doch passieren könnte und ich dann ausraste. Aber das ist vorbei. Es hätte keinen Sinn, ihm irgendetwas zu sagen. Es ist zu viel passiert.

Sie sind in einer Nazi-Familie aufgewachsen, in einem Dorf bei München. Ihr Vater, Beamter beim Zoll, leugnete den Holocaust, wollte Ostpreußen regermanisieren und schickte Sie in Zeltlager der rechtsextremen „Heimattreuen Deutschen Jugend“. Wie erinnern Sie sich an Ihre Kindheit?

Mein Vater hat bestimmt, was läuft. Meine Schwestern und ich mussten aufpassen, dass wir nichts Falsches machten, nichts Falsches sagten, nicht laut waren. Beim Essen durften wir nur sprechen, wenn wir aufgefordert wurden. Wenn wir die Tür aus Versehen zu laut zugehauen hatten, mussten wir es zehnmal leise tun. Und wir hatten so eine blöde Treppe, die ich als Kind öfter runtergefallen bin, das tat weh. Trotzdem musste ich die Treppe danach zehnmal rauf- und runterlaufen. Mein Vater hatte auch große Freude daran, uns Schwestern gegeneinander auszuspielen.

Wie haben Sie und Ihre Schwestern reagiert?

Wir haben alle versucht, aus der Schusslinie zu kommen – auch auf Kosten der anderen. Als ich bei einem Schulsportfest mit einem Mädchen aus den Philippinen ein Team bilden musste und mit ihr, Hand in Hand, Stationen ablief, erzählten meine Schwestern unserem Vater davon. Es gab ein Donnerwetter. Warum ich mich mit Fidschis abgebe? Meine Schwestern haben dann beschlossen, mich zur Strafe nicht mehr zu berühren – von sich aus. Sie wussten, dass sie dafür gelobt würden. Und unser Vater fand das tatsächlich eine super Idee.

Wann haben Sie gemerkt, dass Ihre Familie anders ist als andere?

Sehr früh. Jeden Morgen kam die Preußische Allgemeine, an der Wand hingen Runen aus Salzteig, wir hatten Stickdecken mit völkischen Sprüchen und im Keller Bücher über NS-Größen. Ich habe früh gemerkt, dass unsere Eltern anders mit uns sprechen, besonders mein Vater. In unserem Dorfkindergarten sollte ich wegen meiner blonden Haare im Krippenspiel den Engel spielen. Mein Vater war außer sich und rief in der Kita an, ob sie denn nicht wüssten, dass ich konfessionslos sei. Ich verstand nicht, was los war. Je älter ich wurde, desto stärker drängte sich die Ideologie meines Vaters in mein Leben.

Wie meinen Sie das?

Als wir zum Beispiel in der achten Klasse mit der Schule das ehemalige Konzentrationslager in Dachau besucht haben, stachelte er mich beim Abendessen an, kritische Fragen zu stellen.

Zum Beispiel?

Datei:Fotothek df roe-neg 0006146 024 Ansicht des Lagers mit Kindergruppe.jpg

Für ihn deutete ein Schild, dass die Verbrennungsöfen nachträglich zu Dokumentationszwecken errichtet wurden, darauf hin, dass es gar keine gab. Danach sollte ich fragen. Ich sollte provozieren.

Gab es keine anderen Eltern oder Lehrer, die misstrauisch wurden und sich erkundigten, ob bei Ihnen zu Hause alles in Ordnung ist?

Nicht wirklich. Mein Vater ist sehr dominant gegenüber Erziehern und Lehrern aufgetreten. Davon waren viele eingeschüchtert. Einmal, in der dritten Klasse, korrigierte ich meine Grundschullehrerin, dass das Deutschlandlied aus drei Strophen besteht. Ich habe ihr am nächsten Tag sogar ein völkisches Liederbuch mitgebracht. Sie gab es mir kommentarlos wieder. Ich glaube, sie war einfach überfordert.

Hatten Sie Freundinnen, denen Sie sich anvertrauen konnten?

Ja. Meiner besten Freundin habe ich alles erzählt. Das durfte ich eigentlich nicht. Zu Hause wurde gesagt: Was wir hier besprechen oder was ihr in den Zeltlagern erlebt, dürft ihr nicht weitererzählen. Aber solche Geheimnisse kann ein Kind nicht für sich behalten. Meine Freundin konnte sich gar nicht vorstellen, dass ich das wirklich erlebe. Für sie war das wahrscheinlich einfach spannend.

Als Sie 7 Jahre alt waren, schickte Sie Ihr Vater das erste Mal in ein Lager der „Heimattreuen Deutschen Jugend“. Wie war das?

Für mich war es die Hölle. Anfangs, weil ich Heimweh hatte und einfach nur nach Hause wollte. Später, weil alles so durchstrukturiert war, was zu mir überhaupt nicht passte, weil ich inzwischen recht aufmüpfig war. Jeder Schritt wurde kontrolliert. Wir mussten um sieben Uhr aufstehen, zum Frühsport. Zum Frühstück durften wir erst, wenn das Zelt aufgeräumt war. War es nicht ordentlich, mussten wir Liegestütze machen. Dann kam der Fahnenappell vor den Zelten, wir mussten auch bei eisiger Kälte eine halbe Stunde strammstehen. Dann haben wir besprochen, was man den Tag über macht. Das konnten Schwimmbadausflüge sein oder auch AGs, in denen es zur Sache ging.

Was heißt das?

Ich kann mich an einen Vortrag erinnern, wie man sich auf den Tag X vorbereitet, an dem der Staat zusammenbricht. Es ging darum, Lebensmittelvorräte anzulegen, Schlafsäcke bereitzuhaben, solche Dinge. Und immer wieder ging es um NS-Größen. Ehrenmitglied der HDJ war Hans Ulrich Rudel, der Wehrmachtsflieger. Der wurde verehrt, über ihn gab es regelmäßig Vorträge. Genauso über Hanna Reitsch, auch eine Nazi-Fliegerin, oder Agnes Miegel, eine Dichterin, die Hitler verehrte. In einem der Lager hießen die Zelte „Führerbunker“ und „Germania“. Das war aber eine Ausnahme, in der Regel hielt sich die HDJ bedeckt, um keinen Ärger mit der Polizei zu bekommen. Unsere Lager waren meist abgeschieden von Städten, wir gaben uns als Pfadfinder aus oder als Katholische Deutsche Jugend.

War den Kinder klar, was in den Lagern lief?

Die Botschaft jedenfalls kam an. Einmal sollten wir aus einem Stück Sperrholz die Deutschlandkarte sägen, in den Grenzen von 1937. Ein Junge verzierte seine Karte mit einem schwarzen Hakenkreuz. Gestört hat das niemanden.

Was waren das für Kinder, die an den Lagern teilnahmen?

Die meisten kamen aus Familien, die seit Generationen in der rechtsextremen Szene verankert sind. Bildungsbürgertum. Viele Kinder gingen aufs Gymnasium. Als einmal eine Familie aus Berlin dabei war, wirklich Unterschicht, ist das sofort aufgefallen. Der HDJ ging es um die Heranzüchtung einer rechtsextremen Elite.

Was heißt das genau?

Ziel war es, dass wir später Führungspositionen in der Bewegung einnehmen. Es wurde Wert darauf gelegt, dass man gebildet ist und studiert, auch die Mädchen. Auch wenn die HDJ-Mädchen von damals heute fast alle Hausfrauen sind. Für sie ist ideologisch eben die Rolle als Mutter vorgesehen.

Welche Rolle hat Ihre Mutter gespielt?

Meine Mutter war sehr passiv, untergeordnet. Sie hat vieles einfach mitgemacht, weil sie einer Auseinandersetzung mit meinem Vater nicht gewachsen war. Ich glaube nicht, dass sie hinter dem Politischen stand. Das hat man gesehen, als meine Eltern sich getrennt haben. Danach war bei ihr nichts mehr davon zu spüren.

Als Ihre Eltern sich getrennt haben, waren Sie neun. Sie sind zu Ihrer Mutter gezogen. Warum blieben Sie in der Szene?

Mit meiner Mutter gab es oft Konflikte, weil ich trotzig war und meine Mutter auch darauf passiv reagierte. Dann kam die Pubertät und ich bin zurück zu meinem Vater, der mich mit offenen Armen empfangen hat. Plötzlich durfte ich Sachen, die vorher verboten waren: eine Stereoanlage, ein Handy. Für mich war das super. Aber als ich 15 war, ging es nicht mehr. Ich zog erst wieder zu meiner Mutter, später in eine eigene Wohnung.

Wie erging es Ihren drei Schwestern?

Die jüngste ist eine Nachzüglerin, die hat von alldem nicht viel mitbekommen. Meine älteste Schwester war schon ausgezogen und hält bis heute zu meinem Vater, die andere ging in eine Pflegefamilie. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Quelle      :     TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquellen    :

Oben   —  Ein Kohten-Dorf auf einem Zeltlager

Quelle Eigenes Werk
Urheber Revilovs

Lizenz

Ich, der Urheber dieses Werkes, veröffentliche es unter der folgenden Lizenz:
w:de:Creative Commons
Namensnennung Weitergabe unter gleichen Bedingungen
Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“.

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2. von Oben  —   Ansicht des Lagers mit Kindergruppe

Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“ lizenziert.
Flag of Germany.svg
Namensnennung: Deutsche Fotothek‎

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Unten  —  Tauziehen während des Jahn-Bergturnfestes 2006 auf dem Bückeberg, Niedersachsen, Deutschland

Bei vielen Bergturnfesten im deutschsprachigen Raum Tradition: Tauziehen beim Jahn-Bergturnfest auf dem Bückeberg in Niedersachsen

 

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Klatsche für die Regierung

Erstellt von Redaktion am 7. Oktober 2017

Aufschwung der Rechten
und ungenutztes Potential der LINKEN

Zur Bundestagswahl 2017:

Stellungnahme des Länderrats der Antikapitalistischen Linken in der LINKEN

1.

Auch bei der Bundestagswahl 2017 sahen die Prognosen der Demoskopie-Institute wieder deutlich anders aus als die tatsächlichen Resultate für Parteien. Die größte Diskrepanz taucht allerdings nicht bei einer einzelnen Partei auf, sondern bei der Frage, was für eine Koalition in der Regierung wird bevorzugt? Regelmäßig wird darin die „Große Koalition“ aus SPD und CDU als die bevorzugte Regierungsallianz ermittelt.

Doch die Wahl vom 24. September 2017 hat der real existierenden „großen“ Koalition eine dicke Schlappe eingebracht.

Gerade noch 53,4 Prozent Wahlunterstützung gab es für die beiden Regierungsparteien. Ein Viertel der Wahlberechtigten (wieder die „größte“ Fraktion) ist auch diesmal zuhause geblieben und hat gar nicht gewählt. Die Hoffnung insbesondere der CDU, die Menschen würden Angela Merkel erneut wählen, weil sie das Bewährte wollen, wurde auch in allen Umfragen befeuert, in der Realität am Wahltag aber heftig getrübt.

Die tiefe Legitimationskrise der herrschenden Parteien und der hinter ihr stehenden sozialen Kräfte der Banken und Konzerne hat sich offenkundig verfestigt und verbreitert. Und das auf dem Hintergrund eines angeblichen Job- und Wirtschaftswunders in Deutschland und großem Optimismus der Wirtschaftsführer*innen. Bei den Menschen wird offenkundig etwas anderes wahrgenommen: Prekäre Beschäftigungsverhältnisse; entwürdigender Umgang auf dem Arbeitsamt; steigende Mieten; unsichere Renten; schreiende soziale Ungerechtigkeit; mehr Ellenbogengesellschaft und Verrohung des alltäglichen Lebens.

Die tiefe soziale Spaltung der Gesellschaft in Reich und Arm, Gewinner*innen und Verlierer*innen dieser  Wirtschaftsordnung und in Abgehängte und Menschen mit Angst vor dem Abgehängt-Werden auf der einen Seite, sowie obszön reiche und egoistische Menschen auf der anderen, ist eine mittlerweile im Alltagsleben erfahrbare Dauertatsache und kommt zwangsläufig auch beim individuellen Kreuz-Machen in der Wahlkabine zum Ausdruck.

Diese Realität einer Klassengesellschaft macht den Demoskop*innen, die stets nur dem individuellen Wahlverhalten der Menschen nachspüren, schwer zu schaffen. Für linke Politik, die kollektive Prozesse des sozialen Widerstandes und des Protestes in den Mittelpunkt stellen will und muss, ist das zunächst nur eine Zustandsbeschreibung: Die herrschende Politik und ihre Parteien haben in dieser Bundestagswahl eine dicke Abfuhr erhalten.

Jetzt kommt es aus linker Sicht darauf an, daraus etwas zu machen und die antikapitalistischen Kräfte zu stärken.

Die Wahl fand auch vor dem Hintergrund eines fast völligen Ausbleibens von sozialen Kämpfen statt. Weder fanden auf betrieblicher Ebene größere Kämpfe statt, noch gab es umfassender wahrnehmbare soziale Bewegungen.

Zwei erfreuliche Einschränkungen müssen jedoch hierbei gemacht werden:

Im betrieblichen Bereich stellt die Pflegekampagne der Gewerkschaft ver.di eine wichtige Ausnahme dar, die es geschafft hat, in den letzten zwei Wahlkampfwochen das Thema Personalmangel in die Debatte zu bringen. Dort sind die Aktions- und Streiktage für mehr Personal zu nennen, vor allem der mehrtägige, kämpferische geführte Streik an der Charité. Die Rentenkampagne des DGB hingegen war wenig wahrnehmbar.

Beeindruckt haben die Klimaproteste im Rheinland unter dem Motto „Ende Gelände“, bei denen 6000 Menschen friedlich gegen die vom Kapitalismus verursachte Klimakatastrophe demonstrierten. Blockaden von Schienen und eines Tagebaus haben zu einer Verringerung der Leistung eines Braunkohlekraftwerks geführt. Wir brauchen mehr zivilen Ungehorsam!

Dennoch hatten andere soziale Bewegungen ihre Sichtbarkeit eher auf lokaler Ebene und wenig bis keine bundesweite Resonanz wie beispielsweise der Widerstand gegen die Übernahme von Thyssen in NRW.

2.

Die Unionsparteien, vor allem die CSU, haben die größten Verluste eingefahren. Fast drei Millionen Stimmen weniger. Aber sie werden weiter regieren. Die schmerzhaftesten Verluste hat allerdings die SPD zu verarbeiten. Sie hat mit 20,5 Prozent einen historischen Tiefpunkt erlangt. Sie war für die soziale Demagogie in der großen Koalition zuständig und musste einen Wahlkampf für mehr Gerechtigkeit quasi gegen sich selbst als Verantwortliche für dreizehn Jahre Sozialraub machen. Das noch zusätzlich erschwert, weil sie es mit dem gleichen Personal betrieb, das für Hartz IV, für Rentenkürzung, Privatisierungen und soziale Ungleichheit in den letzten Jahren verantwortlich war. Dazu kam mit Martin Schulz ein ungelenker Kandidat, der zu Spagat und anderer Akrobatik nicht fähig war, die nun mal die Minimalvoraussetzung sind, wenn Person, Vergangenheit, und Zukunftsversprechen in Einklang gebracht werden müssen. Schulz zelebrierte pathetische Wahlauftritte, bei denen in jeder Sekunde das Gespielte, Synthetische und die Schweißperlen auf dem Gesicht gesehen wurden, die diese Performance gekostet hat.

Die SPD hat das bekommen, was sie verdient. Andere sozialdemokratische Parteien in Europa haben das Schicksal vorgeführt, was einem solch überflüssigen Anhängsel der großen bürgerlichen Parteien blüht. Sie wurden stellvertretend und besonders abgestraft. Allein die tief mit dem Staat verfilzte Partei mit immer noch knapp 500.000 Mitgliedern und ein Netz von Pöstchen und Staatsknete sowie Verankerung in den Bürokratien der Gewerkschaften und anderer Sozialverbände halten die SPD noch am Leben.

Es war ein kurzer Überlebensinstinkt und die nahende nächste Wahl in Niedersachsen, die die engste Führungsriege der SPD noch am Wahlabend dazu führten, vollmundig anzukündigen, man werde jetzt in die parlamentarische Opposition gehen. Wie immer eine Top-down-Verkündigung der Parteispitze, der sich die Basis gefälligst zu fügen hat. Und wie schon nach der Niederlage der letzten beiden Kanzlerkandidaten, Steinmeier und Steinbrück, eine Maßnahme, die offenkundig vor allem dazu diente, Pöstchen und Karrieren der obersten Spitzenleute der SPD abzusichern.

Dennoch ist diese Entscheidung der SPD-Spitze die politisch klügste Maßnahme seit vielen Jahren. Wir teilen auch die – nicht besonders ernsthaft, aber immerhin – vorgetragene Begründung, dass es nicht sein darf, der rechten AFD die symbolische Führungsrolle in der parlamentarischen Opposition zu überlassen.

Wir vermuten aber stark, dass in dieser Sache noch einiges passieren wird. Die Regierungskoalition aus CDU, CSU, FDP und Grüne steht noch nicht. Die Unternehmerverbände, der DGB-Vorsitzende und einige andere Gewerkschaftsbürokrat*innen haben schon offen oder zumindest zwischen den Zeilen gerufen, die SPD müsse „ihrer Verantwortung für Deutschland“ nachkommen. Also warten wir mal ab, wie lange die Besinnung der SPD-Spitze auf politische Prinzipien anhält. Der Vorwurf, „vaterlandsloser Gesell“ zu sein, hat die SPD schon immer zurückgepfiffen.

3.

Zum Aufschwung rechter Politik mit diesen Wahlen gehört auch der Erfolg der FDP, die mit einem zweistelligen Ergebnis (10,7 Prozent) in den Bundestag zurückkehrt. Sie hat einen perfekt auf die neue Realität der Besserverdienenden in dieser Gesellschaft zugeschnittenen Wahlkampf geführt. Eine personalisierte Inszenierung mit einem jungen, zupackenden und sowohl den neuen „digitalen Welten“ gegenüber aufgeschlossen Kandidaten als auch dem gleichzeitig bekennenden Konsumenten der Insignien der guten alten Welt mit Porsche, edlen Rotweinen und Parken auf Radwegen – das war der Wahlkampf von Christian Lindner. Die Armut der Armen kotzt ihn an und beunruhigt ihn nicht. Sein Klientel sind die Gewinner*innen der neoliberalen Epoche des Kapitalismus, und die reichen allemal für zehn Prozent. Aber diese FDP-Komponente des rechten Aufschwungs ist natürlich allemal zivilisierter als der Mob der AFD.

Direkte Konkurrenten der FDP sind dabei die Grünen, die das gleiche, nur etwas ökologisch verbrämter wollen. Lange Zeit sah es so aus, dass die Grünen den Konkurrenzkampf mit der FDP verlieren würden, aber Irma und Marie, die Hurrikans in der Karibik, haben mit eindringlichen Fernsehbildern die Positionen der Grünen in der Klimapolitik wieder in die Top List der Gespräche in den Clubs und Agenturen der Besserverdienenden zurückgebracht. So teilen sich Grüne und FDP den Block der Gutverdienenden bei den Wahlen.

Die FDP hat sich mit einem scharfen Wahlkampf gegen die schmutzigen Seiten der AFD – der den wirtschaftsliberalen und EU-kritischen Teil ausdrücklich ausnahm, weil der ziemlich FDP-kompatibel ist – auch erfolgreich für die kleinbürgerlichen Wähler*innenschichten präsentiert, denen die AFD zu vulgär, zu gestrig und analog daher kommt.

4.

Die Alternative für Deutschland ist in jeder Hinsicht Gewinnerin der Wahl. Sie hat dem Wahlkampf ihre Themen „Flüchtlingspolitik“ und „innere Sicherheit“ aufgezwungen. Dabei wurde ihr oft mit einer unglaublichen Intensität durch die großen Medien, vor allem die öffentlich-rechtlichen ARD und ZDF, beigestanden. Das erlaubte ihr einen fast unpersönlichen Wahlkampf. Sie prägte den Diskurs, ohne überhaupt dabei zu sein und große Inhalte zu verkünden. Ihr Wahlkampf war eine Inszenierung mit den bekannten Plattitüden aus Nationalismus, Rassismus und Anti-Modernismus.

Hinter dem Wahlkampf standen Millionenspenden von dubiosen, sich in verschiedenen Vereinen versteckenden Finanziers. Damit wurde insbesondere in den letzten Wahlkampfwochen ein Auftritt mit Großplakaten, Videowerbeflächen und Anzeigen organisiert, den sich vom finanziellen Aufwand her höchstens noch die FDP leisten kann.

Die AFD ist von verschiedenen Seiten – auch und besonders von der AKL – in den letzten Monaten ausführlich charakterisiert worden. Sie ist eine radikal-kleinbürgerliche Vereinigung, voller Ressentiments gegenüber Nicht-Deutschen, Andersartigen, Schwulen, Lesben, Behinderten, Armen und stets Sozialleistungsbezieher*innen und vor allem Geflüchteten. Sie besteht aus drei Strömungen, die sich wahlpolitisch immer wieder zusammenfinden, aber genauso regelmäßig wieder zerlegen: Eine wirtschaftsliberale, antigewerkschaftliche Strömung mit ausgeprägter Anti-EU- und Anti-Euro-Haltung. Viele dieser Gruppe haben die AFD auch schon verlassen, sie sind aber immer noch ein präsenter, vor allem in den Programmtexten sichtbarer, Bestandteil. Zweitens eine anti-modernistische, christlich-fundamentale und die alten Werten aus Familie und Geschlechterrollen lobpreisende Gruppierung, die vor allem das Rückgrat der AFD in den ländlichen Gebieten ist. Sowie drittens eine rabiat nationalistische, völkische und entsprechend rassistische Strömung – die regelmäßig durch „Tabubrüche“ und Provokationen auftritt, um den gesellschaftlichen Diskurs zu bestimmen.

In den Wochen vor und im Wahlkampf hat sich – nicht zuletzt durch gezielte Medienspektakel – der letztere, generell aggressivere Teil der AFD in den Vordergrund gedrängt. Ein großer Teil der Kandidat*innen auf den Landeslisten zur Bundestagswahl wird diesem Flügel zugerechnet.

Die AFD hat 5,8 Millionen Stimmen bei der Wahl gewinnen können. Mehr als eine Verdoppelung ihres Stimmenanteils von vor vier Jahren. Nur in einem einzigen der 299 Wahlkreise ist die AFD unter 5 Prozent geblieben. In den Ost-Bundesländern ist sie zweitstärkste und Sachsen sogar die stärkste Partei bei den zur Sitzverteilung entscheidenden Zweitstimmen. Die AFD hat ihr Potential bei dieser Wahl erfolgreich mobilisiert.

Von der AfD geht eine nicht zu unterschätzende Gefahr aus: Zum einen wird sie die Regierung von rechts unter Druck setzen und den Diskurs nach rechts verschieben. Zum anderen beherbergt sie Nazis in ihren Reihen und fühlen sich auch Nazis außerhalb der AfD in ihrem Windschatten ermutigt, Migrant*innen, Geflüchtete, Linke und Gewerkschafter*innen anzugreifen. Darauf muss sich DIE LINKE vorbereiten: DIE LINKE muss der entschiedenste Gegner der AfD sein und nicht aufhören, die sozialen Ursachen des Aufstiegs der AfD zu benennen und die neoliberale und rassistische Politik von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen anzuklagen.

Das falscheste, was die Partei jetzt tun könnte, ist von ihrer klaren Kante gegen rechts und ihrer Solidarität mit Geflüchteten abzurücken, wie es Aussagen von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine nahe legen. Im Gegenteil: DIE LINKE muss offensiver als bisher aus einer klassenpolitischen Perspektive die Debatte um Geflüchtete beantworten: Nicht die Geflüchteten sind das Problem, sondern die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich und das kapitalistische Wirtschaftssystem.

Die Stimmen der AfD basieren auf einer migrantenfeindlichen Haltung bzw. auf Sorgen vor den vermeintlichen sozialen Folgen von Migration. Diese Wähler*innen sind aber nicht alle ideologische Rassist*innen. Gäbe es eine glaubwürdige linke Alternative, die die soziale Frage und klassenkämpferische Positionen in den Mittelpunkt rückt und von links überzeugend beantwortet, würden Teile von ihnen diese wohl auch wählen.

Die Linke und natürlich vor allem die LINKE muss eine Politik entfalten, die einen ganzheitlichen linken Protest gegen den Kapitalismus und seine Folgen organisiert und der Köpfe und Herzen, also den ganzen Menschen mobilisiert. Nur das wird den rechten Spuk vertreiben.

5.

Die LINKE hat 541.063 Stimmen gegenüber 2013 hinzugewonnen. Darunter viele, aber angesichts der existenziellen Krise dieser Partei nicht genügend, Stimmen von der SPD. Auch viele Neu- und Erstwähler*innen. Alles zusammen bedeuten die 9,2 Prozentpunkte und 4,3 Millionen Stimmen für die LINKE eine leichte Steigerung. Gleichzeitig hat die LINKE ein paar Tausend neue Mitglieder gewonnen und jetzt wieder mehr als 60.000 Mitglieder.

Diesen Zuspruch gilt es in wirkliche gesellschaftliche Macht und Einflüsse in den Schulen, Universitäten, Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Verbänden, sozialen und Protestbewegungen und darüber im öffentlichen Diskurs zu verwandeln. Das ist die Aufgabe der nächsten Zeit.

In Wirklichkeit gibt es zwei Ergebnisse: Einen Anstieg von 1,4 bis 3,4 Prozent in den westdeutschen Bundesländern und Verluste von 3,7 bis zu 6,5 Prozent in Ostdeutschland. Dasselbe Verhältnis ergibt sich in Berlin: DIE LINKE legt in Westberlin und Mischbezirken zu und verliert in Ostberlin.

In den Ost-Bundesländern ist die Umwandlung in reales gesellschaftliches Protestmilieu nicht gelungen. Dort hat die LINKE auch in diesen Wahlen wieder massiv Stimmen verloren. Vor allem in Sachsen, Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt und vor allem an die AFD.

Die Praxis der LINKEN, sich an der Verwaltung, und dabei prägt sich bei Wähler*innen vor allem die bürgerliche Krisenverwaltung und Umsetzung von Kürzungspolitik ein, zu beteiligen, hat zu diesem Stimmenrückgang beigetragen. Die LINKE wird als etablierte Partei angesehen und in Mithaftung für all das „Etablierte“ genommen, was gehasst, gefürchtet und unter dem gelitten wird.

Ein wesentlicher Faktor ist die Orientierung der Partei auf Regierungsbeteiligungen. So hat die Partei beispielsweise auch in Sachsen verloren, wo sie nicht mit regiert. Es ist die Gesamthaltung und Glaubwürdigkeit der Partei, die Schritt für Schritt verändert werden und Schaden nehmen. Die Repräsentant*innen der Partei verkörpern plötzlich nicht mehr Wut und Protest gegen den Kapitalismus, sondern treten als Verantwortliche und Mitgestalter*innen auf, ohne dass wirklich nennenswerte Erfolge zu vermelden wären. Und diese Erfolge müssten immer mehr sein, als das von der SPD gewohnte und gehasste „Wir haben Schlimmeres verhütet“.

Aber es geht nicht nur um die Performance der Partei im Osten. Der Auftritt der Partei bundesweit war streckenweise nicht zugespitzt genug und zu wenig gegen das Establishment gerichtet. Während das Wahlprogramm Ausgangspunkt für radikale konkrete linke Parolen hätte sein können, kamen die Wahlplakate pastellfarben-freundlich-soft daher ohne erkennbare Unterschiede zu SPD und Grünen.

Die LINKE muss dieses Image einer Partei, die mehr will als die Verhältnisse verwalten, dringend zurück gewinnen. Das ist etwas komplett anderes als das von anderer Seite gehörte „Die Wähler*innen der AFD zurückgewinnen“. Es geht nicht um Wahlkampf, sondern darum, die Partei als Garanten einer neuen Würde der Menschen aufzubauen.

Das gilt für die Ost-Bundesländer, aber genauso für den Westen, wo die vielen neuen Mitglieder ansonsten schneller verloren gehen, als der nächste Flyer geschrieben werden kann. DIE LINKE als aktive Bewegungspartei – das ist unsere alte und neue Forderung!

Zum Wahlkampf der LINKEN ist abschließend noch festzustellen, dass der Wahlerfolg der LINKEN natürlich auf den Einsatz tausender Aktiver und hunderter Kandidat*innen zurückzuführen ist. Aber die in der Parteizentrale ausgetüftelte Kampagne, die zentralen Plakate, die Kür von Spitzenkandidat*innen und allen voran die zentralen strategischen Zielsetzungen haben wenig bis nichts damit zu tun. Wieder einmal ist die LINKE nicht wegen, sondern trotz ihrer Kampagne erfolgreich bei Wahlen.

Wurde noch beim Wahlprogramm versucht, durch viele dezentrale Veranstaltungen die Basis einzubeziehen, so ist der Wahlkampf und das  Wahlkampfmaterial völlig an der Basis der Partei vorbei entwickelt worden. Von oben herab wurde es uns vorgesetzt. BAGs oder LAGs wurden nicht gefragt, welche Plakate, Parolen, welches Faltblatt sie für ihren Bereich vorschlagen. Ist es da verwunderlich, dass viele Genoss*innen es nicht als ihren Wahlkampf empfunden haben?

Zu Frauenpolitik gab es weder Plakate/Easyplates noch ein Faltblatt. Wir sind eine männlich dominierte Partei. Wenn wir Frauen gewinnen wollen, sowohl als Wählerinnen als auch als Genossinnen, dann müssen wir sie auch ansprechen und ihre Forderungen aufnehmen. Das gleiche beim wichtigen Thema Umweltschutz, den wir doch nicht den Grünen überlassen dürfen. Junge Menschen politisieren sich sehr häufig an Themen wie: Umweltschutz, Massentierhaltung, Welternährung etc. Die Grünen, die lange Zeit eine sehr schlechte Wahlergebnis-Prognose hatten, haben noch in den letzten Wochen mit den Themen Umweltschutz, Klimaveränderung, Dieselskandal alles gerissen. Das haben wir auch an den Info-Tischen gespürt. DIE LINKE konnte deshalb ihr Potential nicht voll ausschöpfen. Da konnte der Verweis auf die Ökologische Plattform und auf ein sozial-ökologisches Programm, was als Material nicht vorhanden war, nicht helfen. Auch das Thema Hartz IV war im Wahlkampf unverständlicherweise nicht präsent.

Die zentralen Thesen der LINKEN, es ginge um einen Wahlkampf „Merkel muss weg“ und um eine neue Regierungsoption „Rot-Rot-Grün“ spielten keine Rolle. Zur Flüchtlingsthematik, dem Hauptthema in den Medien, gab es von der LINKEN nichts oder Schreckliches. Die – auch hunderttausende Wähler*innen umfassende – Solidaritätsbewegung mit den Geflüchteten wurde vergessen und verprellt.

DIE LINKE ist aufgefordert, in Zukunft mehr auf ihre Mitglieder und AnhängerInnen, auf deren Wünsche und Bedürfnisse für die alltägliche Aufklärung und Mobilisierung, zu hören als auf professionelle Werbeagenturen und Demoskopie-Institute.

Quelle   :  AKL

akl - Antikapitalistische Linke

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Grafikquelle    :     Karikatur von Gerhard Mester Weiter so (2016)

  • CC-BY-SA 4.0
  • File:20161221 xl 1515–Gehard-Mester Weiter so.jpg
  • Erstellt: 21. Dezember 2016

 

 

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Politik und Journalismus

Erstellt von Redaktion am 7. Oktober 2017

Die unsichtbare Grenze der Diskretion

Maischberger - 2016-12-14-7439.jpg

Von Bettina Gaus

Die „Spiegel“-Reportage über Martin Schulz wäre besser nie erschienen. Was sagt es aus, wenn Spitzenpolitiker sich bereitwillig entblößen?

Der Spiegel-Reporter Markus Feldenkirchen hat den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz aus großer Nähe im Wahlkampf beobachtet und eine informative, einfühlsame Reportage geschrieben. Das Heft hat sich gut verkauft.

Martin Schulz kommt in dem Text nicht schlecht weg. Sein Verhalten ist – fast – durchweg menschlich verständlich, er wirkt nicht unsympathisch. Der Politiker mag dies nützlich finden. Für den Mann, der gerade eine schwere Niederlage erlitten hat, ist es vielleicht tröstlich.

Die Öffentlichkeit gewinnt Einblicke. Sie erfährt etwas über das Innenleben der SPD, über die Professionalität – oder Unprofessionalität – der Wahlkampagne, über die Person des Kandidaten.

Alles gut also? Nur Gewinner, allüberall? Eine Sternstunde des Journalismus? Nein. Es wäre schön gewesen, diese Reportage wäre nie erschienen.

Martin Schulz hat die Grenze zwischen dem geschützten Raum, in dem man auf ein gewisses Maß an Diskretion vertrauen darf, und dem öffentlichen Raum aufgegeben. Das ist keine lässliche Sünde. Das ist ein Kulturbruch.

Das Wesen von Klatsch

Der Fehler liegt nicht beim Reporter. Die Formulierung „Politiker und Medien“ hat sich eingebürgert, oft werden beide Begriffe gedankenlos und fast automatisch in einem Atemzug genannt. Eine gefährliche Tendenz. Sie legt den Verdacht nahe, „die politische Klasse“ handele stets in einem unterstellten „gemeinsamen Interesse“. Das ist falsch. Politiker und Medien spielen in verschiedenen Teams – oder sollten es zumindest tun. Jedenfalls in einer parlamentarischen Demokratie.

Natürlich wollte Markus Feldenkirchen so dicht wie irgend möglich an den SPD-Kanzlerkandidaten herankommen. Das ist sein Job. Er hat seine Möglichkeiten genutzt, und er hat sich – soweit das von außen zu beurteilen ist – nicht unfair verhalten gegenüber seinem Protagonisten.

Aber viele Szenen, die in der Reportage geschildert, und Äußerungen, die zitiert werden, gehen die Öffentlichkeit schlicht nichts an. Was ja nicht bedeutet, dass sie sich nicht dafür interessiert. Im Gegenteil. Menschen interessieren sich immer vor allem für das, was sie nichts angeht. Das ist das Wesen von Klatsch, und davon leben zahlreiche Großkonzerne.

Zum Klatsch gehören allerdings auch noch zwei weitere Faktoren. Zum einen: das feine Gespür dafür, wo die Grenzen der Vertraulichkeit verlaufen. Wer mit dem Kollegen über die Chefin lästert, darf davon ausgehen, dass der Inhalt des Gesprächs nicht Stunden später auf Face­book nachzulesen ist. Wird dieses Vertrauen enttäuscht, dann kann das sogar justiziabel sein.

Zum anderen: Opfer von Klatsch tun im Regelfall alles, was möglich ist, um zu verhindern, dass Informationen nach außen dringen. Angelina Jolie und Brad Pitt haben über die Modalitäten ihrer Trennung nicht vor laufenden Kameras geredet. Aus gutem Grund.

Bereitwilliges Entblößen

Quelle   :   TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle     :     Maischberger, Sendung vom 14. Dezember 2016. Produziert vom WDR. Thema der Sendung: „Wutbürger gegen Gutmenschen: Verliert die Demokratie?“ Foto: Bettina Gaus („taz“-Journalistin)

 

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DL – Tagesticker 07.10.17

Erstellt von Redaktion am 7. Oktober 2017

Direkt eingeflogen mit unseren  Hubschrappschrap

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1.) Hauptsache Merkel – Immobilien-Boom hält an

München – Die rechtspopulistische AfD ist im Bundestag, die beiden großen Volksparteien CDU und SPD haben viele Wähler verloren, und Bundeskanzlerin Angela Merkel steht vor schwierigen Koalitionsverhandlungen. Die Deutschen grübeln noch immer über das Wahlergebnis. Für die ausländischen Immobilieninvestoren ist es dagegen ein „Non-Event“. So hieß es in einem der vielen Diskussionsforen auf der Expo Real in München, einer der beiden wichtigsten Immobilienmessen in Europa, die am Freitag zu Ende geht.

Handelsblatt

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Kann von diesen Scheindoktor mehr erwartet werden? Sein Sitzplatz und dami Einkommen ist ihm wichtiger als seine Arbeit.

FDP im Bundestag

2.) Liberale Gesäßpolitik

„Parlamentarischer Kindergarten“ überschrieb die Süddeutsche Zeitung einen Bericht über Streitereien um die Sitzordnung im Bundestag. Der Kern der Kontroverse: Die FDP will – vom Bundestagspräsidenten aus gesehen – partout nicht halbrechts zwischen AfD und CDU/CSU sitzen, sondern links von der Union und damit in der Mitte neben den Grünen. Dass SPD und Linke halblinks und ganz links platziert werden, findet allgemeine Zustimmung.

Cicero

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Die Behörden zeigen doch immer nur die Masken ihrer Regierungen. – Arbeitsplatzsicherung

Gutachten zum „Amoklauf“ in München

3.) Staatsanwaltschaft stellt sich taub

TAZ

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Erzkonservative blicken immer über ihre Schultern in Wehmut zurück – Weimar, Adenauer, Erhard – Die Linke äfft nach – Röschen, Karlchen oder Ärich. Bitte alle Aufwachen ! Das war einmal – so fingen Märchen an. Linke Vergangenheit muss Zukunft heißen, nicht Lafontaine und Wagenknecht!

Deutschlandtag in Dresden

4.) Jens Spahn verzückt die Junge Union

Wo die Jugend den Mund aufmacht, da kann es schon mal deutlich werden. Man kennt das ja aus dem richtigen Leben. Und auch bei den Jugendorganisationen der Parteien ist das nicht anders. Ob bei den Jusos, den Youngstern der SPD, den Julis, den ganz jungen Liberalen und auch nicht bei der JU, der Jungen Union. Blau ist ihre Farbe, sie sind rund 110.000 in ganz Deutschland und Paul Ziemiak, ihr Bundesvorsitzender, 32 Jahre alt, ist gerade in den Bundestag gewählt worden.

Der Tagesspiegel

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So schnell dreht die Uhr. – Ex – Emigrant fordert Jens Span und eröffnet damit eine Treibjagd auf Neu – Emigranten. Taktisch sehr clever !

Führungsdebatte in der Union

5.) JU-Chef fordert neben der Kanzlerin
„neue, unverbrauchte Köpfe“

Es dürfte ein recht unangenehmer Termin für Angela Merkel werden. Am Samstag wird die Kanzlerin beim Deutschlandtag der Jungen Union in Dresden erwartet. Das ist traditionell kein leichter Auftritt für Parteivorsitzende. Diesmal aber, nach dem schlechtesten Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit 1949, droht es besonders unangenehm für Merkel zu werden.

Spiegel-Online

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6.) CDU-Abgeordnete schweigt zu Aserbaidschan-Verbindung

In der Woche vor der Wahl hatten Süddeutsche Zeitung und das ARD-Magazin Report Mainz enthüllt, dass Strenz über Umwege Geld aus Aserbaidschan angenommen hatte. Bis zu 30 000 Euro zahlte ihr in den Jahren 2014 und 2015 die Firma Line-M Trade, die dem ehemaligen CSU-Staatsekretär Eduard Lintner gehört. Lintner hatte über mehrere Jahre mutmaßlich Gelder des brutalen Regimes in Aserbaidschan erhalten, um in Deutschland und im Europarat Lobbyarbeit für den autokratischen Staat zu leisten. Inzwischen wurde bekannt, dass über eine seiner Firmen auch zwei belgische Abgeordnete bezahlt worden waren. Einer der Abgeordneten ist daraufhin aus der parlamentarischen Versammlung des Europarats zurückgetreten.

Sueddeutsche-Zeitung

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7.) „Das Ziel ist der Klassenerhalt“
Gespräch mit Bayern-Trainer Jupp Heynckes (93)

 TITANIC: Herr Heynckes, Sie werden wieder Trainer bei den Bayern. Wieso tun Sie sich das an?

Heynckes: Uli Hoeneß hat angerufen und mich vollgeheult. Er sagte: „Wenn du es nicht machst, dann habe ich nur noch die Wahl zwischen drei Irren: Klopp, Tuchel und Matthäus.“ Uli drohte, ansonsten zurück ins Gefängnis zu gehen.

TITANIC: Aber Klopp trainiert doch den FC Liverpool!

Titanic

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Hinweise und Anregungen nehmen wir gerne entgegen

Treu unserem Motto: Es gibt keine schlechte Presse, sondern nur unkritische Leser

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Grafikquelle: DL / privat – Wikimedia Commons – cc-by-sa-3.0

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Merkel ohne Mehrheit

Erstellt von Redaktion am 6. Oktober 2017

…und Europa sagt: „Adiós, Merkel!“

File:Wizyta Merkel 12.03.2014 (3).jpg

„Sieh mir in die Augen Kleine“ – Die große Erleutung steht für Merkel in den Sternen.

Autor Jürgen Klute

Bundestagswahl SPD, Grüne und Linke stehen vor einer epochalen Chance, Europa aus der CDU-Knechtschaft zu erlösen. Es droht nichts weiter als die eigenen Versprechen einzulösen.

„Merkel no tiene mayoría absoluta: es posible un gobierno de izquierda para cambiar Europa“ („Merkel hat keine absolute Mehrheit: eine linke Regierung um Europa zu verändern ist möglich“) – diesen Blog-Eintrag hat mir am Montag nach der Bundestagswahl ein junger Spanier in einer etwas holprigen deutschen Übersetzung auf mein Facebook-Profil verlinkt.

In dem Artikel werden SPD, Grüne und Die Linke aufgefordert, ihre gemeinsame Mehrheit im Bundestag zu nutzen und Merkel abzulösen und mit ihr die Losung der absoluten Austeritätspolitik mit ihren so fatalen Folgen für die südeuropäischen Euro-Länder. Um das zu erreichen, fordert der Autor die europäischen Schwesterparteien auf, ihre Kollegen und Genossen in die Verantwortung zu nehmen: „Tun Sie es und erzeugen Sie Druck, die Geschichte liegt in Ihren Händen.“
Welchen Kurs die neue Bundesregierung einschlägt, bewegt Bürger aus unseren Nachbarländern offensichtlich mehr als die Wähler in Deutschland. Schon mehrere Monate vor der Wahl wurden EU-Abgeordnete angeschrieben mit der Botschaft „I also want to vote in Germany.“ Über die Kampagne „Electoral Rebelion“ wurden Wahl-Patenschaften ausgetauscht: Junge deutsche Wahlberechtigte schenkten ihre Stimme Südeuropäern, die fanden, dass es ihr demokratisches Recht sei, über ein Parlament zu wählen, das letztlich mehr Einfluss auf ihr Schicksal habe, als die Regierung im eigenen Land.

Diese Initiativen bieten einen guten Einblick in die Stimmung in unseren südlichen Nachbarländern und sie zeigen uns: Selten wurde in der EU so sehr und mit solch großer Spannung auf das Ergebnis einer Bundestagswahl geschaut.

Dafür gibt es eine ganze Reihe an Gründen: Zum einen liegen in Brüssel nahezu alle großen politischen Baustellen brach. Nicht erst seit den Wahlkampf-Monaten wurden aus Rücksicht auf die Unions-Wähler heiße Eisen nicht angetastet. Betroffen ist vor allem das Projekt der europäischen Bankenunion, d.h. der Aufbau einer schlagkräftigen europäischen Aufsicht, einheitliche Regeln zur Abwicklung von Kreditinstituten sowie eine gemeinsame Garantie von Einlegern europäischer Sparer. Weg von der Agenda gewischt wurden mit dem Verweis auf sensible Merkel-Anhänger auch Diskussionen über neue Rettungspakete, europäische Schuldtitel oder Investitionsprogramme schwache Euroländer.

Die Deutschen haben gewählt – „Endlich!“

Ob die Hoffnungen auf eine Aufweichung der reinen Austeritätsstrategie und neue konstruktive und solidarische Lösungsansätze nun im Einzelfall realistisch sind oder nicht – bereits die Verzögerung überfälliger Rettungspakete wirken für die betroffenen Länder demütigend und destabilisierend.
Nun liegen die Wahlen – aus Sicht unsere Partner „endlich“ – hinter uns. Die Frage, ob Deutschland – und damit derzeit eben auch die Europäische Union – in den kommenden Jahren von einer Unions-dominierten Bundesregierung oder einer Koalition links der Mitte geführt wird, dagegen liegt noch immer vor uns, auch wenn die SPD erste Weichenstellungen in Richtung einer großen Koalition unternommen hat. Große Koalition, Schwarz-Grün, Rot-Rot-Grün oder Minderheitsregierungen in verschiedenen Varianten – gleich welche Entscheidung die deutschen Parteien treffen, sie stehen vor einer Richtungsentscheidung, die über die Zukunft Europas entscheidet.

Wird die von der letzten Bundesregierung vorangetriebene Teilung der EU in Gläubiger- und Schuldnerstaaten weiter vorangetrieben und zementiert? Oder gelingt eine Umsteuerung der Krisenpolitik in Richtung einer auf sozialen Frieden und Wohlstand ausgerichteten EU? Hierzu wären weitere politische Integrationsschritte und die Einführung stabiler und wirksamer Ausgleichsinstrumente zwischen den höchst unterschiedlich entwickelten europäischen Regionen erforderlich. Die Regierung Merkel hat sich jeglichen Instrumenten, die dauerhafte und faire Entwicklungsperspektiven für die Krisenländer der EU böten, aufs bitterste verweigert: Trotz steigender Bedarfe an Fördermitteln hat Deutschland die Kürzung des EU-Haushalts bis 2020 durchgesetzt. Selbst über überfällige und wenig ambitionierte Instrumente wie die Einrichtung eines Schuldentilgungsfonds oder die Auflage gemeinsamer Schuldititel („Eurobonds“) verweigert Berlin bis zuletzt jede Debatte.

Die neue Bundesregierung muss für diese ungelösten Krisenherde zuallererst Diskussionen und Entscheidungsprozesse zulassen, die weder die Rechte des EU-Parlaments und der nationalen Parlamente noch die Interessen der Partnerländer mit Füßen treten. Mit Merkel ist dies nicht möglich, eine derartige Kehrtwende um 180 Grad würde ihr in Athen, Lissabon oder Madrid niemand abnehmen.
Europa braucht einen Wechsel, aber Deutschland braucht ihn auch. Eine Bundesregierung links der Mehrheit – sei es als rot-rot-grüne Koalition oder als rot-grüne Minderheitsregierung mit linker Tolerierung – böte die Chance Projekte anzupacken, auf die eine große Mehrheit der Bundesbürger seit langem wartet: Die Einführung eines existenzsichernden gesetzlichen Mindestlohnes, die Umstellung auf eine solidarische Bürgerversicherung und die Fortsetzung der Energiewende könnten die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland und der EU beeinflussen.

Drei Projekte mit einer Bundesregierung ohne Merkel

Quelle   :   Der Freitag >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle    :     Polski: Spotkanie Tusk-Merkel 12.03.2014

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Der Krieg gegen den Daesh

Erstellt von Redaktion am 6. Oktober 2017

Raqqa: Love in a hopeless place

File:YPJ fighters Raqqa (February 2017).jpg

LCM-Redakteur Peter Schaber war in Raqqa – nicht als Journalist, sondern in den Reihen der YPG. Seine Fronterfahrungen hat er hier aufgeschrieben.

Eigentlich könnte ich längst wieder in Deutschland sein. Als ich vor acht Monaten nach Nordsyrien einreiste, hatte ich weder geplant, so lange zu bleiben, noch eine Waffe in die Hand zu nehmen. Zuerst arbeitete ich als Journalist, mein Beruf eben. Dann manchmal als Bauarbeiter, als Sozialarbeiter, als Koch, Putzkraft, Übersetzer. Die Revolution hat viele Seiten und so muss man viele verschiedene Dinge tun. Auch welche, die man erst ganz neu lernen muss.

Für mich war das zum Beispiel das Handwerk, eine Revolution auch auf dem Schlachtfeld zu verteidigen, gegen diejenigen, die sie ersticken wollen. Ich wusste vorher nicht, wie man ein Gewehr bedient, eine Handgranate oder eine Panzerfaust. Ich ging also in die Lehre. Und irgendwann kam dann der Tag, als ich mit drei anderen Internationalisten gemeinsam in ein Auto nach Raqqa stieg.

Noch 100 Kilometer

„Die Heimaaaaat ist weit …“, stimmt Heval Ciwan das Marschlied der Thälmann-Kolonne an, als wir den Assad-Highway in Richtung Raqqa entlang düsen. „Doch wir sind bereiiiiiit“, erwidern Kajin, Hogir und ich. Wir tragen unseren rext, den Patronengürtel gefüllt mit vier Magazinen, die Kalaschnikow steht an den Vordersitz gelehnt und Heval Botan, ein 17-jähriger Scharfschütze aus Hasakeh teilt Biskuitrollen und Pepsi aus. Auf das deutsche Liedgut aus dem Spanienkrieg antworten die hier heimischen GenossInnen mit dem Rojava-Marsch: „Kec u xorten soresvan …“ Ich fühle keine Nervosität mehr. Eher Neugier und Entschlossenheit.

Noch 30 Kilometer

Satte grüne Landschaften umgeben Raqqa. Das Wasser des Euphrat und ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem hauchen dieser Gegend Beliebte Badeorte und Lebensadern der Region – Einer der Kanäle vor Raqqa

Leben ein. Bäume reihen sich zu kleinen Wäldern, dazwischen Obstgärten, Mais, Wiesen. Vor ledernen Zelten sitzen Frauen und Männer zusammen, umgeben von Schafen und Kühen. Alles wirkt normal. Kinder und Jugendliche grüssen uns vom Strassenrand mit dem Victory-Zeichen. Heval Dilser winkt zurück, dreht sich zu uns und sagt: „Nehmt das nicht so wichtig. Als Daesh hier war, haben sie mit einem erhobenen Finger gegrüsst. Jetzt eben mit zweien.“

Noch 5 Kilometer

Wir steigen aus dem Bus. Wir sind in einem Vorort Raqqas. Einige hundert Meter weit weg beginnt die Schutthalde, die früher eine Stadt war. Wir begrüssen unseren Cephe-Kommandanten und werden noch eine Nacht auf dem Dach jener Hochhaus-Ruine verbringen, von der aus die Geschicke des südwestlichen Belagerungsrings um die noch verbleibenden Kämpfer des Islamischen Staates gelenkt werden. Von unseren Matratzen aus starren wir gebannt auf die vollständig dunkle Stadt. Es blitzt. Gumm. Es knallt. Ein Gebäude stürzt ein. Schon aus der Ferne sind die Bombardements eindrucksvoll. Bald würden wir sie aus der Nähe kennenlernen.

0 Kilometer

Viele Dinge, die man in Rojava lernt, begreift man Schritt für Schritt. Über Wochen, Monate. Was eine Front in einem Krieg wie diesem ist, aber nicht. Es bricht unvermittelt über einen herein. Grade war man noch draussen im normalen Leben. Jetzt ist man drinnen im Krieg.

Als ich im Krieg ankomme, ist es Abend. Zwischen den gelegentlichen Artillerieschlägen ist es still, wenn sich die Dämmerung über Raqqa legt. Die Flugzeuge, Drohnen und Helikopter haben ihr Nachtwerk noch vor sich. Die tagsüber dann und wann ausbrechenden Gefechte mit Kleinwaffen und Bomben pausieren kurz, bevor es richtig los geht. Die Stadt wird dunkler und dunkler. Die Konturen der Milchstrasse zeigen sich immer deutlicher am, durch keine urbane Beleuchtung verdeckten, Sternenhimmel. Jetzt, zwischen 20 Uhr abends und 7 Uhr morgens, müssen wir, die wir hier an der Front sind nöbet, Wache halten. Tagsüber haben wir kaum etwas zu tun, denn Daesh bewegt sich nicht. Die Dschihadisten sitzen unter der Erde, unsichtbar, lauernd. Wenn die Sonne den Himmel verlässt, beginnen die Angriffe.

Die Nacht in Raqqa hat eine eigentümliche Ästhetik. Die Ruinen scheinen im Mondlicht auf, elektrisches Licht gibt es nicht. Das Klima ist angenehm, oft weht ein leichter Wind und manchmal ist es sogar etwas frisch. In der schon toten Stadt regt sich kaum ein Laut. Niemand spricht, kein Fernseher stört die Nachbarn, keine Kinder schreien. Man könnte sich leicht einreden, ein Atomkrieg oder Virus hätte die Menschheit ausgelöscht und man ist nun allein in den Ruinen.

Doch die Stille ist eine Abstraktion. Sie existiert nur in den wenigen Minuten, in denen das Sprengen, Bomben und Schiessen pausiert, das Nacht für Nacht und – weniger, aber doch – Tag für Tag Löcher in Häuser, Strassen und Menschen reisst. Die Symphonie kommt aus vielen Instrumenten: Die RPGs und Scharfschützen-Gewehre; die BKCs und Kalaschnikows; die Mörser und Haubitzen, die aus einem Vorort abgefeuert werden; die Hubschrauber, die oft dutzende Raketen in Folge abschiessen.

Und die Luftschläge. „In fünf Minuten kommt der Flieger wieder. Legt euch hin“, sagt meine Kommandantin. Man legt sich auf den Boden, manche verschränken die Arme hinter dem Kopf. Ich lasse den Mund offen, das hat mir ein Genosse geraten, wegen der Druckwelle. Wenn die Bombe kommt, pfeift es zuerst, dann leuchtet der Himmel auf, ausgehend vom Einschlagpunkt erstreckt sich ein gleissendes Licht über den Horizont. Dann kommt der Knall, der die Luft zerreisst. Dann die Druckwelle, die Wände biegen sich. Jetzt erst hört man den Abflug des Jets.

Meine Arbeit in diesem Stück ist einfach. Ein typischer Werktag sieht etwa so aus: Ich knie neben einer Säule und starre in ein schwarzes Loch. Ich habe eine Kugel im Lauf meiner AK vorgeladen, eine Genossin der YPJ deckt den Balkon hinter mir, von dem aus wir auf die Strasse ins Daesh-Gebiet sehen. Wir sind im Alarmzustand. Der IS hat die Wachpunkte neben uns mit einer RPG und Scharfschützen angegriffen. Das schwarze Loch ist unser Treppenaufgang. Er ist verbarrikadiert. Meine Aufgabe ist es, wenn ich ein Geräusch höre, zu entscheiden, ob der Feind kommt oder eine Katze. Wenn es der Feind ist, muss ich schiessen oder eine Bombe werfen. Fünf Stunden sitze ich vor dem Loch, die Wände neben mir erzittern vom Artilleriefeuer und den Luftschlägen. Aus dem schwarzen Loch knarrt es, es rumpelt, die hunderten leeren Plastikflaschen knistern.

In dieser Nacht kommen nur Katzen. Katzen, die schleichen, wie Menschen schleichen würden. Katzen, die schreien wie Menschen, die Katzen nachahmen. Und Katzen, die Barrikaden einreissen, ganz wie Menschen, die Barrikaden einreissen. „Wenn ich Daesh wäre, würde ich jedem Kämpfer einen Rucksack voll Katzen umhängen“, scherzt einer aus unserer Gruppe. „Wann immer du aus Versehen beim Schleichangriff ein Geräusch machst, holst du `ne Katze raus, würgst die kurz, damit sie schreit und lässt sie dann laufen. Der Wachposten denkt „ey, wieder `ne Katze“. Und schwupps, meuchelst du alle weg.“ Ich beginne Katzen zu hassen.

Schreckt man in den ersten Nächten noch bei jedem Geräusch einer Katze oder eines Hundes auf, gewöhnt man sich schon bald an die akustische Kulisse. Man weiss zu unterscheiden: Tier, vom Wind verwehter Müll, vom Wind geöffnete bzw. geschlossene Tür, Mensch. Auch die Melodie des Luftkrieges, die sich in Dauerschleife wiederholt, ist schon bald keine Sensation mehr. Wenn man nicht gerade Schicht hat, verschläft man die Bomben.

Den Feind selbst sieht man kaum. Nur wenige Stellungen verfügen über Nachtsichtgeräte. Die meisten schiessen auf Bewegungen oder Geräusche. Oder eben auf das Mündungsfeuer des Gegners, wenn er angreift. Daesh selbst lernen wir vor allem durch die Spuren kennen, die die Dschihadisten in jenen Häusern hinterlassen haben, die wir beziehen, wenn wir vorrücken.

In einer Daesh-Stellung finden wir einen aserbaidschanischen Pass und – wie immer bei solchen Gelegenheiten – jede Menge Pillen: Schmerzmittel, Opiate, Muskelrelaxantien, Wachmacher. Rund um den Fundort liegt die Kampfkleidung des IS-Terroristen. Er muss sie eilig ausgezogen und hingeworfen haben. Vielleicht hat er sich abgesetzt. Im selben Haus wühlen wir weiter und bergen einen kleinen Schatz: Eine Kiste mit Material für ausländische IS-Mitglieder. Voluminöse und weniger voluminöse Schriften, die in die Gedankenwelt des Islamischen Staats einführen: Dicke Wälzer mit Regeln, wie „illegitimer Sex“ zu bestrafen sei; ein Büchlein, das anhand von Koran-Stellen zu beweisen versucht, dass Selbstmordattentate nicht haram sind; Anleitungen, wo man den Ungläubigen treffen sollte, wenn man für den Angriff ein Messer nutzt. Und handgeschriebene Rezepte für Schokolade-Bananen-Brownies.

Wir lesen alles sorgfältig durch. Die Gedankenwelt der Dschihadisten kommt uns absurd vor. Heval Ciwan lacht. „Hört mal, wie geil das klingt“, sagt er und liest aus einem Booklet vor: „How to react when you encounter the enemy. Rule one: Keep calm. Rule two: think of the prophet very often. Rule three: Be patient. And noooooow the last rule“, baut Ciwan den Spannungsbogen auf. „Massacre the kuffar. Da kannste ein T-Shirt draus drucken: Keep Calm and massacre the Kuffar.“ Die Kuffar, die Ungläubigen, sind übrigens, wie wir einer anderen Lehrschrift entnehmen, nicht nur wir Kommunisten und alle Atheisten, Christen, Juden, whatever, sondern auch „95 Prozent der heutigen Muslime“.

In der Kiste mit Propaganda-Schriften finden wir auch Hinweise auf ihren Eigentümer. Ein holländisches Ehepaar, das den Weg ins Kalifat angetreten hat. Wir finden Briefe auf holländisch, in denen sich die Eltern über ihren wohl noch sehr kleinen Sohn beschweren. Sein Enthusiasmus für die islamische Lebensweise liesse zu wünschen übrig. Wenn er Frauen sehe, zeige er dagegen ein unsittliches Interesse. Die Briefe lesen sich wie Berichte über die Entwicklung des Kindes zum Islamisten. Die Schulhefte des Kindes dokumentieren erste Fortschritte im Schreiben des Arabischen. Auf der ersten Seite hat es sorgfältig eine Daesh-Fahne gezeichnet, danach nur noch Katzen mit dutzenden Pfoten und Fühlern wie von einem Ausserirdischen.

Ist man einige Tage an der Front, kommt einem der eigentliche, physische Krieg gegen den Islamischen Staat erstaunlich unspektakulär vor. Denn er hat klare Konturen: Wir sitzen in Häusern, die einen Ring um die noch verbleibenden Stellungen der Terrormiliz bilden. Wir bauen diese Häuser zu kleinen Festungen aus und wechseln uns beim Bewachen der umliegenden Strassen und Gebäude ab. Tagsüber machst du so gut wie nichts. Nachts schiesst du, wenn was ist. Oder wirfst Bomben. Der Krieg gegen Daesh ist brutal. Aber seine Brutalität ist banal. Klar, es gibt einen Feind, der dich töten will. Er will dich in die Luft sprengen, mit Minen oder Raketen. Er will von selbstgebauten Drohnen aus Bomben auf dich werfen. Oder er will dir simpel und klassisch in Kopf, Bauch oder Herz schiessen. All das ist nicht besonders erfreulich. Aber es ist bei Weitem nicht das Schlimmste im Krieg. Denn dieser Feind steht dir offen gegenüber. Du kannst dich wehren. Auch du hast ein Gewehr. Du bist kein Objekt, du bist Subjekt deines Handelns. Du bist hier aus einem Grund, der mit deinen tiefsten Überzeugungen zu tun hat. Und solange die bestehen, kann dir der militärische Gegner nichts anhaben.

Der viel schwerer zu führende Krieg ist ein anderer. Einer, der viel mehr an die Substanz geht, weil er genau diese tiefsten Überzeugungen angreift. Meine Genossen und ich waren hier her gekommen, um eine bestimmte Lebensweise zu verteidigen. Ein Projekt, das unser aller Zusammenleben revolutionieren soll. Wir kannten die kurdische Guerilla aus den Bergen Kandils, Bakurs – einige aus eigener Erfahrung, andere zumindest aus Erzählungen. Und die trennt die militärische Dimension des Kampfes nicht von den politischen und sozialen Teilen der Revolution. Dass die PKK trotz des andauernden und harten bewaffneten Kampfes die Prinzipien ihres Zusammenlebens – Genossenschaftlichkeit, Kritik und Selbstkritik, Bildung – nicht der Logik des Krieges opfert, ist das, was sie so stark macht – auch militärisch.

Doch das braucht Zeit. Denn es bedeutet im Grunde, dass alle, die in die Berge gehen, ihre liberalen, feudalen, sexistischen, kapitalistischen, rassistischen und sonstigen aus den Klassengesellschaften ererbten Einstellungen zu überwinden versuchen. Die Ausbildung von Guerillas dauert, Monate, Jahre, ein Leben lang.

Doch der Krieg in Syrien verhindert diese Sorgfalt. Zum einen starben hunderte, wenn nicht tausende erfahrene AktivistInnen in den unzähligen Schlachten zwischen Kobanê, Minbic und Tabqa. Zum anderen spülte der rasche Vormarsch tausende von Menschen in die militärischen Strukturen, die aus ganz unideologischen Gründen zur Waffe greifen: Geld, Eigeninteressen oder einfach, weil es eine Überlebensstrategie ist, sich der jeweils starken, siegreichen Miliz in der Region anzuschliessen.

Ein Krieg, der an so vielen Fronten geführt wird, hat seine eigene Dynamik. Das grösste Problem in Raqqa ist nicht die militärische Stärke von Daesh. Die Grausamkeit dieser Hölle liegt darin, dass der Krieg das Leben zerstört, für das wir hier eigentlich kämpfen. Die tausenden, oft sehr jungen (und mittlerweile mehrheitlich arabischen) Soldaten, die auf der Seite von YPG und QSD Dienst tun, sind ein Spiegel der Gesellschaft in Syrien. Sie haben keinerlei Bildung genossen, auch kaum militärische Ausbildung. Die Ideale jener Bewegung, für die sie eigentlich kämpfen sollten, kennen sie kaum, geschweige denn leben sie nach ihnen. Die Front ist ein dreckiger Ort, ein Ort, der Solidarität und Freundschaft tötet.

Der Zustrom von tausenden Menschen, deren Bewusstsein geprägt ist von der Sozialisierung in den kaputten Gesellschaften des Mittleren Ostens, droht jenes Band zu zerreissen, das die Guerilla in den Bergen ausmacht und das die YPG eigentlich zu übernehmen strebt: Die Einheit von zivilem Aufbau, der Gestaltung des eigenen Zusammenlebens und des bewaffneten Kampfes.

Der schwerste Kampf, den wir heute in Syrien zu führen haben, ist der gegen den Verfall der eigenen Ideale. Der Kampf dagegen, eine normale Miliz unter anderen Milizen zu werden. Der Kampf gegen die Mentalität, den Notwendigkeiten des Krieges alles andere unterzuordnen. Diesen Kampf in den eigenen Reihen hatten wir zu führen. Dies war und ist der eigentliche Krieg, der an allen Fronten ansteht. Und er brachte uns alle an unsere Grenzen.

Wir wurden sauer, verschlossen, ablehnend. Wir entwickelten Vorurteile. Die Probleme waren so schwerwiegend, dass wir vergassen, ihre Gründe zu analysieren. Wir begannen Personen zu hassen und nicht die Verhältnisse, die sie zu dem gemacht hatten, was sie sind. Erst später, aus der Distanz, konnten wir wieder denken: Warum existieren hier, unter den Soldaten der Revolution, derartig miese Verhaltensformen? Und hat nicht der Umstand, dass diese Menschen hier so wurden, wie sie sind, seine Ursachen auch massgeblich im Kolonialismus und der Ausbeutung durch die Länder, aus denen wir kommen? Und mit wem wollen wir denn Revolution machen, wenn nicht mit genau diesen Leuten?

Neben dem Umstand, dass die Lebensweise an der Front so gar nicht unseren – zugegeben naiven – Erwartungen entsprechen wollte, machte uns die Präsenz der Amerikaner zu schaffen. Wir konnten die Notwendigkeit zu dieser Zusammenarbeit verstehen, aber emotional war sie für uns alle eine Belastung. Auf der selben Seite mit diesen Mördern und Unterdrückern zu stehen, fiel uns schwer. Wir versuchten wenigstens, jene aufzuklären, die der Illusion anhängen, die Bomberpiloten und Artillerieschützen Washingtons seien unsere Freunde.

Es gab junge Genossen, die sich an den Geräuschen der Detonationen erfreuten. Wir konnten es ihnen nicht übel nehmen. Viele, die an der Front kämpfen, haben keinerlei Ideologie, keinerlei Bildung. Für sie war es einfach: Dort drüben ist Daesh und dieses Rummsen sorgt dafür, dass dort weniger Daesh ist. Das war richtig und doch bemühten wir uns, immer wieder darauf hinzuweisen: „Jetzt haben die Amis gerade für einen Zeitabschnitt ähnliche Interessen wie wir, was den Kampf gegen Daesh anbelangt. Aber all diese Bomben, Kanonen, Gewehre, Flugzeuge, Haubitzen, Panzer sind ja nicht dazu ersonnen worden, Menschen zu befreien. Sie unterdrücken Menschen. Irgendwann werden sie all diese Waffen gegen uns einsetzen, so wie sie schon tausende Male gegen alle eingesetzt wurden, die sich dem Imperialismus widersetzten. Und so, wie sie schon seit 40 Jahren gegen die PKK in Nordkurdistan eingesetzt werden.“

Wenn es für die Gleichgültigkeit des US-Imperialismus gegenüber den Menschen Syriens noch eines Beweises bedurft hätte, dann wurde er uns in Gestalt eines Geräusches geliefert. Als wir es das erste Mal hörten, starrten wir uns danach ratlos an. Was war hier gerade passiert? Flugzeuge kreisten über dem Kessel, lauter und wahrscheinlich tiefer als die Bomber. Dann leuchtete der Himmel rötlich auf. Für drei, vier, fünf Sekunden war alles um uns herum erfüllt mit einem ohrenbetäubenden Geräusch, das klang, als würde ein Riese ein Elektroschockgerät in den Bauch der Stadt rammen. Es fehlen die Buchstaben, um dieses Geräusch lautzumalen, aber es wäre ungefähr ein: „WWWWFFFFRRRRVVVVWWWWRRR“. Als wir den Sound zum ersten Mal gehört hatten, sprachen wir am folgenden Tag kurdische Freunde darauf an. Sie kannten das Geräusch nur zu gut, aber keiner wusste, zu welcher Waffe es gehörte. Sie nannten es nur „den Strom“, sie dachten, es sei irgendetwas Elektrisches. Wochen später fanden wir heraus, was wir da gehört hatten: Die Gatling Gun GAU 8 Avenger des A-10 Warthog. Und die verschiesst depleted uranium, also radioaktive Munition. Direkt neben dem Euphrat, der Lebensader der ganzen Region.

Abgesehen davon, dass Raqqa also psychologisch wie ideologisch belastend, dreckig, ungesund, gefährlich und – vor allem, wenn Freunde fielen – auch traurig war, haben uns also die eigenen „Bündnispartner“ verstrahlt. Könnte man nun sagen: Na, war wohl eine Fehlentscheidung, da hin zu gehen, so trifft doch genau das Gegenteil zu. Es war gerade für uns Internationalisten eine Pflicht.

Und ich kann sagen, in all dem Schmutz etwas gefunden zu haben, das wichtiger ist, als alle Schwierigkeiten, die sich einem in den Weg stellen: Die Liebe zu den eigenen Genossen. Was mir half, diese Zeit durchzustehen, war nichts anderes als unser Zusammenhalt als Freunde, als Weggefährten. Wenn ich aus einiger Distanz an Raqqa denke, denke ich zuallererst an Freundschaft. Ich denke an die Genossen, die mit mir gemeinsam den Weg in die apokalyptische Geisterstadt der Terrormiliz Daesh antraten. An Heval Ciwan, mit dem ich schon in den Monaten zuvor den epischen Sternenhimmel des Sengal-Gebirges und die durch Hygienemangel verursachten Durchfallerkrankungen der militärischen Ausbildung teilen durfte. An Heval Kajin, den besten Endomi-Koch im gesamten Belagerungsring um das sterbende Kalifat. Und an Heval Hogir, dem man zweifellos die Aufgabe übertragen sollte, die Wände des einst wieder aufgebauten Raqqa bunt zu bemalen.

Die Freundschaft, die uns verbindet, war, als wir den Stadtrand der umkämpften syrischen Metropole erreichten, eine noch sehr junge. Aber es war von Anfang eine, die aus einem gemeinsamen Ziel, einer konkreten Utopie gestiftet wurde. Wir kannten uns erst seit einigen Monaten, jeweils zwei von uns haben längere Zeit miteinander verbracht. Und doch wurden wir in den kommenden Wochen füreinander alles: Kameraden und Seelsorger, Lehrer und Schüler,

Krankenpfleger und Psychologen

Und wir lernten andere kennen, die uns in noch kürzerer Zeit ans Herz wuchsen. Ohne diese Menschen, ohne hevaltî, von der es viel zu wenig an der Front gibt, zerbricht man. Um in Raqqa bestehen zu können, muss man ohnehin etwas verrückt sein. Wichtig ist aber, nicht ganz abzudriften. Sonst verblödet und verroht man, man gibt sich auf.

Hat man aber einander, kann man den Balanceakt des Wahnsinns schaffen. Und es stellt sich zumindest im Nachhinein ein wundervolles Gefühl ein: Man hat dieses Ding gemeinsam gewuppt. Wie räudig auch immer alles war, das kann einem niemand mehr nehmen. Die politische Freundschaft ist aber auch noch mehr als das. Denn selbst, wenn man nicht am selben Ort ist, selbst, wenn man nichts mehr voneinander hört, weil einen die Notwendigkeiten der Revolution voneinander trennen, bleibt man vereint. Als wir unseren Nokta verliessen und abreisten, liessen wir gute Freunde zurück.

Zum Beispiel Heval Leswan, unseren letzten Team-Kommandanten, den wir schon zu vermissen begannen, als unser Auto noch nicht die Stadtgrenzen passiert hatte. Mit ihm waren wir vielleicht zehn Tage am selben Ort. Aber zehn Tage, wenn man 24 Stunden zusammen in einer Extremsituation verbringt, sind ein halbes Leben. Als wir überraschend abreisten, drückte er mir ein Geschenk zur Erinnerung in die Hand, wir küssten uns auf die Wange und grüssten mit serkeftin. Wir stiegen in unser Auto. Leswan stand vor dem Eingang unserer Stellung, die Kalaschnikow nach oben gerichtet im Anschlag. „Schiess‘ nicht, wir sollen nicht leer rumballern“, mahnte einer der Fahrer. Leswan sah ihn scharf an und sagte nur kurz: „Meine Genossen gehen.“ Er stand stramm, den Blick nach vorne gerichtet und drückte ab. Eine Murmel, zwei, drei … Vielleicht sehen wir Heval Leswan nie wieder. Und er uns nicht. Aber so wie er immer für das kämpfen wird, was uns wichtig ist, werden wir immer für das kämpfen, was ihm wichtig ist.

30 Kilometer entfernt

Wir sitzen auf der offenen Ladefläche eines Toyota Hilux und der Alptraum verschwindet Kilometer um Kilometer aus unserem Leben. Die kritische Kälte, alles nüchtern analysieren zu können, haben wir noch kaum. Die lebensgefährliche (und oft tödliche) Disziplinlosigkeit, die verrohten Umgangsformen, die feudalen Einstellungen, den jeder Beschreibung spottenden Mangel an Hygiene – all das waren wir jetzt los. Wir sind froh, den Schmutz hinter uns zu lassen. Auf einige GenossInnen sind wir unheimlich wütend. Und dennoch beginnen wir langsam auch die positiven Seiten zu sehen. „Es ist wirklich auffallend“, sagt Hogir. „Der Unterschied zwischen dem Leben der Jungs und dem der Genossinnen in den Frauenstrukturen.“ Wir stimmen zu. Die Genossinnen sind auch in Raqqa Avantgarde gewesen. Sie sind organisierter, disziplinierter, sie nehmen die Prinzipien der Partei ernster.

100 Kilometer entfernt

File:Tell Abyad Revolutionaries and YPG camp during Raqqa offensive (December 2016).png

Wir diskutieren. Der Ärger und die unmittelbare Bedrohung durch das Verhalten einiger Mitkämpfer entfernt sich immer weiter. Wir sehen nüchterner. Woran lag es? Aus der Maxime „Nie wieder begeben wir uns in eine solche Situation“ wird die Überlegung „Wie können wir unter solchen Bedingungen organisierter wirken, etwas verändern“. Diesmal ist es Heval Kajin, der ein jüdisches Partisanenlied anstimmt. Ciwan und ich kennen es nicht, aber es ist wunderschön. „Sage nie, du gehst den allerletzten Weg / wenn Gewitter auch das Blau vom Himmel fegt. / Die ersehnte Stunde kommt, sie ist schon nah / dröhnen werden unsre Schritte, wir sind da.“

Danach singen wir, so gut wir können, Leonhard Cohens The partisan. „I have changed my name so often / i have lost my wife and children / but i have many friends / And some of them are with me“. Ich überlege noch Rhiannas we found love in a hopeless place rauszuhauen, aber ich breche das Unternehmen mangels ordentlicher Stimme ab. Die Sonne geht unter. Wir fahren nachhause, wo auch immer das sein soll.

200 Kilometer

Ein komisches Gefühl stellt sich ein. Noch vor wenigen Stunden wollte ich nur eines: Weg aus Raqqa. Aber da war ich eben noch in Raqqa. Jetzt fühlte ich mich, als würde ich vor etwas weglaufen. Nicht vor Daesh. Nicht vor dem militärischen Kampf. Sondern vor dem viel schwierigeren Kampf um die Umgestaltung der Lebensverhältnisse an unserer eigenen Front. Ich hatte meine Zeit abgeleistet und war nicht vorher abgehauen. Aber dennoch, es war wie eine Flucht. Andere, die ich schätzen gelernt hatte, waren ja noch da. Und viele tausende würden – ob in Raqqa oder anderen, vergleichbaren Orten – nachrücken. Es war ein Privileg, einfach gehen zu können. Irgendwann auch zurück nach Deutschland.

Was mich tröstete war: Dem Krieg um das neue Leben können wir ohnehin nicht entfliehen. Er wartet auf uns, wo immer wir hingehen. Und wenn wir uns nicht belügen, uns nicht in irgendeine bedeutungslose Bubble aus Gleichgesinnten zurückziehen oder zu Verrätern werden, wird er uns das ganze Leben begleiten. Für diesen Kampf war Raqqa eine gute Schule.

400 Kilometer entfernt

Wir treffen unsere Genossen. Viele sind gekommen, auch Freunde, von denen wir nicht gehofft hatten, sie so schnell wiederzusehen. Wir tauschen uns aus, auch mit anderen, die die Front gesehen haben. Ich merke: Was ich gesehen habe, war nur ein Ausschnitt des Krieges. Für jene Taburs, die Operationen durchführen, Stellungen des Feindes angreifen, ist der Fokus noch ein anderer: „Ich will die Probleme in der Lebensführung nicht kleinreden. Aber ihr ward halt auf Wache. Wenn du Positionen stürmen musst, und neben dir fallen die Leute wie fliegen um, dann treten die anderen Probleme, die es gibt eben manchmal in den Hintergrund“, sagt Heval Cihan, ein erfahrener YPG-Kämpfer.

Ich bin zwar immer noch fertig, aber ich beginne zu begreifen, dass ich in Raqqa, wie in einem Brennglas die Realität des Mittleren Ostens sehen durfte. Sicher, nur einen kleinen Ausschnitt, aber mehr als in vielen Monaten zuvor.

„Ich sehe das so“, erklärt Cihan, ein erfahrener internationaler Kader der kurdischen Bewegung, uns vier Frontrückkehrern. „Ihr habt die Widersprüche kennen gelernt, an denen die kurdische Bewegung hier seit 40 Jahren arbeitet. Das ist hier der Mittlere Osten. Wir aus dem Westen konnten ein Leben führen, das bei allen Schwierigkeiten nicht annähernd so kaputt ist, wie das, das die Leute hier führen. Mehr noch: Weil die Nationen, aus denen wir kommen, den Mittleren Osten immer ausgenommen, beraubt haben, konnten wir so leben und mussten diese Menschen hier eben so leben, wie ihr es jetzt gesehen habt. Und wenn wir an der Front als Revolutionäre einen kleinen Teil dieses Schmerzes selbst durchmachen, dann macht uns das nicht nur stärker. Es hilft uns auch unsere Rolle als Umgestalter dieser Wirklichkeit besser zu verstehen. Und es ist ein Preis, den wir zu zahlen haben.“

Dass wir – und viele andere (auch kurdische) Kader – dieser Aufgabe noch kaum gewachsen sind, ist offenkundig. Cihan kritisiert auch sie: „Es gibt die Sloganci, die nur mit Phrasen um sich werfen. Und es gibt diejenigen, die aus rassistischen Vorurteilen gar nicht an den arabischen Jugendlichen arbeiten wollen. Für die heisst es dann: Das sind eben Araber, die leben so dreckig. Schick sie an die Front und aus. Aber wie war die kurdische Gesellschaft, bevor die PKK begonnen hat, sie umzugestalten? Auch sie hatte sich aufgeben. Es hat 40 Jahre gedauert, die heutigen Fortschritte zu erzielen. Und jetzt heisst es eben: Machen wir uns bereit für die nächsten 40 Jahre, in denen wir die anderen Gesellschaften des Mittleren Ostens umgestalten.“ Und für die nächsten 100 Jahre, die wir für uns Deutschen brauchen werden.

Peter Schaber / lcm

Quelle   :   Artikel vom Untergrundblättle

Soweit nicht anders angegeben und keine genauere Quellenangabe vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Website die Creative Commons Lizenz(CC)

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Grafikquellen   :

Oben   —    YPJ fighters during the Raqqa offensive (2016-17).

Source https://www.flickr.com/photos/kurdishstruggle/32375394450/
Author Kurdishstruggle
Checked copyright icon.svg This image was originally posted to Flickr by Kurdishstruggle at https://flickr.com/photos/112043717@N08/32375394450. It was reviewed on by the FlickreviewR robot and was confirmed to be licensed under the terms of the cc-by-2.0.
w:en:Creative Commons
attribution
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2.) von Oben    —   Much of Raqqa has suffered extensive damage during the battle,[145] while an activist in the ISIL-held neighborhoods said that the situation for the besieged populace was „beyond catastrophic, I can’t describe the situation as anything besides hellish. People are just waiting for their turn to die.“[146]

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3.) von Oben  —   SDF fighters in a largely destroyed part of Raqqa’s downtown

4. ) von Oben   —    SDF fighters with a Humvee in central Raqqa

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Linke Saar SchwätzerIn

Erstellt von Redaktion am 6. Oktober 2017

Lafontaine hat das Recht auf Asyl nicht in Frage gestellt

Heute ein Artikel zum schmunzeln, aber gewiss keine Satire. Nur, Religionsanhänger  finden Ihre Räume in den Kirchen und weniger in der Politik. Aber lassen wir die Gottesanbeterin aus dem Saarland – Astrid Schramm reden – schreiben.  Oskar ist groß, Oskar ist Mächtig – wenn er auf dem Stuhl steht einen Meter und sechzig. DL / Red. IE

Das Konzept der offenen Grenzen kommt den Gewinnern im Neoliberalismus zugute, sagt die saarländische LINKEN-Chefin Astrid Schramm

Von Astrid Schramm

Geht es wirklich um »nationalen Egoismus«, wenn Oskar Lafontaine auf die Not von Millionen Kriegsflüchtlinge hinweist, die in den Lagern des Vorderen Orients »vegetieren« und auf das Schicksal weiterer Millionen Menschen, die in ihrer Heimat unter Hunger und Krankheiten leiden? Doch wohl kaum. Spielt Lafontaine tatsächlich »die Not der einen Menschen gegen die der anderen aus«, wenn er daran erinnert, dass in Deutschland beispielsweise Bundestagsabgeordnete, Manager und Gehirnchirurgen – die Besser- und Bestverdienenden also – eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt eher weniger befürchten müssen, die Vielzahl der Niedriglöhner und prekär Beschäftigten aber schon? Dass unter steigenden Mieten infolge wachsender Nachfrage und eines seit Jahren dahinsiechenden sozialen Wohnungsbaus nicht die Eigenheim-Besitzer in den teuren Stadtteilen leiden, sondern diejenigen, die bereits jetzt jeden Euro zweimal umdrehen müssen? Nein! Er weist damit auf die ungerechte Verteilung der Einkommen, Vermögen und Chancen innerhalb unserer Gesellschaft hin.

Natürlich ging es den Ärmeren in unserem Land auch vor der Zunahme der Flüchtlingszahlen nicht besser. Der Hartz IV-Satz war nicht höher, Löhne und Renten auch nicht. Natürlich haben die Flüchtlinge niemandem hier etwas weggenommen. Gleichzeitig wurde aber für die Aufnahme der Flüchtlinge weder eine Reichenbesteuerung eingeführt, noch die Schuldenbremse außer Kraft gesetzt. Mit denselben finanziellen Mitteln müssen Bund, Länder und Gemeinden nun also zusätzliche Aufgaben – Erstausstattung, Wohnraum, Lehrer, Sprachkurse, etc – stemmen. Die Aufnahme von Fluchtsuchenden ist richtig und wichtig. Aber viele der Abgehängten und Benachteiligten fragen sich, wie derselbe Staat, der ihnen seit Jahren bessere Sozialleistungen und höhere Renten mit Verweis auf fehlendes Geld verweigert, nun auf einmal Geld für zusätzliche Aufgaben haben kann. Das gilt für zusätzliche Mittel zur Aufrüstung Deutschlands ebenso wie vor Jahren für die »Bankenrettung« und zum Teil nun eben auch für die (berechtigten!) Kosten für die Flüchtlingsaufnahme. Auch deshalb haben bei der Bundestagswahl so viele vor allem Arbeiter und Arbeitslose AfD gewählt. Diese Menschen darf DIE LINKE nicht einfach abschreiben oder pauschal als Nazis diffamieren. Dafür muss man aber auch ihre Sorgen verstehen und darauf eingehen. Dazu muss man ehrlich sagen, dass die Aufnahme so vieler Flüchtlinge natürlich Geld kostet und dass wir LINKE zur Finanzierung Millionen-Einkommen, -Vermögen und –Erbschaften gerecht besteuern wollen. Und dass wir die ungerechte Verteilung in diesem Land für alle ändern wollen – durch sozialen Wohnungsbau, einen höheren Mindestlohn, eine gestärkte gesetzliche Rente, bessere Sozialleistungen.

Quelle   :   ND >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle   :     Lafontaine Fotomontage:

Die Fotomontage stammt aus der Projektwerkstatt


Virtuelle Projektwerkstatt von SeitenHieb Verlag steht unter einer Creative Commons

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Weiter, immer weiter!

Erstellt von Redaktion am 6. Oktober 2017

Bericht zur Lage der Nation

Das Schlagloch von Georg Seeßlen

Sicher ist: Die Bundeskanzlerin macht weiter, der „Tatort“ auch, ebenso die „Apotheken Umschau“. Die FDP ist wieder da, genauso wie die Bügelfalte.

ANGELA MERKEL MACHT WEITER! Und die Blaskapellen machen weiter. Und die Nagelstudios machen weiter. Und die Immobilienmakler machen weiter. Und die 1-Euro-Läden machen weiter. Und die Flaschensammler machen weiter. Und die koreanischen Krankenschwestern machen weiter. Und die Volksfeste machen weiter. Und Spiegel Online macht weiter. Und taz-Kolumnen machen weiter. Und die Universitäten machen weiter. Und die Jobcenter machen weiter.

Und die Talkshows machen weiter. Und der „Tatort“ macht weiter. Und die Brauereien machen weiter. Und die Atomkraftwerke machen weiter. Und die Rolling Stones machen weiter. Und Coffee to go macht weiter. Und die „Apotheken Umschau“ macht weiter. Und die Experten machen weiter. Und Heckler und Koch macht weiter. Und die Kebab-Verkäufer machen weiter. Und die Hochzeitsausstatter machen weiter. Und der Lieferservice macht weiter. Und die Volksbühne macht weiter. Und die Wasserwacht macht weiter. Und die Bild-Zeitung macht weiter. Und die Kitas machen weiter. Und die Filialleiter machen weiter. Und die Wochenmärkte machen weiter. Und die Urlauber machen weiter. Und die Graffiti-Sprayer machen weiter.

Und VW macht weiter. Und die Grünen machen weiter. Und die Fanshops machen weiter. Und die Tafeln machen weiter. Und die Steuerberater machen weiter. Und die Gerichte machen weiter. Und der European Song Contest macht weiter. Und der Karneval macht weiter. Und die Schnellbäckerei macht weiter. Und die Baumärkte machen weiter. Und Helene Fischer und Florian Silbereisen machen weiter. Und die lebenden Skulpturen machen weiter. Und die Doktoranden machen weiter.

Und die Casting Shows machen weiter. Und Stadtplaner machen weiter. Und die Deutsche Bank macht weiter. Und Animatoren machen weiter. Und Monsanto macht weiter. Und der Vatikan macht weiter. Und Perry Rhodan macht weiter. Und C & A macht weiter. Und das Kapital macht weiter. Und Amazon macht weiter. Und die CSU macht weiter.

DIE FDP IST WIEDER DA! Und Vokuhila ist wieder da. Und Henne-Berta-Eier sind wieder da. Und Tarzan ist wieder da! Und Krawatten sind wieder da. Und Glühwein ist wieder da. Und Zweitagebärte sind wieder da. Und Abba ist wieder da. Und Bügelfalten sind wieder da. Und Thomas Gottschalk ist wieder da. Und positives Denken ist wieder da. Und Fix und Foxi sind wieder da.

Quelle   :   TAZ >>>>>> weiterlesen

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Grafikquelle    :     Karikatur von Gerhard Mester Weiter so (2016)

  • CC-BY-SA 4.0
  • File:20161221 xl 1515–Gehard-Mester Weiter so.jpg
  • Erstellt: 21. Dezember 2016

 

 

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DL – Tagesticker 06.10.17

Erstellt von Redaktion am 6. Oktober 2017

Direkt eingeflogen mit unseren  Hubschrappschrap

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Sturm fegt über Deutschland Ausnahmezustand

 1.) In Berlin, Todesopfer, Bahn-Strecken gesperrt

Sturm Xavier kostete bereits vier Menschen das Leben. In Hamburg fiel ein Baum auf das Auto einer Frau. Sie starb. In Mecklenburg-Vorpommern forderte er ein weiteres Menschenleben. Ein Lastwagenfahrer sei an der Bundesstraße 191 in Neu-Karstädt von einem umstürzenden Baum erschlagen worden, sagte ein Polizeisprecher am Donnerstag. Mindestens zehn weitere Menschen sollen bereits bei dem Unwetter verletzt worden sein. In Brandenburg sind zwei Menschen ums Leben gekommen.

Die Welt

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Für die persönliche Sicherheit wird alles getan. Die schlechten Gewissen der Volksbetrüger wollen beruhigt werden

Schwarzbuch 2017:

2.) Steuerzahlerbund fordert Obergrenze für Bundestagsabgeordnete

Solarbetriebene Mülleimer, Fledermausquartiere und Hochsicherheitsgerichtsräume ohne Toilette: Der Bund der Steuerzahler hat in seinem neuen Schwarzbuch wieder zahlreiche Staatsausgaben aufgelistet, bei denen Deutschland aus seiner Sicht Steuergelder verschwendet. Insgesamt prangerte der Verband mehr als 118 Fälle von Steuerverschwendung durch Fehlplanungen, Nachlässigkeiten oder fragwürdige Projekte an. Konkret beziffern lasse sich die Verschwendung zwar nicht. „Aber es sind Milliardenbeträge“, sagte Verbandspräsident Reiner Holznagel bei der Vorstellung des Buches in Berlin.

Zeit-Online

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Ärger bei der CSU

3.) „Peter Gauweiler enttäuscht auf ganzer Linie“

Peter Gauweiler hat seine CSU-Parteikollegen aufgefordert, vor dem Beginn der Koalitionsverhandlungen erst die Führungsfrage zu klären. Die Partei müsse jetzt entscheiden, ob sie weiter von Horst Seehofer oder von Markus Söder geführt werden soll, sagte Gauweiler im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Koalitionsverhandlungen seien nicht dazu da, das Ende eines Parteichefs hinauszuschieben. Es gebe von Rilke das schöne Gedicht über den Herbst, in dem es heißt: „Herr, es ist Zeit, der Sommer war sehr groß“. Das gelte jetzt für die CSU: „Horst, es ist Zeit.“

Spiegel-Online

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Er ist natürlich bestens informiert über die Machenschaften der Bananenrepublik.

Steuerhinterziehung

4.) Ein Kniefall vor dem großen Werner Mauss

Er hat Geiseln aus dem kolumbianischen Dschungel befreit, Terroristen aufgespürt, verschollenes Raubgut wiederbeschafft, er war in 100 verschiedenen Identitäten auf der ganzen Welt unterwegs und hatte einen heißen Draht ins Bundeskanzleramt: Man darf diesem Werner Mauss also einiges zutrauen. Doch dass er das Landgericht Bochum, in dem mehr als ein Jahr lang über ihn verhandelt wurde, als freier Mann verlassen darf, ist vielleicht der größte Coup des einzigen bekannten deutschen Undercover-Agenten. Sechs Jahre und drei Monate wollte die Staatsanwaltschaft den heute 77-jährigen Privatermittler hinter Gittern sehen, weil sie davon überzeugt ist, dass Mauss über einen Zeitraum von zehn Jahren Steuern in Höhe von 13,2 Millionen Euro hinterzogen hat. Das Gericht sah den Vorwurf der Steuerhinterziehung zwar als erwiesen an, errechnete aber ein vollkommen anderes Strafmaß: zwei Jahre auf Bewährung. Herr Mauss ist raus.

Suddeutsche-Zeitung

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Über 500 000 Flüchtlinge

5.) Erschütternde Tragödie: UN fordern mehr Geld für Rohingya

Die Vereinten Nationen (UN) haben dringend mehr Geld für die Versorgung der nach Bangladesch geflohenen Rohingya gefordert. Ein neuer Reaktionsplan der UN bezifferte den Bedarf nun auf insgesamt 430 Millionen Dollar (rund 365 Millionen Euro), die «dringend benötigt» würden, um die Flüchtlinge und die Regierung von Bangladesch zu unterstützen, teilte eine UN-Delegation in der Hauptstadt Dhaka mit. Eine frühere Forderung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) über 120 Millionen Dollar ist darin enthalten.

Augsburger-Allgemeine

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Ungleichheit

6.) Deutschland den Reichen

Die westdeutsche Sozial-Pyramide gleicht einer Platte, aus deren Zentrum eine Nadel aufragt.“ Von wem mag dieser Satz wohl stammen? Attac? Occupy? Oxfam? Nein, er stammt von Seite 39 des legendären Aufsatzes „Paradies der Reichen“ aus dem Spiegel 31/69. Der elf Seiten lange Beitrag zeigt vor allem:

1. Die Ungleichverteilung war schon damals praktisch nicht mehr grafisch darstellbar. 2007, 38 Jahre später, stellte sie das DIW in der ersten großen Untersuchung über die gesamtdeutschen „Nettorealvermögen“ als „Zehn-Säulen-Diagramm“ dar. Die rechte, reichste Säule mit einem Vermögensdurchschnitt von 600.000 Euro war zwölf Zentimeter hoch.

FR

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Neu für Männer, die auch im Stehen kacken wollen:

7.) Öffentlichen Toiletten erhalten Kackoirs

In immer mehr öffentlichen Toiletten und Privatwohnungen hält derzeit das sogenannte Kackoir Einzug. Diese dem Pissoir nachempfundene Sanitäreinrichtung bietet Männern, die auf die maskuline Stehhaltung auch bei ihrem großen Geschäft nicht verzichten wollen, eine praktische Alternative zum herkömmlichen Klo. „Kackoirs sind nicht nur hygienischer, weil das Gesäß nicht das Porzellan berühren muss, es geht auch deutlich schneller, weil das zeitraubende Hinsetzen entfällt“, heißt es in der Broschüre eines führenden Kackoir-Herstellers. „Dies entspricht den Bedürfnissen der modernen Geschäftswelt.“

Der Postillon

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Hinweise und Anregungen nehmen wir gerne entgegen

Treu unserem Motto: Es gibt keine schlechte Presse, sondern nur unkritische Leser

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Grafikquelle: DL / privat – Wikimedia Commons – cc-by-sa-3.0

 

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Scheiss-Kolonialismus!

Erstellt von Redaktion am 5. Oktober 2017

Gegen revisionistische Verharmlosungen deutscher Gewaltgeschichte

Autor : Henning Melber

Helen Zille ist die Grossnichte des Berliner Malers Heinrich Zille. Sie ist die ehemalige Parteivorsitzende und eine populäre Oppositionspolitikerin der südafrikanischen Democratic Alliance (DA).

Vor einigen Monaten bekam sie ihr Fett ab. Auf dem Rückweg von Singapur setzte sie im März 2017 noch vor Flugantritt beeindruckt von den dortigen Errungenschaften einen tweet ab. Darin stellte sie kategorisch fest, nicht alles am Kolonialismus sei schlecht gewesen.

Bis sie in Südafrika landete, war der shitstorm in vollem Gange. Immerhin haben Generationen von Schwarzen unter einem System der menschenverachtenden Apartheid hautnah erfahren, was eine rassistische Fremdherrschaft an Entwürdigung, Ausbeutung und Unterdrückung für die rechtlose kolonisierte Mehrheit bedeutet. Doch Zille zeigte wenig Einsicht.

Immerhin, so beharrte die frühere Bürgermeisterin Kapstadts und heutige Premierministerin der Westlichen Kapprovinz, habe der Kolonialismus Infrastruktur geschaffen, Strassen und Schulen gebaut, ein Gesundheitssystem eingeführt und damit den Lebensstandard gehoben.

Zu ihrer Verteidigung führte sie auch an, dass sie als einstige Kritikerin der Apartheid kaum im Verdacht stünde Unrecht zu relativieren.

Ihre Uneinsichtigkeit hatte einen Preis. Nach wochenlangem Tauziehen initiierte die DA ein Disziplinarverfahren.

Zille wurde im Juni aus allen Führungsgremien der Partei wegen parteischädigenden Verhaltens ausgeschlossen. Schliesslich hatte die DA während der Kommunalwahlen 2016 erste nennenswerte Unterstützung unter der wachsenden Wählerschaft einer städtischen schwarzen Mittelschicht erhalten, deren Unzufriedenheit über die Macht- und Geldgier unter der ANC-Führung dazu führte, sich politisch neu zu orientieren.

Zilles Erfahrung könnte ein Lehrstück dafür sein, wie die Sicht von unterschiedlich Betroffenen sich fundamental unterscheidet.

Nachfahren von Tätern glauben sich mitunter erlauben zu können, die verinnerlichten Empfindsamkeiten von Opfergenerationen und deren Nachfahren zu verharmlosen, indem sie diese eines vermeintlich Besseren belehren. Dass dies auf eine Relativierung von Gewaltgeschichte hinaus läuft und damit tendenziell die Wurzeln eigener Privilegien negiert, mag ihnen noch nicht einmal bewusst sein.

Daran, dass es fundamental falsch und verwerflich ist, ändert es aber Nichts.

Koloniale deutsche Gewaltgeschichte

In Deutschland ist in den letzten Jahren die koloniale Vergangenheit stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Grossen Anteil daran hatten die seit der Jahrhundertwende deutlich intensiver werdenden Bemühungen von Afrodeutschen und von postkolonialen Initiativen, die meist in lokalen Bezügen jeweils vor Ort (wie z.B. in Münster, Hamburg, Freiburg, Berlin, Heidelberg, Potsdam, München aber auch andernorts) an die koloniale Hypothek und die rassistisch aufgeladenen Verbindungslinien erinnern. Vieles im deutschen Alltag erinnert noch immer an die Kolonialgeschichte auch hierzulande, wenngleich diese nur selten bewusst gemacht wird. Doch das vielzitierte Diktum von William Faulkner (aus dem Theaterstück „Requiem für eine Nonne“) gilt auch in diesem Fall: „Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen“.

Diejenigen, die sich seit Jahrzehnten um die bewusste Bearbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit bemühen, konnten mittlerweile einen teilweisen Erfolg feiern. Neben anderen Faktoren hatte ihre Beharrlichkeit dazu beigetragen, dass sich zur Jahresmitte 2015 die Bundesregierung durch das Auswärtige Amt zu einem besonders dunklen Kapitel der überseeischen deutschen Gewaltgeschichte bekannte. Unter wachsendem Druck auch etablierter Medien wurde endlich eingeräumt, dass der Krieg gegen die Ovaherero und Nama im damaligen „Deutsch Südwestafrika“ (dem heutigen Namibia) zwischen 1904 und 1908 ein Völkermord war. Seither verhandeln Sonderbeauftragte der deutschen und namibischen Regierung um eine angemessene Konsequenz aus diesem Tatbestand.

Dass es in den anderen deutschen Kolonien – insbesondere dem damaligen „Deutsch Ostafrika“ mit einer Politik der verbrannten Erde zur Niederschlagung des Maji-Maji Widerstandes – ähnlich gelagerte Fälle von Kriegsverbrechen gegeben hat, mag diesen Verhandlungen besondere Brisanz verleihen. Auch werden die seitherigen Diskussionen in Deutschland im europäischen Ausland mit grossem Interesse verfolgt. Immerhin haben diese den potenziellen Charakter eines Präzedenzfalles, was den Umgang mit kolonialen Gräueln betrifft. In London, Paris, Brüssel, Lissabon, Den Haag, Rom, Madrid und andernorts kommt dies der eigenen Kolonialvergangenheit bedrohlich nahe. Es darf vermutet werden, dass dies wohl auch schon Thema der EU-Aussenminister gewesen ist. Und auch in den ehemaligen Siedlerkolonien von Australien, Kanada und den USA wird es gewiss nicht unbeachtet bleiben, was bei den deutsch-namibischen Verhandlungen letztlich heraus kommt.

Deutsch-namibische Feilschereien

Wer meinte, mit der Anerkennung des ersten Völkermords des 20. Jahrhunderts sei jenseits des Lippenbekenntnisses ein grundsätzlicher Durchbruch erfolgt, sah sich bisher getäuscht. Nicht nur sind mit den heutigen Interessenverbänden der Ovaherero und Nama die Nachfahren der seinerzeit am meisten Betroffenen von den direkten Gesprächen fast ganz ausgeschlossen. Sie hatten seit Jahrzehnten für die Anerkennung des Völkermords mobilisiert und bleiben bei den offiziellen Verhandlungen nun weiterhin Statisten. Damit wird die deutsch-namibische Versöhnungsinitiative zu einer Regierungsangelegenheit degradiert und Gegenstand einer Staatsräson, die den unmittelbar Betroffenen eine adäquate Mitsprache verweigert.

Die Bundesregierung begründet dies damit, dass es einzig der namibischen Seite überlassen bleibt, wer aus Namibia mit ihr verhandelt. Sie glaubt damit fein aus dem Schneider zu sein. Doch die Weigerung, sich anderweitig mit diesen Gruppen auseinander zu setzen, straft sie Lügen. Initiativen der Ovaherero und Nama, den Völkermord zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens zu machen, scheiterten bislang. Anfang 2017 hatten sie eine Entschädigungsklage gemäss eines US-amerikanischen Gesetzes bei einem Gericht in New York eingereicht. Doch die Anhörung musste bereits zwei Mal verschoben werden, weil die deutsche Seite die Annahme der Klageschrift verweigerte und den Terminen fern blieb.

Für den 13. Oktober wurde die Anhörung ein weiteres Mal anberaumt. Es bedarf keiner prophetischen Gabe vorher zu sagen, dass auch dann die deutsche Seite nicht anwesend sein wird.

Doch auch die offiziellen deutsch-namibischen Gesprächsrunden verlaufen keinesfalls so harmonisch, wie es die Stellungnahmen des deutschen Sonderbeauftragten und früheren CDU-Politikers Ruprecht Polenz vorgaukeln. Zum einen war die zeitliche Massgabe bei Verhandlungsbeginn, eine gütliche Einigung möglichst noch in der Ära des Bundespräsidenten Gauck zu finden, der dann zu einer offiziellen Entschuldigungsgeste nach Namibia reisen könnte, ein Ärgernis. Schliesslich steht es der deutschen Regierung nicht zu, der namibischen Seite vorzuschreiben, wie lange etwas zu dauern habe, das sich halbwegs adäquat um begangenes Unrecht in Namibia kümmern soll.

Auch der Ausgangspunkt, nach Eingeständnis eines Völkermords eine Entschuldigung dafür zum Verhandlungsgegenstand zu erklären, hat eine paternalistische Anmassung, die verblüfft. Dahinter verbirgt sich immer noch die schon vor fast 15 Jahren ausgegebene Handlungsmaxime des damaligen grünen Aussenministers Joseph Fischer, dass es „keine entschädigungsrelevante Entschuldigung“ geben dürfe. So bekräftigte Polenz Ende Juli 2017 in einem Interview mit der Deutschen Welle, dass es keine finanziellen Entschädigungsleistungen für den Völkermord geben wird. Er betonte, dass sich „Erwartungen auf ein realistisches Mass konzentrieren … und nicht unrealistisch die Verhandlungen belasten“ sollen.

Stattdessen ist von „Wiedergutmachungen“, wie der Einrichtung einer deutsch-namibischen Zukunftsstiftung, die Rede, die Projekte zum Gedenken an den Völkermord fördern soll. Dazu käme eine Erweiterung der entwicklungspolitischen Zuwendungen. Schon seit mehr als 20 Jahren verkündet die Bundesregierung gebetsmühlenhaft eifrig, dass Namibia pro Kopf der Bevölkerung die höchsten Entwicklungsgelder in Afrika erhält (was bei 2,3 Millionen Einwohner*innen nicht unbedingt darauf schliessen lässt, dass es sich dabei um gigantische Summen handelt).

Laut Polenz betrachtet die Bundesregierung die ganze Angelegenheit „nicht als eine Rechtsfrage – und ‚Entschädigungen‘ ist ein Rechtsbegriff – sondern als eine politisch-moralische Frage. Das ist nicht weniger, sondern etwas anderes.“ Dass politische Moral auch zu Entschädigungsleistungen als Folge eines Schuldeingeständnisses führen könnte, wird damit ausgeschlossen. – Nicht verwunderlich angesichts der Forderungen von Nachkommen der Opfer des Nazi-Terrors in Italien, Polen und Griechenland, die ebenfalls weiterhin zurückgewiesen werden. Polenz spricht deshalb lieber von der moralischen Verpflichtung, Wunden zu heilen.

Das sieht der namibische Sonderbeauftragt Zed Ngavirue etwas anders. Er erklärt im Interview mit der Deutschen Welle Ende Juli 2017: „Beim Ausdruck ‚Die Wunden heilen‘ schwingt vielleicht mit, dass Deutschland glauben könnte, dass dies durch das Rezept eines Arztes in Berlin geschehen könnte. Aber aus unserer Sicht kann die Frage von Entschädigungen nicht allein durch das Rezept eines Arztes in Berlin entschieden werden.“

Deutschland hatte Ende Juni 2017 der namibischen Seite ihre aktuellen Vorstellungen in einem Grundsatzpapier übermittelt, über dessen Inhalt Vertraulichkeit vereinbart wurde. Doch schon vorab zu Mitte Juni brach der deutsche Botschafter in Namibia diese Abmachung – bezeichnenderweise in einer Ansprache zur Jahreshauptversammlung des deutschen Schulvereins in Windhoek. Den Deutschsprachigen im Lande wurde so ein Privileg zuteil, das aus Sicht der namibischen Regierung als Vertrauensbruch gewertet werden muss.

Mindestens so aufschlussreich wie dieser gänzlich undiplomatische faux pas sind die Kernpunkte dessen, was Botschafter Christian-Matthias Schlaga den Anwesenden übermittelte. So würde aus deutscher Sicht die Suche nach einer gemeinsamen Sprache über „die Art und Weise der Nutzung des Begriffes ‚Völkermord'“ im Mittelpunkt stehen. Deutschland wäre bereit, „sich für die … in deutschem Namen verübten Verbrechen zu entschuldigen“. Wichtig wäre dabei allerdings, „dass diese Entschuldigung von Namibia als Schlusspunkt der politisch-moralischen Diskussion akzeptiert wird“. Das Ziel sei, „dass die Geschichte nicht länger als ‚dunkle Wolke‘ über allen Bemühungen hängt“.

Datei:Bundesarchiv Bild 105-DOA0916, Deutsch-Ostafrika, Pflanzerhaus.jpg

Die „dunkle Wolke“ Kolonialismus

Der anhaltende Eiertanz der deutschen Verhandlungsseite findet ihr Pendant in wachsenden Gegentendenzen innerhalb der deutschen Öffentlichkeit, den Terraingewinn der postkolonialen Initiativen rückgängig zu machen. Kolonialapologetische Verharmlosungen feiern seit dem offiziellen Eingeständnis eines Völkermords fröhliche Urstände.

Gleich unmittelbar danach räumte der „Spiegel“ dem bislang eher kolonialkritischen Journalisten Bartholomäus Grill sechs Heftseiten ein, um ihm im Gespräch mit einem in Namibia ansässigen deutschen Farmer und prominenten Leugner des Völkermords ein Forum zu bieten. Grills Ausgangsfrage war dabei, ob es den Völkermord „überhaupt gegeben habe“. Seither werden hartnäckig ernst gemeinte Versuche zum Umgang mit dieser Gewaltgeschichte immer wieder diskreditiert und der deutsche Kolonialismus, wie schon früher, in verharmlosender Weise abgetan.

Aktuelles Beispiel ist der 2017 erschienene Sammelband „Die Deutschen und ihre Kolonien“.

Darin wird die deutsche Kolonialherrschaft als „Abenteuer“ oder „Episode“ verniedlicht.

Auch wird – laut einer erstaunlich positiv zustimmenden Besprechung in der ansonsten eher kritisch-linken Monatszeitschrift „WeltTrends“ – öfters darauf hingewiesen, „dass die Deutschen ihre spezielle Einstellung zur Arbeit, die mehr als Lebenssinn denn Lebensunterhalt stiftendes Element gedacht wird, auf die Einheimischen übertragen wollten“. – Am deutschen Wesen…

In diese Trendwende gehört auch, dass die massgeblich von postkolonialen Initiativen vorgetragenen Forderungen nach Namensumbenennung von Strassen in zahlreichen deutschen Städten, die noch immer koloniale Sendboten ehren, attackiert werden.

Für den Journalisten Alan Posener, der regelmässig in der „Welt“ zu Wort kommt, „war nicht alles schlecht am Kolonialismus“. Für ihn ist Helen Zille „ein bewundernswerter Mensch“, die „Opfer der Ideologie des Antiimperialismus“ wurde. Posener wirft den Post Colonial Studies (PCS) vor, die Vergangenheit „durchaus rassistisch“ zu kolonisieren: „Jeder Hinweis auf Leistungen der Weissen wird getilgt. Strassennamen werden geändert, Standbilder niedergerissen, Autoren verworfen, Professoren terrorisiert. Eine Art Neusprech wird eingeführt, um die Menschen daran zu hindern, anders zu denken, als es die PCS-Meisterdenker wollen“.

Der Gralshüter des europäischen Zivilisationsgedankens bezichtigt diejenigen, die den deutschen Kolonialismus als eine tendenzielle Vorstufe zur Ideologie und Praxis der Nazi-Diktatur verstehen des unterschwelligen Antisemitismus. Ihm zufolge dient der Hinweis auf tendenzielle Verbindungslinien zwischen dem Völkermord in Namibia und dem Holocaust einer Leugnung der Singularität der Shoa. – Als ob für die Ovaherero und Nama der an diesen begangene Völkermord kein singuläres Ereignis gewesen sei.

Er attackiert auch die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die sich im Juli 2017 aus der Expertenkommission des Humboldt Forums mit einer deutlichen Erklärung verabschiedete. Um den Ort, an dem die Stiftung Preussischer Kulturbesitz in Berlins Mitte im neu her gerichteten Stadtschloss die ethnographischen Sammlungen vergangener Jahrhunderte als Dokument der Weltkulturen integrieren möchte, ist seither ein fundamentaler Streit entstanden, der auch mit der bislang eher mangelnden Provenienzforschung (also der Suche nach der Herkunft und Art des Erwerbs von Kulturgegenständen) zu tun hat. Posener findet es hingegen wichtiger zu fragen, „ob die Europäer viele Gegenstände nicht eher gerettet als geraubt haben“.

Die heutige Regierung scheint nicht viel aus der Vergangenheit gelernt zu haben.  Denn der Spruch „deutsche Waffen deutsches Geld gilt als Ziel in alle Welt“, läutet eine erneute Kolonisierung ein !

Der Streit um das Humboldt Forum

Savoy jedoch kritisiert die unzureichende Provenienzaufklärung. In einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ erklärte sie unter anderem, die Sammeltätigkeit unter dem Label Humboldt „mit all den Schweinereien und Hoffnungen, die damit verbunden sind“ seien wir, „das ist Europa“. Das würde wie Atommüll unter einer Bleidecke begraben, „damit bloss keine Strahlung nach Aussen dringt. Das Humboldt-Forum ist wie Tschernobyl.“ Dieser breit publizierte Frontalangriff wird auch von dem Aktionsbündnis „No Humboldt 21“ unterstützt, dem 88 migrationsgesellschaftliche Organisationen angehören. Die Reaktionen auf solche Kritik, deren Zusammenhang mit dem Völkermord in Namibia offenkundig ist, sind aufschlussreich. Schliesslich geht es auch hier ans Eingemachte einer bislang halbwegs unangetasteten deutschen Erinnerungskultur und deren geschichtlichen Räume, was die vermeintlich „guten alten Zeiten“ vor dem Nazi-Regime betrifft.

So fordert ein Meinungsartikel in der Welt „Glamour und Magie statt freudloser und hyperkorrekter Kolonialismus-Debatten“ und moniert: „Alles wird auf einmal grundsätzlich diskutiert – aber eben nur ja nicht ästhetisch.“

Die Frage, „ob nun nicht endlich, endlich eine Debatte darüber beginnen müsse, inwieweit die Niederschlagung des sogenannten Hereroaufstands Völkermord war“, möge zwar seine Berechtigung haben, „führt aber vom eigentlich Wichtigen völlig weg“. Es ginge doch „um Schätze“, um „Pracht und Herrlichkeit“. Deren Zurschaustellung in einem kapitalen „Bau aus der Blüte des Barock“, der „gewissermassen diese geschundene Stadt wieder ganz macht, müsste eigentlich Anlass höchsten Jubels sein“. Der zentrale Gedächtnisort biete die Chance, „das Einssein von nationaler Zugehörigkeit und Weltbürgertum in einem grossen Fest der Brüderlichkeit zu zelebrieren“.

Solch Perspektive erfordert eine beachtliche Verdrängungsleistung. So relativierte Mit-Gründungsintendant Horst Bredenkamp laut einem Bericht der Deutschen Welle die harsche Kritik von Savoy mit dem Hinweis, die Berliner „Sammlungsgeschichte“ von 460 Jahren umfasse „nur“ 34 Jahre deutscher Kolonialherrschaft. „Es ist ein Spiel, die Kolonialzeit in den Mittelpunkt zu stellen“, erklärte er in einem Rundfunkinterview. Demgegenüber gestand Ko-Intendant Hermann Parzinger ein: „Natürlich ist es kein Spiel, sich mit der Kolonialzeit zu beschäftigen.“

Hingegen kritisiert Parzinger in einem Artikel der September-Ausgabe der Zeitschrift „Cicero“ die postkoloniale Kritik als „wohlfeile Selbstprofilierung“. Sie würde „die pauschale – und im Übrigen historisch unzutreffende und unwissenschaftliche – Aburteilung jeglicher völkerkundlicher Sammlung als in ihrer Gesamtheit unrechtmässig“ betreiben. Die Einsicht, „dass Handlungsbedarf besteht“, sei „in den letzten Jahren enorm gewachsen“. Aber „es ist wohlfeil, diese Anstrengungen jetzt mit dem Verweis auf Versäumnisse in der Vergangenheit zu diskreditieren“. Ein „postkolonialer Institutionenhass, der sich derzeit gerne auf Völkerkundemuseen kapriziert“ helfe nicht weiter.

So halten sich weiterhin Legitimierungsversuche einer Geschichte von Unterwerfung, Massengewalt und Raub als elementare und integrale Elemente einer deutschen Kultur, die sich durch die Exponate einer Kolonialgeschichte sogar noch als weltoffen darzustellen bemüht. Zumindest ein erklärtes Ziel haben die Gründungsintendanten jedenfalls schon vor der 2019 geplanten Eröffnung des Forums erreicht, das sie in einer gemeinsamen Stellungnahme zur Austrittserklärung Savoys formulierten: „um die Welt neu in ihrer Gesamtheit denken und erforschen zu können, … werden auch im Humboldt Forum die Widersprüche der Formgebung, der Konflikt zwischen Innen und Aussen, neue Denkprozesse und Debatten anregen“. – Nur dass dabei vieles dieser Prozesse keinesfalls neu ist, sondern die verharmlosende Kolonialapologie der Vergangenheit wiederkäut.

Die Expansion Europas auf den Rest der Welt bleibt dessen ungeachtet in all seinen Auswirkungen auf die Menschen dort und auf das verinnerlichte Gefühl des Herrenmenschentums, das sich nicht nur im Rassismus einer AfD manifestiert, ein Scheiss-Kolonialismus.

Henning Melber / Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 422, Oktober 2017, www.graswurzel.net

Quelle   :   Artikel vom Untergrundblättle

Soweit nicht anders angegeben und keine genauere Quellenangabe vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Website die Creative Commons Lizenz (CC).

Henning Melber ist Direktor emeritus der Dag Hammarskjöld Stiftung in Uppsala, Professor an den südafrikanischen Universitäten in Pretoria und Bloemfontein und derzeit auch in Kapstadt. Er kam als jugendlicher Sohn deutscher Einwanderer nach Namibia, wo er 1974 der Befreiungsbewegung SWAPO beitrat. Er ist u.a. Verfasser von „Der Weissheit letzter Schluss. Rassismus und kolonialer Blick“ (Frankfurt/Main 1992), Herausgeber von „Genozid und Gedenken. Namibisch-deutsche Geschichte und Gegenwart“ (Frankfurt/Main 2005) und Ko-Autor (gemeinsam mit Reinhart Kössler) von „Völkermord – und was dann? Die Politik deutsch-namibischer Vergangenheitsbearbeitung“ (Frankfurt/Main 2017).

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Grafikquellen    :

Oben  —-  Deutscher Kolonialherr in Togo (ca. 1885)

 

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Werdet radikaler – SPD !

Erstellt von Redaktion am 5. Oktober 2017

Der Sozialdemokratie droht der Untergang,

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von Robert Misik

….. sie muss sich neu erfinden : Der fade Mittelweg wird niemanden elektrisieren, Radikalität ist schon aus Marketinggründen nötig.

Die SPD hat bei der Bundestagswahl zwar eine schwere Niederlage erlitten, ist aber trotzdem noch ganz gut davongekommen. Das zeigt sich, wenn man ins Ausland blickt. Etwa nach Frankreich: Die Sozialisten sind bei den vergangenen Parlamentswahlen so gut wie ausgerottet worden. Sie existieren noch, aber eigentlich nur auf dem Papier. Sogar ihre Parteizentrale in Paris müssen sie verkaufen – die Partei ist praktisch pleite.

Die niederländischen Sozialdemokraten, einstiger Stolz der Bewegung, wurden mit 5,7 Prozent zu einer Splitterpartei marginalisiert. Praktisch ausradiert wurde die griechische Pasok – die zum Namensgeber für den neuen Trend wurde: „Pasokisierung“ nennt man es, wenn eine sozialdemokratische Partei nicht nur verliert, sondern so stark verliert, dass von ihr nichts mehr übrig ist.

Im Vergleich dazu steht die SPD noch gut da.

„Wir sind der neue Mainstream“

Aufblende: Brighton, vergangene Woche. Jeremy Corbyn spricht auf der jährlichen Konferenz seiner Labour-Partei – nach seinem überraschenden Wahlerfolg vom Frühsommer ist er erstmals der unbestrittene Frontmann. „Man hat uns gesagt, dass man Wahlen nur in der Mitte gewinnen kann“, sagt Corbyn. Und fügt schmunzelnd hinzu: „Dieser Meinung bin ich ja auch. Nur muss man eben dazu sagen, dass die Mitte nicht unveränderbar ist.“ Und dann sagt er den Satz, der den Saal zum Jubeln bringt: „Wir sind der neue Mainstream.“

Die Labour-Partei mag ein Vorbild sein, aber nicht in allem. Jeremy Corbyn ist kein elektrisierender Anführer, auch wenn er im Wahlkampf deutlich an Statur gewonnen hat und seine hölzerne Ausstrahlung verlor. Bemerkenswert ist, wie es seiner Partei gelang, zu einer Bewegung junger Leute zu werden, zum Magneten aller, die wollen, dass es „irgendwie anders“ wird. Aber das wird durch das britische Mehrheitswahlrecht auch begünstigt: Es tendiert dazu, dass am Ende die beiden großen Parteien beider gesellschaftspolitischen Lager sich in einem Duell gegenüberstehen, bei dem Kleinparteien keine Rolle spielen (auch die Liberalen haben den angeblich Linksextremen Corbyn am Ende gewählt, nur um die konservative Anti-Europa-Partei in die Schranken zu weisen).

Vor allem konnte die linke Antiestablishment-Linie von Labour nur funktionieren, weil sie in der Opposition ist. Und weil Corbyn einer ist, der sich mit der Elitenpolitik bisher nicht eingelassen hat. Das verbindet ihn etwa mit Bernie Sanders. Sozialdemokratien, die als kleine Koalitionspartner mitregieren (wie etwa in Deutschland), oder die eine Regierung anführen (wie etwa in Österreich), können Elemente davon kopieren, aber nicht das gesamte Muster. „Wir gegen das System“, „Wir gegen die korrupte Elitenpolitik“ – solche Positionen sind schwerer zu vertreten, wenn man den Vizekanzler oder den Kanzler stellt.

 Natürlich kann die SPD nicht das Erfolgsrezept von Labour kopieren. Sie darf aber auch nicht so weiter machen wie bisher.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/6d/KAS-Rentenpolitik-Bild-12016-1.jpg

Der Gangster waren derer Viele und sie kamen Unverhofft  – und auch sehr oft.

Die Wähler wollen Veränderung

Sozialdemokraten müssen heute wieder ein gehöriges Stück radikaler werden. Das fällt ihnen gewiss extrem schwer, weil das Unradikale gewissermaßen zur DNA der zeitgenössischen Sozialdemokratie gehört. Sie hat sich antrainiert zu moderieren, unterschiedliche Milieus, aber auch unterschiedliche politische Zielgruppen zusammenzuhalten. Sie hat sich jahrzehntelang etwas darauf eingebildet, für „vernünftige“ Politik zu stehen, was in der Praxis heißt, kaum mehr etwas zu verkünden, was irgendjemanden provozieren oder aufregen könnte. Kein Grund zu spotten: Das war das Erfolgsrezept der Sozialdemokratien.

Aber heute verlangt der Zeitgeist in praktisch allen Ländern etwas anderes. Die Wähler wollen Veränderung, kein Weiter so. Gewiss haben sie auch keine Lust auf Abenteuer, aber der fade Mittelweg wird niemanden elektrisieren. Und schon gar nicht der sozialdemokratische Verteidigungsdiskurs, der in den letzten Jahrzehnten eingerissen ist: „Wählt uns, denn mit uns wird es langsamer schlechter“, kann schon ein paar Wähler mobilisieren. Aber viel mehr als 20 Prozent eher nicht.

Den Nebel des Depressiven wegblasen

Quelle   :    Zeit-Online >>>>> weiterlesen

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Grafikquellen   :

Oben   —   Robert Misik

Source Robert Misik @ Grundgesetzkonferenz 6./7.3.2009 Leipzig
Author dielinke_sachsen
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Unten   —   aus dem Tal der Lügen

Lügen HABEN KURZE BEINE. >>Ich stehe dafür, daß die Renten steigen wie die Nettoeinkommen.<< Gerhard Schröder, 17. Februar 1999 Abbildung: Porträtfoto Plakatart: Kandidaten-/Personenplakat mit Porträt Auftraggeber: CDU-Bundesgeschäftsstelle, Hauptabteilung Öffentlichkeitsarbeit, Bonn Objekt-Signatur: 10-025 : 311 Bestand: Wandzeitungen (10-025) GliederungBestand10-18: CDU-Bundesgeschäftsstelle Lizenz: KAS/ACDP 10-025 : 311 CC-BY-SA 3.0 DE

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„Bissen für Bissen“

Erstellt von Redaktion am 5. Oktober 2017

„Weniger Masse, mehr Hirn“

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Das Interview führten Georg Löwisch und Ulrich Schulte

Wie kriegt seine Partei Jamaika hin? Der Grüne Robert Habeck über Posten, rote Linien und über Cem, Katrin und Macron.

taz. am wochenende: Herr Habeck, früher gab es bei den Grünen ein geflügeltes Wort: „Die arme Verwandtschaft vom Platz vor dem Neuen Tor.“ Kennen Sie das?

Robert Habeck: Nein. Aber ich kann mir vorstellen, was es bedeutet.

Dort haben die beiden Parteivorsitzenden ihre Büros.

Der Bundesvorstand hat gegenüber der Bundestagsfraktion oder möglichen Ministerien die wenigsten Mittel und Mitarbeiter. Mein Ministerium in Schleswig-Holstein hat 440 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit dem nachgeordneten Apparat arbeite ich mit 2.000 Leuten zusammen. Sie helfen, dass ich keine Fehler mache, sie beantworten meine Fragen und setzen die politischen Entscheidungen im Land um.

Ein kleiner König.

Könige sind die unfreisten Menschen, die es gibt. Übrigens speist sich politische Kraft aus mehr als Geld und Personal. Ideen­reichtum, Motivation, Klarheit, Geschick. Insofern kann man es auch umdrehen: Bist du klein, bist du beweglich. Weniger Masse, mehr Hirn. Die Bundesvorsitzenden können strategisch wichtige Knotenpunkte sein.

Die Grünen suchen einen neuen Chef. Würden Sie die 2.000 gegen zwei tauschen?

Sorry, ich bin nicht auf Jobsuche.

Wollen Sie lieber Bundesminister werden?

Ich halte es geradezu  für aberwitzig, jetzt über Posten zu diskutieren. Alle, die Jamaika ernsthaft gestalten möchten, sollten sich überlegen, wie das gehen kann, nicht, was aus ihnen werden kann.

Ach ja? Die Rheinische Post berichtet, Sie und die grünen Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir hätten bei einem Treffen mit FDP-Verhandlern bereits über Ressortzuschnitte gesprochen.

Das ist Quatsch. Ich war jedenfalls bei keinem solchen Treffen. Das Schlimme an solchen Meldungen, ist aber nicht nur, dass sie falsch sind, sondern der Eindruck entsteht, hier geht es um Karrieregeilheit und Posten. Wir müssen doch erst mal sehen, ob Jamaika irgendeine Grundlage haben kann.

Katrin Göring-Eckardt & Cem Özdemir (montage).png

Wie schwierig werden die Verhandlungen?

Enorm. Aber wie verspeist man einen Wal? Bissen für Bissen Und du weißt nicht, ob du danach platzt, ob dir übel ist oder es dir einigermaßen gut geht. So dürfte der Weg nach Jamaika sein.

Wie würden Sie rangehen an den Wal?

Entscheidend wird sein, dass alle Beteiligten innerhalb ihrer eigenen Milieus dafür werben, aus der Ernsthaftigkeit der Sondierung eine Ernsthaftigkeit der Lösung zu machen. Wenn alle sich hinter roten Linien verschanzen, kann das nichts werden. Jeder muss sich trauen, dem anderen einen halben Meter entgegenzukommen, ohne die eigene Position zu verraten. Nur so kann etwas Neues entstehen, ein dritter Weg neben ausgetretenen Pfaden.

Machen Sie Witze? Die CSU schlägt gerade um sich.

Klar, wer eine Niederlage erlitten hat, haut auf die Trommel, um zu zeigen, dass er noch lebt. Das macht es nicht leichter. Je unsouveräner man sich fühlt, desto schwieriger ist es, großmütig zu sein. Nötig wäre ein konstruktiver Modus.

Was müssten die Topthemen für die Grünen in einer Regierung sein?

Damit das nicht so etwas Listenhaftes bekommt, rede ich mal von Themenfeldern. Das erste Feld ist die ökologische Transformation, von Energie über Umwelt bis Landwirtschaft. Dann wäre da die Sozialpolitik. Jamaika steht prinzipiell unter dem Verdacht, ein Bündnis der Besserverdiener zu werden. Das ist tödlich. Es wäre gerade nach dieser Wahl mit Sicherheit die falsche Antwort für die Gesellschaft. Das dritte Feld sind die Finanzen. Die Fiskalpolitik einer Jamaika-Koalition ist entscheidend. An ihr entscheidet sich die Frage, wie solidarisch, ökologisch und weltoffen Deutschland in Europa agiert.

Sie träumen. Die FDP will offenbar das Bundesfinanzministerium und der zweitstärkste Koalitionspartner durfte sich immer als erster ein Ressort aussuchen. Wie sollen die Grünen da Fiskalpolitik machen?

Die Auseinandersetzung um die Fiskalpolitik zeichnet sich als neue Hauptkonfrontation ab. Sie ist unweigerlich mit der Frage verbunden, wie Europa zusammenhält. Das Feld werden wir nicht einfach der FDP überlassen. Sie hat da eine ex­trem andere Vorstellung als wir. Und wir wissen selbst, wie eine ökologische und soziale Fiskalpolitik gestaltet werden kann. Monika Heinold, unsere Finanzministerin in Schleswig-Holstein, steuert über die Finanzen auch Politikfelder. Für den Bund muss gelten: Ein Koali­tions­vertrag müsste Europa neue Chancen eröffnen und die Deregulierungswut im Innern stoppen. Aber wie gesagt, ich rede nicht über Posten. Es haben ja jetzt schon viel zu viele Leute die Frage im Hinterkopf: Was wird aus mir? Das geht mir wirklich auf den Senkel.

Quelle   :     TAZ    >>>>>     weiterlesen

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Grafikquellen    :

Oben   —   Dr. Robert Habeck

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DL – Tagesticker 05.10.17

Erstellt von Redaktion am 5. Oktober 2017

Direkt eingeflogen mit unseren  Hubschrappschrap

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Keine Schadenfreude! Aber wie sagten schon die Ahnen: “ Bleib zu Haus und nähre dich redlich“!! Wer sich in Gefahr begibt,  kommt darin um !

 (3 Mitglieder einer speziellen Militärgruppe aus dem Hinterhalt getötet und 2 verletzt)

1.) 3 Special Forces Troops Killed and 2 Are Wounded in an Ambush in Niger

WASHINGTON — Three United States Army Special Forces were killed and two were wounded on Wednesday in an ambush in Niger while on a training mission with troops from that nation in northwestern Africa, American military officials said. “We can confirm reports that a joint U.S. and Nigerien patrol came under hostile fire in southwest Niger,” Lt. Cmdr. Anthony Falvo, a spokesman for the United States Africa Command in Stuttgart, Germany, said in an email.

The New York Times

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Hier bestraft sich die politische Unfähigkeit. Hochmut kommt vor den Fall!

Sachsen-CDU und die AfD Gegenwind für Tillich:

2.) „Wie willst du rechts von denen ankommen?“

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) bekommt für seine Forderung nach einem Rechtsruck der Partei massiven Gegenwind aus den eigenen Reihen. Sowohl Kurt Biedenkopf, der von 1990 bis 2002 Regierungschef im Freistaat war, als auch der thüringische CDU-Fraktionschef Mike Mohring attackierten Tillich. Biedenkopf hält den Versuch Tillichs für vergebens. Im Landtag säßen bereits AfD-Abgeordnete. „Wie willst du rechts von denen ankommen? Jetzt ist es zu spät“, sagte Biedenkopf. Mohring sieht eine Chance für die CDU bei „Aufstellung als stärkste Kraft in einer neu austarierten Mitte“.

Der Tagesspiegel

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Ein Heimatministerium bringt weder Moral noch Redlichkeit zurück. Die Gesellschaft wurde von Merkel systematisch zerstört. Das Volk sollte unterlassene Hilfeleistungen einfordern. Heimat ist dort, wo sich Mensch wohlfühlt. 

Reaktion auf mieses Wahlergebnis Thüringens CDU-

3.) Fraktionschef fordert Heimatministerium

Nach dem schlechten Abschneiden von SPD und Union bei der Bundestagswahl hat sich der Thüringer CDU-Fraktionschef Mike Mohring erneut für ein Heimatministerium auf Bundesebene ausgesprochen. „In einem Heimatministerium könnte man die Bedeutung des ländlichen Raums stärken. Das wäre eine gute Antwort auf die Sorgen der Bürger in Ost und West, die sich abgehängt fühlen“, sagte Mohring der „Berliner Zeitung“.

Spiegel-Online

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Hier trifft sich dann die spanische Wurst mit den deutschen Gemüse? Technokratie !

Streit um Unabhängigkeit

4.) Woran Spaniens Premier in Katalonien scheitert

Dem Technokraten fehlt häufig das Feingefühl, um Konflikte durch persönliche Gespräche zu entschärfen. Eigentlich hat Mariano Rajoy nur „das Gesetz erfüllt“, wie er es selbst nennt. Doch den Kommentaren der internationalen Presse, die ihm jeden Morgen in seinen Amtsräumen im streng bewachten Moncloa-Palast in Madrid vorgelegt werden, musste er entnehmen, dass ihm die Hauptschuld an der Eskalation im Streit um die politische Zukunft Kataloniens gegeben wird. Und nicht nur das: Sogar Spitzenpolitiker aus anderen EU-Staaten haben indirekt an ihm Kritik geübt, indem sie Dialog statt Gewalt forderten. Rajoy verhehlt nicht, dass er sich ungerecht behandelt fühlt.

Sueddeutsche-Zeitung

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Der neue Wetterhahn einer sprachlosen Regierung ? Rechtzeitiges Krähen hätte das heutige Krächzen erspart ! Den Satz von Gorbi vergessen: “ Wer zuspät kommt, den bestraft das Leben !

Nach Gauland-Drohung

5.) Lammert warnt AfD: «Parlament ist kein Jagdrevier»

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat die neu ins Parlament eingezogenen AfD-Abgeordneten ermahnt, ihr Mandat ernst zu nehmen. «Das erfordert eine sprachliche Disziplin in der Debatte, die die Bedeutung eines Parlamentes erkennen lässt und nicht Provokationen anstelle von Kooperationen setzt», sagte er der «Welt». Mit Blick auf die Äußerung des Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland, die AfD werde Kanzlerin Angela Merkel (CDU) jagen, fügte Lammert hinzu: «Ein Parlament ist kein Jagdrevier.»

Augsburger-Allgemeine

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Zur Landtagswahl in Niedersachsen

6.) Schulz will die SPD erneuern

Cuxhaven – SPD-Chef Martin Schulz will die historische Niederlage seiner Partei bei der Bundestagswahl umfassend aufarbeiten. Die Partei müsse sich zunächst kritische Fragen stellen. „Was haben wir falsch gemacht?“ und „Was hätten wir besser machen können?“, sagte er bei einem Wahlkampfauftritt rund eineinhalb Wochen vor der Landtagswahl in Niedersachsen. Dort kämpft Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) um den Machterhalt.

Stuttgarter-Zeitung

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Wurde auch Zeit

7.) Deutschland bekommt zwei getrennte Einheitsfeiern

Ein Glück! Szenen wie 2016 in Dresden, wo die eine Hälfte der Bürger den Tag der Deutschen Einheit feierte und die andere lautstark ihrem Unmut Luft machte, sollen sich in der Zukunft nicht mehr wiederholen. Nachdem aggressive Demonstranten Bundeskanzlerin Angela Merkel in der sächsischen Landeshauptstadt massiv beschimpft und angepöbelt hatten und die Bundestagswahl 2017 einen deutlichen Riss durchs Land offenbarte, ziehen Bund und Länder die Konsequenzen.

Die Welt

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Hinweise und Anregungen nehmen wir gerne entgegen

Treu unserem Motto: Es gibt keine schlechte Presse, sondern nur unkritische Leser

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Grafikquelle: DL / privat – Wikimedia Commons – cc-by-sa-3.0

 

 

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BTW – NRW – 2017

Erstellt von Redaktion am 4. Oktober 2017

For the many, not for the few

Datei:Wagenknecht, Sahra, 2013.JPG

Das ist natürlich auch Politik. Die eigenen Leute an der Saar im Stich zu lassen
„One take everything and the Rest some Chicken feed“

von Jürgen Aust

Ein nahezu erdrutschartiger Verlust der beiden neoliberalen Regierungsparteien im Verhältnis zur Bundestagswahl 2013: während die CDU in absoluten Zahlen 2.476.045 Mio. WählerInnen verlor, versagten 1.713.848 Mio. der ehemaligen WählerInnen der SPD ihre Zustimmung. Angesichts dieses Desasters breitet sich im bürgerlichen Lager verständlicherweise nahezu Alarmismus aus, weil mit der AfD erstmals eine rechtspopulistische Partei den Einzug in den deutschen Bundestag schaffte. In den Reihen von CDU und SPD herrscht überwiegend Hilf- und Kopflosigkeit, wenn mit Begriffen wie „Entsetzen“ oder „Schock“ tiefe Betroffenheit geheuchelt wird, obwohl seit den Landtagswahlen 2016 alles dafür sprach, dass die AfD auch bei der Bundestagswahl 2017 ein vergleichbares Ergebnis erreichen würde. Dieser Rechtsschwenk in der deutschen Parteienlandschaft wurde ergänzt durch einen deutlichen Aufwärtstrend bei der FDP, die im Verhältnis zu 2013 einen Zuwachs von ca. 2,9 Mio. Stimmen verbuchen konnte, so dass mit den von den Grünen erreichten 8,9% WählerInnen das neoliberale Lager, sei es rechts- und linksliberal (CDU,SPD,Grüne und FDP) oder national-chauvinistisch und rechtspopulistisch (AfD) mit ca. 85% aller WählerInnen ein stabiles Fundament für ein „Weiter so“ für eine Politik der weiteren Prekarisierung der Arbeitswelt, der Militarisierung der Außenpolitik und des Abbaus rechtsstaatlicher Sicherungen besteht.

Demgegenüber hat die LINKE mit 9,2% zwar ein unbestreitbar achtbares Ergebnis erzielt, aber ihre wesentlichen Wahlziele: 10% plus, drittstärkste Oppositionskraft im Bundestag und stärker als die AfD zu werden, deutlich verfehlt. Während im Westen die LINKE respektable Zuwächse erzielte, wurde sie im Osten in allen neuen Bundesländer (bis auf Berlin) massiv abgestraft. Selbst in den beiden „Vorzeigeprojekten“ in Thüringen und Brandenburg versagten die WählerInnen ihnen deutlich die Zustimmung: in Thüringen stimmten 6,5% weniger Wählerinnen für die LINKE, die nur noch 16,9% erhielt (2013: 23,4%), während sie bei der Landtagswahl 2014 noch 28% der WählerInnen erreichen konnte. Ähnlich in Brandenburg, wo sie einen Einbruch von 5,2% der Stimmen hatte und nur noch 17,2% verbuchen konnte (2013: 22,4%). Ähnliche Stimmenverluste sind in Mecklenburg-Vorpommern (-3,7%), Sachsen (-3,9%) und Sachsen-Anhalt (-6,1%) zu verzeichnen.

Brüche im rechts- und linksliberalen Lager

Der deutliche Einbruch im „christlichen“ Lager war aufgrund der lange Zeit relativ stabilen Umfragewerte nicht zu erwarten, was die populistische These immer wieder bestätigt, dass ein Fußballspiel erst nach 90 Minuten zuende ist. Während das nahezu hauseigene Umfrageinstitut Allensbach noch am 22.09.2017, also zwei Tage vor der Bundestagswahl, CDU/CSU bei 36% und SPD bei 22% verortete, erreichten beide Parteien am Wahlsonntag lediglich insgesamt nur noch die Zustimmung von 53,5% der WählerInnen (CDU/CSU 33% und SPD 20,5%). Dieser Absturz in der Wählergunst beruhte im Wesentlichen auf einem unerwarteten Einbruch der CSU, die mit 10,5% weniger Stimmen im Verhältnis zu 2013 ein historisches Tief erreichte und erwartbar interne Machtkämpfe auslöst, aus denen der überwiegend AfD-affine Finanz- und Heimatminister Söder möglicherweise zum neuen CSU-Superstar hervorgeht. Demgegenüber ist die „mächtigste Frau der Welt“, Angela Merkel, trotz der Wahlniederlage noch unangefochten, aber es bedarf keiner Glaskugel-Prognosen, um festzustellen, dass dies ihre letzte Amtsperiode sein wird.

SPD am Abgrund

Der Absturz der SPD mit lediglich noch 20,5% der WählerInnen-Stimmen hat zu einer bisher kaum erwartbaren Entscheidung ihrer Parteiführung geführt. Nachdem sie seit 1998 bis auf eine kurze Unterbrechung 2009 – 2013 die Regierungsgeschäfte führte, trat sie bereits am Wahlabend die Flucht nach vorn an und ließ durch ihren Kanzlerkandidaten und Vorsitzenden, Martin Schulz, die interessierte Öffentlichkeit wissen, dass sie nunmehr die Oppositionsrolle einnehmen werde. Zweifellos ein taktisch kluger Schachzug, da sie damit zumindest die Voraussetzung für eine personelle Erneuerung schaffen könnte, was mit Andrea Nahles als neue Fraktionsvorsitzende eine erste Konsequenz aus der Wahlniederlage darstellt. Denn mit lediglich 20,5% erzielte die SPD ihr schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte.

Doch mit der Agenda-Politikerin Andrea Nahles wird die SPD mit Sicherheit das in den letzten Jahren verlorene Terrain nicht zurückerobern können. Die SPD ist ganz offensichtlich nicht bereit und in der Lage, sich an „Haupt und Gliedern“ zu erneuern, da sie glaubt, sie müsse nur die Köpfe austauschen, ohne sich von ihrer neoliberalen und kapitalorientierten Politik zu verabschieden. Sie scheint nach wie vor die Zeichen der Zeit nicht verstanden zu haben, die in den letzten Jahren dazu geführt haben, dass sich die sozialdemokratischen Parteien in Holland, Frankreich oder Griechenland aufgrund ihrer neoliberalen Politik nahezu pulverisiert haben. Sie könnte sich jedoch an ihren Schwesterparteien in Portugal oder Großbritannien orientieren, um zu erkennen, dass eine Absage an die Austeritätspolitik und eine antikapitalistische Orientierung, wie sie sehr offensiv von Jeremy Corbyn in Großbritannien vertreten wird, der Grundstein für eine Erneuerung wäre. Doch dazu wird sie mit ihrem alten Agenda-Personal nicht in der Lage sein. Es geht ihr bisher statt einem Aufbruch zu neuen Ufern lediglich um Schadensbegrenzung, was in keiner Weise dazu reichen wird, dem rechten Block eine deutliche und machtpolitische Alternative entgegen zu setzen.

Zeichen der Hoffnung für linke Politik ?

DIE LINKE geht vor allem aufgrund eines deutlichen Zuspruchs im Westen gestärkt aus der Bundestagswahl hervor. So konnte sie im größten Bundesland in NRW und dort insbesondere in den Großstädten erhebliche Zuwächse erzielen: sie erreichte z.B. in Köln, Bochum, Dortmund,Münster oder Wuppertal Ergebnisse von 10% und darüber.

Dass sie bundesweit lediglich 9,2% erzielte und ihr zentrales Wahlziel nicht erreichte, liegt an einem massiven Einbruch in nahezu sämtlichen Bundesländern des Ostens, in denen sie bisher bei nahezu allen Bundestagswahlen bei weit über der 20%-Marke lag. Dieses Ergebnis mag vordergründig überraschen und bleibt von der Parteiführung bisher nahezu unkommentiert. Aber es ist zweifellos Ausdruck dafür, dass eine linke Partei, die sich in ihrem Grundsatzprogramm als eine sozialistische Partei versteht, die die kapitalistischen Verhältnisse überwinden will, schlechterdings sich nicht der Illusion hingeben darf, dass sie das in Regierungskoalitionen mit den Kapitalismus verwaltenden Parteien auch nur ansatzweise bewirken kann. Ihr entscheidendes Problem besteht jedoch seit ihrer Parteigründung darin, dass sie im Osten mit einem nahezu alles dominierenden FDS-Flügel die Illusion verbreitet, dass der Kapitalismus reform- und friedensfähig sei, so wie sie es sehr demonstrativ im Rahmen der 2010/11 geführten Debatte um das Parteiprogramm vertreten hat. Eine solche Politik kann zwar temporäre Erfolge erreichen, wie der Erfolg in Thüringen 2014, aber sie ist langfristig zum Scheitern verurteilt, was wir durch die massiven Stimmenverluste gerade in den Bundesländern, wo sie wie in Thüringen und Brandenburg an der Regierung ist, vorgeführt bekommen.

Es wird deshalb für DIE LINKE kein Weg daran vorbei führen, dass sie den seit Beginn existierenden „Richtungskampf“ in ihren Reihen offensiv austrägt: ob sie eine Partei sein will, die wie in Frankreich oder Italien aufgrund einer (gescheiterten) Orientierung auf Regierungsbeteiligung mit dem bürgerlich-neoliberalen Lager setzen will oder ob sie sich als eine radikale antikapitalistische Alternative à la Corbyn, Sanders oder Melenchon versteht. Die Entwicklungen in der britischen Labourpartei dürften deutlich machen, wie es gehen kann: eine konsequente antikapitalistischen Orientierung gegen das Establishment ist gegen den neoliberalen und insbesondere Rechtstrend erfolgreich. Es bleibt zu hoffen, dass die deutsche Linkspartei sich im Sinne des nachstehenden Zitats des Autors des Buches „Ein unanständiges Angebot ?“, Thomas Goes, als lernfähig erweist:

DIE LINKE müsste eine starke Kraft der Organisierung von lokaler Gegenmacht werden: 60 Prozent Energie auf die Arbeit vor Ort, 20 Prozent interne Arbeit (Bildungsarbeit, um Mitglieder zu fördern), 20 Prozent auf die parlamentarische Arbeit. Ich muss wohl niemandem sagen, dass es eine innerparteiliche Kulturrevolution bräuchte, um zu einer solchen Arbeitsweise zu kommen.“

Quelle   :   übernommen von AKL

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KULTUR versus NATUR

Erstellt von Redaktion am 4. Oktober 2017

„Wer ist EIGENTLICH HERR IM HAUSE“?

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Wenn die Zivilisation der Barbarei weicht

Von Stefan Weinert – Ravensburg

Kultur (von lateinisch cultura ‚Bearbeitung‘, ‚Pflege‘, ‚Ackerbau‘) bezeichnet im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur. Cecil Helman (+ 2009) bezeichnet mit Kultur einen engeren Begriff, nämlich ein System von Regeln und Gewohnheiten, die das Zusammenleben und Verhalten der Menschen leiten. Beides ist wohl zu beachten, wobei Letzteres ein gefährliches Spiel ist.

Das Wort „Kultur“ ist eine Eindeutschung des lateinischen Worts cultura, das eine Ableitung von lateinisch colere „pflegen, urbar machen, ausbilden“ darstellt. Denselben Ursprung haben die Bezeichnungen Kolonie und Kult. „Kultur“ ist in der deutschen Sprache seit Ende des 17. Jahrhunderts belegt und bezeichnet hier von Anfang an sowohl die Bodenbewirtschaftung als auch die „Pflege der geistigen Güter“. Heute ist der landwirtschaftliche Bezug des Begriffs nur noch in Wendungen wie Kulturland für Ackerland oder Kultivierung für urbar Machung verbreitet; in der Biologie werden auch verwandte Bedeutungen wie Zell- und Bakterienkulturen benutzt. Im 20. Jahrhundert wird kulturell als Adjektiv gebräuchlich, jedoch mit deutlich geistigem Schwerpunkt. Die Wortherkunft des lateinischen Wortes colere leitet sich ab von der indogermanischen Wurzel kuel- für „[sich] drehen, wenden“, so dass die ursprüngliche Bedeutung wohl im Sinne von „emsig beschäftigt sein“ zu suchen ist.

Die Kultur ist ihrem Wesen nach etwas  Zweifaches. Sie verwirklicht sich in der Herrschaft der Vernunft über die Naturkräfte und in der Herrschaft der Vernunft über die menschlichen Gesinnungen. (A. Schweizer) Der französische Kulturphilosoph Claude Lévi-Strauss verglich das Konzept der Sprache mit der Kultur: Die Kultur verhalte sich wie die Sprache: Nur ein Außenstehender könne die ihr zugrunde liegenden Regeln und Strukturen erkennen und interpretieren.

Für Kant bedeutet Kultur = Zivilisation), dass sich die Menschen zwar zu einem artigen Miteinander erziehen und ihren Alltag bequem und praktisch einzurichten wissen und dass sie vielleicht durch Wissenschaft und Technik Fahrzeuge, Krankenhäuser und Kühlschränke hervorbringen. All dies reicht jedoch noch nicht dafür, dass sie „Kultur haben“, wenngleich es der Kultur dienen könnte. Denn als Bedingung für Kultur gilt für Kant die „Idee der Moralität“ (der kategorische Imperativ), d. h., dass die Menschen ihre Handlungen bewusst auf an sich gute Zwecke einrichten.

Ausgehend von dem, was Helman (siehe oben) sagt, kann die Kultur eines Volkes auch geheuchelt oder gar verdreht = pervertiert sein. Denn zur Kultur, wie sie Kant, Schweizer und andere definieren, gehört auch das sich Hineinfühlen in den anderen, den Mitmenschen. Und es gehört das ganz individuelle Gewissen dazu. Wenn allerdings das kritische und hinterfragende Gewissen soweit ausgeschaltet wird, dass es angesichts der Not des anderen, oder gar Gräueltaten dem anderen gegenüber schweigt, dann ist der kultivierte Garten der Vernunft des Einzelnen zur kollektiven Barbarei geworden. Wenn dann noch die anderen mit Bezeichnungen wie .„Ratten“ und „Ungeziefer“ (1933 – 45), oder „Halbaffen vom Maghreb“ und „Sozialschmarotzer“  und „Entsorgung“ (2015 – 2017) entmenschlicht werden, werden auch die, die sie bekämpfen, zu Tieren. Tiere aber kennen nur Trieb und Instinkt, von denen sie „fremd gesteuert“ werden, um am Leben zu bleiben, und die deshalb über es herrschen.

Datei:Philipp Jakob Loutherbourg d. J. 002.jpg

Zurück in die Zukonft  – Ravensburg im Jahre 2030

Auch der evolutionäre Mensch kennt Triebe. Wird aber der beim Tier vorhandene Instinkt beim Menschen nicht durch Moral, Ethik, Empathie und Vernunft ersetzt, dann kommt es zu einem unkontrollierten Triebüberschuss, der die Zivilisation im Mikro- und Makrokosmos zerstören wird.

„Principiis obsta. Sero medicina parata, cum mala per longas convaluere moras.“

„Wehre den Anfängen! Zu spät wird die Medizin bereitet, wenn die Übel durch langes Zögern erstarkt sind.“ – Ovid, Rom

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Grafikquellen   :

Oben:   —   Garten einer Arbeiterwohnung, Textilmuseum Bocholt

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Wie weiter Germans?

Erstellt von Redaktion am 4. Oktober 2017

Raus jetzt aus Bullerbü

Astrid Lindgren's World.jpg

Heute mit Pippi und Püppi – später greift auch Karlsson als Populist ein

von Peter Unfried

Alles schlimm wegen der AfD – und dann auch noch eine Jamaika-Koalition? Im Gegenteil: Jetzt ist die Chance da, ein paar Dinge neu zu sehen.

Chronos ist der Gott der Zeit, dem wir beim Runterlaufen zusehen. Also unser aller Gott. Kairos ist der Moment der Chance, in die verrinnende Zeit einzugreifen. Jetzt ist Kairos, sagt der Soziologe Armin Nassehi.

Ähem. Auf der Suche nach der Zukunft ist man in diesem Land ein Fremder. Keiner hat Zeit dafür. Oder den Kopf. Keiner will seine Zukunft für die Zukunft riskieren. Seit dem Wahlsonntag wird zwar das Wort Zukunft ständig benutzt, aber gleichzeitig geht der Blick noch entschlossener zurück als eh schon. Merkel weiter so. Schulz weiter so. Grüne sowieso. Und wenn auf dem Bildschirm „Jamaika für Merkel einzige Option“ flackert, dann schalten wir schnell aus und denken: Och, nö.

Aber das ist jetzt von mir auch eine larmoyante Haltung und deshalb kommt jetzt ein Reset.

Klimawandel, Völkerwanderung, Krieg, Ressourcenkämpfe, die zunehmende Aggression fossiler und autoritärer Regime, der Niedergang der amerikanischen Weltordnung, sich ausbreitender Massenvernichtungswaffenbesitz, die europäische Krise, der Bedarf an ökologischer Modernisierung und die gleichzeitige Krise der politischen Ökologie, künstliche Intelligenz, Automatisierung, Digitalisierung, Politik für die gut gebildeten, jungen Prekären und die sich zuspitzenden Kulturkämpfe – es gibt einiges zu tun. Da hilft es überhaupt nicht, hier gemütlich immer noch auf Hartz IV rumzureiten. Oder rumzujammern, wie schlimm alle anderen sind.

Die Frage in Nassehis Sinne muss also sein, ob aus der Bundestagswahl, dem offiziellen Niedergang der langjährigen Volksparteien und des von diesem Dualismus bestimmten Politik- und Lebensgefühls, nicht sogar was Besseres folgen kann, eine Modernisierung des Denkens, Lebens, Politikmachens der Germans?

Nicht in alten Lagern denken

Halten wir es mal für möglich, dass sich die vielbeschworenen 87 Prozent mehrheitlich auf ein gesellschaftliches und politisches Update einlassen, das eben nicht das ist, was die alten Lager und Partikularmilieus immer gedacht haben und auch nicht ein Kompromiss aus verschiedenem altem Denken.

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Nur mal als Test, ob das geht: Jens Spahn, Robert Habeck und Christian Lindner sprechen jenseits der Wahlprogramme miteinander und das Erste, was einer von uns dazu sagt, ist nicht, dass da aber eine Frau fehlt und bestimmt nur Scheiße rauskommt. Hart, oder?

„Die neue Konstellation erfordert, dass die Leute jetzt miteinander reden müssen und nicht mehr die Sätze sagen können, die in den letzten drei Jahren gesagt wurden. Vielleicht kommen sie dabei auf Sätze, auf die sie selbst nie gekommen wären“, sagt Armin Nassehi. Und dass das nicht nur ironisch gemeint sei.

Nassehi, 57, sitzt gerade in einem Mercedes und fährt durch München auf dem Weg in das ZDF-Studio Unterföhring. Er ist gut drauf, jedenfalls hört sich das am Telefon so an. Der Kursbuch-Herausgeber mit dem markant-haarlosen Kopf ist in den letzten beiden Jahren zu einem führenden Deuter der gesellschaftlichen Gegenwart geworden. Und das auch, weil er Gesellschaft nicht mit Rechts-links-Denken beschreibt. Selbstredend sieht Nassehi den AfD-Erfolg kritisch, war erst mal erschrocken, insgeheim scheint er auch zu zweifeln, dass das groß inszenierte Oppositionsversprechen der SPD wahr werden wird. Aber er will eben auch die Chance für etwas Neues sehen.

Die Grünen sind mit sich selbst beschäftigt

Auf der Grünen-Wahlparty in einer ehemaligen Brauerei in Berlin-Neukölln hingen zwei große Fernsehschirme an der Wand. Für ein paar Minuten war es am Sonntagabend so, dass links FDP-Chef Christian Lindner sprach und rechts Ulf Poschardt, der oberliberale Welt-Chefredakteur. Das sah lustig aus. Aber die Grünen im Saal schauten nicht mehr hin. Sie waren längst wieder mit sich selbst beschäftigt. War ja alles noch mal gutgegangen. Für sie.

Das könnte die Ironie dieser Geschichte werden. Während Lindner in den letzten Jahren in der FDP jeden Stein umgedreht und den Regenwurm darunter auf Liberalität, Digitalkompetenz und Zukunftsbereitschaft gecheckt hat, arbeiten die Grünen ihre Quoten ab, kontrollieren sich damit gegenseitig und stellen ihre schönsten Mumien der Differenzästhetik nicht nur aus, sondern schleppen sie womöglich mit in eine Konstellation, in der neu nachgedacht werden könnte, nämlich über das Gemeinsame, das dieser Gesellschaft wichtig ist.

Viele profitieren davon, wenn es letztlich doch noch ein bisschen so weitergeht, wie es nicht mehr weitergeht. Auch viele Grüne. Sie müssten die Geschichte auch überdenken, die sie von sich selbst erzählen wollen, wenn „Dinge jetzt infrage gestellt werden“, wie Nassehi sagt. Wie fühlt sich das an, wenn sie nicht mehr a priori die Guten und Besseren sind, sondern Union- und FDP-Wähler moralisch gleichwertige Mitmenschen mit nachvollziehbaren Bedürfnissen? Wie geht man damit um, wenn Politik nicht Weltrettungsgequatsche ist, sondern wie in den Bundesländern die Mühe der Ebene, in der aus radikalen Emotionen operative Lösungshorizonte werden müssen? Wie, wenn man nicht darauf kapriziert, selbst „unbequem“ sein zu wollen, sondern sich mal um die kümmert, die es wirklich unbequem haben?

ALV, Villa Villekulla och Hoppetossa.jpg

Bei Grünen auf einem Haufen dominiert diese habituelle Bullerbü-Anmutung, und das ist ja auch schön, so ein Bullerbü-Lebensgefühl. Da vorn steht der Micha. Da hinten kommt die Katrin. Das hab ich dem Cem schon fünfmal gesagt. Alles klar.

Weshalb es so schwer fällt, einzusehen, dass man zwar große Sensibilität für neue Lebensmöglichkeiten von partikularen Gruppen hat, aber damit längst nicht mehr vorn ist und schon gar nicht auf der Höhe der Problemlage. Dass man sich selbst ändern muss, die Grenzen von Bullerbü öffnen und das Fremde hereinlassen, das einem so bedrohlich erscheint. Tja. Manche können mit dem drohenden Verlust der kulturellen Heimat und des damit verbundenen Sicherheitsgefühls ganz schlecht umgehen. Da geht es Kreuzberger Grünen nicht anders als dem sächsischen AfD-Wähler.

Das Gefühl, kulturell abgehängt zu sein

Quelle   :   TAZ   >>>>>    weiterlesen

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Grafikquelle    :

Oben   —  Zwei Heldinnen wider Willen (eine im Geist welche Unsichtbar  über allem schwebt)

Astrid Lindgren’s World: See http://www.astridlindgrensworld.com/

Astrid Lindgrens „Karlsson på taket“ vid Junibacken i Stockholm

 

 

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DL – Tagesticker 04.10.17

Erstellt von Redaktion am 4. Oktober 2017

Direkt eingeflogen mit unseren  Hubschrappschrap

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Warum so viel Gerede? –  „Alle Macht geht vom Volke aus“. Jetzt tanzt der König mit Schuldzuweisungen  alle aus? Ist Einer zu schwach – wird der Andere so stark.

Nach umstrittener Abstimmung :

1.) Katalonien will in wenigen Tagen Unabhängigkeit ausrufen

Katalonien will binnen weniger Tage seine Unabhängigkeit von Spanien erklären. Das sagte der Chef der Regionalregierung Carles Puigdemont dem britischen Sender BBC in einem Interview am Dienstag. Seine Regierung werde Ende dieser Woche oder Anfang nächster Woche handeln, so Puigdemont. Auf die Frage, was er tun werde, sollte die spanische Regierung intervenieren und die Regierungsgewalt in Katalonien übernehmen, sagte er, dies wäre „ein Fehler, der alles ändert“. Derzeit bestehe kein Kontakt zwischen der Regionalregierung von Katalonien und Madrid.

FAZ

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Nun beginnt das Lesen im Kaffeesatz? Ist das Motiv nicht nebensächlich? Wirtschaft über alles, also bleiben wir dabei: Wer kauft Dinge welche er nicht nutzen möchte ? Alles andere ist Sache eines Psychiaters.

Polizei in Las Vegas:

2,) Motiv des Massenmörders weiter unklar

Las Vegas (dpa) – Zwei Tage nach dem Blutbad bei einem Konzert in der US-Kasinometropole Las Vegas ist das Motiv des Todesschützen Stephen Paddock weiter unklar. Die Ermittler machten Fortschritte, hätten aber noch keine „vollständigen Antworten“, sagte Bezirkssheriff Joseph Lombardo am Dienstag vor Journalisten. US-Präsident Donald Trump wird Las Vegas am Mittwoch besuchen und dabei auch mit Angehörigen der Opfer zusammenkommen.

Zeit-Online

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Intrigen, dafür haben wir die Parteien. Das Volk spricht mit Fakten! Ca. 20 Prozent der Bevölkerung haben Merkel gewählt und ihr einen Regierungs Auftrag erteilt !

Folgen für Kanzlerin Merkel?

3.) Üble Polit-Intrige dürfte Ösi-Wahl entscheiden

Am Wochenende enthüllte das Polit-Magazin „Profil“: Hinter zwei Facebook-Seiten, auf denen Kurz seit Monaten mit Dreck beworfen wurde, steckten SPÖ-Wahlkämpfer! Allen voran der israelische Kampagnen-Guru Tal Silberstein (48), den Kanzler Kern erst für 400 000 Euro angeheuert hatte – und dann wieder feuerte, als Silberstein wegen krummer Geschäfte verhaftet wurde.

Bild

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Tritt jetzt der zuständige, aber Unfähige Minister zurück? Ich zitiere einen Torhüter : „Hat er Eier ? “

Skandal um Pressefreiheit bei G20-Gipfel

4.) Beweismittel vernichtet

„Der Staat darf keine Beweise unterdrücken, die der Bürger braucht, um eine rechtswidrige Datenspeicherung nachzuweisen. Das ist eindeutig rechtswidrig“, sagte der frühere Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix der ARD. Das LKA hatte Cheung auf seine Anfrage hin über drei angebliche Delikte informiert; eines davon „besonders schwerer Landfriedensbruch“, begangen angeblich bei einer Demonstration in Berlin im Jahr 2011. Cheung war damals als Fotograf vor Ort. Mit der Polizei hatte er weder während noch nach der Demonstration Kontakt, die offensichtlich falschen Anschuldigungen waren seitdem bei der Berliner Polizei gespeichert.

TAZ

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Und ihre Chefs an VW und dem großen Geld?

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil

5.) „Die Basis hängt an Martin Schulz“

Ach, da gilt für mich Heinrich Heine: „Schlage die Trommel und fürchte Dich nicht.“ Niedersachsen ist nicht der Bund. Die SPD und ich haben hier gerade einen richtig guten Lauf. Wir haben in kürzester Zeit neun Prozentpunkte aufgeholt und liegen jetzt gleichauf mit der Union. Ich bin guten Mutes, dass wir als Erste ins Ziel gehen werden.

Der Tagesspiegel

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Kommentar Tag der Deutschen Einheit

6.) Ideologie der Spaltung

Am 3. Oktober gibt es wenig zu feiern. Es ist Tag der Deutschen Einheit, aber die Einheit gibt es nicht: In fast jeder Statistik der Ungleichheit sind die alten Grenzen der DDR sichtbar. In Ostdeutschland ist die Arbeitslosenquote deutlich höher, der Anteil an Kindern in Hartz-IV-Haushalten ist höher und alten Menschen droht häufiger Armut. Die Haushaltseinkommen sind niedriger, und die Vermögen der Haushalte sind niedriger. Und für die Zukunft sieht es nicht besser aus: Die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss ist im Osten höher.

 

TAZ

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7.) Regierung erhöht Flaschenpfand,
um Altersarmut zu bekämpfen

 Berlin (Archiv) – Die Regierung reagiert auf den Anstieg der Altersarmut in Deutschland: Bereits ab 1. Januar soll das Pfand auf Einwegflaschen und -dosen 50 statt 25 Cent betragen. Das Pfand für Bierflaschen ohne Bügelverschluss erhöht sich von 8 auf 16 Cent, das aller übrigen Mehrwegflaschen von 15 auf 30 Cent. Die deutschlandweit über 465.000 Senioren, die nur noch Rente in Höhe der Grundsicherung erhalten, begrüßen den aus ihrer Sicht längst überfälligen Schritt

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Hinweise und Anregungen nehmen wir gerne entgegen

Treu unserem Motto: Es gibt keine schlechte Presse, sondern nur unkritische Leser

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Grafikquelle: DL / privat – Wikimedia Commons – cc-by-sa-3.0

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A Woahnsinn

Erstellt von Redaktion am 3. Oktober 2017

Wie die CSU den Stammtisch verlor

File:X. Stammtisch Memmingen.JPG

von Viktoria Morasch und Philipp Daum

Früher waren die CSU und Bayern eins. Doch in Deggendorf holte die AfD das beste Wahlergebnis in ganz Westdeutschland. Was ist passiert?

DEGGENDORF/GRAFENAU taz | In der Waldbahn, auf dem Weg nach Deggendorf, sitzt man sich auf Dreierbänken gegenüber. Es fühlt sich an wie auf Bierbänken. Sechs Alte sitzen so, reden über Ärzte, Kinder, Urlaube. Ein Paar mit Kinderwagen steigt ein, die Frau in grünem Mantel und mit Kopftuch, der Mann verschnupft. Sie setzen sich und sagen: „Grüß Gott“.

Hier ist die bayerische Welt noch in Ordnung. Nur für die CSU ist seit vergangenem Sonntag gar nichts mehr in Ordnung. 38,8 Prozent der bayerischen Wählerstimmen bekam die Partei noch, über zehn Prozent weniger als bei der Bundestagswahl 2013. In fast allen niederbayerischen Wahlkreisen wurde die AfD zweitstärkste Kraft, weit vor der SPD.

Im Wahlkreis Deggendorf kam die AfD auf 19,2 Prozent, der höchste Wert in Westdeutschland. In München kämpft Horst Seehofer seitdem um seine politische Zukunft, die ersten CSU-Politiker fordern seinen Rücktritt als Parteivorsitzender.

Wieso ist die AfD gerade in Niederbayern so erfolgreich, wo die CSU hier früher eins mit dem Land war und bis zu 60 Prozent der Stimmen holte?

Wer vom Deggendorfer Hauptbahnhof nach links geht, sieht einen großen Klotz mit glatter Fassade, eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Gegenüber steht ein Netto-Supermarkt. Im Wahllokal St. Martin, gleich um die Ecke, überholte die AfD die CSU: Sie kam auf 31,5 Prozent der Stimmen, es ist das Wahllokal mit dem höchsten Wert in ganz Bayern.

„AfD wählen gehört sich anstandshalber schon nicht“

Vor dem Netto-Supermarkt verstaut ein älteres Paar seine Einkäufe. Sie hätten CSU gewählt, erzählen sie, aber wenn das hier so weitergehe, dann wählten sie demnächst AfD. Früher, sagt der Mann, sei hier alles gut gewesen, jetzt sei nachts alles leer, keiner traue sich mehr raus. „Wir sind nicht gegen Flüchtlinge“, sagt sie. „Guten, christlichen Leuten muss man helfen, aber die …“ „Das sind Tiere“, sagt er, „was da in Köln passiert ist, war nicht normal.“

Ende 2015 kamen an manchen Tagen Hunderte von Flüchtlingen in Deggendorf an, die Stadt stellte Zelte auf. Es gab Krisentreffen zwischen Seehofer und den Landräten der Region. Gerüchte verbreiteten sich, dass etwa der Nettomarkt gegenüber der Unterkunft dichtmachen müsste, weil Asylbewerber ihn leer stehlen würden. Zwei Jahre später ist der Nettomarkt weiter offen, die Leute warten ruhig an der Kasse.

Ein paar Straßen weiter, vor der St.-Martin-Kapelle, sitzt ein Arbeiter im Blaumann auf der Bank. Marcel Lachinger arbeitet als Lagerleiter bei einem Großhandel für Hydraulikrohre, er macht gerade Pause. In seiner Familie hätten alle immer CSU gewählt, aber irgendetwas sei jetzt anders als sonst.

Mit Flüchtlingen habe das gar nichts zu tun, sagt Lachinger und spricht von einer enttäuschten Liebe. Es sei wie beim FC Bayern. „Ich war früher großer Bayernfan. Dann kam Hoeneß ins Gefängnis, und es war vorbei.“ Mit der CSU gab es für Lachinger keinen Hoeneß-Moment, es war ein schleichender Prozess der Entfremdung.

„Was mach ich?“, fragte er sich vor der Wahl. AfD wählen „gehört sich anstandshalber schon nicht“. Also dachte er: Von welcher Partei habe ich lange nichts mehr gehört? Freie Wähler. Die versenken die Stimme bestimmt.

So etwas ist hier neu für die CSU. „Eine herbe Enttäuschung“, nannte Horst Seehofer das Ergebnis noch in der Wahlnacht, man müsse nun die „rechte Flanke“ wieder schließen. Markus Söder, der bayerische Finanzminister und Seehofers Gegenspieler, forderte, die Stimmung der Basis aufzunehmen. Nächstes Jahr wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt, und der Streit ist in vollem Gange, wie weit nach rechts eine Volkspartei rücken kann, ohne die Mitte zu verlieren.

Wie tief die Krise der CSU reicht, lässt sich an der bayerischsten aller Institutionen beobachten, dem Stammtisch. An einem schweren Holztisch in der Ecke des Bräustüberl in Grafenau sitzen Sepp, Walter, Heinz, Horst, Rainer, Ingo und Frank beim Bier zusammen. Jeden Dienstag nach dem Tennis kommen sie hierher. Sie sind in ihren Fünfzigern und Sechzigern, nur Sepp ist 81, spielt aber immer noch Tennis.

Die Männer am Tisch arbeiten als Reiseleiter, KFZ-Mechaniker, Unternehmer. Im Bräustüberl hängen Geweihe an der Wand, ein Kruzifix in der Ecke und die Wirtin bringt das Telefon an den Tisch, wenn eine Ehefrau anruft.

Heinz: „Der Seehofer hat sehr große Schuld. Dass er immer wieder kapituliert und zurückzieht.“

Horst: „Dass er ned zu dem steht, wos er sogt.“

Heinz: „Der Drehhofer. Aber bei uns im Bayerischen Wald ist die wirtschaftliche Lage maßgeblicher als wie die Migration. Weil, von der Arbeitssitua­tion, da samma mir schon abgeschlagen.“

Ingo: „Aber mir hamma ja keine hohe Arbeitslosigkeit in Niederbayern.“

Frank: „Und warum? Weil die Leute bereit sind, unheimlich weit für ihre Arbeit zum fahren.“

Heinz: „Schau dir moi die Situation in der Pflege und in den Krankenhäusern an.“

Horst: „Weil’s einfach am Goid fehlt.“

Heinz: „Für des Goid tät i nie und nimmer oarbeitn.“

Ingo: „Schau dir die Pflegedienste an, die wo umanand fahren und die an Aufwand ham. Fahr i zehn Kilometer zur a Patientin, und dann hob i nur zehn Minuten Zeit, weil dann muss ich wieder weiter fahren. Und dann spiel ich natürlich diesen Ostdeutschen oder Bulgaren in die Hände, denen alles geschenkt wird und die den Staat betrügen, von der Abrechnung her.“

Heinz: „Aber Ingo, des derf ma ned über oan Kamm scheren. Es gibt auch andere. Mir müssen froh sein, dass mir die Leut ham. Wenn wir die nicht hätten …“

Ingo: „Die Guten!“

Heinz: „Die Guten.“

Auch wenn es viel Unzufriedenheit am Stammtisch gibt, viel Distanz zur CSU – von den Männern hier hat nur einer die AfD gewählt. Im Wahlkreis kam die Partei dagegen auf fast 20 Prozent der Zweitstimmen. Das lag auch an einer populären Kandidatin: Katrin Ebner-Steiner. In der Deggendorfer Altstadt hängen noch Wahlplakate von ihr, darauf steht: „Familie. Heimat. Tradition.“

Die AfD-Kandidatin ging in Burka zur Demo

File:Stadtplatz von Grafenau.jpg

Ebner-Steiner sitzt im Café Wiedemann am zentralen Platz der Altstadt, in eine rote Decke gehüllt. Es ist kühl. Immer wieder kommen Leute vorbei und gratulieren. „Bis jetzt habens ja a bissl wenig Themen. Mit der Rente habens gar nix, des is scho a bissl schwach, ge?“, sagt ein älterer Mann. Im Programm der AfD steht nichts zum Rentenprogramm, Ebner-Steiner aber hat einen Vertrauensvorschuss. „Die Rente ist ein Thema, das hier alle interessiert“, sagt sie.

Ebner-Steiner, kurze blonde Haare, Perlenkette, dunkelblaue Bluse, kann viel über die Krise der CSU erzählen. Sie hat sie früher auch gewählt. Sie sei Franz-Josef-Strauß-Fan „durch und durch“, und der würde sich im Grab umdrehen, wenn er sähe, dass sich seine CSU mit den Grünen „ins Koalitionsbett“ lege. Strauß würde die AfD wählen – so steht es auf AfD-Plakaten in Bayern. Er würde schätzen, „dass wir dem Volk aufs Maul schauen und das aussprechen, was sich das Volk nicht mehr zu sagen traut“, sagt Ebner-Steiner.

Wenn sie Klartext spricht, wenn sie Wörter sagt wie „Mauermörderpartei“ und „Koalitionsbett“, wenn sie sich nicht von Wörtern distanziert wie „entsorgen“ und „Mahnmal der Schande“, dann blitzt hinter der gewöhnlich-konservativen Fassade das Radikale auf. Das Radikale, das sie auch dazu gebracht haben muss, am Morgen nach dem Anschlag auf dem Breitscheidtplatz zu monieren, dass Moderatoren mit Migrationshintergrund über das Thema sprechen.

Quelle     :    TAZ >>>>> weiterlsen

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Mitte     —     Loh aus der Ferne

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Welcome to Brexitland!

Erstellt von Redaktion am 3. Oktober 2017

Ein Streifzug durch Nordengland

File:Bridge Street, Chester.jpg

«Hurra, diese Welt geht unter!», triumphiert Henning May in seiner Hook in dem gleichnamigen K.I.Z.-Song und liefert den Soundtrack für die Landschaften des Post-Kapitalismus.

Doch davon kann heute noch keine Rede sein: Von Manchester über Dresden und Reims bis Detroit – verlassene Fabrikhallen, rostige Maschinenparks und löchrige Strassen bilden die Kulisse für die wütenden Proletarisierten, die spätestens seit dem Einbruch der globalen Krise 2008 die politische Bühne der einstigen Industrienationen betreten haben. Sie haben ihre festen Jobs verloren. Oder sie wissen zumindest von Freunden, Familie und Nachbarn, was ihnen jederzeit blühen kann. Ein Leben zwischen Arbeitslosigkeit und unsicheren, schlecht bezahlten Jobs ohne die Aussicht auf eine bessere Zukunft. Nach einer globalen Welle von Kämpfen – zwischen Occupy, Platzbesetzungen und Massenbewegungen in Griechenland, Spanien und Frankreich, dem arabischen Frühling oder dem Gezi-Park Aufstand in der Türkei – wird spätestens mit Millionen Stimmen für Brexit, Trump, Le Pen und jetzt auch für die AfD ein Prozess der gesellschaftlicher Regression immer offenbarer. Wahlkämpfe und Referenden werden zu Schaubühnen von neuen Parteien und ihren schrillen Kandidaten, die mit rassistischen Parolen, unmissverständlichen Drohgebärden und national-chauvinistischen Forderungen das Wahlvieh agitieren. Doch während K.I.Z. bereits die frohe Botschaft einer besseren Welt («Auf den Trümmern das Paradies!») verkünden, beginnt scheinbar gerade eine neue Ära der Monster. Der folgende Artikel ist ein Streifzug durch Nordengland, einst die grösste Industrieregion der Welt – heute abgehängt und deindustrialisiert: Welcome to Brexitland!

Um in die ehemalige Kohle-Stadt Stainforth zu gelangen, nimmt man die Regionalbahn der Northern Railway von Doncaster nach Scunthorpe. Die Fahrt fühlt sich an wie eine Reise in die Vergangenheit. Der Antrieb der Bahn erfolgt durch eine alte Diesellok. Bei jeder Anfahrt wird ein höllischer Lärm erzeugt, dazu schleicht im ganzen Waggon der ölige Geruch des mittlerweile aus der Mode gekommenen Dieseltreibstoffes durch die Luft. Von der Decke hängen mit Schweiss vollgesogene Ledergriffe zum Festhalten. Die schweren Türen machen beim Schliessen noch richtig Krach. Keine Displays, keine Computerstimme, die die nächste Station ansagt. Das übernimmt der grimmig aussehende Fahrkartenkontrolleur nebenbei. Blechern ertönt seine Durchsage: „Next station Hatfield & Stainforth“.

Der Ausgang des kleinen Bahnhofs führt direkt vom Bahnsteig über eine Betontreppe auf eine blaue Eisenbrücke. Oben angelangt hat man das Gefühl auf einer Aussichtsplattform zu stehen. Fast unvermeidlich fällt der Blick auf das alte Kohlebergwerk, The Hatfield Main Colliery, das nur weniger hundert Meter entfernt wie eine rostige, tote Krake emporragt: Riesige Türme, Speicheranlagen und Kohleförderbänder, die jetzt stillstehen. Man könnte denken, dass die Überbleibsel der alten Zeche bei Stainforth als Denkmal dienen sollen – als Andenken für eine Zeit, in der Grossbritanniens Kohleminen, Stahlgiessereien, Glaswerke und Autofabriken noch unermüdlich für den Weltmarkt produzierten. Dörfer wurden zu Kleinstädten. Ununterbrichen stieg der dunkle Rauch aus den Fabrikschloten, rund um die Uhr wurde malocht. Nach der Schicht ging es in die Pubs, die hier wie Pilze aus dem Boden schossen. Bis zu 5000 Minenarbeiter sollen zu Hochzeiten alleine in der Kohlemine der Minenarbeiterstädte Hatfield und Stainforth gearbeitet haben.

„The making of the english working class“

Datei:Philipp Jakob Loutherbourg d. J. 002.jpg

Stainforth liegt im Nordosten Englands, in der Region Yorkshire südlich von Leeds und östlich von Sheffield, Manchester und Liverpool. Hier schlug noch vor wenigen Jahrzehnten das Herz der britischen Schwerindustrie, täglich wurden tausende Tonnen Kohle und Stahl für den Weltmarkt gefördert. Und hier liegen die „Fabrikstädte“, die Friedrich Engels schon vor 170 Jahren besucht hat, um sich ein Bild der Lebensbedingungen der neuen Fabrikarbeiter zu machen. Es war die Zeit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. In seinem Buch Die Lage der arbeitenden Klasse in England zeichnete Engels ein düsteres Bild: „Man gibt ihnen feuchte Wohnungen, Kellerlöcher […] Man hetzt sie ab wie das Wild und lässt sie nicht zur Ruhe und zum ruhigen Lebensgenuss kommen […] Arbeitet sie dagegen täglich bis zur gänzlichen Abspannung aller geistigen und physischen Kräfte ab.“ Hier entstand die kapitalistische Maschinerie mit ihren neuen riesigen Fabrikhallen und damit auch das moderne Industrieproletariat: the making of the english working class. So ist es wohl die kühle Ironie der Geschichte, dass in den 1970er Jahren ausgerechnet hier die symbolträchtige De-Industrialisierung und damit auch der Niedergang der grossen Industriearbeiterklasse der westlichen Industrienationen seinen Anfang nahm. Ob in Detroit, Manchester, dem Norden Frankreichs oder dem Ruhrpott, die Bilder sind die gleichen: Verlassene Fabrikhallen, rostige Maschinenparks, löchrige Strassen und Fabrikarbeiter, die nicht mehr gebraucht werden.

„Der rust belt von England“

Die Demontage der Fabriken erfolgte nicht ohne Widerstand. Massive Mobilisierungen gegen die Ankündigung der Schliessung eines Grossteils der Kohleminen gipfelten schliesslich in den legendären grossen Minenarbeiterstreiks gegen Thatcher 1984/85 und waren – von heute aus betrachtet – das vorerst letzte Aufbäumen der Arbeiterklasse zwischen Liverpool, Manchester und Sheffield. Bekanntermassen erlitten die Arbeiter dabei auch ihre grösste Niederlage. Danach schlossen erst die Zechen, dann die Stahlgiessereien, schliesslich Glaswerke und Autofabriken. Nach dem die Iron Lady die Macht der Arbeiter gebrochen hatte, war der Weg frei für Thatchers radikale ökonomische Wende: Sozialer Kahlschlag, drastische Privatisierungen staatlicher Unternehmen – von Bahn, Post, Telekommunikation, Schulen, Krankenhäusern – und die Liberalisierung des Finanzmarktes. In kürzester Zeit wurde die einstige Stahlregion zum rust belt von England, aus den Minenarbeitern wurden Arbeitslose. Grossbritannien, vormals grösste Industriemacht der Welt, verkrüppelte zu einem Industrie-Invaliden. Gleichzeitig wurde das Land, und allen voran die Londoner-City, nach Thatchers Deregulierung zu einem der grössten Finanzmärkte der Welt.

Am Bahnhof von Hatfield & Stainforth bin ich mit Sheena Moore verabredet. Nach einer herzlichen Begrüssung wechselt sie gleich in den Kampfmodus: „Today we get that bitch down“, gemeint ist Theresa May. Es ist der 8. Juni, der Tag der vorgezogenen Wahlen in Grossbritannien. May ist nicht nur mit dem Versprechen eines harten Brexits angetreten, sondern auch mit der Ankündigung von massiven sozialen Kürzungen. Der Hass auf die Tories wurde Sheena Moore quasi in die Wiege gelegt. Sie ist 55 Jahre alt, Sozialarbeiterin, in Stainforth geboren und aufgewachsen. Ihr Vater, ihr Bruder und auch ihr Ex-Ehemann waren alle früher Kumpel in der Zeche der Hatfield Main Colliery. Sie selbst arbeitete nie in der Mine, das war „Männersache“, so Sheena Moore. Aber 1984/85 kämpfte sie als junge Frau zusammen mit zehntausenden Bergarbeiterfamilien auf der Strasse und bei den Massenstreiks ganz vorne mit an den picket lines. Mehrmals hat Sheena Moore die Knüppel der britischen riot-police abbekommen und dabei Prellungen und blutige Wunden von der heftigen Konfrontation mit der Staatsmacht davongetragen. Hier wurde gemeinsam gekämpft und hier ging man zusammen unter. Heute trägt das verarbeitende Gewerbe Grossbritanniens nur noch ca. zehn Prozent zum BIP bei. Zum Vergleich: Die vor allem in der Londoner City angesiedelte Finanzindustrie liegt mittlerweile je nach Statistik zwischen 14 und 17 Prozent.

„Die Zeche war das pulsierende Herz von Stainforth“

Heute arbeitet Sheena Moore als Sozialarbeiterin im sozial-psychologischen Dienst. Sie könnte Stunden über die Menschen und Probleme vor Ort erzählen: Alleinerziehende Mütter ohne Arbeit, junge Männer, die von Alkoholismus und Hoffnungslosigkeit befallen sind, prekär Beschäftigte, die in den wenigen kleinen Shops, Call Centern und vor allem im Transportwesen oder im Servicebereich arbeiten. Amazon hat kürzlich 500 Jobs in einem neuen Logistikzentrum geschaffen, „schlecht bezahlt, aber wenigstens etwas“, so Sheena Moore. Die Arbeitslosigkeit liegt in der Region laut Statistik zwar nur bei sieben Prozent, aber die Einkommen zählen zu den niedrigsten in ganz Grossbritannien. So sind sehr viele Haushalte von staatlicher Hilfe abhängig, denn der Lohn allein trägt nicht mehr die Lebenshaltungskosten.

Die Tristesse des Alltags vermischt mit der Perspektivlosigkeit hat schwerwiegende Folgen: Psychische Erkrankungen häufen sich, die Suizidrate in Yorkshire ist im Verhältnis zu anderen Gegenden des Vereinigten Königreichs hoch. Als Sheena Moore mir das alte Kohlebergwerk zeigt, lässt sie ganz nebenbei einen Satz fallen, der hängenbleibt: „Die Zeche war das pulsierende Herz von Stainforth, jetzt hat es aufgehört zu schlagen . Ungefähr so schnell, wie der Rost sich durch die alten Stahlträger des Bergwerks frisst, sterben auch die Häuser, die Stadt und die Menschen langsam mit.“ Wie um es zu beweisen, legt sie mit einer plausiblen Erklärung nach. Über 20 Pubs hätte es damals gegeben, die abends nach der Schicht natürlich immer überfüllt waren. Die Leute haben getrunken, waren zusammen, hatten Spass, man verliebte sich, feierte; die Kumpel, das war eine Community. Jetzt gibt es noch ein einziges Pub in Stainforth – und das steht kurz vor dem Aus.

„Und jetzt nennt er mich Rassistin!“

Nordengland ist Brexitland. In der Region Doncaster hat eine überragende Mehrheit von fast 70 Prozent für Leave gestimmt. In London-City haben 60 Prozent dagegen gestimmt. Stärker könnte der Kontrast kaum sein. Die Zahlen passen zu der Entwicklung, die der französische Autor Didier Eribon in seinem autobiografischen Roman Rückkehr nach Reims festgehalten hat. In Frankreich sind es die mittlerweile tendenziell überflüssig gemachten Proletarier der Schwerindustrie aus dem Nordosten, die früher die Kommunistische Partei gewählt haben und heute die Basis des rechtsnationalen Front National bilden. In Nordengland, eigentlich eine uneinnehmbare Hochburg der Labour Partei, konnte die nationalistische UKIP mit ihrer migrantenfeindlichen, rassistischen Brexit-Kampagne nun die alten Malocher aus den Zechen und Stahlwerken mobilisieren.

Ein Jahr später, am 8. Juni sind wieder Wahlen in Grossbritannien. Um für die Brexit-Verhandlungen mit der EU eine komfortable Mehrheit hinter sich zu wissen, hat Premier Theresa May kurzerhand zu Neuwahlen aufgerufen. Sheena Moore und ihre Leute sind für eine Tee-Pause zuhause eingekehrt. Von hier wird gleich weiter in die Schlacht gezogen. Die letzten Stimmen für den sozialdemokratischen Kandidaten Jeremy Corbyn sollen gesichert werden. Das Wohnzimmer gleicht einer inoffiziellen Parteizentrale; überall liegen Flyer von der Labour Partei, Listen, mit den Namen der bereits abgeklapperten Strassen fliegen herum, Leute diskutieren aufgeregt am Essenstisch. Es gibt ein kleines Buffet zur Stärkung – gekochte Eier, Salat, Kekse, Tiefkühlpizza und Fertig-Quiche aus dem Ofen. Das Haus ist voll. Aber nur einer aus der Runde, der sich seit Tagen tüchtig für die sozialdemokratische Partei einsetzt, ist Mitglied bei Labour. Ein Freund mit seinem kleinen Sohn ist da, Sheenas ältere Schwester Linda, der eigene Sohn Brandon mit Tochter und die 40jährige Nichte. Auch die beste Freundin Karry. Als das Thema auf den Brexit kommt, erzählt Sheenas Schwester von ihrem Sohn. Er ist Grafikdesigner und lebt in der Hauptstadt, der „London Bubble“, wie sie sie nennt.

Seit dem EU-Referendum redet er nicht mehr mit seiner Mutter. Er sagt, sie sei eine Rassistin, weil sie sich für den Brexit eingesetzt habe. Sheena Moore mischt sich ein: „Ich werde es immer wieder sagen: es geht nicht um Rassismus, sondern um Klassenkampf.“ Ihre Schwester wird wütend: „Wir sind Sozialisten. Ich habe meinen Sohn früher immer gesagt, dass er Flüchtlinge und Migranten respektieren soll, dass Rassismus in meinem Haus nicht akzeptiert wird. Und jetzt nennt er mich eine Rassistin! Welche Drogen nehmen die denn da in London? Und: er ist nicht einmal reich. Hat keine richtige soziale Absicherung, hangelt sich von Job zu Job. Er ist blind.“ Sie atmet tief ein. Aufbruch: Die nächste Runde Door-Knocking steht an. Es ist 15 Uhr, die Wahllokale schliessen um 22 Uhr. Das Vertrauen, dass „Jeremy“, wie sie den linksnationalistischen Neo-Keynesianer hier zärtlich beim Vornamen nennen, nach einem Wahlsieg endlich anpacken und etwas verändern würde, ist gross.

„We want to take back control of our country!“

Wir ziehen durch die Strassen von Stainforth. Die kleinen, roten Backsteinhäuser mit ihren Hinterhofparzellen erinnern an die Kulisse von Billie Elliot oder Szenen in Ken Loachs Film Kes von 1969, der von dem Arbeiterjungen Barry handelt, gedreht tatsächlich nur ein paar Kilometer weiter in der ehemaligen Kohlestadt Barnsley. An den Türen sind zwei Themen Dauerbrenner: Der Brexit und Theresa Mays angekündigte Sparmassnahmen. Fast alle sind sich einig: Leave war die richtige Entscheidung, denn so könne es nicht weitergehen. Ebenso vereint sind die Leute in den Hoffnungen, die mit dem Labour-Vorsitzenden Corbyn verbunden sind. Bei der Frage, was die Leute von dem Brexit erwarten würden, kommen Argumente, die stark an Trumps „Make America Great Again“-Rhetorik erinnern. Und auch hier sind des die nationalistischen Slogans der Leave-Kampagne, die ziehen: „We want to take back control of our country!“. Jeremy Corby hat sich diese Parole für die Wahlen selbst angeeignet und gibt ihr einen links-nationalistischen Dreh. So ist von seinen Anhängern zu hören: Die abgewanderte Industrie solle wieder aus Deutschland und Frankreich zurückgeholt werden. Man sei verarscht worden damals. London habe die Banken bekommen, Deutschland die exportstarken Fabriken.

Es geht um die Wiederverstaatlichung von Bahn und Telekommunikation, aber auch um die Kontrolle der Migration. Da wird man hellhörig. Gibt es denn keinen Zusammenhang zwischen der rassistischen Kampagne von UKIP und der erstarkten nationalistischen Stimmung, sowie den vielen Übergriffen auf Migranten nach dem Brexit Votum? Es wird abgewiegelt. „Das waren Einzelne. Darum geht es nicht beim Brexit“. Wenn man aber tiefer gräbt, geht es ans Eingemachte. Man sei „nicht prinzipiell gegen Flüchtlinge oder Arbeitsmigranten“, die seien ja nicht schuld. Zwei junge Männer kommen uns mit dem Auto entgegen. Freunde von Sheena Moore. Auch sie machen Wahlkampf. Bei dem Thema Migration sind sie auf Corbyns Seite: „Es kann nicht sein, dass die grossen Firmen sich Menschen ins Land holen, denen man nur einen Hungerlohn zahlt und wir am Ende ohne Jobs dastehen. Das sei doch nur gut für die Unternehmer“, so der stark gebaute, volltätowierte Marc. Sie fahren weiter, mit runtergelassener Fensterscheibe durch ihren Stadtteil, das Megafon in der Hand. „Wählt Labour. Wählt für Gerechtigkeit. Stürzt die Tories. Stürzt Theresa May. Jetzt.“, schreit einer der beiden in die Blechtüte.

„Traum vom gerechten Staat gegen das Finanzkapital“

In einem lesenswerten Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit hat Didier Eribon die neuen Entwicklungen des Linksnationalismus sehr treffend kommentiert: „Dass die Linken rechte Argumentationen übernehmen, sieht man aber leider immer häufiger: Die Nation gegen die Oligarchie, die Heimat gegen die Finanzelite, das Volk gegen die da oben. Viele meiner Freunde sagen jetzt nach dem Brexit: Das ist der schlechte Nationalismus, wir aber vertreten den guten Nationalismus. Ich kann da keinen Unterschied erkennen.“ Der „richtige Nationalismus“, so argumentieren die Britischen Corbyn-Fans auch. Ihre „Take back control of our country“-Idee ist der Traum vom gerechten Staat gegen das Finanzkapital. Die Illusion vom guten Kapitalismus gegen den bösen oder wie es hierzulande die Sozialdemokratie benennt: den Turbokapitalismus. Die Logik bleibt die gleiche: Politische Inszenierung und Stimmenfang mit reaktionären und rassistischen Ideen.

Ob es der Franzose Melanchon ist, der im Wahlkampf unter wehender Nationalflagge und dröhnender Marseillaise verkündet: „das höchste gut der Völker ist die nationale Souveränität“, oder hierzulande die Linkspartei mit ihrer Spitzenkandidatin Sara Wagenknecht und ihrer Parole: „Wer Gastrecht missbraucht, hat sein Gastrecht verwirkt.“ Besser kann es eigentlich nur noch die NPD ausdrücken: „Kriminelle Ausländer raus“. Leider ist das keine neue Entwicklung. Die Linke und den Patriotismus verbindet eine lange Tradition. In entschiedenen Momenten konnten Sozialisten und Sozialdemokraten nationalistische Stimmungen unter den Arbeitern oft erst wirklich salonfähig machen. Fängt man einmal an mit der Blut- und Bodenrhetorik, dann ist es nicht mehr weit mit dem Hass auf die, die anders aussehen oder einfach nur den falschen Pass besitzen. So gab es in Grossbritannien kurz nach dem Brexitvotum zahlreiche Übergriffe auf Migranten. Die polnischen Gastarbeiter beispielsweise können ein trauriges Lied davon singen.

Ausgerechnet jetzt, ausgelöst durch den Krisenschub 2008, der die zerstörerischen Kräfte der kapitalistische Produktionsweise auch in Europa immer deutlicher zum Vorschein gebracht hat und mittlerweile selbst die fleissigen Schreiberlinge in den Feuilletons der Bürgerzeitungen fragen lässt, ob der Kapitalismus denn noch richtig funktioniere, verwechseln viele anscheinend Keynesianismus und Steuerpolitik mit radikaler Gesellschaftskritik. Obwohl es die Regierungschefs und ihre Minister sind, oft im Verbund mit den Gewerkschaftsbossen, linken Parteien und Arbeitgeberverbänden, welche die massiven Austeritätsprogramme gegen die Proletarisierten durchsetzen, sinkt nicht das Vertrauen in den Vater Staat, sondern in letzter Hoffnung klammern sich viele an die Nation wie an ihr letztes Hemd.

Didier Eribon steht mit seiner deutlichen Ablehnung der linksnationalistischen Irrwege auf der richtigen Seite und macht sich zum sympathischen Gefährten des bescheidenen Haufens der vaterlandslosen Genossen. Leider ist er, wie viele Kritiker der Stunde, kein grosser Dialektiker, so hat er den Marxismus gegen bourdieuische Soziologie eingetauscht. Auch eine grundlegende Staatskritik bleibt ihm fremd. So sieht er die reaktionäre Wende der Industriearbeiterklasse vor allem im Versagen der Linken begründet: Sie seien es gewesen, die die neoliberalen Reformen mitgemacht und diskursiv verteidigt hätten. Damit hätten sie ihre Wählerschaft verprellt und sich selbst unwählbar gemacht. So kann man sich dann auch seine diffuse Hoffnung auf eine neue linke Partei erklären, die es richten soll. Dass die krisenhafte Entwicklung des Kapitalismus, kurzum die kapitalistische Produktionsweise selbst, mit der aktuellen Misere zu tun haben könnte, darauf kommt er nicht.

Wer am Ende nicht sehen will, dass es einen zentralen Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital gibt, das die Klassenfrage nicht durch Umverteilungspolitik geregelt und in Krisenzeiten die soziale Verelendung nicht mal gelindert werden kann, hat entweder die Tragweite der aktuellen Situation nicht begriffen oder ist schlichtweg borniert. Es hat schon eine gewisse Ironie, dass heute ein grosser Teil der Bourgeoisie und ihrer politischen Vertreter gegen Brexit, Trump und Le Pen zu mobilisieren versuchen, sich für offene Grenzen und gegen Protektionismus oder für die Schwulenehe einsetzen, aber die Proletarier auf der anderen Seite aus Angst vor den Folgen der nächsten Rationalisierungswelle auf die nationale Karte, quasi als letztem Trumpf in der Arbeitsplatzkonkurrenz setzen und sich nebenbei zunehmend auch noch als Hüter reaktionärer, konservativer Werte versteht. So kann man wohl sagen: Die Klassenfrage ist wieder auf dem Tisch. Aber nicht als vereinigte Internationale, sondern in ihrem reaktionärsten Gewand, zutiefst verunsichert, versprengt und häufig mit der hässlichen Fratze des Chauvinismus sichtbar gemacht.

„Mythos über die guten alten Zeiten der Arbeiterklasse“

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Mitten im Ortskern von Stainforth angekommen zeigt Linda, die ältere Schwester Sheena Moores, auf die andere Seite der Hauptstrasse. „Hier war früher der Marktplatz und gleich daneben mehrere Pubs. Hier haben wir uns getroffen, hier wurden Neuigkeiten ausgetauscht. Es wurde viel gelacht. Hier hat man sich sogar verliebt.“ Ihre Augen füllen sich für einen kurzen Moment mit Tränen. „Der Verlust des sozialen Zusammenhalts sei das schlimmste“, so Linda. Auf dem einstigen Marktplatz gegenüber liegt Müll, rostige Autos stehen herum, es sieht nicht danach aus, dass diese jemals wieder abgeholt werden würden. Die meisten Ladenlokale sind geschlossen und werden auch wohl nicht mehr öffnen. An einem Eingang kann man noch die abgeblätterte Aufschrift erkennen: „Fresh Fish Market“

Sowohl die ehemaligen Minenarbeiter selbst, als auch viele Linke verfallen bei dem Rückblick auf die goldenen 1960er Jahre auf eine Art Proletkult. So waren zwar für einen gewissen Teil der Arbeiterklasse die materiellen Verhältnisse besser und sicherer, aber trotzdem waren die Verhältnisse letztlich beschissen. Der Mythos der guten alten Zeiten der Arbeiterklasse ist falsch und es ist wichtig, damit aufzuräumen. Somit ist es auch kein Wunder, dass trotz der guten materiellen Bedingungen weltweit zwischen Detroit, Manchester, Paris, Köln und Turin die Fabrikarbeiter seinerzeit auf die Barrikaden gegangen sind. Neben massiven Streiks und der Erkämpfung höherer Löhne – teilweise auch gegen die eigenen Gewerkschaften samt ihrer Bürokraten, denen die neue Aufmüpfigkeit ihrer Proletarier bald zu weit ging – wurde der Widerstand gegen die Arbeit zentraler Bestandteil. So brach in in vielen Werken fast ein Wettbewerb der Kreativität neuer Widerstandsformen gegen die Lohnplackerei aus: Krankfeiern, Bummelstreiks, Sabotage, Überziehung der Pausen usw. Mit der populären Parole aus Italien „Wir wollen alles“ wurde aber auch über das Werkstor hinaus der Alltag, der in allen Bereichen in der Monotonie und tödlichen Langeweile des Fliessbands getaktet war, von der Schule über den Betrieb, dem Krankenhaus, der Universität oder der Küche und dem Schlafzimmer zum Kampffeld erklärt.

Somit kommen wir zum zweiten Mythos, den man in einem kurzen Dialog mit den ehemaligen Minenarbeitern von Stainforth schwer entmystifizieren kann: Es waren vor allem (wild) streikende Proletarier, rebellierende Frauen, aufständige Migranten, Schwule und Lesben, antiautoritäre Studenten und Schüler selbst, die durch ihre unerbittlichen Kämpfe und Forderungen das Kapital und Staatslenker vor sich hergetrieben und die Profitraten in den Keller getrieben haben. Und das muss auch die Antwort auf die Anhänger aller heutigen sozialdemokratisch-keynesianischen Träumer sein: Die Schuld an Privatisierungen, sozialem Kahlschlag und der Misere in Süd-Europa ist der krisenhaften, kapitalistischen Produktionsweise geschuldet und nicht den vermeintlich falschen Entscheidungen einzelner Politiker. Der Neoliberalismus sei an allem Schuld ist ein Mythos und verklärt, dass es einen anderen, sozial gerechten, nicht für Krisen anfälligen Kapitalismus geben könnte oder jemals gegeben hat.

So gern man den romantischen Erinnerung Lisa und Sheena Moores an die stolze kämpferische Arbeiterklasse im Stainforth von einst zuhört – und zugegebenermassen der Kommunist in mir für einen Augenblick Glückssprünge macht – vermisst man das Bewusstsein darüber, dass auch früher vieles schon scheisse war und es auch damals tausende von Gründen gab, die kapitalistischen Zustände in all ihren Formen zu bekämpfen, die körperlich schwere Plackerei mehr Fluch als Segen war. Die situationistische Parole „Ne travaillez jamais“ (Arbeit? Niemals!), die heute ihren Inhalt entleert, höchstens noch im Hochglanzprogramm der Staatsbühnen benutzt wird, um das hiesige hippe, urbane Publikum mit einem hauch der Subversion ins Theater zu locken, war damals ein ernst gemeinter Ausruf der allgemeinen Revolte gegen die Zurichtung am Arbeitsplatz.

„If there is austerity, there will be riots in UK.“

Trotzdem vieles war anders damals: Mit Kollegen, hatte man mehr Zeit um zu scherzen, der Postbote musste nicht rennen, sondern konnte auch mal im Hauseingang eine Verschnaufpause für eine Zigarettenpause und Pläuschchen einlegen, man verhielt sich unter Kollegen oft solidarisch gegenüber dem Chef, konnte satte Lohnerhöhungen durchsetzen und bei zu viel Krankfeierei verlor man seinen Job ohne grosse Angst. Denn der nächste Job in einer Zeche, am Fliess- oder Montageband oder an der Kasse war nur einen Katzensprung entfernt und wegen der Vollbeschäftigung auch fast garantiert. Auch von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe liess sich hierzulande relativ gut leben. Hier liegt wohl auch der qualitative Unterschied zu der Situation von heute.

Es ist wohl eines der absurdesten Zeichen unserer Zeit und damit des Kapitalismus selbst, dass sich heute kein Proletarier mehr über Rationalisierungen freuen kann. So bekommt man es als Sortierer im Logistikzentrum bei Amazon bei der Ankündigung vom Einsatz neuer Maschinen mit der Angst zu tun, dass der, ohnehin schlecht bezahlte, Arbeitsplatz bald schon durch einen ferngesteuerten Roboter ersetzt werden könnte. Der rasante technische Fortschritt produziert zunehmend überflüssige Proletarier, deren Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz und somit auch auf eine sichere Zukunftsperspektive immer beschissener aussieht. Dieser Zustand hat auch auf der Subjektseite verheerende Folgen, die aber für die Zuwendung zu national-chauvinistischen Ideen einen weiteren wichtigen Erklärungsgrund liefern können. Gerhard Vinnai formuliert aus sozialpsychologischer Sicht diese Entwicklung: „Je schwächer das Ich ist, desto mehr gerät die Psyche unter das Diktat unbewusster seelischer Kräfte. Wenn sich das Ich aufgrund fehlgelaufener Erziehungsprozesse nicht entwickeln konnte oder aufgrund eines Mangels an sozialen Gestaltungsspielräumen verkümmert, sind Menschen besonders in Gefahr, undurchschauten inneren Mächten zu verfallen.“ Treffender könnte man wohl die psychische Verfassung der Menschen kaum beschreiben, die sich an Trumps Mauerplänen ergötzen, dem Brexit als nationaler Befreiung berauschen oder sich als schweigende Mehrheit hinter den EU-Türkei-Deal stellen.

Als ich mich nach einem langen Tag von Sheena Moore verabschiede, gibt sie mir neben einer herzlichen Umarmung noch eines mit auf den Weg: „If there is austerity, there will be riots in UK. You´ll see!“ Beim Schreiben dieser Zeilen brennt in London der Grenfell Tower. Eine der wenigen sozialen Wohnungsbauten der Millionenmetropole, die noch in zentraler Lage für Geringverdiener zur Verfügung stehen. Das Hochhaus brennt, weil Brandschutzbestimmungen vom städtischen Eigentümer nicht beachtet wurden. Bewohner des Hauses haben die Hausverwaltung schon seit Monaten darauf aufmerksam gemacht. 79 Menschen kommen ums Leben. Nur einen Tag später gibt es Proteste von Angehörigen und Bewohnern des jetzt in Schutt und Asche liegenden Hochhauses.

Das Rathaus des wohlhabenden Stadtteils Kensington wird gestürmt. Die Polizei wird angegriffen. „Murderers, murderers“ und „We want justice“, schreien sie wutentbrannt dem Bürgermeister entgegen. Eine junge Frau sagt einem Reporter: „Dieser Vorfall symbolisiert die Trennung zwischen arm und reich. Nur Leute aus der Arbeiterklasse sind hier ums Leben gekommen.“ Die linksliberale Zeitung The Guardian titelt Bezug nehmend auf Friedrich Engels Schrift Die Lage der arbeitenden Klasse in England: „Over 170 years after Engels, Britain is still a country that murders its poor“. Sicherlich hat sich seit dem die Lage der arbeitenden Klassen in England erheblich verändert: Die erbärmlichen Baracken der Arbeiter von Manchester, ohne fliessend Wasser, verschlammten Wege, voll mit Fäkalien, Kinder die an den einfachsten Krankheiten sterben – davon kann heute keine Rede mehr sein. Trotzdem: die Realität der Proletarisierten – egal ob aus dem Londoner Vorstadtghetto oder der ehemaligen Kohlestadt Stainforth – scheint perspektivlos, die bessere Zukunft unvorstellbar.

Die Alternative zur Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen Drangsalierung durch einen immer repressiveren Sozialstaat auf Sparflamme, sind miese Jobs in der Service- und Transportindustrie. Dass diese Bedingungen keinen guten Nährboden für emanzipatorische Kämpfe bieten, zeigt sich gegenwärtig nicht nur in Grossbritannien. Stattdessen verselbständigt sich ein Prozess der gesellschaftlichen Regression. Die erlebte Ohnmacht und Langeweile des tristen Alltags befeuern die kollektive Identitätsstörung und Herausbildung eines autoritären Charakters. Der Hass auf die eigene klägliche Existenz wendet sich in reaktionärer Weise nach Aussen. Das hässliche und gleichzeitig verzweifelte Festklammern an der Nation als letzte Hoffnung im Kampf gegen den eigenen Untergang erscheint im krisengeschüttelten Zeitalter des Wahnsinns plötzlich rational. Somit hat der Nationalchauvinismus Hochkonjunktur. Und in diesem Fahrwasser erscheint auch die Wahl für den Brexit letztendlich nur konsequent.

 von Jimmy Meyer, Ein Freund der klassenlosen Gesellschaft / lcm

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Quelle     :    Artikel vom Untergrundblättle

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 Oben    —  Bridge Street, Chester

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2.)  von Oben   —   Gemälde  von Philipp Jakob Loutherbourg der Jüngere  (1740–1812) Auf die Infoboxvorlage des Erstellers verlinken

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3.)  von Oben   — Mit Kohle angetriebener Zug

Great Northern Railway Stirling „Single“ 4-2-2 express locomotive at Peterborough North railway station. At their introduction in 1870, these were the fastest steam locomotives in the world.

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Gift macht auch satt

Erstellt von Redaktion am 3. Oktober 2017

Tagesschau:

„Weitere drei Milliarden Menschen zu ernähren“

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/dc/Tagesschau_logoen_2013-07-11_13-56.jpg

Autor: U. Gellermann

Rationalgalerie

Also ich habe dieses Glyphosat nicht beim Essen rausgeschmeckt“, rief Chefredakteur Doktor Gniffke stolz in die Redaktion der Tagesschau. „Das ist der Beweis, entweder gibt das gar nicht oder aber es ist nicht schädlich.“ – Der Mann von der Wissenschafts-Redaktion der ARD machte ein bedenkliches Gesicht: Er wusste um die Gefahren des Herbizids. Aber der aus der Wirtschafts-Redaktion konnte den Chef von Bayer-Leverkusen fließend zitieren: Schließlich gehe es um die Antwort auf die Frage, wie bis zum Jahr 2050 drei Milliarden Menschen zusätzlich ernährt werden könnten. Ja, aber, mochte dieser oder jener denken. Aber Doktor Gniffke, der von den Kollegen hinter seinem Rücken „NVD“ genannt wird (Nichtwisser Vom Dienst) rief in die Runde: „Paperlapapp, Hauptsache satt!“ Einzelne Redakteure steckten demonstrativ den Zeigefinger in den Mund. Andere würgten hinter vorgehaltener Hand. Und wieder ging ein Tag in der Tagesschau-Redaktion seinem wohlverdienten Ende zu.

Programmbeschwerde
Skandal um Glyphosat verschwiegen

http://www.tagesschau.de/inland/glyphosat-103.html
http://www.tagesschau.de/wirtschaft/bayer-monsanto-111.html
http://www.tagesschau.de/inland/glyphosat-103.html
 
Sehr geehrte NDR-Rundfunkräte,
 
das „umstrittene“ Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat des US-Pharma-Riesen Monsanto war zwar Thema in einer ganzen Reihe von Sendungen der ARD-aktuell (s. Betreffzeile). Dass Glyphosat im Verdacht steht, Krebs zu verursachen, wurde ebenfalls erwähnt, sogar im Zusammenhang mit der Übernahme von Monsanto durch die deutsche Bayer AG. 
Zwei wesentliche Aspekte allerdings blieben in allen Sendungen außen vor: Dass die deutsche Agrarindustrie jährlich mehr als 6 000 Tonnen Glyphosat zur Herstellung und Bewirtschaftung flächendeckender Monokulturen versprüht und damit eine nationale ökologische Katastrophe anrichtet – und dass das regierungsamtliche Institut für Risikobewertung, BfR, ungeachtet aller Bedenken beträchtliche Anstrengungen unternahm, um den weiteren Gebrauch von Glyphosat aufgrund einer EU-Zulassungsverlängerung zu gewährleisten. 
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, hatte anno 2015 der EU-Kommission ihren Schlussbericht über die Verträglichkeitsuntersuchungen bezüglich Glyphosat vorgelegt: angeblich ohne Verdacht auf krebserregende Wirkungen. Kürzlich allerdings wurde bekannt, dass rund 100 der insgesamt 4 300 Seiten des EFSA-Berichts Textbausteine enthalten, die von Monsanto-Autoren stammen. Der Chemiekonzern fungierte also zumindest teilweise für die EU als Begutachter seines eigenen Produkts.
Quellen u.a.: 
http://www.heute.de/medien-berichten-dass-die-eu-behoerde-efsa-bei-ihrem-glyphosat-bericht-beim-hersteller-abgeschrieben-hat-efsa-bestreitet-das-47958754.html
http://www.lemonde.fr/planete/article/2017/09/16/glyphosate-l-expertise-europeenne-truffee-de-copies-colles-de-documents-de-monsanto_5186522_3244.html
https://www.merkur.de/wirtschaft/skandal-im-glyphosat-streit-eu-behoerde-uebernahm-argumente-von-monsanto-zr-8688054.html 

Eine Untersuchung der europäischen Bürgerinitiative „Stopp Glyphosat“ hat ergeben, dass Monsanto mit allen Mitteln versuchte, ein Glyphosat-Verbot durch die EU zu verhindern und deshalb den genannten, massiven Einfluss auf den Prüfbericht nahm. Quelle: http://bit.ly/2s2nab8 . 
“Die Kapitel im EFSA-Bericht über die bisher veröffentlichten Studien zur Wirkung von Glyphosat auf die menschliche Gesundheit sind quasi Wort für Wort von einem Monsanto-Bericht aus dem Jahre 2012 übernommen“, 
stellte die italienische Tageszeitung „La Stampa“ fest. 
Die Monsanto-Textbausteine, so berichtet der Österreichische Rundfunk, seien nicht unmittelbar von den EFSA-Gutachtern selbst übernommen worden. Vielmehr seien sie in einem Bericht Deutschlands enthalten, das in der Causa Glyphosat Berichterstatter für alle nationalen Regierungen ist. Quelle: http://orf.at/stories/2407060/2407061/
Die europäischen Medien sind voller Beiträge über diesen Skandal, sogar die ZDF-heute-Redaktion berichtete darüber. Falls die publik gemachten Vorwürfe zutreffen, wäre eine weitere Ungeheuerlichkeit offenbar, nämlich dass sich die Regierungsbehörde BfR die Interessen des Chemiekonzerns Bayer/Monsanto zu eigen machte, um damit eine Entscheidung der EU-Kommission zu präjudizieren (Kanzlerin Merkel, CDU, und Landwirtschaftsminister Schmidt, CSU, sind eh für Glyphosat, Umweltministerin Hendriks, SPD, ist allerdings strikt dagegen).
Das Bekanntwerden des Skandals im unmittelbaren Vorfeld der Bundestagswahl könnte unabsehbare Konsequenzen haben – das sich aufdrängende Motiv dafür, dass ARD-aktuell kein Wort über die Vorgänge verlor und auch das ARD-Hauptstadtstudio der Geschichte nicht weiter nachging.
In Kalifornien steht Glyphosat seit kurzem auf der Liste verbotener Chemikalien. Schon 2015 hatte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) erklärt, Glyphosat sei sehr wahrscheinlich verantwortlich für die Entstehung von Krebs. In der deutschen Bevölkerung gibt es schon seit Jahren erhebliche Befürchtungen wegen möglicher Gesundheitsgefahren infolge des flächendeckenden Einsatzes der Chemikalie. Dies hätte die Redaktion ARD-aktuell in Rechnung stellen müssen statt den Skandal schlicht zu übergehen und damit ihre staatsvertragliche Pflicht zu verletzen, nämlich „umfassend über alle wesentlichen Lebensbereiche“ zu informieren.
Sehr geehrte Damen und Herren, in Ihrem Gremium, dem NDR-Rundfunkrat, ist mindestens ein Repräsentant der Verbraucherschutz-Organisationen vertreten. Für Sie alle aber, so sollte man meinen, sollte Verbraucherschutz keine quantité négligeable sein, die von ARD-aktuell ignoriert werden darf. 
Die bisherige Erfahrung lehrt uns allerdings, dass Zusammensetzung und Selbstverständnis dieses NDR-Rundfunkrats ihn darin hindern, seinen Auftrag im Sinne der Bevölkerung und gemäß Rundfunkstaatsvertrag wahrzunehmen. Es steht füglich zu erwarten, dass Sie ein weiteres Mal Ihre Unzuständigkeit für nicht gesendete Nachrichten (d.h. Verletzung des Informationsauftrags) vorschützen werden und hinnehmen, dass ARD-aktuell mit seiner Nachrichtenauswahl im Interesse des politischen Machtgefüges und der Konzerne handelt – und sei es um den Preis der Gesundheit der eigenen Bürger.
 
Volker Bräutigam, Friedhelm Klinkhammer

DAS BUCH ZUR TAGESSCHAU:
http://shop.papyrossa.de/Gellermann-Uli-Klinkhammer-Friedhelm-Braeutigam-Volker-Die-Macht-um-acht


Grafikquelle :   User:Sogndal 123Eigenes Werk

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der rote faden

Erstellt von Redaktion am 3. Oktober 2017

Der neue Heulsusensound der Konservativen

Robert Misik.jpg

von Robert Misik

Sind es nur konservativ gewordene Linke, die behaupten, dass die Unterscheidung zwischen links und rechts obsolet geworden ist, fragte unlängst jemand auf Twitter. Ich würde die Rechten, die rechts geblieben sind, auch noch dazuzählen. Normale Rechte wollen ja nicht rechts sein, rechts wollen ja nur irre Rechte sein. Generell kann ich mit Konservatismus ja wenig anfangen, was ich politisch begründen könnte, aber wahrscheinlich hat das sogar eher psychopolitische Gründe. Ich interessiere mich nun einmal für das Neue, finde die Zukunft eher spannend als angsteinflößend und bin zuversichtlich, dass wir trotz der Kompliziertheiten der Welt die Dinge schon irgendwie zufriedenstellend geregelt kriegen werden. Vorausgesetzt, die Rechten machen nicht mal wieder alles kaputt.

Einen Konservatismus gibt es allenfalls, dessen Grundgedanken ich bedenkenswert finde: den, wie ihn etwa Kaiser Franz Josef in der vor hundert Jahren untergegangenen Habsburgermonarchie verkörperte. Der Mann war kein verbohrter Ewiggestriger, sondern ein vorsichtiger Mensch, der durchaus verstand, dass sich die Welt ändert. Er wollte, dass das mit den Änderungen nicht allzu schnell ginge, weil er Angst hatte, dies könnte die Leute überfordern. Änderungen, die zu schnell passieren, können zu Chaos führen, und dann fliegen einem die Trümmer um die Ohren, und vom Fortschritt hat erst recht niemand etwas.

Da ist was dran. Selbst ein progressiver Reformer wie Bruno Kreisky, der legendäre österreichische Bundeskanzler, hat das gewusst und seine rasante Modernisierung der österreichischen Gesellschaft in einer Art gebremster Moderatheit betrieben – mit der ausgesprochenen Begründung, dass man die Menschen nie überfordern darf.

Quelle   :    TAZ    >>>>>   weiterlesen

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Grafikquelle    :     Robert Misik (Journalist und Schriftsteller) Foto: Stephan Röhl

 

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DL – Tagesticker 03.10.17

Erstellt von Redaktion am 3. Oktober 2017

Direkt eingeflogen mit unseren  Hubschrappschrap

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1.) Ermittler rätseln über Beweggründe
des Todesschützen von Las Vegas

Der Todesschütze von Las Vegas gibt den Ermittlern Rätsel auf. Der 64-jährige Stephen Paddock, ein vermögender und zuvor unauffälliger Rentner mit einer Leidenschaft für Glücksspiel, hinterließ nach Polizeiangaben vom Montagabend (Ortszeit) keine Erklärung für seine Bluttat, bei der mindestens 59 Menschen starben. In seinem Hotelzimmer in Las Vegas und seinem Wohnhaus stellten Beamte große Mengen Waffen, Munition und Sprengstoffe sicher.

Die Welt

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Keine CDU in Bayern

2.) Anwaltspaar ficht Bundestagswahl an

Wegen der eingeschränkten Wählbarkeit von CDU und CSU in Deutschland bei der Bundestagswahl hat ein Nürnberger Anwaltspaar das Ergebnis angefochten. Kritik üben die Juristen dabei an den „Staatsorganen“. Indem der Gesetzgeber und der Bundeswahlleiter solche Parteiabsprachen duldeten, schränkten sie die Wahlfreiheit der Bundesbürger ein, hieß es zur Begründung.

Spiegel-Online

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Früher gab es auch mehr Politiker welche machten was sie zuvor gesagt hatten. Heute geht es nur um Macht und Geld. Im Geiste Kinder gebliebene, möchten auch einmal anerkannt werden.

Geht’s noch?

3.) Scheitern als Chance

Was ist aus dem guten alten Rücktritt geworden? Brauchen wir den heute nicht mehr? Schlimmer, Es mangelt an Alternativen.  Früher hätte man sich einfach verabschiedet, wenn man etwas derart versemmelt hätte wie CDU, CSU und SPD jetzt die Bundestagswahl. Mit der Schmach hätte niemand leben können. Und heute? Schlechtestes Ergebnis aller Zeiten, zweistellige Verluste, eine Horde fieser Goblins aus den Sümpfen des Landes ins Hohe Haus einmarschiert – na und? Allseitiges Schulterzucken. Angela Merkel tut, als sei nichts gewesen, Martin Schulz führt sich auf, als wäre Opposition sein eigentliches Wahlziel gewesen, und Horst Seehofer knurrt nur einmal warnend gegen die Beta-Rüden im Rudel. Will denn wirklich gar keiner mehr Konsequenzen ziehen?

TAZ

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In den Nachbarländern finden sie noch neue Besen. Diese arbeiten nicht immer Stubenrein, aber sie kehren.  Hier werden die alten Besen immer wieder mit Botox  aufgefricht aus den Schränken geholt, auch wenn sich schon vor dem ersten Gebrauch alle Borsten verschlissen hatten. 

Zukunft der EU

4.) Zustimmung für Macrons Pläne in Österreich

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron kann bei der Umsetzung seiner Pläne zur Reform der EU auf Österreich bauen. Als sich die Staats- und Regierungschefs der EU am Ende der vergangenen Woche beim Gipfel im estnischen Tallinn zum informellen Abendessen versammelten, sprach sich Wiens Regierungschef Christian Kern (SPÖ) für die Schaffung einer Wirtschafts-, Sicherheits- und Sozialunion aus. Österreich sei „ein Land, das die verstärkte europäische Kooperation sucht und auch Beiträge dafür leistet, damit wir vom Fleck kommen“, erklärte Kern.

Der Tagesspiegel

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Das hat die Partei wohl noch nicht begriffen ? Zu einen alten Zossen gehört immer ein williger Knecht.  Die Eine ohne den Anderen geht nicht. Ist nur in einer Ver-Pack-ung erhältlich.

Die Südwest-Linke kontert Lafontaines Kritik

5.) Alte Gräben neu ausgehoben

Die Südwest-Linke steht zu der Parole „Helfen statt Hetzen“In der Tat hatte die AfD 430 000 Stimmen ausgerechnet von der Linkspartei herübergeholt. Doch der Saarländer, dem seine Gegner schon früher ein Blinken in Richtung Rechtspopulismus attestierten, belässt es nicht beim Richtungsstreit – der Altvordere greift die beiden Parteichefs Bernd Riexinger und Katja Kipping direkt an: Sie „finden selbst wenig Zustimmung bei den Wählern“, mosert er mit Verweis auf Landesergebnisse. An der Stelle Riexingers wehren sich nun die baden-württembergischen Landessprecher Heidi Scharf und Dirk Spöri: Die Parole „Helfen statt Hetzen“ sei richtig gewesen, kontern sie. Der Gedanke der Solidarität unter den Beschäftigten und Erwerbslosen, unter Deutschen und Ausländern sei ein Grundprinzip der Arbeiterbewegung gegen jegliche Spaltungsversuche. In Städten wie Stuttgart, Freiburg, Heidelberg und Karlsruhe trete die Linke besonders scharf gegen Rechts auf. Dies habe sich im Bundestagswahlkampf ausgezahlt.

Stuttgarter-Zeitung

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AfD in Nordrhein-Westfalen

6.) Zehn Prozent in der Herzkammer der SPD

Ein Satz genügt. Schon knallt’s. „Ja, wir haben alle drei AfD gewählt“, hatte der beleibte Händler gerade gesagt, während er auf dem Dortmunder Nordmarkt seine Billigware sortierte: Marmorkuchen in Cellophan, Kekstüten, Restposten Pralinen. Die beiden Verkäuferinnen, die jetzt finster dreinschauen, hatten noch beifällig genickt. Jetzt aber starren sie wütend auf den Mann vor ihrem Stand, auf den Kerl mit dem grauen Stoppelbart und dem kleinen Mädchen an der Hand.

Sueddeutsche-Zeitung

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Die Wahrheit

7.) Ka-lack, ka-lack, ka-lack!

Du hast noch keinen Rollkoffer in Berlin? Macht nichts. Bring einen mit, wenn du am morgigen Samstag, dem 30. September 2017, in die deutsche Hauptstadt kommst, um im funktions­jackenbunten Pulk vieler, vieler Gleichgesinnter deinen Rollkoffer durch die Stadt zu ziehen. Wie bitte? Du möchtest lieber mit einem besonders leistungstüchtigen Laubbläser oder einer eigens aufgemotzten Motorsense an der ersten Berliner Touristical Mass teilnehmen? Tu dir keinen Zwang an. Hauptsache, du bist da: „Be Berlin!“ Und möglichst laut.

TAZ

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Hinweise und Anregungen nehmen wir gerne entgegen

Treu unserem Motto: Es gibt keine schlechte Presse, sondern nur unkritische Leser

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Grafikquelle: DL / privat – Wikimedia Commons – cc-by-sa-3.0

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Essay-Wahlerfolg der AfD

Erstellt von Redaktion am 2. Oktober 2017

Die Rache der Peripherie

Von Uwe Rada

Im Osten gab es die meiste Zustimmung für die AfD. Doch die Attraktivität des Rechtspopulismus ist ein europäisches, kein ostdeutsches Phänomen.

Mit schöner Regelmäßigkeit verschafft sich nach Wahlen wieder ein Ost-West-Konflikt Luft. Erst recht, als nach der Bundestagswahl vom 24. September die AfD in Ostdeutschland zur zweitstärksten Kraft wurde und in Sachsen sogar drei Direktmandate erzielte. „Ihr seid Feiglinge“, rief darauf Wolf Biermann im Spiegel seinen Landsleuten zu und stellte fest: „Das sind die stummen Untertanen von damals.“ Der Ossi als undankbares Wesen, das noch immer nicht die Spielregeln von Demokratie und die Kultur des Kompromisses gelernt hat? Nur, wer sind die Ossis in Frankreich oder in Ungarn?

Neben den Ossi-Verachtern dürfen natürlich die Ossi-Versteher nicht fehlen. In der taz führte Simone Schmollack den Erfolg der AfD in Ostdeutschland auf die Wendeerfahrungen und die „Arroganz der Wessis“ zurück. Wer aber ist der Wessi, wenn Rechtspopulisten in den Niederlanden oder Polen zulegen? Sind es die liberalen Eliten in den Großstädten? Ist es Brüssel?

Ja, es stimmt, in den Grafiken, die das Wahlergebnis vom Sonntag so farbig illustrieren, ist Ostdeutschland tiefblau. Wer bislang mit dem Finger nur auf Dresden und Sachsen zeigte, vermutet Dunkeldeutschland nun überall zwischen Elbe und Oder, Ostsee und Erzgebirge. Aber auch Bayern ist am 24. September blauer geworden. Selbst in Baden-Württemberg, wo man für gewöhnlich nicht lamentiert, sondern „schafft“, kommt die AfD auf 12,2 Prozent. Nicht nur deutschlandweit, sondern auch in den alten Bundesländern schaffen es die Rechtspopulisten noch vor der FDP auf Platz drei.

Die Attraktivität des Rechtspopulismus ist also kein ostdeutsches Phänomen, auch wenn die AfD dort im Schnitt bei 22,5 Prozent liegt, während es im Westen mit 11,1 Prozent „nur“ die Hälfte ist. Im Bayerischen Wald etwa, dort ,wo der Freistaat an Tschechien grenzt, hat die AfD ebenso großen Erfolg wie auf der anderen Seite der ehemaligen innerdeutschen Grenze, in Sachsen oder Thüringen.

Es sind Regionen, die man gerne als abgehängt bezeichnet, aber noch sind es eher periphere Regionen, nur, dass die Entfernung zu den Zentren, gefühlt zumindest, von Jahr zu Jahr größer wird. Wenn Sparkassen zumachen, Krankenhäuser schließen, das Internet nur ruckelt, dann wird auch dem Letzten klar, dass die Zukunft woanders stattfindet. Die meisten, vor allem die Jungen, die Frauen, die gut Ausgebildeten, sind ohnehin schon weg. Das Lebensgefühl der Peripherie ist das des Verlusts. Das ist in Deggendorf an der Donau nicht anders als in Frankfurt an der Oder.

Blühende Landschaften – aber Menschen welche genau so alleine gelassen wurden, wie später die Flüchtlinge. Wir schaafen das !! Leeres Geschwätz !!

File:Grab von Guido Westerwelle.jpg

Den „Wessi“ braucht es gar nicht

Natürlich stimmt es, dass die Angst vor Flüchtlingen dort oft am größten ist, wo es gar keine oder kaum Flüchtlingsunterkünfte gibt. Und natürlich hat Pegida gezeigt, dass auch wirtschaftlich erfolgreiche Regionen wie Dresden nicht nur an ihren Rändern, sondern auch in der Mitte ressentimentgeladen und rassistisch sein können. Aber vielleicht hätte es auch ohne die Flüchtlingskrise bald „Merkel muss weg“-Rufe gegeben. Weil Merkel für den Staat steht, für „das System“. Einen Staat, dessen Institutionen sich aus der Peripherie mehr und mehr zurückziehen. Dessen etablierte Parteien das nicht verhindert haben. „Wir holen uns unser Land zurück“ – das muss nicht nur rassistisch gelesen werden, es kann auch ein wütender Ruf sein, jene nicht zu vergessen, die am geografischen Rand leben. Nicht nur in Ostdeutschland.

Mit dem Blick auf Ostdeutschland, mit Ossi-Verachtung oder Ossi-Verständnis, kommt man also nicht weiter. In Polen etwa hat man sich die Erfolge von AfD (und Linkspartei) lange Zeit damit erklärt, dass der ostdeutsche Weg der Transformation vom realen Sozialismus zu Demokratie und Marktwirtschaft ein Sonderfall gewesen sei. Die Ostdeutschen hätten ihn nicht aus eigener Kraft stemmen müssen, konnten also nicht, wie die Polen, stolz auf das sein, was sie erreicht haben. Eher sei es so, dass die Wiedervereinigung und das Geld aus dem Westen das Gefühl verstärkt hätten, es sei einem etwas weggenommen worden.

Aber der Vergleich mit Polen und der Rechtsruck dort zeigt eben auch, dass man keine „Wessis“ braucht, um dieses Gefühl der Minderwertigkeit zu haben. „Die da oben“ taugen zum Feindbild ganz genauso gut. In Polen leben „die da oben“, die „liberalen Eliten“, in den Großstädten und im Westen des Landes, während die Unterstützer der PiS in den Kleinstädten und östlich der Weichsel in der Mehrheit sind.

Quelle   :    TAZ    >>>>>    weiterlesen

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Grafikquellen    :

Oben  —   Fotomontage  – privat  DL   CC BY-SA 3.0

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Unten —  Blühende Landschaften, auch für Guido Westerwelle auf dem Kölner Melaten Friedhof. Das Foto wurde direkt nach der Beerdigung gemacht und auf dem kleinen Kreuz, am Fuß des Grabstein der Familie, steht der Name.

Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“ lizenziert.
Flag of Germany.svg
Dieses Werk darf von dir
Quelle Selbst fotografiert
Urheber Udo Röbenack (de:Benutzer:Supercoach)

 

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Macron der Wundertäter

Erstellt von Redaktion am 2. Oktober 2017

Russland liegt auf dem Mond

File:Merkel-Raute mathematisch Drachenviereck.jpg

Wer sind denn schon Russland samt Putin? –
Wir schaffen das – Ich halte den Mond sogar Kraft meiner Finger unter Kontrolle

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Autor: U. Gellermann

Rationalgalerie

Schon im französischen Wahlkampf erweckten die deutschen Medien den Eindruck, als wäre Emanuel Macron vom Himmel auf die Erde herabgestiegen. Nur um uns alle zu erlösen. Macron war jung, was man von vielen Eurokraten kaum sagen kann, er trug Anzüge von Jonas & Cie „eine Adresse für Eingeweihte“ wie die WELT zu schwärmen wusste und die TAZ konnte ihn stilsicher in die „Slim Fit-Politikergeneration“ einordnen, das sind die Jungs ohne Hüften. Und alle Kommentatoren hoben lobend hervor, dass Macrons Frau fast 25 Jahre älter sei als er. Welch ein großartiger Beleg für den Politikverstand des französischen Präsidenten. Doch erst mit Macrons jüngster Rede an der Sorbonne, der „Initiative für Europa“ brachen alle Dämme: Wogen der Begeisterung überschwemmten die Gestade herkömmlicher Medienkunst: Die WELT schwang über von einer „ Weltregierungserklärung des Emmanuel Macron“, das HANDELSBLATT war sich sicher, dass Macron „Europa“ neu erfinden wolle, die TAZ sah ein neues „Europa“ beschworen und der SPIEGEL zitiert zustimmend die: „Neugründung Europas“. Ein Wundertäter schien geboren.

Und alle, alle übernehmen Macrons arrogante Diktion nach der „Europa“ nichts anderes sei als die Europäische Union, ein Gebilde dessen Hauptstadt Brüssel heißt, dessen Flüsse aus Geld bestehen und dessen Gipfel sich im Aktien-Index abbilden. – Gut, man darf vielleicht die Schweiz kurz unerwähnt lassen, wenn man über Europa in Begeisterung ausbricht. Auch mögen Aserbeidschan, Norwegen oder Armenien, alles keine EU-Staaten, sich mit „Europa“ angesprochen fühlen, wenn der modische Napoleon aus dem nordfranzösischen Amiens die ihm bekannte Welt neu ordnet. Aber wenn in seiner Rede Russland (Russie) nur ein einziges Mal vorkommt, nämlich wenn er sich um die Aufnahme der Balkanländer in die EU sorgt, damit die nicht „nach Russland zurückkehren“, dann platzt der üblich-üble französische Imperialist vor lauter eingebildeter Kraft aus dem Pariser Maßanzug. Seine Frau unterrichtete ihn einst in Französisch und Latein, in Geographie offenkundig nicht. Auch im Echo deutscher Medien fällt diese Leerstelle nicht auf. Denn deren Weltbild ist von ähnlicher Beschränktheit. Man bleibt in der Macron-Rede-Auswertung brav bei der EU-Innenpolitik stehen. Aber wäre die Europäische Union nicht beinahe, im Schlepptau der USA, rund um den Kiewer Maidan, in einen Krieg mit Russland verwickelt worden? Pflegt die EU nicht bis heute brav eine Reihe von Sanktionen gegen Russland, die sie erst jüngst verschärft hat? Doch glaubt man der Macron-Rede, dann liegt Russland auf dem Mond, keinesfalls in Europa.

Es ist die sattsam als Regierungs-Erklärungs-Maschine bekannte TAGESSCHAU, der eine außenpolitische Stelle in der Macron-Rede wohlwollend aufgefallen ist: „Eine gemeinsame Interventionstruppe und ein gemeinsamer Verteidigungshaushalt sollen die EU nach dem Willen Macrons auch militärisch zusammenführen. Der französische Präsident forderte eine gemeinsame Verteidigungsstrategie, die bis Anfang der 2020er-Jahre definiert wird.“ Verteidigung gegen wen? Gegen Mali, wo französische und deutsche Truppen schon jetzt das Gold des Landes gegen seine wahren Besitzer verteidigen? Oder gegen Syrien, auf dessen Territorium sich französische Fallschirmjäger illegal aufhalten und den deutschen Fliegern am Himmel über Syrien zuwinken können? Es ist eine Mischung aus schlechter Angewohnheit und geringer Bildung, dass die Tagesschau-Redakteure nicht wissen wollen, dass „Intervention“ nichts mit Verteidigung zu tun hat, sondern nur das Tarnwort für die militärische Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder ist.

Wenn man bei Macrons zu Hause und in den deutschen Redaktionen schon nicht weiß, dass Russland das flächenmäßig größte europäische Land ist, dann sollte sich doch jemand im Élysée-Palast finden lassen, der dem ach so frischen Macron mal folgendes erklärt: West-Europa und Russland sind wirtschaftlich eng miteinander verflochten. Sieben Prozent aller Ausfuhren der EU sowie 12 Prozent aller Einfuhren entfallen auf Russland. Nach den USA und China ist Russland der drittwichtigste Handelspartner der Gemeinschaft. Und wer weiß, vielleicht gibt es auch einen Geschichtslehrer im Palast, der dem neuen Hausherrn erklärt, dass die Franzosen ihren Kampf gegen Hitlerdeutschland nicht ohne die ziemlich russische Sowjetunion überlebt haben. Auch dass es das Frankreich zur Zeit General de Gaulles war, das seine relative Unabhängigkeit von den USA primär den Widersprüchen zwischen den Großmächten und einer zeitweiligen politischen Nähe zu Russland verdankte. Eine Lehre, die gerade jetzt, in der Phase der Trump-Wirren, schöne Ausblicke auf eine neue Eigenständigkeit der EU verschaffen könnte. – Zwar hat die deutsche Medienlandschaft keine Vorliebe für Donald Trump entwickelt, aber über das Verhältnis zu Russland nachzudenken, um Freiräume der deutschen Außenpolitik zu finden, das verlangte ja eigenständiges Denken. Eine Übung, die in den deutschen Redaktionen einem Wunder gleichkäme. Mon Dieu!

Wundertäter, dass weiß man aus der Legenden-Forschung, tun in Wahrheit keine Wunder. Sie tun nur so.


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Die – Woche

Erstellt von Redaktion am 2. Oktober 2017

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Ein Altkanzler verborisbeckert sich und in Österreich muss man Villen kaufen oder sterben. Und: Bayern kann aus eigener Kraft nicht mehr Meister werden.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht in der vergangenen Woche?

Friedrich Küppersbusch: Die SPD ist schuld, dass nur noch Jamaika übrig bleibt.

Und was wird besser in dieser?

Die SPD ist schuld, dass Jamaika nicht aus dem Quark kommt.

Schröder ist jetzt Aufsichtsrat des russischen Energiekonzerns Rosneft, eines der größten der Welt. Freuen wir uns für den Altkanzler?

Schröder erlebt eine galoppierende Verborisbeckerung seines Ansehens. Es findet sich kaum eine Meldung über seine Bestellung zum Aufsichtsratsvorsitzenden, die einerseits nüchtern formuliert ist und andererseits keinen russischen Absender hat. Das ist anders, als wenn verdiente „Atlantiker“ in den USA Vortragshonorare einstreichen, Gastprofessuren antreten oder mit Preisen geehrt werden. Gerade wurde ein Schmierlapp von der Güte Guttenbergs ministrabel, nachdem er „in den USA Geschäfte gemacht hat“. Das lauteste aber an der ganzen Sause ist die dröhnende Stille zum Thema: Wie gestaltet sich unser Verhältnis zu Russland? Seine Energie- und Wirtschaftsmacht bewog einst die FDP, auf Brandts Ostpolitik umzuschwenken. It’s the economy, To­wa­rischtsch. Russland ist heute keine Demokratie – damals war die Sowjetunion eine erklärte Diktatur.

Es gibt reichlich Gründe, unsere Energieversorgung neu zu denken: Trump, Fracking, verbrecherische Scheichs, Gas statt Öl, ewige Kriege im Nahen Osten, Kriege und Konflikte um Versorgungsleitungen wie in der Ukraine. Wenn also Merkel oder Schulz eine Ostpolitik hätten, begänne sie damit, die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland neu zu betrachten. Im günstigsten Fall gar: hochrangige Beeinflusser in russischen Energiekonzernen zu platzieren. Kurz: Nicht Schröder ist das Problem, sondern die vollständige Abwesenheit einer Politik um seinen Move drumherum. Davon lenkt er allerdings toll ab.

Putin und Erdoğan freunden sich an. Muss man sich in Zeiten von Nordkorea und Trump schon über Despoten-Freundschaften freuen?

Quelle   :      TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle  :    Bearbeitung durch User:Denis_Apel – Lizenz “Creative Commons“ „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen“

Urheber Unbekanntwikidata:Q4233718

 

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DL – Tagesticker 02.10.17

Erstellt von Redaktion am 2. Oktober 2017

Direkt eingeflogen mit unseren  Hubschrappschrap

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Dort sehen wir sehr deutlich den Stellenwert einer Demokratie, wenn den Machthabern etwas gegen den Strich läuft ! Da senden sie dann ihre Schlägertrupps aus welche mit ihren Hohlköpfen auf alles schlagen was sich bewegt. Pack nichts als Pack : Internatione PolitikerInnen.

Referendum in Katalonien :

1.) 90 Prozent stimmen für Unabhängigkeit

Bei dem umstrittenen Referendum in Katalonien haben nach Angaben der Regionalregierung rund 90 Prozent der Teilnehmer für die Unabhängigkeit gestimmt. Dieses Resultat gab Regierungssprecher Jordi Turull in der Nacht zu Montag in Barcelona bekannt. Den Angaben des Sprechers zufolge gaben aber weniger als die Hälfte der 5,3 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimmen ab: Insgesamt seien 2,26 Millionen Stimmzettel gezählt worden, die Zahl der Ja-Stimmen habe bei 2,02 Millionen gelegen. Es habe 7,8 Prozent „Nein“-Stimmen gegeben. Beim harten Vorgehen der Polizei waren am Sonntag über 800 Bürger verletzt worden.

FAZ

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Die nächsten Demokraten welche nicht sehen wollen dass auch diese Leute vom Volk gewählt wurden, da die Nieten in Nadelstreifen zuvor ihre Bevölkerung im Schlussverkauf verscherbelt haben ? Seit ihr zu schwach – werde ich so stark. Könnten wir auch als politische Dummheit oder Arroganz der Macht (beides Merkel) benennen

Albrecht Glaser

2.) SPD, FDP, Grüne und Linke wollen AfD-Mann nicht zum Bundestags-Vize wählen

Bundestagsabgeordnete von SPD, FDP, Grünen und Linkspartei sträuben sich dagegen, den AfD-Kandidaten Albrecht Glaser zum Bundestagsvizepräsidenten zu wählen. Zur Begründung verwiesen sie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ auf umstrittene Äußerungen Glasers, in denen er die Religionsfreiheit für Muslime in Abrede gestellt haben soll. Sie gelte demnach nicht, da der Islam eine politische Ideologie und keine Religion sei, hatte Glaser in verschiedenen Interviews ausgeführt.

Die Welt

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Mordfall Kim Jong-nam:

3.) Angeklagte beteuern ihre Unschuld

Vor dem Obersten Gericht Malaysias in Kuala Lumpur hat der Prozess gegen zwei Frauen begonnen, denen Mord am Halbbruder des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un vorgeworfen wird. Bei einer Verurteilung droht ihnen die Todesstrafe. Die 25 und 29 Jahre alten Angeklagten aus Indonesien und Vietnam sollen Kim Jong-nam am 13. Februar dieses Jahres am Flughafen der malaysischen Hauptstadt Nervengift ins Gesicht gesprüht und ihn so getötet haben. Staatsanwalt Muhamad Iskandar Ahmad zeigte sich überzeugt von ihrer Täterschaft: „Die Beweise belegen eindeutig, dass ihre Handlungen den Tod des Opfers verursacht haben“, sagte der Ankläger.

Sueddeutsche-Zeitung

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Wer hat diesen Dreck gewählt? Das Volk! Wahlverweigerung gehört auch zur Demokratie!

Lobbyismus und Politik

4.) Geld macht Macht

In den vergangenen Wochen haben Stephan-Götz Richter und Andreas Polk auf Fehlentwicklungen des Lobbyismus in Deutschland hingewiesen. Während Götz-Richter eine „Amerikanisierung“ der Berliner Republik und einen zu großen Einfluss von Industrieinteressen dank der Anwerbung von ehemaligen Politikern als Lobbyisten konstatiert, argumentiert Polk, der Vorwurf der systematischen Käuflichkeit der Politiker sei sowohl falsch als auch gefährlich. Dadurch, so Polk, würde die Politikverdrossenheit geschürt.

Spiegel-Online

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Welch ein Anachronismus des Siegers ! Können Verlierer stärker gedemütigt werden ? Jedes Jahr  wird jedem Bürger die Show geboten, seinen Fuß auf den Unterlegenen zu setzen. Sich als Sieger zu fühlen. In Mainz sogar für zwei Tage.

Zweitägiges Bürgerfest

5.) Einheitsfeier beginnt in Mainz

Die 16 Bundesländer zeigen dabei ihre besonderen Seiten. Auch Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung informieren über ihre Arbeit. Rund eine halbe Million Menschen werden in Mainz erwartet. Abgeschlossen wird der erste Tag der Einheitsfeier von einer «Nacht der Freiheit», zu der die evangelische Kirche und Amnesty International einladen.

Augaburger-Allgemeine

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Defizite in der CDU  —   So erklärt

6.) Ministerpräsident Reiner Haseloff den Aufstieg der AfD

Halle (Saale) – Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sieht den Aufstieg der AfD unter anderem als Folge von Fehlern seiner eigenen Partei. Die AfD habe den Einzug in die Parlamente nur geschafft, „weil es tatsächlich Defizite gibt“, sagte er im Interview mit der Zeitung „Die Welt“.  „Manche Anträge, die die AfD ins Parlament eingebracht hat, hätten wir ins Parlament einbringen müssen.“ Welche Initiativen er konkret meinte, sagte er nicht. Zudem zeigte sich Haseloff beunruhigt, dass „die AfD auch im Westen starken Zulauf hat – trotz der längeren Erfahrung mit Demokratie und Multikulti“.

MZ

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Speziell für Anfänger:

7.) Ravensburger stellt einteiliges Puzzle vor

Ravensburg (Archiv) – Knobelfans aufgepasst: Die Ravensburger Spieleschmiede Ravensburger hat eine neue Puzzleserie vorgestellt, die sich insbesondere an Einsteiger, Kinder und ungeduldige Teenager richtet. Mit nur einem einzigen großen Teil soll das neue Puzzle namens „One-Piezzle“ für frustfreien Spielspaß sorgen. Die einteilige Variante des klassischen Puzzles ist laut Hersteller das Resultat jahrelanger Forschung. Gesucht wurde nach einem Konzept, das auch Ungeübten und Ungeduldigen ermöglicht, sich lange Winterabende durch Puzzelei zu verkürzen.

Der Postillon

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Hinweise und Anregungen nehmen wir gerne entgegen

Treu unserem Motto: Es gibt keine schlechte Presse, sondern nur unkritische Leser

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Grafikquelle: DL / privat – Wikimedia Commons – cc-by-sa-3.0

 

 

 

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Wahlskandal-Ravensburg?

Erstellt von Redaktion am 1. Oktober 2017

Barriere behinderte den Weg zur Wahlurne

KBZO – Wahllokal fälschlicherweise als barrierefrei bezeichnet – Rollstuhlfahrer haben Nachsehen

Ravensburg sz Weil ihr Wahllokal am vergangenen Sonntag als barrierefrei ausgewiesen, das tatsächlich aber nicht war, sind Betreuer und Bewohner des Körperbehindertenzentrums Oberschwaben (KBZO) verärgert. Die Stadt Ravensburg spricht von einem einmaligen Vorfall.

Cornelia Tews arbeitet seit drei Jahren als hauptamtliche Betreuerin für Menschen mit Behinderung am KBZO in Weingarten. Gemeinsam mit einer Kollegin begleitete sie am Sonntag vier Bewohner des KBZO in das für sie zuständige Wahllokal am Bildungszentrum St. Konrad in Ravensburg. In der Wahlbenachrichtigung war der Ort, an dem die vier Bewohner ihre Stimme für die Bundestagswahl abgeben sollten, als barrierefrei ausgewiesen.

Als die beiden Betreuerinnen mit den vier Bewohnern des KBZO, die allesamt im Rollstuhl sitzen, an St. Konrad ankamen, mussten sie allerdings feststellen, dass ein Absatz an der Tür das Einfahren ins Wahllokal mit Rollstühlen unmöglich machte. „Die fünf Wahlhelfer waren zwar freundlich, aber halt auch absolut hilflos“, berichtet Cornelia Tews.

Quelle   :    Schwäbische >>>>> weiterlesen

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Kreiswahlleiter                                                                           RV, 30.09.2017

Herrn Peter Hagg

Friedenstrasse 6

Landratsamt Ravensburg

88212 Ravensburg​
Anfechtung der Bundestagswahl 2017 im Wahlkreis 294

geschehen bei der Vorbereitung oder Durchführung zu einer Wahl grobe Fehler, die dazu führen, dass es zu einem veränderten Wahlergebnis komm, ist eine Wahl anfechtbar.

Ich fechte hiermit die Bundestagswahl 2017 hinsichtlich des ​Gesamtergebnisses in den Wahlbezirken der Stadt  Ravensburg an. Vorsorglich fechte ich auch die Bundestagswahl 2017 hinsichtlich des Ergebnisses im gesamten Wahlkreis 294 an. 

Wie die „Schwäbische Zeitung“  aktuell berichtet  [http://www.schwaebische.de/region_artikel,-Barriere-behindert-den-Weg-zur-Wahlurne-_arid,10745001_toid,535.html  ], war das Wahllokal „Bildungszentrum St. Konrad“ ​ in der Ravensburger Nordstadt, das  für die Bewohner des benachbarten „Körperbehindertenzentrums Oberschwaben“ (KBZO) zuständig ist, im Vorfeld per Information über den​ Modus der Bundestagswahl als „barrierefrei“ ausgewiesen. Das entspricht nicht den Tatsachen, sondern es war eine eklatante Fehlinformation.

Es ist für mich unerklärlich, warum weder die Schulleitung St. Konrad und /oder die  Ravensburger Stadtverwaltung gerade und explizit​ für das KBZO ​ein Wahllokal mit für alle tagtäglich erkennbare Barriere wählt, bzw. eine völlig falsche Information weitergibt. Es geht ja auch aus dem Presseartikel hervor, dass es die Stadtverwaltung nicht für nötig gehalten hat, auch nur eines ihrer 31 (Kernstadt) bzw. 47 (insgesamt) Wahllokale persönlich in Augenschein zu nehmen, in dem Wissen, dass unsere  Region überproportional von Menschen mit Behinderungen bewohnt und das Wort „Inklusion“ in aller Munde ist.

Abgesehen davon dürfte es für die betroffenen Mitbürger*innen doch irgendwie höchst unangenehm gewesen sein, dass man sie, denen es wichtig ist, so wenig wie nötig fremde Hilfe in Anspruch nehmen​ zu müssen​,​ was auch zu ihrer Lebensbewältigungsstrategie gehört, in einer Film reifen Aktion über die Stufe gehievt hat. Sie hätten alle vier aus Protest umkehren sollen. Dann wäre dieser Fall auf jeden Fall klar.

Ich möchte Sie in Ihrer Funktion als Kreiswahlleiter bitten zu überprüfen, inwieweit weitere Bewohner*innen des KBZO – im Rollstuhl oder ansonsten auf Barrierefreiheit angewiesen –  im Zuständigkeitsbereich von „St. Konrad“ deshalb an der Wahl nicht teilgenommen bzw. sich von ihr haben abhalten lassen, weil sie die Barriere nicht überwinden konnten, bzw. von den enormen Schwierigkeiten dies zu tun, wussten. Das Gleiche erbitte ich für alle anderen Wahllokale in der Kernstadt und den unechten Teilorten.

​Der Kreis Ravensburg ist bundesweit dafür bekannt, dass in ihm sehr viele Menschen mit Behinderungen leben, weshalb ich Sie bitte, ​zusätzlich ​alle Wahllokale in den 245 Wahlbezirken ​des Wahlkreises Ravensburg ​bei der Bundestagswahl 2017 auf Barrierefreiheit zu überprüfen, wo diese ​auch ​zuvor als barrierefrei ausgewiesen wurden und ob durch eine eventuelle Fehlinformation, ein Mensch mit Behinderung oder mehrere von der Teilnahme an der Bundestagswahl 2017 abgehalten wurden.

Es gibt in Deutschland über 100.000 Menschen mit Behinderung, die aus rechtlichen und gesetzlichen Gründen nicht wählen dürfen, aber um ihr Wahlrecht kämpfen. Da sollten wir denen von ihnen, die wählen dürfen, auch ​so mit Achtung und Respekt entgegen kommen, damit sie ihr Wahlrecht auch in Anspruch nehmen können – ​was in dem Ravensburger Fall nicht zu erkennen ist – und zwar sowohl von Seiten der Schulleitung „St. Konrad“ (Katholische Schule) als auch der Stadtverwaltung Ravensburg.​

Während sich die Stadt Ravensburg mit der „Singularität eines solchen Falles“ herausredet, hat sie in Wirklichkeit offenbart, wie sie arbeitet und wie „ernst“ ihr es wirklich mit der Inklusion ist.

Ich bitte Sie höflich aber bestimmt, sich der Sache anzunehmen und ein eventuell justitiables Ergebnis über den Landes- und den Bundeswahlleiter an den Deutschen Bundestag zur Entscheidung weiterzuleiten. Ich verweise dabei auf § 5 Absatz 4 des Wahlprüfungsgesetzes ​ und erbitte ihre „Amtshilfe“.

Ich danke Ihnen.

Mit freundlichen Grüßen

Stefan Weinert, Untere Burachstrasse 94, 88212 Ravensburg

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Grafikquellen :

Oben  — Eines der Gebäude des Körperbehinderten-Zentrum Oberschwabens

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Kolumne – Macht

Erstellt von Redaktion am 1. Oktober 2017

Danke für das Gespräch

Maischberger - 2016-12-14-7439.jpg

Von Bettina Gaus

Schluss jetzt mit den Befindlichkeiten nach der Wahl. Wer den Nationalismus zurückdrängen will, muss die Europäische Union demokratisieren.

Gut, dass wir mal drüber geredet haben. Welche Ängste grölende AfD-Hooligans quälen, was die Kanzlerin fühlt, ob Ostdeutsche irgendwie anders sind, und ob Martin Schulz ein schlechter Verlierer. Waren alle mal dran, oder fühlt sich jemand ausgeschlossen? Falls nein, dann sollten wir kurz die Befindlichkeitsdebatten unterbrechen. Die politischen Gründe für den Wahlausgang, vor allem für das Erstarken des Nationalismus, sind nämlich durchaus ebenfalls interessant.

Andrea Nahles hat an dem Tag, an dem sie zur neuen Fraktionsvorsitzenden der SPD gewählt wurde, etwas Kluges gesagt. Die Rede ist nicht von einem kruden Witz, den sie besser nicht gemacht hätte, der aber immer noch weniger dämlich war als manche überzogenen Reaktionen darauf. Sondern von ihrer Feststellung, dass auf na­tio­naler Ebene viele Themen gar nicht mehr verhandelt werden können, künftig also sämtlich auf ihre europäische Bedeutung hin betrachtet werden sollten: „Wir werden die Europapartei in diesem Parlament sein.“

Zwei Fragen ergeben sich daraus allerdings. Erstens: Warum hat die SPD eigentlich mit dem Thema Europa keinen Wahlkampf gemacht? Einen Spitzenkandidaten, der davon etwas versteht, hätte sie ja gehabt. Und zweitens: Wie wollen die Sozialdemokraten denn damit kraftvolle Oppositionspolitik gestalten? Immerhin hat Angela Merkel nur kurz nach Andrea Nahles ebenfalls die Bedeutung der Europapolitik betont – worüber sie im Wahlkampf übrigens auch wenig geredet hat.

Quelle    :   TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle    :       Maischberger, Sendung vom 14. Dezember 2016. Produziert vom WDR. Thema der Sendung: „Wutbürger gegen Gutmenschen: Verliert die Demokratie?“ Foto: Bettina Gaus („taz“-Journalistin)

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Hungerhilfe-Rohstoffquelle

Erstellt von Redaktion am 1. Oktober 2017

 -und der Abtransport von Ressourcen
Null Chancen für null Hunger bis 2030

COSV - Darfur 2009 - Cattle watering.jpg

Die UNO ist keine bescheidene Institution: Das UN World Food Programme (WFP) hat sich zum Ziel gesetzt den Hunger bis zum Jahr 2030 auszurotten. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen äussert sich der Chef des WFP zu den Chancen dieses Projekts.

Seine Einschätzung: „Es gibt null Chancen für null Hunger bis 2030“. Seinem Pessismismus liegt jedoch nicht eine zu kleine Menge an produzierten Nahrungsmittel zugrunde. Nein, den Grund für all den Hunger sieht er im fehlenden Engagement der wirtschaftlich erfolgreichen Staaten. Diese spenden in seinen Augen zu wenig Dollars an das WFP und kümmern sich zuwenig um die Lösung der militärischen Konflikte in dieser Welt. Worum es bei diesen Konflikten in Syrien, Südsudan, usw. geht, scheint ihn dabei nicht zu interessieren.

In diesem kleinen Text wollen wir aufzeigen, warum es ein Fehler ist, die Untersuchung der Gründe für Hunger hintanzustellen und pragmatisch an die Abschaffung des Welthungers heranzugehen:

Der Praktiker der Hungerhilfe

David Beasly ist Praktiker der Hungerhilfe: Als Leiter des WFP ist es seine Aufgabe, die Welt zu ernähren. Als solches kümmert er sich nicht darum, warum Menschen hungern. Ihn interessiert nur wie man diesen Menschen Nahrung beschaffen kann. Dabei ist ihm natürlich bekannt, dass es so etwas wie Weltmächte, Weltmarkt und Kriege gibt. Diese Phänomene nimmt er jedoch nur als Hindernis oder als Mittel für sein Ziel- der Ernährung der Menschheit – wahr. Was ein Weltmarkt ist, wie Kriege entstehen und warum es so etwas wie Weltmächte gibt und was diese mit dem Hunger zu tun haben könnten, diese Fragen stellt er sich dabei nicht.

«Manche Gebiete können wir aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichen. In Syrien unterstützen wir mehr als vier Millionen Menschen im Monat, können aber etwa 600.000 Personen gar nicht versorgen. Wir wissen nicht, ob die verhungern. Im Jemen gibt es auch viele kaum zu erreichende Gegenden. In Südsudan kommt jetzt die Regenzeit, was Strassen unpassierbar macht. Vielerorts nutzen die kämpfenden Parteien den Hunger als Waffe.»

Die Frage warum Kriege in Syrien und Südsudan toben stellt sich Beasly nicht. Er sieht sie nur als Hindernisse bei der Bekämpung des Hungers.

File:Sudan Envoy - USAID and WFP Aid.jpg

Verwandlungskünstler Beasly: Vom Hunger zu Migration und Terrorismus

Beim Verfolgen seines Ziel – des Auslöschens des Hungers weltweit – wird Beasly zum Verwandlungskünstler: Wenn er an Staaten herantritt und um deren Unterstützung wirbt, verwandelt er das Thema Hunger in ein Problem zweiter Klasse. Die Staaten sollen ihn nicht deshalb unterstützen, weil diese den Hunger an sich so verdammenswert finden, sondern weil der Kampf gegen den Hunger deren ureigenste Interessen bedient. Gleich am Anfang führt Beasly diese Verwandlung am Thema Migration vor. Der Tenor: Bei allen Gründen die es sonst für Migration gibt, würden die Leute lieber in ihren Heimatländern bleiben, wenn dort nicht Hunger herrschen würde. Es läge also ganz im Interesse der westlichen Staaten, das Hungerproblem zu lösen, dann hätten sie auch keine Probleme mit unerwünschter Migration.

«Hunger ist einer der Faktoren, die Migration verursachen. Ein Prozent mehr Hunger führt zu einer doppelt so schnell steigenden Migrationsrate. Wenn wir den Hunger bekämpfen, geht daher die Migration zurück. Allerdings können wir durch die Konflikte viele Menschen nicht erreichen. Wir erleben momentan die schlimmste globale humanitäre Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, und die Situation verschlechtert sich noch. Von den 65 Millionen Menschen, die 2016 gezwungen waren, von zu Hause zu fliehen, lebt nur jeder Dritte ausserhalb seines Heimatlandes. Und bevor beispielsweise eine syrische Familie ihr Heimatland verlässt, sucht sie durchschnittlich dreimal innerhalb ihres Landes Zuflucht. Die Menschen wollen in ihrer Heimatregion bleiben. Aber wir müssen ihnen auch die Chance geben, das zu tun.»

Aus dem Praktiker des Hungers wird also ein Praktiker des Interesses westlicher Staaten, alle möglichen unnützen Gestalten von ihren Grenzen fernzuhalten: So geht Weltverbesserung.

Mit US-amerikanischen Sicherheitsinteressen zum schönen Leben?

Aber auch für die U.S.A. will ein Grund gefunden werden, warum Hungerhilfe nötig ist. Das Thema Migration zieht nicht wirklich, weil der Atlantik die Armenhäuser Afrikas vom amerikanischen Kontinent trennt. Doch auch hier wird unser Mann fündig: Hunger bewirkt schliesslich nicht nur Migration, sondern auch Terror:

«Wenn wir einen Zugang für unsere Hilfe erhalten, lindert das den Konflikt, verringert die Migration, aber auch den Extremismus. Ich sage in Amerika stets, dass es ein nationales Sicherheitsinteresse ist, den Hunger zu bekämpfen. Das gilt auch für Deutschland. Andersherum gesagt: Wer lieber eine halbe Billion Dollar für Militäroperationen ausgeben will, sollte die Mittel für das WFP kürzen.»

Wieder wird der Hunger verwandelt: Nun ist Beasly nicht mehr gegen den Hunger unterwegs, sondern gegen den Terror. Das kommt dabei heraus, wenn man realistisch bleiben und die Welt verbessern will, ohne sie ändern und verstehen zu wollen.

Desinteresse westlicher Staaten der Grund für weltweiten Hunger? Ganz im Gegenteil!

Funktionieren können diese Verwandlungen des Problems Hungers nur deshalb, weil es ein Interesse von seiten der westlichen Staaten an den Orten der Welt gibt, an denen gehungert wird. Die westlichen Staaten haben an diesen Orten ein Interesse an einer ihnen genehmen Ordnung. Westliches Militär tritt nur an Orten dieser Welt in Erscheinung, an denen westliche Staaten Interessen durchsetzen wollen. Gibt es an Regionen dieser Welt kein Interesse, ist es umgekehrt auch egal ob dort gehungert und gekämpft wird – ob dort ein Failed State entsteht.

Wie diese Interessen beschaffen sind ist auch nicht unbekannt: Viele Staaten sind interessant weil es dort Rohstoffe gibt, mit denen sich etwas verdienen lässt. Herrscht jedoch dieses Interesse vor, dann stören die Leute die auf den Rohstoffquellen wohnen erstmal. Gebraucht werden sie auf jeden Fall nur in sehr begrenztem Umfang, für den Abtransport dieser Ressourcen. Einerseits sind diese Länder also in den Weltmarkt eingebunden und sollen es auch bleiben, Essen gibt es also auch dort nur gegen Geld. Andererseits sind die Leute dort für die herrschenden Interessen einfach überflüssig, haben also kein Geld: Hunger. Die Option Subsistenz, Landwirtschaft betreiben für das eigene Überleben, ist ihnen nicht mehr möglich.

Ähnlich bei Nahrung: Schliesslich ist es ja nicht so, dass in Afrika nichts angebaut wird. Afrika ist ein fruchtbarer Kontinent. Doch auch diese Ressourcen zählen wegen dem Geldertrag, den sie versprechen und da schneiden Tabak oder Kakaopflanzen einfach besser ab als Getreide für die Bevölkerung, die sich nichts leisten kann. Auch hier ist es also das bestehende Interesse an diesem Landstrich, das den Hunger erzeugt, und nicht das fehlende.

HD Centre in Darfur - Flickr image 2211561535.jpg

Dort möchten wir auch Merkel sitzen sehen – aber ohne Panzerwagen bewegen sich diese            Kreaturen nicht einmal im eigenen Land ! Dann kann der Bevölkerung gesagt werden :              „Wir schaffen das“

Ohne Aufstände und Terror – keine Hilfe gegen den Hunger

Das ist dann auch die Tragik des Standpunkts von Beasly. Ganz praktisch geht er auf den Hunger los, um am Ende dabei zu landen, sich zum Anwalt der effizienteren Durchsetzung der Interessen zu machen, die den Hunger erzeugen. Für was er sich einsetzt ist nicht das Ende des Elends, sondern eine Betreuung der Probleme die durch dieses Elend entstehen. Hunger wird erst zum „Menschheitsproblem“ weil er zu unerwünschter Migration, Aufständen oder Terror führen kann. Man würds ihm gerne sagen, doch würde damit wohl auf taube Ohren stossen, schliesslich:

«Ich muss dafür sorgen, eine zusätzliche Milliarde zusammenzubekommen, damit nicht binnen weniger Wochen 600.000 Kinder sterben.»

Und dafür dass im nächsten Jahr nicht wieder tausende Menschen vor dem Hungertod stehen. Und auch das Jahr darauf und so weiter. Warum der Hunger fortbesteht, diese Frage stellt er sich eben nicht.

Wie das Problem mit dem Hunger, dass von Beasly zielgerichtet in ein Weltordnungsproblem verwandelt wird, dann von den mächtigen Staatenlenker*innen dieser Welt behandelt wird, das kann man im Text G8-Treffen – Schon wieder: Die Welt zu Gast bei Freunden nachlesen (ab „das Gipfelritual“).

von Bassisgruppe Gesellschaftskritik Salzburg
[geskrit]

Soweit nicht anders angegeben und keine genauere Quellenangabe vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Website die Creative Commons Lizenz (CC).

Quelle     :    Artikel vom Untergrundblättle

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Grafikquellen    :

Darfur. Cattle watering – Wasser aus Kessel

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Original description from Flickr: Andrew Marshall, the HD Centre Deputy Director with representatives of the SLM in Darfur communicating with colleagues in Geneva via satellite phone.

 

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Die Universität des Terrors

Erstellt von Redaktion am 1. Oktober 2017

Die Universität des Terrors

Autor Uri Avnery

VOR EINIGEN TAGEN beging ein Mann im Zentrum von London, einer Stadt, die ich liebe, einen Terrorakt.

Er überfuhr mehrere Personen auf der Westminster Brücke , stach einen Polizisten zu Tode und näherte sich den Türen des Parlaments, wo er erschossen wurde. All dies im Schatten des Turms Big Ben, ein unwiderstehliches Photo- Ziel.

Es war ein elektrifizierendes weltweites Nachrichtenobjekt. Innerhalb von Minuten wurde Daesh die Schuld gegeben. Aber als die Wahrheit herauskam, war der Terrorist ein konvertierter britischer Bürger, ein Muslim, der in England geboren wurde. Von früher Jugend an hatte er eine Reihe von kleinen Straftaten begangen. Er war mehrere Male im Gefängnis gewesen.

Wie wurde ausgerechnet dieses Individum ein religiöser Fanatiker, ein Shahid – ein Zeuge der Wahrheit Allahs geworden, der sein Leben für die Größe des Islam opferte? Wie war er ein Straftäter von einer Tat geworden, die Europa und die Welt schockierte?

BEVOR ICH versuche, auf diese faszinierende Frage eine Antwort zu geben, bemerke ich noch eine Wirksamkeit des Terrorismus.

Wie der Terminus des „Terrorismus“ besagt, ist es eine Sache der sich ausbreitenden Furcht. Es ist eine Methode, um ein politisches Ende zu erreichen, indem man dem Volk Angst macht.

Aber warum fürchten sich die Menschen so sehr vor Terroristen? Das ist für mich immer ein Rätsel gewesen, sogar als ich als Junge zu einer Organisation gehörte, die von den britischen Lehensherren als „terroristisch“ bezeichnet wurde-

Ich weiß nicht, wie viele Leute bei Straßenunfällen im Vereinigten Königreich im selben Monat wie die Westminsterattacke zu Tode kamen. Ich vermute, dass die Zahl sehr viel größer war. Doch die Leute fürchten sich nicht sehr vor Straßenunfällen. Sie halten sich nicht vom Spaziergang auf der Straße zurück. Gefährliche Autofahrer werden nicht vorsorglich in Haft gehalten.

Doch eine sehr kleine Anzahl von „Terroristen“ genügt, um eine hysterische Furcht im ganzen Land, auf ganzen Kontinenten, ja sogar auf dem ganzen Globus auszulösen.

Großbritannien sollte der letzte Ort in der Welt sein, dieser totalen irrationalen Furcht zu erliegen. 1940 stand diese kleine Insel gegen den Koloss des von Nazis eroberten Europa. Ich erinnere mich noch an ein mitreißendes Poster, das an den Mauern in Palästina befestigt war. Es zeigte den Kopf von Winston Churchill mit dem Slogan: „ Also dann alleine!“

Konnte ein einziger Terrorist mit einem Wagen und einem Messer dieses Land zum Fürchten bringen?

Für mich klingt dies verrückt, doch dies ist für mich nur eine Seitenbemerkung. Meine Absicht hier ist es, ein Licht auf eine Institution zu werfen, an die wenige Leute denken: ein Gefängnis.

DER WESTMINSTER-Terroristen-Angriff lässt eine einfache Frage aufkommen: Wie wird ein kleiner Krimineller zu einem Shahid, der weltweite Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Es gibt viele Theorien, viele von ihnen werden von Experten erhoben, die bei weitem kompetenter sind als ich. Religiöse Experten. Kulturelle Experten. Islamistische Experten. Kriminologen.

Meine eigene Antwort ist bei weitem sehr einfach. Es ist das Gefängnis, das dies tut.

BEWEGEN WIR uns von Großbritannien und der Religion so weit weg wie möglich. Lasst uns nach Israel zurückkommen und zu unserer lokalen kriminellen Szene.

Wir hören oft von größeren Verbrechen, die von Leuten begangen wurden, die als jugendliche Straftäter begannen.

Wie wird eine gewöhnliche Person Chef eines organisierten Verbrechens? Wo hat er studiert? Nun, am selben Ort wie der britische Jihadist. Oder ein israelischer Muslim-Jihadist.

Ein Junge hat zu Hause Ärger. Vielleicht hat sein Vater seine geliebte Mutter regelmäßig geschlagen. Vielleicht ist seine Mutter eine Prostituierte. Vielleicht ist er ein dummer Schüler gewesen und wurde von seinen Kameraden verachtet. Irgendeine von Hundert Gründen.

Mit 14 wird der Junge beim Diebstahl ertappt. Nachdem er von der Polizei gewarnt und entlassen wurde, stiehlt er wieder. Er wird ins Gefängnis gesteckt. Im Gefängnis adoptiert ihn der respektierteste Verbrecher, vielleicht sogar sexuell. Er wird immer wieder ins Gefängnis gesteckt und langsam steigt er in der unsichtbaren Gefängnis-Hierarchie hoch.

Er wird von seinen Mitgefangenen respektiert, er hat Autorität. Das Gefängnis wird seine Welt, er kennt die Regeln. Er fühlt sich gut.

Als er entlassen wird, wird er wieder ein Niemand. Die Korrektur Behörde behandelt ihn wie einen Gegenstand. Er sehnt sich danach, in seine Welt zurückzukehren, an den Ort, an dem er bekannt ist und respektiert. Er wird nicht ins Gefängnis geschickt, weil er ein Verbrechen begangen hat. Er begeht ein Verbrechen, um wieder ins Gefängnis geschickt zu werden.

Er wird selbst ein Verbrecher-Boss. Als er ins Gefängnis zurückkehrt, behandelt ihn sogar der Direktor wie einen alten Bekannten.

Während der Jahre hat das Gefängnis für ihn wie eine Universität gewirkt, eine Universität der Verbrechen. Es ist dort, wo er all die Tricks eines Gewerbes lernte, bis er selbst ein Professor geworden ist.

Der kleine ins Gefängnis gesperrte Muslim-Dieb, mag dort einem gefangenen Muslim-Prediger getroffen haben, der ihn überzeugte, dass er kein verachteter Krimineller sei, sondern einer von den wenigen von Allahs Erwählten, um die Ungläubigen zu zerstören.

ALL DIES ist alter Stoff. Ich enthülle nichts Neues. Jeder Häftling, jeder höhere Polizei-Offizier, jeder Gefängnisdirektor oder Psychologe weiß es viel besser als ich.

Wenn es so ist, wie kommt es, dass keiner etwas dagegen tut? Warum funktioniert das Gefängnis heute wie vor hundert Jahren?

Ich habe den Verdacht, dass die einfache Antwort folgende ist: Keiner weiß, was stattdessen getan werden muss.

Die Briten hatten einst eine gute Antwort: sie schickten alle Kriminelle, selbst kleine Diebe nach Australien. Falls sie nicht schon vorher aufgehängt worden sind.

Aber in modernen Zeiten ist dieses Hausmittel abhanden gekommen. Australien ist jetzt eine starke Nation, das unglückliche Flüchtlinge auf entfernte pazifistische Inseln schickt.

Die Vereinigten Staaten, die mächtigste Weltmacht mit einigen der besten Universitäten, halten Millionen ihrer Bürger in Gefängnissen, wo sie zu abgehärteten Kriminellen werden.

Israels Gefängnisse sind zum Platzen voll mit Inhaftierten, viele von ihnen sind „Terroristen“, die ohne Gerichtsverhandlung dort sind. Dies wird beschönigend „Präventiv-Haft“ genannt – ein Oxymoron.

Wenn man einen Polizei-Offizier über die Logik dieses ganzen Systems fragt, zuckt er mit seinen Schultern und antwortet – die jüdische Art und Weise – mit einer anderen Frage: Was kann man sonst mit ihnen tun?

So hat die Gesellschaft Jahr um Jahr, Jahrhunderte um Jahrhunderte seine Kriminellen in die Kriminal-Universität geschickt. Studium mit Vollpension und Ausgaben, die vom Staat bezahlt werden.

Und natürlich hängt eine riesige Armee von Gefängniswärtern, Polizei-Männer und -Frauen, Experten und Akademiker mit ihrem Lebensunterhalt von diesem System ab. Alle sind glücklich.

SELTSAM GENUG: ich war nie im Gefängnis, obwohl ich mehrere Male nahe dran war.

Wie ich schon woanders erzählte, schlug einmal der Ministerpräsident vor, mich in „Administrativ-Haft“ zu nehmen, ohne Richter, als ausländischen Spion. Dies war nur von Menachim Begin, dem Führer der Opposition verhindert worden, der seine Zustimmung verweigerte.

Ein anderes Mal war nach meinem Treffen mit Yassir Arafat während der Belagerung von Beirut, als die Regierung offiziell den General-Anwalt bat, mich wegen Verrats zu untersuchen. Der Anwalt, eine nette Person, entschied, ich hätte kein Verbrechen begangen. Ich hätte keine Grenze illegal überschritten, weil ich in das belagerte Ost-Beirut von der israelischen Armee als Zeitungsherausgeber eingeladen war. Es gab also keinen Verdacht, dass ich die Absicht hatte, die Sicherheit des Staates zu verletzen.

Ich habe also soweit keine persönliche Erfahrung mit dem Gefängnis gemacht. Aber die Absurdität der ganzen Situation hat mich viele Jahre beschäftigt. Ich hielt mehrere Reden darüber in der Knesset. Vergebens. Keiner weiß eine Alternative.

Meine verstorbene Frau war eine Lehrerin. Sie weigerte sich immer, eine höhere Klasse als die zweite zu nehmen. Sie war davon überzeugt, dass in diesem Alter der Charakter eines menschlichen Wesens schon voll entwickelt ist.

Wenn es so ist, dann sollten alle Bemühungen sich auf dieses sehr frühe Alter konzentrieren.

Ich bin mir sicher, dass irgendwo Experimente mit anderen Antworten ausgeführt werden. Vielleicht in Schweden oder auf der Insel Fiji.

Wäre es nicht höchste Zeit?

(dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)

 

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Der Kommunismus ./. Marx

Erstellt von Redaktion am 1. Oktober 2017

„Für Marx war Gleichmacherei ein Horror“

Gerd Koenen (left) mit Timothy Snyder.jpg

Interview Stefan Reinecke

Vor 150 Jahren erschien „Das Kapital“. Vor 100 Jahren betrieb Lenin die Oktoberrevolution. Was strahlt davon noch in die Gegenwart? Ein Gespräch mit dem Historiker Gerd Koenen

Gerd Koenen (73) hat wie kein zweiter die Wandlungen des bundesdeutschen Linksradikalismus reflektiert. In den 70ern war er Führungskader einer maoistischen Splittergruppe. 2001 schrieb er mit „Das rote Jahrzehnt“ eine schwungvolle Abrechnung mit der 68er Linken. „Die Farbe Rot“ ist sein Opus Magnum, ein voluminöses, erzählerisch geschriebenes Essay, eine Tiefenbohrung zu dem Ideenreservoir, aus dem sich der Kommunismus speiste. Über sich selbst sagt der Russland-Experte: „Ich bin immer noch Sozialist.“

taz.am wochenende: Herr Koenen, Sie haben tausend Seiten über die Geschichte des Kommunismus geschrieben. Warum?

Gerd Koenen: Ich finde, das ist für ein so einzigartiges Phänomen sehr knapp. Dass kommunistische Regime im 20. Jahrhundert zu Weltmächten aufgestiegen sind und zeitweise ein sozialistisches Lager gebildet haben, ist doch ebenso Staunen erregend wie die abrupten Umbrüche und Transformationen nach 1989. Und dann ist da noch Marx und der moderne Sozialismus und seine weit in die Geschichte zurückreichenden Wurzeln.

Ist der Kommunismus, der 1917 die Macht eroberte, ein toter Hund? Oder lebt da noch etwas?

Nicht „der Kommunismus“ hat 1917 die Macht erobert, sondern Lenin und seine Partei, die sich diesen älteren Titel wieder frisch auf die Fahne schrieben. Im heutigen China und Russland sind die Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme zwar radikal verändert worden. Aber in China herrscht ungebrochen dieselbe KP, und in Russland bilden die silowiki, die Erben der alten Machtstrukturen, den Kern einer neuen Kreml-Oligarchie. Diese erfolgreiche Selbstbehauptung hat mich veranlasst, die ganze globale Geschichte des modernen Kommunismus noch einmal zu reinterpretieren.

Wann taucht der Begriff Kommunismus erstmals auf?

1840 in Frankreich. Das Wort ist neu, aber klingt, als wäre es schon immer da gewesen – und wird von den Besitzenden sofort als ultimative Bedrohung verstanden.

Noch bevor Industrie und Proletariat entstehen?

File:Statues of Karl Marx and Friedrich Engels - Berlin - 2012-0603- P1400446.jpg

Ja, weil schon die ersten Fabriken statt frohem Fortschrittsoptimismus eher das katastrophische Gefühl erzeugen, in einem Entwicklungsstrom zu stecken, der alles fortreißt, alle Sicherheiten und moralischen Standards untergräbt. Darum drehen sich die meisten großen Romane der Zeit von Charles Dickens bis Victor Hugo – noch ohne dass Industrie und Proletariat zum Thema werden.

Das „Kommunistische Manifest“ von Marx und Engels katalysiert 1848 die Ängste der besitzenden Klassen. Weil es die Utopie einer egalitären Gesellschaft malt?

Es ist komplizierter. Marx tritt von Anfang an als entschiedener Anti-Utopist auf. Alle klassischen Utopien sind seit Thomas Morus ja Entwürfe stillgestellter Gesellschaften, die abgeschirmt auf fernen Inseln angesiedelt werden. Marx ist gerade umgekehrt ein Denker der Beschleunigung und Dynamik, der Nutzung der allermodernsten Produktivkräfte, die die alte Welt in Trümmer legen.

Aber die zeitgenössischen Utopien sind auch egalitär und strenge Erziehungsregime. Sind da nicht mehr Ähnlichkeiten?

Nein. Marx stellt ja früh die Frage: Wer erzieht die Erzieher? Und Egalitarismus, Gleichmacherei ist ihm ein Horror. Sozialismus ist bei ihm eine strikt meritokratische Gesellschaft, in der persönliche, kooperative Leistung zählen, nicht Besitz und Herkunft. Und der vage umrissene Kommunismus wäre erst recht eine Gesellschaft, in der, gerade weil für alle genug da ist, die Unterschiede der individuellen Interessen erst richtig zur Geltung kommen.

So wie es Ilja Ehrenburg im Gespräch mit Sartre sagte: Die Tragödie der Menschheit beginnt, wenn der Kommunismus gesiegt hat.

Das Zitat kenne ich nicht, aber damit wäre er näher an Marx als die meisten Marxisten. Der Kommunismus als Ende der Geschichte im Sinne Hegels ist jedenfalls ein Missverständnis. Für Marx markiert er den Beginn einer nicht mehr von unversöhnlichen Widersprüchen zerrissenen, neuen Entwicklung. Dem Begriff Kommunismus hat er nach 1850 kaum noch verwendet.

Marx und Engels hielten es für keinen Schaden, wenn „reaktionäre Völker“ von der Bildfläche verschwinden. Beide frönten einem rüden Begriff von Fortschritt, für den kein Opfer zu groß ist.

Schon wahr. Aber der kapitalistische Fortschritt selbst produzierte im 19. Jahrhundert ja die ungeheuerlichsten Opfer. Das hat Marx nicht erfunden, sondern leidenschaftlich verurteilt und gleichzeitig kühl analysiert. Die britische Kolonialherrschaft in Indien zum Beispiel hat er als Inbegriff eines Fortschritts angeprangert, der wie ein heidnischer Götze seinen Nektar aus den Schädeln der Erschlagenen trinkt – und hat ihn gleichzeitig als die erste echte Revolution in der indischen Kasten-Gesellschaft bezeichnet, die einen Weg in die Zukunft eröffnen wird.

Steckt in diesem Zivilisationsenthusiasmus ein totalitärer Kern?

File:KarlMarxEnglish.png

Ja, wenn einem Marx unheimlich ist, dann weniger als kommunistischer Revolutionär denn als ein betont westlicher Entwicklungsfanatiker.

Leszek Kolakowski meinte, dass Aggression und Geschlechtlichkeit, Körper, Krankheit und Tod im Marx ’schen Denken keine Rolle spielen. Das Humane scheint unendlich formbar. Verbirgt sich darin etwas Repressives?

Vielleicht. Aber die etwas aseptische Idee einer unendlichen Optimierung des Humanen war kein Alleinstellungsmerkmal der Sozialisten, sondern bei allen säkularen Strömungen dieser Zeit verbreitet. Ich finde das Bild einer befreiten Gesellschaft bei Marx auch gar nicht besonders extravagant. Es sollen halt keine Menschen mehr auf Kosten anderer leben. Und es soll eine Gesellschaft sein, worin „die freie Entfaltung eines Jeden die Bedingung der freien Entfaltung Aller“ wäre. Das betrifft an ganz vorderer Stelle auch die Aufhebung der tief eingewurzelten Arbeitsteilungen zwischen Mann und Frau – im Sinne der Herausarbeitung ihrer geschlechtsspezifischen Individualitäten, nicht eines Gendermainstreaming.

Nutzt es 2017 etwas, das „Kommunistische Manifest“ zu lesen? Oder ist das nur ein historisches Dokument?

Quelle   :    TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle   :

German Historian Gerd Koenen (left) links with Timothy Snyder (right) on a panel in March 2016

Statues of Karl Marx and Friedrich Engels – Berlin

Source Own work
Author Yves Tennevin

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English: Karl Marx, The Prophet
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DL – Tagesticker 01.10.17

Erstellt von Redaktion am 1. Oktober 2017

Direkt eingeflogen mit unseren  Hubschrappschrap

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Wird Bayern als Nächstes folgen ?

Referendum in Katalonien 

1.) Tag der Entscheidung

Ein Ziel haben Kataloniens Separatisten mit ihrem illegalen Abspaltungs-Referendum schon erreicht: internationale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Bis vor wenigen Wochen war die katalanische Unabhängigkeitsbewegung außerhalb Spaniens hauptsächlich Insidern ein Begriff. Nun macht die kleine, reiche Region am Nordostrand der iberischen Halbinsel weltweit Schlagzeilen. Diesen Sonntag ist Showdown angesagt. Die separatistische Regionalregierung unter Carles Puigdemont hat mehr als fünf Millionen Katalanen aufgerufen, für oder gegen die Scheidung von Spanien zu votieren. Die spanische Zentralregierung von Premierminister Mariano Rajoy und die spanische Justiz wollen die verfassungswidrige Abstimmung mit aller Macht verhindern.

Spiegel-Online

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Vergiftungen durch die Industrie VW – Eier -usw. ziehen kaum Verhaftungen nach sich, ob wohl sie mehr Schäden verursachen ! Alles Politik ? Wo bleiben die Schreie des Minderheiten Schlägers, den Giftzwerg von der Saar und seiner Mamsell?

Lebensmittel

2.) Mutmaßlicher Gift-Erpresser aus
Baden-Württemberg legt Geständnis ab

Der mutmaßliche Gift-Erpresser aus Baden-Württemberg hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe gestanden. Darüberhinaus habe der 53-Jährige am Samstag vor dem Haftrichter ausgesagt, keine weiteren vergifteten Lebensmittel in den Handel gebracht zu haben, teilten die Polizei in Konstanz und die Staatsanwaltschaft Ravensburg am Abend in einer gemeinsamen Erklärung mit. Gegen den am Freitag festgenommenen Mann wurde Haftbefehl erlassen.

Die Welt

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Und immer wieder kreist die Rede um die Staatsräson. Was anders ist der Staat, als ein Haufen Machtbesessener, welche sich Politiker nennen, denen es gelungen ist, sich nach oben zu schleimen, boxen, oder zu manipulieren. Laut Grundgesetzt nur auf Zeit. Wer ist Lindner?

Kühne These :

3.) Lindner gibt Schulz noch vier Wochen als SPD-Chef

Lindner äußerte ein weiteres Mal sein Unverständnis darüber, dass die SPD nicht für eine Regierungskoalition zur Verfügung steht und auf jeden Fall in die Opposition gehen will. „Die SPD ist vom Wähler klein gemacht worden. Mit den letzten Aussagen von Martin Schulz hat sie sich weiter verzwergt. Eine Partei, die von sich aus jede Gestaltungsoption ausschließt, lässt ihre Wähler alleine“, sagte er. Er habe die SPD immer hoch geschätzt, weil sie seit 1919 stets das Staatswohl über Parteiinteressen gestellt habe. „Martin Schulz hat die Traditionslinie gebrochen“, bilanzierte Lindner.

FAZ

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Wochenrückblick zur Bundestagswahl

4.) Der ratlose Aufbruch nach dem Beben

Die Frau von der Verwaltung lässt den Finger über ihre lange Namensliste gleiten. „Ham’wa jetzt alle?“, fragt sie ihre Nachbarin. Die schaut auf ihre Liste auf dem nüchternen weißen Resopaltisch: Nee, bei mir fehlen noch ein paar. Das passiert aber auch jedes Mal, wenn die Neulinge im Bundestag noch nicht wissen, wo es das Starter-Paket abzuholen gibt mit den ersten Handreichungen fürs Abgeordneten-Dasein. Durch die Glasfront hinter dem Resopaltisch sieht man die Deutschlandfahne auf dem Nordwestturm des Reichstags träge im Wind schwingen.

Der Tagesspiegel

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Sehen wir  nicht das ideale Spiegelbild der politischen Akteure? Wie schon unter 3 beschrieben. Alles der gleiche Dreck. Leute welche nie etwas für die Gesellschaft geleistet haben lehnen sich  aus den Fenstern, um denen Unten zu zeigen, wie gut sich auf Kosten Anderer leben lässt ?

Altbundeskanzler

5.) „Der ist völlig deppert, der Kerl“

Politiker aus den verschiedensten Parteien kritisieren Gerhard Schröders Entscheidung, Aufsichtsratschef beim russischen Ölkonzern Rosneft zu werden. Rosneft ist ein politisch umstrittenes Unternehmen, das seit der Annexion der Krim-Halbinsel auf den Sanktionslisten der EU und der USA steht.

Sueddeutsche-Zeitung

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Wie die Herrin, so ihr Geschirr ?

Rechstextremismus

6.) Mehr Verdachtsfälle in der Bundeswehr

Bei der Bundeswehr gibt es einen deutlichen Anstieg von Ermittlungen wegen des Verdachts auf Rechtsextremismus. Aktuell untersucht der Militärische Abschirmdienst (MAD) 391 rechtsextreme Verdachtsfälle bei der Truppe. Allein in diesem Jahr kamen 286 neue Fälle hinzu – gegenüber 266 neuen Fällen im gesamten Jahr 2016.Drei Personen wurden aus dem Dienst entlassen, darunter der terrorverdächtige Offizier Franco A., durch dessen Enttarnung und Verhaftung im April dieses Jahres die Diskussion über Rechtsextremismus in der Bundeswehr belebt wurde.

FR

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7.) Nazis, das sind wir doch alle
eine Kolumne von Diana Kinnert

Es ist ein Dienstagabend in der Reichshauptstadt, liebe Teens von Zeit Hitlerjugend, als ich, seit zehn Jahren bescheuert, dazu ansetze, Euch diese Zeilen zusammenzuschmieren. Denn die Zeiten sind verwirrend geworden: Heterosexuelle, die schwul feiern gehen, weil sie halt nun mal schlicht weniger rülpsen, diese lieben Schwulis; linke Antisemiten, die dazu auch noch wagen, transsexuell zu sein (häh, fragt Ihr mit Recht, hatten wir die nicht schon längst aus dem Unterricht gemobbt?)

Titanic

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Hinweise und Anregungen nehmen wir gerne entgegen

Treu unserem Motto: Es gibt keine schlechte Presse, sondern nur unkritische Leser

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Grafikquelle: DL / privat – Wikimedia Commons – cc-by-sa-3.0

 

 

 

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