Erstellt von Redaktion am 26. September 2016
Direkt eingeflogen mit unseren Hubschrappschrap
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Flüchtling transportiert
1.) Linken-Abgeordneter soll Immunität verlieren
Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Immunität des Linken-Politikers Diether Dehm aufzuheben. Er hatte einen minderjährigen Flüchtling zu dessen Vater nach Deutschland gebracht.
Die Staatsanwaltschaft hat die Aufhebung der Immunität des Bundestagsabgeordneten Dieter Dehm (Die Linke) beantragt. Ihm werde offenbar die Beihilfe zur illegalen Einreise vorgeworfen, sagte Dehm der „tageszeitung“. Dehm hatte kürzlich Medienberichte bestätigt, wonach er im August einen minderjährigen Flüchtling von Italien zu dessen Vater nach Deutschland gebracht hatte.
Als Abgeordneter ist Dehm vor Strafverfolgung geschützt. Über die Aufhebung seiner Immunität entscheidet der Bundestag. Dehm sieht den Antrag auf Aufhebung seiner Immunität gelassen. „Ich war mit mir im Reinen und bin es auch jetzt“, sagte er der taz. Alles weitere regele sein Anwalt. Zu seinem juristischen Vertreter ernannte er den CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler, den er als seinen „guten Freund und Blutsbruder“ bezeichnete.
FAZ
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2.) Der Union und der FDP fehlen intellektuelle Köpfe
Die CDU verliert Wahlen, die CSU kämpft um die Stammtische. Die Flüchtlingskrise bringt ideologische Töne in die Politik zurück – aber kaum jemand aus der Union kann überzeugend dagegenhalten.
Wahlen sind Wettbewerb. Der Marktplatz der Meinungen ist auch eine Marktwirtschaft, und in der zeigt die Partei Ludwig Erhards gerade eine denkwürdig schlechte Performance. Die Union verliert, wo sie verlieren kann, und sie verliert so, dass es wehtut. Zur Schmerzlinderung hat die Kanzlerin persönliche Worte gefunden. Angela Merkel machte deutlich, dass sie ahnt, welches Beben ihre Entscheidungen des vergangenen Jahres ausgelöst haben.
Ihr Wirken in der Flüchtlingskrise versteht sie weiterhin als „notwendig“. Ihr Zuversichtsmotto (das hier nicht mehr genannt werden muss) aber bedauert sie ein wenig. Zumindest leisen Applaus gab es dafür von der bayerischen Schwesterpartei, die aber nicht aufhört, den Dissens in der Realpolitik zum ideologischen Konflikt wuchern zu lassen.
Das Hauen und Stechen im bürgerlichen Lager hat längst eine sektiererische Note bekommen, wie sie einige ältere Leser vielleicht noch von den Ultralinken nach 1968 erinnern und jüngere von einem Monty-Python-Klassiker. Während sich die Linke von der SPD über die Grünen bis zu den ganz echten Linken nach den Wahlen im Land Berlin leise und professionell auf eine rot-rot-grüne Koalition vorbereitet, hört der Streit unter den Bürgerlichen nicht auf.
Die Welt
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3.) Linke: „Die Lage ist ernst“
Wundenlecken bei den Linken nach der Wahlniederlage am 4. September. Die Partei hatte ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern mit nur 13,2 Prozent eingefahren. Der außerordentliche Parteitag am Sonnabend in Güstrow sollte die Ursachen analysieren und begann gleich mit einem Paukenschlag. Landesvorsitzende Heidrun Bluhm stellte den 93 Delegierten die Vertrauensfrage. „Ich als Vorsitzende dieser Partei trage die Hauptverantwortung für dieses Wahlergebnis, das uns alle schmerzt“, sagte sie in ihrer Rede und forderte ein Vertrauensvotum.
In geheimer Abstimmung sagten 68 Delegierte ihr die weitere Unterstützung zu, 21 stimmten gegen die 58-jährige Schwerinerin, vier enthielten sich der Stimme. Die Vorsitzende hatte zuvor erklärt, nur noch bis zur nächsten Vorstandswahl im Herbst 2017 im Amt bleiben zu wollen.
Zuvor hatte sie erklärt: „Ein ,Weiter so‘ wird es ganz sicher nicht geben.“ Die Lage sei „ernst, aber noch nicht existenzbedrohend“.
Helmut Holter, Fraktionschef der Linken im Landtag, übte scharfe Kritik an seiner Partei. Es sei nicht gelungen, die eigene Basis ausreichend für den Wahlkampf zu mobilisieren. Er bemängelte zudem inhaltliche Defizite. Auf Fragen des Strukturwandels in ländlichen Regionen und auf die demografische Entwicklung im Land habe die Linke derzeit keine ausreichenden Antworten. Der 63-Jährige bekräftigte, dass er in der kommenden Legislaturperiode wieder als Fraktionsvorsitzender zur Verfügung stehe. „Bei schwerer See verlässt ein Kapitän nicht die Brücke, er bringt das Schiff in ruhige Fahrwasser.“ Holter weiter: „Wenn das geschafft ist, werde ich gehen.“
Kommentar: Clevere Dramaturgie |
Parteitage haben ihre eigene Dramaturgie. In Güstrow beim Parteitag der Linken lag die Dramaturgie ganz in den Händen der Parteiführung um Heidrun Bluhm und Helmut Holter. Kritikern wurde gleich zu Beginn der Wind aus den Segeln genommen. Ohne Umschweife und in einer guten Analyse nannten Bluhm und Holter die Ursachen für die Wahlniederlage: Schwaches Profil, sinkende Mobilisierungsfähigkeit, fehlende Antworten auf Fragen in einer modernen Gesellschaft. Als die Parteichefin dann die Vertrauensfrage stellte und die Abstimmung mit 73 Prozent gewann, war der von manchem prophezeite Aufstand beendet, bevor er überhaupt begonnen hatte. Die Einheit der Partei ist gewahrt, aber die erwähnten Probleme sind damit nicht behoben. |
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4.) „AfD-Wählern mit Liebe entgegnen“
Nach der Demo gegen TTIP und CETA in Berlin am Samstag, dem 17. September, trafen sich im Astra Kulturhaus Yanis Varoufakis, ehemaliger griechischer Finanzminister und DiEM25-Mitbegründer, die Linken-Vorsitzende Katja Kipping und der Berliner Linken-Chef Klaus Lederer zu einem Gespräch zur Zukunft Europas. Die als Podiumsdiskussion getarnte, recht unterhaltsame Werbeveranstaltung für DiEM25 einerseits und Wahlkampfveranstaltung für Lederer andererseits handelte letztendlich von linken Projektionsflächen, Internationalismus und (natürlich) dem Umgang mit der AfD und vielen ihr zugewandten enttäuschten Wähler*Innen.
Varoufakis war sowieso später am Abend auf dem Berliner Literaturfestival zur Vorstellung seines neue Buches “Das Euro-Paradox”. Lederer war eh noch im Wahlkampfmodus. Und Kipping und Varoufakis mögen sich sowieso. Warum also nicht noch schnell ein Stündchen Podiumsdiskussion unter Freunden, bei dem jeder vom Name des anderen etwas profitieren kann und man sich gemeinsam für die jeweils eigenen Kämpfe den Rücken stärkt? Zuvor fand in der Hauptstadt die von vielen Organisationen unterstützte Großdemonstration gegen die von der Bundesregierung vorangetriebenen Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA statt.
Gleich zu Beginn wurde klar gemacht, dass die offene Fragerunde dem straffen Zeitplan von Varoufakis zum Opfer fällt. Anstatt von Publikumsfragen am Ende, gab es eine Eröffnungsrede, mit der üblichen souveränen und routinierten Rhetorik eines Varoufakis, der schon auf einigen Rednerbühnen in den letzten Jahren gestanden hat. Wir würden ein postmodernes 1930 erleben, Wirtschaftskrise, niedrigste Zinsraten, Aufstieg von Nationalismus und rechten Parteien – was für die meisten nicht viel Neues dargestellt haben wird. Ein einsamer “Die Linke”-Heliumballon segelt sanft Richtung Decke und bleibt oben hängen, wohl noch von der Demo. Der Saal, inzwischen gut besetzt, das Publikum ist gemischt bis mittelalt. Die älteren Frauen und Herren im Publikum tragen Kopfhörer für die Simultanübersetzung.
Nach anfänglichem Warmreden wird die Frage aufgeworfen, wie es dazu komme, dass Linke sich so regelmäßig an Projektionsflächen für ihre Hoffnungen klammerten, die dann entsprechend schnell wieder fallen gelassen und ersetzt würden? Die Liste sei lang: von Syriza und Varoufakis, über Podemos, Jeremy Corbyn, Bernie Sanders… Lederer präzisiert den Begriff der Projektionsflächen: “Entschuldigen Sie mich, aber als schwuler Mann kann ich das ja schon mal sagen: linke Wichsvorlagen.” Trotz des verständlichen Gelächters im Saal, führt Lederer weiter aus, dass dieses Festhalten am verlorenen Subjekt davon ablenke, sich mit den konkreten Problemen vor der eigenen Tür zu beschäftigen: zu niedrige Renten oder steigenden Mieten. Man müsse den Menschen das Gefühl geben, so Lederer weiter, dass sie aktiv Politik mitgestalten können und nicht nur Schachfiguren seien. “Normale” Fragen müssen Thema im linken Diskurs sein – ein Bürger interessiere sich nicht für Internationalismus. Moralische Appelle seien bei AfD-Wählern verlorene Worte, das komme nicht an.
Daraufhin erzählt Lederer von Didier Eribons “Rückkehr nach Reims”. Darin werde autobiographisch beschrieben, wie Eribon als schwuler Autor und Philosoph in seine Heimatstadt im Nordosten Frankreichs zurückkehrt. Seine Familie hätte, als Teil des Arbeitermilieus und starker Identifikation mit diesem seit jeher die Parti communiste français gewählt. Nun stellt er fest, dass diese zum Front National gewechselt sei. Diese Entwicklungen und Vorgänge in den Menschen müsse man verstehen und ernst nehmen, so Lederer. Wie kommt es, dass Arbeiter die Linke nicht mehr als ihre Interessenvertretung wahrnimmt? Kipping schloss sich diesen Gedanken an und witzelte, dass man anscheinend die gleiche Sommerlektüre gehabt habe. (Anmerkung: Das Buch ist gerade als deutsche Übersetzung herausgekommen, in Frankreich schon 2006 erschienen. Auch Bernd Riexinger erwähnt Eribon in seinem Beitrag für die Wochenzeitung Kontext von letzter Woche. Bei Suhrkamp gibt es derzeit Lieferengpässe).
Freiheitsliebe
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5.) EU-Verträge ändern oder brechen?
Linksfraktion diskutierte über Strategien gegen das neoliberale Staatenbündnis. Jean-Luc Mélenchon bringt Austritt ins Spiel
Am vergangenen Freitag veranstaltete die Fraktion der Partei Die Linke im Bundestag unter dem Motto »Krise der EU – Zeit für einen linken Neustart« eine Konferenz in Berlin. In fünf Gesprächsrunden wurde auf die Bereiche Außenpolitik, Herrschaftssicherung und Wirtschaftsordnung der Europäischen Union eingegangen.
Der Parteivorsitzende Bernd Riexinger verwies auf die Ausrichtung der EU auf den Konkurrenzkampf untereinander. »Die Wettbewerbslogik muss grundsätzlich kritisiert werden, sie kann nicht als Grundlage einer europäischen Einigung akzeptiert werden.« Gerade die Bundesrepublik benutze jedoch den Staatenbund, um ihre Exporte in die Höhe zu treiben. »Aber unsere Überschüsse sind die Schulden der anderen«, sagte Riexinger. Peter Wahl, Vorstandsvorsitzender der Organisation »Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung« (WEED), erklärte noch grundsätzlicher: »Die EU ist wirtschaftspolitisch nicht neutral, der Neoliberalismus ist in ihren grundlegenden Verträgen verankert.« Dem widersprach niemand.
Bereits vor einem dreiviertel Jahr hatte die Linksfraktion zum »Europatag« geladen (siehe jW vom 22. Dezember 2015). Weit auseinander gingen die Vorschläge, wie der »Neustart« aussehen könnte, auch dieses Mal. Im wesentlichen zeichneten sich in den Statements der gut zwei Dutzend eingeladenen Politiker zwei Linien ab. Der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi führte in seinem Einstiegsreferat aus, dass er »strikt gegen die Zerstörung« der EU sei. Denn das Staatenbündnis habe zumindest unter seinen Mitgliedern den Frieden erhalten. Er wolle, so Gysi, nicht »zurück zum Pickelhaubenstaat«. Die Europäische Union drohe aber, an sich selbst zu scheitern. Daran seien auch die grundlegenden EU-Verträge schuld. Diese müssten geändert werden. »Anders geht es nicht«, sagte Gysi. Wie das geschehen könnte, führte er nicht aus. Vertragsänderungen müssen sämtliche Mitgliedsstaaten zustimmen. Linke Mehrheiten gibt es in den wenigsten der Länder.
Der Kovorsitzende der Bundestagsfraktion Dietmar Bartsch warb für eine Beteiligung der Linkspartei an der Bundesregierung. Im von ihm gehaltenen Schlusswort sagte er: »Unsere Aufgabe ist es, dass wir den Politikwechsel in der Bundesrepublik hinkriegen – damit Griechenland nicht leidet, damit Portugal nicht leidet.« Wahl hielt ihm entgegen: »Wie soll das denn mit Polen, Ungarn oder der Tschechischen Republik vereinbart werden?« Er halte diese Strategie für »reines Wunschdenken«. Auch Wahl sprach sich für einen Verbleib in der EU aus, schlug aber einen »Bruch mit den Verträgen« vor. Diese sollten, wo es nötig sei, einfach ignoriert werden. Möglich sei dabei eine Zusammenarbeit mit einer Minderheit der Mitgliedsstaaten. Allerdings blieb die Frage offen, was die restlichen EU-Staaten daran hindern sollte, ein solches »linkes Regelbrechen« zu sanktionieren.
Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen erklärte, Die Linke solle sich nicht zum Retter der EU aufspielen, sondern lieber Sand in deren Getriebe streuen. Sahra Wagenknecht, Kovorsitzende der Bundestagsfraktion, verwarf die Idee eines europäischen Bundesstaats. Unter den jetzigen Bedingungen sei es wichtiger, den einzelnen Staaten wieder mehr Bedeutung zukommen zu lassen. »Jedes Land muss die Möglichkeit haben, in einer linken Regierung auch linke Politik zu machen«, so Wagenknecht. In einem Bundesstaat sei das deutlich schwieriger. Für einen Austritt aus der EU sprach aber auch sie sich nicht aus. Das zog nur einer in Betracht: Jean-Luc Mélenchon, Präsidentschaftskandidat des französischen Parti de Gauche. Er sagte: »Entweder wir verändern die EU, oder wir gehen raus. Die Souveränität der Völker ist das höchste Gut.«
Junge Welt
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