MEDIZIN – Impfen spaltet
Erstellt von Redaktion am 22. März 2015
Die 100.000-Euro-Frage
AUS LANGENARGEN, BERLIN UND MÜNCHEN LENA MÜSSIGMANN, HEIKE HAARHOFF UND LISA SCHNELL
Impfen spaltet. Es gibt nicht mal Viren, sagen prominente Impfgegner wie Stefan Lanka und wetten, dass der Gegenbeweis nicht gelingt. Für ihre Haltung in Masernfragen ist unsere Gesundheitsredakteurin von vielen Leserinnen hart angegriffen worden. Wir haben einige der schärfsten Kritiker getroffen
Am Tag zuvor noch hatte das Landgericht Ravensburg festgestellt, dass es die Masern gibt. Stefan Lanka muss deswegen 100.000 Euro zahlen. An diesem Freitagabend nun ist er in Langenargen am Bodensee zurück und bestreitet es schon wieder.
Ein kleiner Ort zwischen Friedrichshafen und Lindau. Mit Feriendorf und Privatpensionen für Urlauber. Der See und die Nacht sind schon eins, schwarz. Im Restaurant trinken die Gäste Bier. Oben im zweiten Stock unterm Dach sitzen etwa 30 Leute in ein paar Stuhlreihen. Vorne steht Stefan Lanka, Dr. Stefan Lanka, im Licht des Projektors. Ein grünblauer Riesenvirus, gezeichnet und mit dem Beamer auf eine Leinwand geworfen, tanzt über seinen Körper, wenn er davor hin und her läuft.
Lanka ist Biologe. Und Virologe, sagt er. Man kann ihn wohl, ohne zu übertreiben, den größten Impfgegner Deutschlands nennen. Einen Virenleugner.
Er hat ein Buch geschrieben: „Impfen und AIDS: Der Neue Holocaust“, 218 Seiten. Kinder zu impfen sei unnötig. Denn krank machende Viren gebe es nicht, sagt er. Nicht bei Masern, nicht bei Ebola oder HIV. Alles erfunden und von Generationen von Medizinern nachgeplappert.
Lanka hält Seminare und Vorträge. Sein Werbespruch: „Lernen am schönen Bodensee. Einfach mehr wissen. Wissen vom Wissenschaftler.“ Eine Frau ist aus Hessen gekommen, um am schönen Bodensee zu lernen. Und ein Mann aus Nordrhein-Westfalen. Auch österreichischen Dialekt hört man an diesem Abend. Und vorne spricht Lanka über die Virusbeweisfrage, sein Lebensthema.
Er trägt ein weißes Hemd mit T-Shirt darunter, eine schwarze Hose und graues Haar. Lanka ist an die zwei Meter groß und 51 Jahre alt. Eine grobe Nasenfalte macht seinen Blick grimmig. Aber er spricht mit hoher Stimme. Wenn er etwas wichtig findet, zieht er die Augenbrauen nach oben. Er gibt sich als gütiger Lehrer, der jetzt mal die Wahrheit erklärt.
Im Publikum sitzen zwei Frauen, die ihre Kinder nicht geimpft haben; einer, der niemals Medikamente nehmen würde; einer, der zwei Jahre durch den Dschungel gerannt ist und nie Malaria hatte. Lanka sagt: „Von Suchenden werde ich wahrgenommen.“
Auf einer Website schrieb er 2011 ein Preisgeld aus: Es werde ausgezahlt, „wenn eine wissenschaftliche Publikation vorgelegt wird, in der die Existenz des Masernvirus nicht nur behauptet, sondern auch bewiesen und u. a. darin dessen Durchmesser bestimmt ist“.
Ein Arzt reichte mehrere Publikationen ein, die aus seiner Sicht den Nachweis lieferten. Doch Lanka zahlte das Preisgeld nicht. Der Arzt zog vor Gericht. Und bekam recht. Lanka will in Berufung gehen, nötigenfalls bis vor den Bundesgerichtshof.
Was für Viren?, fragt Lanka. Die Traumata seien schuld
Unterm Dach in Langenargen ist da nun also der grünliche Kloß auf der Leinwand. Ein Virus oder nicht? Natürlich nicht, sagt Lanka. Er hält das, was man als Viren bezeichnet, für körpereigene Partikel. Er hat diese Erkenntnis erstmals Ende der 90er Jahre, und sie führt zu Fragen: Warum werden die Menschen dann krank? Wo kommt etwa der typische Hautausschlag bei Masern her?
Lanka wird fündig in der sogenannten neuen germanischen Medizin. Demnach entstehen Krankheiten durch Traumata. Masern kämen von einem Trennungstrauma. Flüchtlingskinder hätten das, sagt Lanka. In Flüchtlingsunterkünften sind die Masern in Berlin zuerst ausgebrochen. Auch in Kitas litten Kinder zunächst heftig unter der Trennung von den Eltern. Und wenn in einer Schulklasse gleich mehrere Kinder erkranken? „Wenn man richtig hinschaut, ist da wahrscheinlich eine beliebte Lehrerin weggegangen“, sagt Lanka. Ansteckungsgefahr? „Nein, gar nicht.“
Erfinder der „neuen germanischen Medizin“ ist Ryke Geerd Hamer, den Lanka an diesem Abend so selbstverständlich zitiert, als müsse man ihn kennen. Hamer ist ein Arzt, dem 1986 die Approbation entzogen wurde. 1997 wurde er verurteilt, weil er mehreren krebskranken Menschen von einer schulmedizinischen Behandlung abgeraten und ihnen die Lösung eines Beziehungskonflikts nahegelegt hatte, um gesund zu werden. Sie sind gestorben. Hamer ist Antisemit. Er sagt, die Juden wollten die Nichtjuden ausrotten. Lanka findet schlimm, dass Hamer zum „primitiven Judenhasser“ geworden sei, dessen Ideen verbreitet er aber weiter.
Vor der Leinwand streckt Stefan Lanka immer wieder den Arm aus und zeigt, was man jetzt lesen soll: die Wahrheit. Sie wackelt, wenn er mit dem Finger gegen die Leinwand tippt.
Lanka sagt, die erste Aufgabe der Wissenschaft sei es, Wahrheiten anzuzweifeln. „Ich habe Respekt vor jedem Mediziner. Die müssen viel lernen. Aber sie übernehmen Konzepte und denken nicht darüber nach“, sagt er. Er hält sich für den besseren Wissenschaftler. Lanka ist an kein Institut, an keine Universität angekoppelt. Seine letzte wissenschaftliche Publikation stammt von 1995. Danach sei er knapp zwei Jahre „in der Medizin“ beschäftigt gewesen, wo, will er nicht preisgeben. Bis heute forsche er: „Ich habe ein leistungsfähiges Mikroskop zu Hause.“ Zu klinischer Erfahrung komme er, weil es Ärzte gebe, die seine Ratschläge befolgten, behauptet er.
Nach dem Vortrag dürfen die Besucher Fragen stellen. Woran ist das Kind in Berlin gestorben, wenn es keinen Masernvirus gibt? „Das war ein ärztlicher Kunstfehler“, sagt Lanka. Das Kind sei trotz bestehenden Herzdefekts geimpft worden. Das habe der kleine Körper nicht verkraftet. Diese Behauptung stellt ein Heilpraktiker aus Ellwangen im Internet auf. Lanka baut sie in sein Gedankengebäude ein.
Und was ist mit Ebola? „Die meisten Leute sind an Durchfall gestorben, weil sie Toxine in verdorbenen Speisen aufgenommen haben“, sagt Lanka. Die Frau aus Hessen im Publikum sagt: „Braucht man sich ja nicht zu wundern, sorry.“ Sie schwört auf „eine schöne Ernährung“, mit Frischkornbrei zum Frühstück.
Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen
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