Erstellt von Redaktion am 19. August 2012
10 Jahre Hartz IV – Armut per Gesetz
Am 16.08.2012 war es 10 Jahre her, als Peter Hartz in einer feierlichen Zeremonie dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder die in seiner Kommission ausgeheckten so genannten Hartz-Gesetze übergab. Diese Gesetze haben Deutschland verändert.
Schröder liberalisierte die Zeitarbeit, die heute dazu dient, Zwang auf Arbeitslose auszuüben, für einen Niedriglohn zu arbeiten, von dem kaum einer leben kann, geschweige denn eine Familie ernähren. Arbeitsmarktreformen wurden vorgenommen, in denen die Arbeitnehmer in ihren mühsam erkämpften Rechten eingeschränkt wurden und es besser ist, den Mund zu halten, wenn man denn eine Arbeitsstelle hat. Von allen, die eine Arbeit haben, wird die Alternative „Hartz IV“ gefürchtet.
Betroffene dürfen seit 1. Januar 2005, als die Gesetze in Kraft traten verhöhnt werden und haben nur das Nötigste, zu dem es auch kaum reicht.
Ein System organisierter sozialer Kälte und Herzlosigkeit wurde aufgebaut und alles unternommen, menschliche Werte in der Gesellschaft auszurotten. Es herrscht mittlerweile eine Ellenbogengesellschaft, in der die Schwächeren keine Chance mehr haben. Die viel gepriesene Chancengleichheit ist bald nur noch ein Fremdwort.
Ein reiches Land wie Deutschland hat gerade einmal für Kinder zwischen sechs und vierzehn Jahren 3,02 € am Tag übrig. Da darf sich keiner wundern, wenn es zu ernährungsbedingtem Minderwuchs bei diesen Kindern kommt. Ein Hund hat mehr zum Fressen. Aber diese Kinder und deren „faule“ Eltern sind ja angeblich selbst schuld an ihrer Arbeitslosigkeit. Schließlich haben wir in Deutschland mittlerweile wieder fast Vollbeschäftigung und die Arbeitslosenzahlen sind „gewaltig“ zurückgegangen.
Ist das wirklich so? Bei einer offiziellen Zahl im Juli 2012 von 2.875,971 Arbeitslosen und ca. 901.000 nicht mitgezählten, ergibt das schon gesamt 3.776,971 Menschen, die Arbeit suchen. Und was ist mit denen, die in Mini- und 400 €-Jobs untergebracht sind und gerne mehr arbeiten würden, wenn sie eine entsprechende Arbeitsstelle bekommen könnten? Zählt man diejenigen dazu, kommt man auf ca. 6.147 Millionen arbeitsuchende Menschen! Alle faul? Bei diesen Zahlen gab es im Juli 2012 499.847 offene Stellen! Darf da von „fast Vollbeschäftigung“ gesprochen werden? Zur Erinnerung: In den 70er-Jahren galt eine Arbeitslosigkeit von 1 Million schon als dramatisch.
Der Anteil der Menschen, die bei einem solchen „Überangebot“ keine Stelle finden werden durch die Jobcenter schikaniert, sanktioniert und diskriminiert. Da wird von Politikern behauptet, Hartz-IV-Betroffene würden nur Chips essen und Alkohol verkonsumieren, da muss man doch dagegen steuern. Das Ergebnis sind dann die so genannten „Bildungsgutscheine“, die ebenfalls nicht reichen, um ein Kind in einen Sportverein eintreten zu lassen. Die Lebensfreude wird diesen Kindern schon von klein auf genommen. Schließlich bekommen ja nur die „Dummen“ Kinder, die Gescheiten sterben langsam aus. Gute Bildung für Alle gibt es nicht mehr.
Helfen ist unerwünscht
Es gibt natürlich auch Großeltern, die gerne etwas für ihre Enkelkinder tun würden. Falls einem solchen Kind zum Geburtstag Geld überwiesen werden sollte, ist das keine gute Idee. Schließlich wird der Bedarfsgemeinschaft das überwiesene Geld als geldwerter Vorteil bei der nächsten Überweisung vom Amt wieder abgezogen. Nur Bares ist wahres – vorausgesetzt, das Kind verplappert sich nicht beim nächsten Besuch auf dem Amt.
Sicherlich gibt es aber da schon hochbezahlte Beamte, die sich darüber den Kopf zerbrechen, wie diese unkontrollierten Geldzuflüsse doch noch zu erfassen sind. Helfen ist in einer Gesellschaft sozialer Kälte nicht mehr willkommen.
Hartz hat Armut ansteckend gemacht
Eltern können ihre erwachsene Tochter und deren Kinder in der Not nicht mehr aufnehmen. Tun sie es doch und die Eltern haben noch einen guten Verdienst oder ein kleines Vermögen, müssen auch sie sich vor dem Amt „ausziehen“ und werden in die Bedarfsgemeinschaft der Tochter mitsamt Enkelkindern gesteckt – ob sie wollen oder nicht. Eine Bedarfsgemeinschaft macht innerfamiliären Beistand oder Hilfe aus dem Freundeskreis fast unmöglich. Gewähren Eltern oder Freunde also einem Arbeitslosen Unterkunft, sei es auch nur vorübergehend, sind diese guten Menschen schnell ebenfalls beim Amt registriert. Versuchen die Helfer aber zu tricksen, stehen sie unter Umständen mit einem Bein bald wegen Beihilfe zum Sozialbetrug im Gefängnis.
Hartz IV ist kein Honiglecken. Gerade einmal 13,88 € im Monat sind im Regelsatz für die Gesundheitspflege und ebenso viel für Bus- oder Bahnfahrten enthalten. Muss man zum Arzt bezahlt man 10 € Praxisgebühr und mindestens 5 € für ein Medikament. Viele Medikamente und Anwendungen müssen privat bezahlt werden. Was macht dann die Mutter, die ihre Tochter in der Not aufgenommen hat und in die Bedarfsgemeinschaft gezwängt wurde, wenn sie Medikamente benötigt, die sie sich vorher hätte kaufen können?
Thilo Sarrazin hat einmal behauptet: „Hartz-IV ist heute mehr als ein Fleischergehalt in den 50er Jahren“. Fragt man beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden nach ist der zum Zeitpunkt des Ausspruches gültige Regelsatz von 364 € mit ca. 160 D-Mark im Jahr 1955 gleichzusetzen. Ein Fleischergeselle verdiente zu diesem Zeitpunkt je nach Anzahl seiner Berufsjahre zwischen 242,50 und 356,33 D-Mark im Monat.
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
Viele Urteile wurden in Bezug zu Hartz-IVschon gefällt. Im Jahr 2011 sind über 170.000 Klagen eingereicht worden. Das zeigt das rechtliche Durcheinander, das in den SGB II-Gesetzen entstanden ist.
Ein sehr wichtiges Urteil ist das des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9.2.2010. In diesem Urteil wurde nicht nur der Regelsatz unter die Lupe genommen, sondern auch die Sanktionen. Das ist so gut wie unbekannt. Aber man darf sich darüber nicht wundern. Unsere Regierenden wollen natürlich nicht zugeben, dass sie Gesetze geschaffen haben, die gegen das Grundgesetz verstoßen.
In dem Urteil wurde betont, dass sich das Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus der Gewährleistungsgarantie der Menschenwürde nach Art. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 GG herleitet.
Der Staat ist dadurch verpflichtet, einem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendig sind.
Das Urteil stellt klar fest, dass jede Nichteinhaltung aller nicht abänderbaren Artikel des Grundgesetzes einen Gesetzesverstoß darstellt. Jede Sanktion der Jobcenter ist verfassungswidrig. Niemand darf somit die berechtigten Leistungsansprüche, die im Grundgesetz garantiert sind und als Existenzminimum festgesetzt wurden, kürzen oder gar ganz streichen.
Also, Jede/r, dem Kürzungen angedroht werden sollte sich sofort dagegen wehren, Widerspruch einlegen und gleichzeitig beim Sozialgericht eine „Anordnung auf aufschiebende Wirkung eines Verwaltungsaktes nach §86b SGG stellen“ und sich auf das Grundgesetz berufen. Das Grundgesetz steht über den SGB II-Gesetzen. Das wissen auch die Jobcenter. Dort wird jedoch mit der Unwissenheit der Betroffenen gerechnet.
Würde die Bundesregierung zugeben, dass sie mit dieser Gesetzgebung massenhaft gegen das Grundgesetz verstoßen hat, wären die maßgeblich beteiligten Parteien da nicht blamiert? Gleichzeitig würde das sehr viel Geld kosten und die Jobcenter könnten nicht mehr, um Geld einzusparen, die Arbeitslosen sanktionieren, was zur Zeit ja verstärkt betrieben wird.
Kosten von Hartz-IV
Die Ausgaben für Soziales sind hoch. Im Jahr 2011 gab die Bundesregierung rund 33 Milliarden Euro allein für Hartz IV aus. Dabei wird jeder 3. Euro für so genannte Aufstocker bezahlt, also für Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben können.
Durch die Hartz-Reformen wurde ein Niedriglohnsektor geschaffen, der den Staat nicht weniger kostet als die frühere Regelung mit Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Dabei hatten Arbeitslose mehr Geld zur Verfügung, was auch der Binnenwirtschaft zugute kam.
Nach einer Studie der OECD (2008) sind arbeitslose Deutsche finanziell nicht auf Rosen gebettet. Deutschland steht dabei im Vergleich zu 28 anderen Ländern auf Platz 14 was die Versorgung von alleinstehenden Langzeitarbeitslosen betrifft.
Wer sind die wirklichen Sozialschmarotzer?
Niedriglöhne, Minijobs und 400-€-Jobs haben dafür gesorgt, dass jeder 3. Arbeitnehmer, der sich „glücklich schätzen darf“, einen Arbeitsplatz zu haben, noch beim Jobcenter aufstocken muss. Darunter sind viele Menschen, die bei Leiharbeitsfirmen den ganzen Tag arbeiten, oft sogar länger als ihre regulär beschäftigten Kollegen.
Firmen haben ganze Abteilungen „outgesourct“, viele sogar ihre eigenen Zeitarbeitsunternehmen gegründet. Zeitarbeitnehmer sind billiger, als die Stammbelegschaft, die zu einem vernünftigen Lohn eingestellt ist. Man denke dabei nur an die Sozialabgaben und Lohnsteuern, an denen sich ein Arbeitgeber beteiligen muss.
Ganze Betriebe kürzten die Löhne, weil es ihnen angeblich schlecht ging. Sicherlich gab es auch solche, denen wirklich durch diese Politik das Wasser bis zum Halse stand und steht. Wenn der Lohn nicht mehr für die Familie reicht, gibt es ja noch das Jobcenter, das bereitwillig den Lohn aufstockt. Die armen Arbeitgeber nehmen diese Subvention die den Steuerzahler Milliarden kostet, gerne an.
Dafür sind die Aktien gestiegen – oft bekommen Aktionäre bis 25 % Ausschüttung nach einem Geschäftsjahr. Also ein lohnendes Geschäft. Dafür werden dann noch mehr Menschen entlassen, schließlich muss diese Rendite im nächsten Jahr wieder eingehalten werden. Arbeitnehmer werden nur noch als Kostenfaktor gesehen, der zu reduzieren ist.
Sicherlich gibt es auch unter den Arbeitslosen „Schmarotzer“. Allerdings bei höchstens 0,3 % eine verschwindend geringe Zahl. Arbeitgeber dagegen richten mit ihrem Verhalten einen großen Volkswirtschaftlichen Schaden an. Aber dieses Schmarotzertum werden immer weiter staatlich gefördert und trotz Millionen-Gewinnen werden viel zu wenig Steuern bezahlt. Im Gegensatz dazu wurden und werden Arbeitnehmerrechte Stück für Stück ausgehöhlt.
Zukunft unserer Renten
Ist es nicht eine Schande, dass ein reiches Land wie Deutschland nicht mehr ausreichend für seine Rentnerinnen und Rentner sorgen kann? In der neuerlichen von Frau von der Leyen vorgeschlagenen Mogelpackung, wonach es unter bestimmten Voraussetzungen eine Rente von bis zu 850 € Rente geben soll, wird die Arroganz deutlich, mit der das deutsche Volk regiert wird.
Bei einer solchen Arbeitsmarktpolitik, wie sie derzeit vorherrschend ist, ist es mit Sicherheit für kaum jemanden möglich, 30 Jahre lang zu arbeiten. Vorher wird er immer wieder arbeitslos, was die Chancen eine solche Mindestrente zu bekommen sehr schmälern dürfte.
Arbeitslose und Geringverdiener können sich eine solche Zusatzausgabe nicht leisten. Frau von der Leyen verschweigt aber in der Öffentlichkeit, dass bei dieser Rente ebenfalls die Bedarfsgemeinschaften mit eingerechnet werden.
Fazit
Am 16.08.2012, also zum 10-jährigen Entstehungstag von Hartz IV hörte man in vielen Nachrichtensendern eine Lobeshymne für diese menschenverachtenden Gesetze. Sogar Müntefering wurde dazu wieder aus der Versenkung geholt und lobte Hartz IV über den grünen Klee. Alles wäre so toll und Deutschland dadurch wieder wettbewerbsfähig und nun auch wieder zum Exportweltmeister avanciert.
Ein kritischer Kommentar wäre hier offensichtlich fehl am Platze gewesen. So wurde weder über die seither stark gestiegene Staatsverschuldung gesprochen noch über die Tatsache, dass das deutsche Volk von solchen Exportweltmeistertiteln wenig Nutzen hat. Als „Binnenmarktweltmeister“ aber wesentlich besser dastehen würde. Wäre das nicht eine Politik für Alle?
Was kommt noch alles auf uns zu, wenn der Fiskalpakt und der ESM nicht durch das Verfassungsgericht abgeschmettert wird? Am Beispiel von Griechenland und Spanien sehen wir die Auswirkungen der Politik von Frau Merkel und Konsorten. In diesen Ländern ist die Arbeitslosigkeit durch die Sparpolitik derart stark gestiegen, dass viele Menschen ihre Wohnungen verlieren und in der Obdachlosigkeit landen. Nicht wenige davon gehörten in der Vergangenheit dem Mittelstand an.
Ist das nicht ein Krieg gegen die Bevölkerung? Durch die unverantwortliche und kurzsichtige Politik haben viele Menschen in Europa keine Sicherheit mehr und junge Menschen können für sich keine Zukunft mehr planen. Die heutige Politik ist ein Abstieg in vergangene Jahrhunderte. Ein „Vorwärts“ gibt es bislang nur für die Wirtschaft.
So fordert die SPD zusammen mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und anderen Organisationen eine höhere Besteuerung von Reichen und Spitzenverdienern. Auf der anderen Seite stimmte die SPD – natürlich auch die Grünen – bei der Abstimmung im Bundestag für den Fiskalpakt. Hätten sie da nicht Forderungen aufstellen müssen, anstatt sich mit leeren Versprechungen der Regierungsparteien zufrieden zu geben? Die Doppelzüngigkeit dieser Politiker ist unübersehbar.
Mit einer eindeutigen Forderung, dass das Geld wieder von dort zurückgeholt werden muss, wo es hingeflossen ist, wäre Deutschland aber auch die anderen europäischen Länder die größten Sorgen los. Es gibt keine Ausgabenprobleme sondern ein Einnahmeproblem.
Mit den Hartz-Gesetzen versprachen Peter Hartz und Gerhard Schröder die Arbeitslosenzahlen um die Hälfte zu reduzieren. Vollmundige Versprechen, die nicht eingehalten wurden. Außer einem Rückgang der Konjunktur und den Nachwuchsmangel, weil Firmen jahrelang nicht mehr ausbilden wollten, kam kaum Positives dabei heraus. Was also hat Hartz IV im Kampf gegen Arbeitslosigkeit gebracht? Und wo bleibt der Aufschrei der Sozialverbände?
Peter Hartz, der Star vor 10 Jahren, ehemaliger Vorstand bei VW, Politikberater, ehrenhalber Doktor und Professor sowie Träger des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse. Nach 2007 zog er sich unfreiwillig ins Saarland zurück,nachdem er in der VW-Korruptionsaffäre zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Dort hat der mittlerweile 71-jährige eine Stiftung gegründet und arbeitet weiter an Ideen, Arbeitslose zurück in den Job zu bringen.
Immer mehr Menschen durchschauen das Treiben der Politiker. Leider wurde jahrelang, oft durch Unwissenheit, aber auch durch Interesselosigkeit der Bevölkerung nichts unternommen.
Das alles hat mit Demokratie nichts mehr zu tun. Hier wird eine Oligarchie aus Banken, Versicherungen und dem Geldadel schlechthin aufgebaut.
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