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15 Tage im NATO Manöver

Erstellt von Redaktion am Sonntag 20. August 2017

In Bayern üben Nato-Soldaten den Krieg.

173rd Airborne Brigade Mission Rehearsal Exercise - sling load training with Bulgarian forces.jpg

Unsere Autorin war als Statistin dabei. Wer ist der Feind? Russland?

Aus Hohenfels Sascha Siegmund

Eine feindliche Armee ist in eine Stadt an der baye­risch-tschechischen Grenze eingefallen. Nato-Truppen sollen sie zurückdrängen. Meine Nachbarn und ich flüchten im Fahrzeugkonvoi. Straßensperren, verminte Wege – dabei meinte das Rote Kreuz doch, das sei eine sichere Route. In der nächsten Stadt sagt uns eine Frau vom UN-Flüchtlingshilfswerk, wir könnten dort nicht bleiben. Wir fahren zurück in unsere Stadt. Dort hören wir: Vier Menschen wurden von Nato-Kräften erschossen, während sie angeblich auf einer nicht freigegebenen Straße fuhren. Außerdem gab es einen Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft, 20 Tote. Steckt die rechtsradikale Vaterlandspartei dahinter? Wir versammeln uns zu einer Schweigeminute.

Eine Woche vorher: ein Sonntag, zehn Uhr abends am zentralen Omnibusbahnhof in Berlin. Zwei Busse der Firma Schmetterlingsreisen fahren vor, im Fenster ein handgemaltes Schild: „COB“ – Civilians on the Battlefield. Mit 100 Fremden steige ich ein, wir alle sind von da an COBs, Statisten in einem Kriegsszenario, das die US-Armee einüben will. 15 Tage auf dem Schlachtfeld liegen vor uns.

Ende März habe ich auf Face­book eine Stellenanzeige der Firma Optronic entdeckt: „Statisten gesucht für Rollenspiele bei Trainingseinsätzen der U.S. Army! Durch die Statisten wird die Zivilbevölkerung in Krisengebieten dargestellt. Dadurch wird ein realitätsnahes Übungsszenario für die Soldaten und somit eine optimale Vorbereitung für deren Auslands­mis­sio­nen erreicht.“ Das Ganze findet statt auf dem Truppenübungsplatz Hohenfels: ein 160 Quadratkilometer großes US-Militärgelände in der Oberpfalz, auf dem regelmäßig Nato-Truppen üben.

Für die Übung werden Leute gesucht, die neben Englisch auch Russisch, Polnisch oder Tschechisch sprechen. Erstaunlich, mit welcher Nonchalance Leute rekrutiert werden, um ein Szenario gegen Russland zu proben – davon stand da zwar nichts, aber in meinem Kopf setzte sich das sofort zusammen. Facebook-Freunde von mir kommentierten: „unglaublich!“ und „gruselig!“. Der russische Politiker Franz Klinzewitsch, der dem Verteidigungsausschuss des Föderationsrats vorsitzt, sagte russischen Medien: „Diese Übungen sind von großer Sprengkraft. Sie drängen Russland geradezu zu spontanen, unüberlegten Handlungen. Aber unsere Nerven sind stark.“

Ich fülle das elektronische Bewerberformular aus. Ein paar Wochen später ruft mich eine Frau mit russischem Akzent an und fragt, ob ich zu einer zweiwöchigen Übung kommen könne. Ich sage zu. Während der Übung möge ich keine kurzen Röcke tragen. „Die Soldaten sollen ja bei der Sache bleiben“, sagt sie lachend. „Natürlich“, antworte ich.

Combined Resolve IV 150521-A-FN852-004.jpg

Die Wiesen sind aufgerissen, umgepflügt von Panzern

Der Lohn: 88,40 Euro brutto für zehn Stunden Arbeit am Tag. Wer gegen Regeln verstößt oder früher abbricht, zahlt 150 Euro Strafe. Früher gab es 120 Euro pro Tag, erzählen mir altgediente Statisten.

In Parsberg in der Oberpfalz sammeln sich sechs Busse, in denen Statisten aus ganz Deutschland sitzen. Von hier aus sind es nur noch 15 Kilometer bis zum Truppenübungsplatz Hohenfels. Auf dem Parkplatz tummeln sich Rentner mit Wanderschuhen, Junge mit Dreads, viele Westafrikaner, Ruhrpottler, viele Neue, Abenteurer. Russisch hört man aus jeder Richtung kommend. Bekannte umarmen sich. In Hohenfels sind schon viele Freundschaften entstanden.

Telefone und Computer sind auf dem Übungsgelände verboten. Die Neulinge finden das attraktiv. Mal keine Mails, keine Anrufe. Mein nigerianischer Sitznachbar, der schon um die 50 Manöver hinter sich hat, findet das nicht mehr so attraktiv und flüstert mir, wie man sein Handy reinschmuggelt. Als die Briefumschläge verteilt werden, in die alle ihre Handys stecken, behalte ich meins. Der Gedanke, ein Geheimnis zu teilen, gefällt mir.

Wir durchfahren Tore, Schranken, dann kommen wir am Stützpunkt Albertshof an, eine Stadt aus gelben Baracken und Parkplätzen, auf denen Armeefahrzeuge stehen. Ab jetzt herrscht militärische Ordnung, auch für uns Zivilisten. In Reihen stellen wir unser Gepäck auf, Spürhunde riechen dran, mit farbigen Armbändchen teilt man uns einem der fünf Orte zu, die wir besiedeln werden. US-Amerikaner ins­pi­zieren unsere Pässe, nehmen Abdrücke aller fünf Finger und fotografieren jeden Einzelnen der 250 Statisten. In welchen Ländern ich in den letzten sieben Jahren gewesen sei, fragen sie. Und ob ich wisse, dass ich keine Details über meine Arbeit erzählen dürfe. Die Verschwiegenheitsvereinbarung habe ich schon unterschrieben.

Bei all dem Aufwand frage ich mich: Warum war es so leicht, den Job zu kriegen? Sind die Übung und die Suche nach Statisten nur Säbelrasseln?

Das Fake-Dorf, in dem ich mit 37 anderen Statisten wohnen soll, heißt Hasla. Mit dem Bus fahren wir über Schotterpisten durch die Natur. Hügel, Wald und Wiesen, die an manchen Stellen aufgerissen sind, umgepflügt von Panzern. Hasla sieht für mich nach Balkan aus: Baracken mit kleinen Fenstern und Mauern drumherum, zweistöckige Blocks mit Kioskbuden, ein Minarett mit Halbmond. Hier werden regelmäßig Einsätze in Afghanistan, Irak oder Kosovo trainiert.

Für unser Szenario wird eine Bayernfahne vor dem Rathaus gehisst. Es gibt ein Hotel, einen Biomarkt, eine Rapsölverarbeitung, einen Container, auf dem „Düngelager“ steht. Die Bretterverschläge am Hang sind Bauernhöfe, davor stehen Holzschablonen von Schafen und Hühnern. Ein Haus mit Kreuz dient als Kirche, darin Bänke, ein Altar und ein Sarg für Beerdigungen. Wir leben in einer Art Lagerhalle, in der sich drei fensterlose Schlafsäle mit Stockbetten, ein Versammlungsraum und die Büros der Chefs befinden.

In Hasla leben laut dem Szenario 10.000 Einwohner, Abwanderung ließ die Stadt kleiner werden. Die meisten arbeiten in der Landwirtschaft und der Lebensmittelverarbeitung, Hasla ist ein Logistikdrehkreuz. Seit Beginn der Skolkan-Krise leidet die Wirtschaft unter Treibstoffmangel, viele Flüchtlinge aus Osteuropa kommen, die aus Nordafrika sind schon länger da, viele von ihnen leben auf der Straße. Die samstäglichen Demos der deutschen Vaterlandspartei arten regelmäßig zu gewalttätigen Mobs aus. Die Polizei steht im Verdacht, nicht genügend gegen die rechten Brandstifter zu tun, ihr wird Racial Profiling vorgeworfen. Es gibt Nato-nahe und Skolkan-nahe Medien, Fake News und ein eigenes Twitter im Intranet.

Soldiers breach a barricade with an M113 vehicle during a riot control training scenario as part of a mission rehearsal exercise at the Joint Multinational Readiness Center in Hohenfels, Germany, July 6, 2017.jpg

Skolkan ist ein Bündnis aus den Ländern Bothnia, Lindsey, Otso und Arnland. Es fiel im vergangenen Herbst in Estland ein, also Nato-Gebiet, wodurch der Bündnisfall eintrat. Lettland, Litauen, Polen und Tschechien sind bereits in Feindeshand. Nun stehen die Skolkan-Truppen in Bayern, die Nato muss endlich was tun. Und zwar nach den Regeln der Genfer Konvention.

Auch wenn die Chefs es nicht aussprechen, Skolkan passt gut auf Russland. Einigen Statisten wird unwohl dabei. Eine Frau der Firma, die uns rekrutiert hat, beschwichtigt: „Nein, wir bereiten keinen Krieg mit Russland vor. Ihr seht ja, es ist alles ausgedacht.“

Quelle     :    TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquellen   :

Oben    –– Luftbild – Truppenübungsplatz Hohenfels Bayern

US Army Europe ImagesFlickr: 173rd Airborne Brigade Mission Rehearsal Exercise – sling load training with Bulgarian forces

Einzelheiten zur Genehmigung

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