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100 Tage Steinmeier – ein Trauerspiel

Erstellt von Redaktion am Samstag 29. März 2014

Ein offener Brief von Friedemann Wehr

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e3/Einbrief.jpg

Autor: Friedemann Wehr

Rationalgalerie

Datum: 28. März 2014

Sehr geehrter Herr Außenminister Steinmeier,

 

Sie sind jetzt 100 Tage im Amt und ich erlaube mir, Ihre Taten zu würdigen. Bei Wikipedia heißt es:

 

Die 100-Tage-Frist bemisst die Zeitdauer, die nach einer Faustregel des Journalismus einem neuen (politischen) Amtsinhaber oder einer neuen Regierung zugestanden wird, um sich einzuarbeiten und erste Erfolge vorzuweisen. Danach kommt es zu einer ersten Bewertung der Regierungsleistung (100-Tage-Bilanz).

Müsste ich ein Arbeitszeugnis formulieren, dann würde ich Ihre 100-Tage-Bilanz mit den Worten: „Er bemühte sich, allen Anforderungen gerecht zu werden“ beschreiben. Oder eine andere, vielleicht bessere Formulierung, wäre „wegen seiner Pünktlichkeit war er stets ein gutes Vorbild“. Im Vergleich zu Ihrem Vorgänger, den ich eher als etwas dröge oder faul eingeschätzt habe, sind sie das komplette Gegenteil. Ihr Handeln ist nach meinem Geschmack eher als “hyperaktiv” zu bezeichnen und mir kommt dabei das ADHS-Syndrom in den Sinn. Ich habe dass Gefühl, dass Sie den Genscher – gemessen in Flugstunden – unbedingt in diesem Jahr noch übertreffen wollen. Leider geht das auf Kosten der Qualität.

Sie haben wahrscheinlich einen Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde verdient, als Unterzeichener eines internationalen Vertrages, der noch keine 24 Stunden Bestand hatte. Sie haben mit dem ukrainischen Präsidenten Janukowitsch am 21. Februar vereinbart, ein Übergangskabinett unter Beteiligung der Opposition zu bilden und die Tinte war nicht noch nicht trocken, als Janukowitsch schon in der Nacht fliehen musste, weil ihre Mitunterzeichner Jazenjuk, Tjagnibok und der Rechte Sektor es sich anders überlegt hatten. Ich wäre mir – mit Verlaub, Herr Außenminister – verarscht vorgekommen.

Betrachten wir mal Ihre neuen Freunde: Den Westerwelle hatte man seinerzeit gut beraten, dass er sich nicht mit dem Nazi Tjagnibok fotografieren lassen sollte. Ich hatte meinen Augen nicht getraut, als ich Sie im SPD-vorwärts in trauter Eintracht mit diesem Top 5 der Antisemitenliste sah. Stimmt, manchmal kann man sich die Freunde nicht immer aussuchen. Dann nehmen wir mal den anderen, Herrn Jazenjuk. Das Knäblein hat mit seinen 39 Jahren doch schon alles gemacht, was man sich vorstellen kann: Vizepräsident der Nationalbank, Vizegouverneur, Außenminister, Parlamentspräsident, Fraktionsvorsitzender, usw. Er wollte vor fünf Jahren sogar schon mal Präsident werden. Aber das ukrainische Wahlvolk verschmähte ihn mit 6,69% der Stimmen. Man sieht, wenn das Volk ihn nicht per Stimmzettel haben wollte, dann geht es auch anders – per Putsch. Dieser „Dr. Seltsam“ muss schon was besonderes sein, wenn der von einem Job zum nächsten hüpfen kann. Dann macht man sich als Laie einmal schlau und siehe da, der Gute hat die richtigen Freunde. Er hat sie sogar alle auf seiner Website (Open Ukraine – die Jazenjuk Stiftung!) gelistet. Lassen Sie mal, Ihre Mitarbeiter über die dort aufgeführten Organisationen recherchieren, wenn Sie meinen Findings nicht trauen. Da gibt es die „Open Society Foundations“, des Großzockers George Soros: “Sie setzen sich für Menschenrechte ein, sofern sie zur Durchsetzung US-amerikanischen Interessen nützlich sind” (hat Wikipedia so nett formuliert) und eine “National Endowment for Democracy” (NED), das trojanische Pferd der CIA (wie William Blum das formuliert hat). Für diesen Karrieristen machen Sie den Steigbügelhalter? Ich fass es nicht. Manchmal empfiehlt es sich, dass man sich erst Gedanken macht, bevor man in den Flieger steigt. Was in Kiew abläuft ist Orangene Revolution 2.0, wofür Amerika 5 Mrd. Dollar investiert hat. Sogar die handelnden Personen sind – fast (darauf komme ich noch) – die gleichen. Vielleicht haben die Oligarchen jetzt die EU als neue Zapfstelle entdeckt? Was haben Ihnen denn die Oligarchen Taruta und Achmetow beim Kaffeetrinken versprochen? Bestimmt nicht, dass Prickel (so Steinmeiers Spitzname bei TuS 08 Brakelsiek) demnächst bei Schachtar Donezk (Sponsor: Achmetow) aufläuft.

Die EU hat sich ja förmlich mit Hilfsgeldern überschlagen. Beim Lesen dieses Artikels traf mich ja der Schlag. Da steht:
„Bei seinem Besuch in Kiew sicherte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier der ukrainischen Übergangsregierung weitere Hilfe bei der Stabilisierung des Landes zu. Dabei ging es auch um mögliche deutsche Hilfe bei der Modernisierung und Verstärkung der ukrainischen Streitkräfte.“

Das ist nicht zu fassen. Wir rüsten die Ukraine auf? Gegen wen? Ist das Ihre angekündigte Einmischung? Angeführt von Frau Timoschenko, die ja Klassenbeste im Zusammenbauen der Kalaschnikow war und die auch bereit sein soll, den Bastard Putin abzuknallen, wenn man der WELT glauben darf? Die Dame ist längst nicht resozialisiert und müsste eigentlich zurück in den Knast, aber mit westlicher Hilfe darf die Freundin von Frau Merkel jetzt sogar wieder als Präsidentin kandidieren. Friedliche Aussichten.

Wer „Steinmeier warnt“ goggelt, der bekommt 175.000 Fundstellen. Sie sind der große Warner in Deutschland (Frau Merkel bringt es nur auf 91.100 Warnungen). Allerdings vermisst man von Ihnen eine Warnung vor dem Rechten Sektor, oder vor der Swoboda. Für welche Außenpolitik stehen Sie eigentlich? Die Bevölkerung in Europa hat die EUroschranzen satt, die willfährig nur das vollziehen, was die Amerikaner verlangen: Osterweiterung, SWIFT-Abkommen, ACTA, TTIP, Genmais u.v.m. Wir wollen keine Chlorhühnchen und kein Fracking und wenn die rechten Parteien in Europa die einzigen sind, die dagegen angehen, dann brauchen sie vor einem Rechtsruck in Europa nicht zu warnen – sondern Sie sind ein Teil des Problems!

Jetzt komme ich auf die neuen Mitspieler, die man noch als nützliche Idioten betrachtet, zurück. Der rechte Sektor will keine Orangene Revolution 2.0 und wenn die gleichen Gesichter sich wieder die Taschen füllen und die Ernüchterung durch die neoliberale Wirtschaftspolitik zuschlägt, befürchte ich erneute Gewalt. McCain, Ashton und viele andere Maidantouristen haben Sprüche gekloppt und Erwartungen geweckt, die nicht zu erfüllen sind. Die Demonstranten in Madrid werden in unseren Medien als Randalierer bezeichnet, die Randalierer in Kiew dagegen als Freiheitshelden der EU hochstilisiert, denen Sie sogar medizinische Hilfe in Deutschland anbieten. Da fehlt das Augenmaß. Diese angebotene Großzügigkeit wird schnell zu Ende sein, wenn in Kiew die Austeritätspolitik ihre Auswirkungen zeigt und der Maidan in die andere Richtung umschlägt. Ist die Ukraine in der EU, dann werden aus Helden wieder Randalierer – ohne Einladung in die Charité.

Leider könnte ich noch seitenlang über diese konzeptionslose Außenpolitik schreiben (oder ist “Warnen und Sanktionieren” Ihr Konzept?), aber ich will Ihnen auch einen Rat geben: Sie fliegen zu Obama und sagen: “Lieber Barack, wir kümmern uns nicht um den Dreck vor Deiner Haustür, und Du Dich nicht um unseren. Wir lösen das intern”. Dann fahren Sie zu Putin und erklären ihm ähnliches. Das wäre eine Position. Wir brauchen keine Sanktions-, sondern eine Kommunikationspolitik, die auf einen Interessenausgleich zwischen den europäischen Staaten ausgerichtet ist. Wir wollen „Versöhnen statt Spalten“, wie es Johannes Rau einmal treffend formuliert hat. Das war mal sozialdemokratische Politik! In diesem Sinne zu Handeln, wäre die Aufgabe eines deutschen Außenministers.

Das hat Ihnen einer geschrieben, der vor 35 Jahren einmal Kandidat der SPD für das Europäische Parlament war. Da stand Europa für Frieden und Verständigung und nicht für militärisches Engagement. Was ist aus dieser stolzen Partei geworden?

Friedemann Wehr

Hier geht´s zum Originalartikel:

http://www.altermannblog.de/100-tage-steinmeier-ein-trauerspiel/


Grafikquelle    :        Persönlicher Brief

 

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